Die Weltmeisterschaft in Katar rückt näher. 24 Tage vor dem deutschen Turniereinstieg hat Bundestrainer Hansi Flick alle Hände voll zu tun. In seinem endgültigen WM-Kader könnten nämlich so einige Sorgenkinder stehen. Für den BVB könnte es zudem einige Nicht-Berücksichtigungen hageln. Ein Überblick.
Am 20. November beginnt die Weltmeisterschaft in Katar. Rund einen Monat vorher stellte Hansi Flick bereits einen XXL-Kader mit 55 Spielern zusammen. Der Grund: Die FIFA muss die WM-Fahrer unter anderem für Visa und Dopingkontrollen schon vorregistrieren. Wer auf der Liste der deutschen Nationalmannschaft steht, ist bislang noch ein großes Geheimnis.
Gewissheit wird Fußball-Deutschland wohl erst haben, wenn Flick seinen finalen 26-Mann-Kader - voraussichtlich am 10. November - veröffentlicht. Bei einigen Spielern dürfte die Nominierung dennoch so gut wie sicher sein. Hinter einer Handvoll steht allerdings ein dickes Fragezeichen.
DFB-Team: Zwei angehende Vereinslegenden könnten fehlen
Für Thomas Müller und Marco Reus (jeweils 33 Jahre alt) steht wohl die letzte WM ihrer eindrucksvollen Karriere an. Allerdings drohen die angehenden Vereinslegenden des FC Bayern bzw. von Borussia Dortmund das Turnier aus gesundheitlichen Gründen zu verpassen.
Während Müller damit seine vierte WM-Teilnahme verwehrt bleiben würde, wäre es für Reus die erst zweite. Schon dreimal fehlte er bei einem Großereignis auf nationaler Ebene (WM 2014, EM 2016, EM 2021). Das Besorgniserregende: Beide Vereine können derzeit keine Auskunft darüber geben, wann die Offensivspieler zurückkehren.
Kurios: Müller fehlte dem FC Bayern in den vergangenen vier Spielen mit einem jeweils anderen Problem. Gegen Mainz am Samstag stand er wegen einer "Irritation in der Hüfte" nicht im Kader. Zwar geht man nicht von "einer längeren Sache" aus, aber auch bei wiederholter Nachfrage ließen sich die FCB-Verantwortlichen kein Datum entlocken.
Die Wichtigkeit von Müller für das deutsche Offensivspiel ist unumstritten. Mit zehn Treffern ist er nicht nur der erfolgreichste noch aktive WM-Torschütze, auch seine Übersicht und Kommunikation auf dem Platz ("Radio Müller") würde dem teilweise noch unerfahrenen DFB-Angriff um Kai Havertz und Jamal Musiala gut zu Gesicht stehen. Das stellte er bereits zu Flicks Bayern-Zeiten eindrucksvoll unter Beweis, als man gemeinsam das Triple gewann. Auch deshalb stand Müller zuletzt meist in Deutschlands Startelf.
Hansi Flick: Massig Optionen für die Offensive
Reus hingegen hatte nur während der WM-Qualifikationen in Teilen die Möglichkeit, Flick aus nächster Nähe von sich zu überzeugen. In seinen bisher vier Spielen unter dem Bundestrainer kam er auf starke sieben Torbeteiligungen, seit der Jahreswende war er allerdings bei jedem Spiel verletzungsbedingt verhindert.
Seit dem Revierderby Mitte September ist das auch im Verein der Fall (Sprunggelenksverletzung). Mit Ausnahme des Spiels gegen Union Berlin, bei dem der lädierte Fuß erneut Schmerzen bereitete. Reus "ist und bleibt ein großes Fragezeichen", sagte Trainer Edin Terzic vor dem Duell mit Eintracht Frankfurt.
Damit er doch noch rechtzeitig für die WM in Form kommt, soll er laut der Bild nun auch wieder mit Ralph Frank in Kontakt stehen. Mit dem Bio-Statiker hatte Reus schon bei anderen schwerwiegenden Verletzungen während der Reha zusammengearbeitet.
Eine Nominierung Reus' für den finalen Kader wäre sicher noch ein größeres Risiko als die von Müller. Klar ist aber auch, dass beide schleunigst fit werden sollten. Gerade in der Offensive hat Flick viele Optionen. Abgesehen von den bereits angesprochenen Havertz und Musiala werden sehr wahrscheinlich auch Serge Gnabry, Leroy Sané, Timo Werner und womöglich noch ein weiterer Stürmer im Kader stehen.
DFB-Team: Der Fahrplan bis zum WM-Start
Ereignis | Datum |
Letzter Bundesliga-Spieltag | 11. bis 13. November |
Bekanntgabe des finalen 26-Mann-Kaders | 10. November |
Trainingslager in Dubai | 14. bis 17. November |
Testspiel gegen den Oman | 16. November |
Ankunft im WM-Quartier in Katar | 17. November |
WM-Auftakt in Doha gegen Japan | 23. November |
DFB-Team: Der BVB-Block hängt teilweise durch
Neben Reus gibt es elf weitere Deutsche im aktuellen Kader von Borussia Dortmund, die zu den potenziellen WM-Fahrern gehören und/oder eine Vorgeschichte in der A-Nationalmannschaft haben. Die Voraussetzungen könnten allerdings nicht unterschiedlicher sein: Mahmoud Dahoud hat beispielsweise den Großteil der Hinrunde wegen einer Verletzung verpasst. Mats Hummels muss dafür um sein Ticket bangen - auch wenn er es verdient hätte. Wenn Niklas Süle nichts zustößt, ist er hingegen sicher dabei - ganz im Gegensatz zu Nico Schulz.
Andere BVB-Spieler, die in der jüngeren Vergangenheit ebenfalls eine Rolle im DFB-Team gespielt haben, hängen aktuell hingegen durch. Genauer gesagt: Karim Adeyemi, Emre Can und Nico Schlotterbeck.
Letzterer hat mit Abstand die besten Karten und wird die Reise auch mit großer Wahrscheinlichkeit antreten. Bei Dortmunds 2:1-Sieg gegen Eintracht Frankfurt am Samstag hatte er zwar wie schon im letzten DFB-Spiel gegen England eine schlechte Figur abgegeben, dennoch gehört er zu den besten Innenverteidigern des Landes. An Schlotterbeck liegt es nun, Konstanz in seine Leistungen zu bekommen. Wenn er in den vier verbliebenen BVB-Pflichtspielen und in der WM-Vorbereitung überzeugt, hat er sogar eine Chance auf einen Platz in der Startelf.
Vor rund einem Jahr war auch Adeyemi noch ein fester Bestandteil des Deutschland-Kaders, galt gar als kommender Shootingstar, nachdem er im September bei seinem Debüt (6:0 gegen Armenien) direkt ein Tor erzielt hatte. Jedoch kam der 20-Jährige in 2022 in nur einem von acht Spielen zum Einsatz - und dieser ging nur wenige Minuten lang. In den ersten vier Begegnungen in der Nations League war er zwar Teil des Aufgebots, gehörte aber dreimal den Streichkandidaten an und nahm deshalb auf der Tribüne Platz.
BVB: Adeyemi und Can mit schlechten Karten für die WM
Zu den letzten beiden Härtetests vor der WM (Ungarn und England) wurde Adeyemi nicht einmal mehr eingeladen. Der Angreifer hatte im August und September mit zwei kleineren Verletzungen zu kämpfen und verpasste insgesamt fünf Pflichtspiele. Ausschlaggebend für die Nicht-Berücksichtigung war aber wohl auch seine schwache Bilanz im BVB-Trikot: nicht eine Torbeteiligung in der Bundesliga. In den Pokal-Wettbewerben traf er immerhin jeweils einmal und machte gegen Manchester City beim 0:0 vergangene Woche wohl sein bestes Spiel im BVB-Trikot.
Dennoch: Die Chancen auf eine WM-Teilnahme werden immer geringer. Zumal die Konkurrenz nicht schläft - und sogar Timo Werder so langsam wieder in Fahrt kommt (neun Tore, vier Assists).
Ebenfalls kaum Hoffnungen darf sich Can machen. Der vielseitig einsetzbare Defensivspieler wurde seit Flicks Übernahme nicht mehr für das DFB-Team berücksichtigt. Seinen letzten Einsatz hatte er während der Europameisterschaft beim Achtelfinal-Aus gegen England im Sommer 2021.
In Dortmund hat Can schon lange keinen absoluten Stammplatz mehr, auch wenn er in den vergangenen Wochen wieder häufiger in der Startelf stand. Denn sobald BVB-Trainer Edin Terzic im defensiven Mittelfeld und in der Innenverteidigung aus dem Vollen schöpfen kann, findet sich der 28-Jährige meist wieder auf der Bank wieder. Auf beiden Positionen ist er die klare Nummer vier im internen Ranking der Borussia.
Schon länger ist Can nicht mehr der sichere Rückhalt, der er einst mal war. Eine Partie ohne Fehler ist zur Seltenheit geworden - und das kann die ohnehin schon fehleranfällige DFB-Defensive nicht gebrauchen.
BVB: Diese Dormund-Spieler haben Chancen auf ein WM-Ticket
Name | Position |
Niklas Süle | Verteidigung |
Nico Schlotterbeck | Verteidigung |
Mats Hummels | Verteidigung |
Emre Can | Verteidigung / Mittelfeld |
Marius Wolf | Verteidigung / Mittelfeld |
Salih Özcan | Mittelfeld |
Mahmoud Dahoud | Mittelfeld |
Julian Brandt | Mittelfeld / Angriff |
Marco Reus | Mittelfeld / Angriff |
Karim Adeyemi | Angriff |
Youssoufa Moukoko | Angriff |
DFB-Team: Was ist, wenn Manuel Neuer nicht fit wird?
Es ist das wohl größte Fragezeichen, das vor der WM in Katar über Fußball-Deutschland schwebt: Wird Manuel Neuer rechtzeitig fit? Wie schon vor vier Jahren in Russland sieht alles nach einem Wettlauf gegen die Zeit aus, als er sich gerade noch so von seinem Mittelfußbruch erholt hatte. Zumal beim FC Bayern wie bei Müller auch nach dem sechsten Spiel, in dem die Nummer eins verhindert war, keine klare Ansage getroffen wurde.
Neuer leidet seit Mitte September unter einer schmerzhaften Schulterverletzung. Dass der Ausfall sich länger zieht als zuerst angenommen, liegt vor allem am Topspiel gegen den BVB. "Im Nachgang war das Dortmund-Spiel zu früh", sagte Julian Nagelsmann neulich und deutete damit an, dass die Schmerzen des Bayern-Kapitäns deshalb schwerwiegender sind.
Der Trainer und auch die Verantwortlichen um Sportvorstand Hasan Salihamidzic und Vorstandschef Oliver Kahn sind seither bemüht, zu betonen, dass man bei Neuer von "Tag zu Tag" schauen muss. Der Tenor: Neuer wird die WM schon nicht verpassen. Immerhin zeichnet sich ein Fortschritt ab. Am Montag postete der FC Bayern ein Video, das Neuer bei torwartspezifischen Übungen zeigte.
"Da muss man sehr intelligent mit umgehen", sagte der ehemalige Torhüter Kahn nach dem Mainz-Spiel und warnte, "dass jetzt nicht zu früh Belastung draufkommt." Optimismus für eine baldige Rückkehr klingt freilich anders. Lediglich Neuers Vertretung Sven Ulreich traute sich, eine Prognose abzugeben und prophezeite, dass sein Konkurrent "eine hervorragende WM spielen wird".
Trotz der geschlossenen Zuversicht beim FC Bayern kann sich Flick nicht darauf verlassen, dass Neuer beim Turnierstart das DFB-Tor hüten wird. Damit einhergehend muss er sich also auch mit einer Alternative beschäftigen - an Optionen mangelt es in jedem Fall nicht.
Manuel Neuer: Für Ersatz ist schon gesorgt
Es wäre eine riesige Überraschung, wenn Marc-André ter Stegen nicht Flicks erste Wahl wäre. Der 30-Jährige hat die wohl seit Jahren undankbarste Rolle auf nationaler Ebene. Wohl kein anderer Keeper spielt auf Vereinsebene dauerhaft auf diesem Niveau, ohne eine Chance auf einen Stammplatz bei einer WM oder EM zu haben. Am ehesten kommt noch Brasiliens Ederson heran, der gegen Alisson stets das Nachsehen hat.
In der laufenden Spielzeit hielt ter Stegen mit dem FC Barcelona in der spanischen Liga zehnmal die Null. Von seinen 14 Gegentoren in 17 Pflichtspielen stammen zehn aus der Champions League, darunter fünf vom FC Bayern. Zudem glänzte er zuletzt auch im Deutschland-Trikot. In den letzten beiden Spielen gegen Ungarn (0:1) und England (3:3) bewahrte er das DFB-Team jeweils vor Schlimmerem.
Um den dritten Platz liefern sich wohl Kevin Trapp und Oliver Baumann ein Duell, wobei ersterer zuletzt immer den Vorzug bekam - und das wird auch mit großer Sicherheit in Katar der Fall sein. Baumann war nur Flicks Wahl, wenn Neuer nicht konnte. Und auch das scheint für den Fall der Fälle nicht ganz sicher, wenn man sich die Leistungen von Ulreich in München genauer anschaut.
Schon 2018 stand Ulreich auf der Liste für den WM-Kader, ehe sich Joachim Löw für Trapp entschied. Damals wie heute löst der 34-Jährige seine Aufgabe mit Bravour. Es ist auch sein Verdienst, dass die Bayern bislang alle Spiele gewannen, seitdem er im Tor steht.
Allerdings ist nicht davon auszugehen, dass Flick Neuer überhaupt nicht mitnimmt. Selbst wenn dieser erst für ein mögliches Finale eine Option wäre, würde der Bundestrainer seinen Kapitän mit nach Katar nehmen. Zu wichtig ist er für die Mannschaft und in der Kabine.
Manuel Neuer: Die Krankenakte im Überblick (mehr als 10 Tage Ausfallzeit)
Saison | Verletzung | Ausfallzeit (Verpasste Spiele) |
2022/23 | Schultereckgelenksprellung | mindestens 21 Tage (6) |
2021/22 | Knie-OP | 32 Tage (6) |
2021/22 | Corona-Virus | 14 Tage (1) |
2018/19 | Muskelfaserriss | 35 Tage (6) |
2018/19 | Wadenprobleme | 11 Tage (3) |
2018/19 | Fingerverletzung | 14 Tage (3) |
2017/18 | Trainingsrückstand | 32 Tage (8) |
2017/18 | Mittelfußbruch | 206 Tage (37) |
2017/18 | Mittelfußbruch | 123 Tage (9) |
2016/17 | Fußverletzung | 11 Tage (3) |
2016/17 | Viruserkrankung | 10 Tage (0) |
2008/09 | Mittelfußbruch | 70 Tage (8) |