Seit 2012 ist Christian Wück beim DFB beschäftigt, seit 2013 als Trainer der U17-Nationalmannschaft. Nach dem Vorrunden-Aus im letzten Jahr ist das Ziel bei der kommenden EM der Titel. Mit SPOX spricht Wück über die Bedeutung des Turniers, Gefahren für junge Spieler, Sammers Abgang zu den Bayern und RB Leipzigs Jugendkonzept.
SPOX: Herr Wück, Österreichs U20-Trainer Andreas Heraf kritisierte zuletzt, dass die großen Turniere der U-Nationalmannschaften in der Öffentlichkeit unterschätzt würden. Sehen Sie das in Deutschland genauso?
Christian Wück: Ich denke schon, dass sie von den großen Medien und der breiten Öffentlichkeit unterschätzt werden. Diese Turniere sind dazu da, den Spielern so früh wie möglich die Chance zu geben, sich auf absolutem Top-Niveau mit den internationalen Mannschaften zu messen und den Wettbewerbsgedanken unter positivem Druck kennenzulernen. Wir wollen den Jungs die Möglichkeit geben, sich zu profilieren und wichtige Erfahrungen zu sammeln, die sie später in der A-Nationalmannschaft gebrauchen können. Die U17-Europameisterschaft und die anschließende WM dienen dazu als erste Gradmesser.
SPOX: Also glauben Sie, dass diese Turniere eine erhebliche Bedeutung in der Entwicklung junger Spieler haben?
Wück: In jedem Fall. Das beste Beispiel ist Mario Götze, der als U17-Spieler Europameister wurde. Was aus ihm geworden ist, ist natürlich phänomenal. Dazu hat dieser Baustein U17-EM sicher auch etwas beigetragen.
SPOX: Erstmals seit 2002 werden bei der Endrunde in Bulgarien wieder 16 Mannschaften teilnehmen, anstatt wie zuvor acht. Wie bewerten Sie diese Entscheidung der UEFA?
Wück: Das ist ein guter Schritt, weil dadurch besser gewährleistet wird, dass sich alle großen Nationen an einem Ort treffen und die Europameisterschaft auf höchstem Niveau stattfinden kann. Zuvor war es meistens so, dass in der Eliterunde mindestens ein Team auf der Strecke blieb, da sich aus den Vierergruppen nur eine Mannschaft qualifizierte. Jetzt verlagert sich die Qualität auf die Endrunde, was nur positiv zu bewerten ist.
U17-EM in Bulgarien: Players to Watch
SPOX: Für die Spieler bedeutet das aber, wochenlang von der Schule befreit zu sein. Wie geht man beim DFB mit der Verantwortung um, die Schulbildung der Nachwuchs-Kicker zu beeinflussen?
Wück: Wir sind uns dessen schon seit längerer Zeit bewusst und haben deshalb bei jeder U-Mannschaft immer zwei Lehrer mit dabei. Im Vorfeld eines Lehrgangs stimmen sie mit den jeweiligen Schulen den Lehrplan ab, um die Spieler individuell zu unterrichten. Wenn sie nicht auf dem Trainingsplatz stehen, haben sie einen festen Stundenplan. Von daher stellt der DFB sicher, dass die Spieler ihre schulische Laufbahn so weit wie möglich in den Fokus rücken.
SPOX: Nachwuchs-Turniere wie die U17-EM ziehen Hunderte von Scouts an. Stehen die Spieler unter ständiger Belagerung?
Wück: Nein, denn es ist unsere Aufgabe, die Jungs von diesen Ablenkungen fernzuhalten, damit sie sich voll auf die Spiele konzentrieren können. Übermäßiger Kontakt und Trubel tut ihnen nicht gut. Dass der mediale Fokus aber immens ist, sieht man schon daran, dass die Turniere live im Fernsehen übertragen werden, was viele Spieler noch nie zuvor erlebt haben.
SPOX: Muss man bei so einer Kulisse aufpassen, dass die jungen Spieler nicht überdrehen - physisch wie mental?
Wück: Das darf man auf keinen Fall unterschätzen. Es gibt immer mal einige, die man mit dem Lasso zurück auf den Boden holen muss, aber wir sind dazu da, den Jungs das immer wieder bewusst zu machen. Es ist die größte Plattform, die sich die Spieler in diesem Alter vorstellen können und es liegt an ihnen, sich durch bestmögliche Leistung zu präsentieren und ins Blickfeld zu spielen.
SPOX: Liegt nicht genau darin die Gefahr, dass sie das Kollektiv aus den Augen verlieren?
Wück: Durchaus, aber dieses Problem sehe ich bei uns nicht. Dieser Faktor ist mitunter ausschlaggebend dafür, wie weit eine Mannschaft kommt. Natürlich braucht man Individualisten im Team, aber selbst denen muss bewusst sein, dass sie nur als Mannschaft so weit kommen können, wie wir uns das alle wünschen.
SPOX: Die Quali lief mit sieben Punkten aus drei Spielen nach Maß. Seit sechs Partien ist das Team ungeschlagen, fünf davon wurden zu Null gewonnen. Muss das Ziel in Bulgarien sein, den Titel zu gewinnen?
Wück: Das Minimalziel ist die WM-Qualifikation. Wenn wir gut reinkommen und in der Vorrunde Selbstvertrauen tanken, haben wir eine gute Chance, weit zu kommen. Ich traue der Mannschaft alles zu. Natürlich wollen wir Europameister werden.
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SPOX: Deutschland ist die einzige Nation, die 2015 definitiv mit vier Nachwuchs-Nationalteams an Turnier-Endrunden teilnehmen wird. Was war für Sie der Punkt, an dem in der Vergangenheit die Weichen für den jüngsten Erfolg gestellt wurden?
Wück: Es ist das erste Mal seit sehr langer Zeit, dass wir mit so vielen Mannschaften vertreten sind. Mit der U17 könnten wir sogar auch noch zur WM fahren, das wäre natürlich perfekt. Nach dem Jahr 2000, als es um den deutschen Fußball nicht gut bestellt war, hat ein Umdenken stattgefunden. Vor allem mit Matthias Sammer kam frischer Wind in die Nachwuchsförderung des DFB.
SPOX: War sein Wechsel zum FC Bayern schwer zu verkraften?
Wück: Es ist völlig normal, dass sich im Fußball immer wieder Personen umorientieren. Er war Teil eines stetigen Prozesses, der - wie bei der WM in Brasilien - jetzt die ersten Früchte trägt. Wir geben uns damit aber noch nicht zufrieden. Es gilt weiterzumachen und mit dem neuen Sportdirektor Hansi Flick sind wir dahingehend gut aufgestellt.
SPOX: In den letzten Jahren kristallisierte sich vor allem das technische Spiel mit hohem Ballbesitz als Schwerpunkt heraus. Wird es künftig nur noch Götzes und keine Wadenbeißer mehr geben?
Wück: Damit das nicht passiert, sind wir gerade wieder etwas am umdenken. Wir wollen weg von der rein technischen Ausbildung und wieder grundlegende Elemente in den Fokus rücken: Passspiel, Eins-gegen-Eins-Situationen, Defensivverhalten. Es wird zukünftig nicht reichen, nur schön spielen zu können. Bei der WM in Brasilien hat sich deutlich gezeigt: Individualisten sind mit ihrer Kreativität unheimlich wichtig, aber noch wichtiger ist es, sie ins Team einzubinden. Man muss sie zum Arbeiten bringen.
SPOX: Dazu braucht es einen guten Teamgeist. Bilden sich Hierarchien in der Mannschaft von innen heraus oder legen Sie diese fest?
Wück: Das kommt auf den Kader an. In der einen Mannschaft passiert es von selbst, im nächsten Jahrgang muss man das ein bisschen anstoßen. Generell heißen wir es gut, wenn sich Spieler hervortun und vorneweg gehen. Das hängt aber immer von den Charakteren ab.
SPOX: Haben Spieler der vermeintlich größeren Vereine häufig ein anderes Selbstverständnis im Team?
Wück: Da sehen wir wenige Unterschiede. Wir haben beispielsweise drei Spieler aus Bochum dabei. Die nehmen sich im Vergleich zu den Dortmund- oder Bayern-Spielern aber nicht zurück, nur weil sie bei einem Zweitligisten spielen. Fachlich und qualitativ hätten sie auch keinen Grund dazu.
SPOX: Was sagt es über die Nachwuchsarbeit in Bochum aus, dass gleich drei Spieler aus dem Leistungszentrum im Kader des DFB stehen?
Wück: Es ist Ausdruck der starken Jugendarbeit in Deutschland. In anderen Nationalmannschaften gibt es häufig Blockbildungen. In Portugal besteht das Team beispielweise aus Spielern von nur zwei oder drei verschiedenen Vereinen. Das ist bei uns nicht der Fall.
SPOX: In jeder Mannschaft tun sich trotzdem Spieler besonders hervor. Welche sind das in der aktuellen U17 des DFB?
Wück: An erster Stelle ist das unser Kapitän Felix Passlack, der vorweggeht - nicht nur, weil er die Binde am Arm hat, sondern weil er charakterlich einfach ein Führungsspieler ist. Er hat nicht von ungefähr gerade einen Profivertrag in Dortmund unterschrieben. Zusammen mit Niklas Dorsch vom FC Bayern zieht er die Fäden im Mittelfeld. Diese Spieler sind schon sehr weit und gefestigt. Sie wissen, was noch vor ihnen liegt und was sie dafür investieren müssen. Die Chancen stehen gut, dass sie den Durchbruch irgendwann einmal schaffen werden.
SPOX: Harald Strutz kritisierte zuletzt, dass junge Spieler oft zu früh von großen Vereinen weggekauft werden und nicht die Chance erhalten, sich erst einmal zu entwickeln. Sehen Sie das generell auch so?
Wück: Es ist ein zweischneidiges Schwert. In vielen Fällen ist es aber gut, wenn die Spieler lange in ihren Stammvereinen bleiben. Es zerren unheimlich viele Personen an ihnen: Eltern, Berater, Vereins-Verantwortliche. Wichtig ist, dass der Spieler sich wohlfühlt. Das kann aber auch in großen Vereinen trotz der größeren Konkurrenz der Fall sein.
SPOX: Wie nimmt man beim DFB in dieser Thematik das Aufstreben von RB Leipzig wahr? Das könnte in den nächsten Jahren auch große Auswirkungen auf den deutschen Fußball-Nachwuchs haben.
Wück: Natürlich kann es sein, dass sie den Spielern mehr bieten können, als andere Vereine. Es ist eine Entwicklung, die man nicht mehr aufhalten kann. Ob das gut oder schlecht ist, wird man in einigen Jahren sehen. Wir raten den Spielern, möglichst lange da zu bleiben, wo sie sich wohl fühlen. Mehr können wir als DFB eigentlich nicht tun.
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