"Die Bayern konnten mich nicht stoppen"

Haruka Gruber
21. Mai 201115:11
Der beste Bachirou Salou: Im Finale 1998 rannte er Matthäus weg und erzielte Duisburgs Führung Imago
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Duisburgs letzte Sternstunde liegt 13 Jahre zurück - und ist mit einem Namen verbunden: Bachirou Salou. Der 40-jährige Ex-Bundesliga-Stürmer (254 Spiele, 51 Tore) über Michael Tarnats brutales Foul, seine kuriose Laufbahn und die Chancen des MSV gegen den FC Schalke 04 im Pokalfinale (19.30 Uhr im LIVE-TICKER).

SPOX: Sie wurden als verdienter Spieler des MSV zum Finale nach Berlin eingeladen. Wie oft denken Sie noch an Ihr Endspiel 1998 gegen den FC Bayern?

Bachirou Salou: Noch sehr, sehr oft. Die Erinnerungen kommen immer wieder hoch. Mich konnte damals nichts halten, ich wusste gar nicht wohin mit der ganzen Energie. In der Saison gab es den besten Salou aller Zeiten. Umso bitterer war es, wie das an sich erfolgreichste Jahr meiner Karriere endete.

SPOX: Mit einem unglücklichen 1:2.

Salou: Ich habe lange gebraucht, um darüber hinwegzukommen. Am schlimmsten empfand ich gar nicht die Niederlage an sich, sondern vielmehr das Wissen, dass man so nah dran war an der Sensation. Die Bayern mit den Stars gegen uns, den angeblichen Namenlosen. Jeder unterschätzte uns, dabei hatten wir einige gute Spieler - Michael Zeyer, Stig Töfting oder Tomasz Hajto -, und wir standen zusammen wie eine Familie. Mit diesem Zusammenhalt hätten wir die Bayern packen können. Hätten.

SPOX: Sie waren der überragende Spieler auf dem Platz und erzielten das 1:0 - dank eines noch immer legendären Sprints, als Sie Gegenspieler Lothar Matthäus davonliefen.

Salou: Ich hatte ein solches Vertrauen in meinen Körper, dass ich beinahe geplatzt bin vor Selbstbewusstsein. Das sah man beim 1:0. Langer Ball aus dem Mittelfeld, ich renne los, nehme Matthäus gleich einige Meter ab, bin plötzlich alleine vor Olli Kahn, haue voll drauf - drin!

SPOX: Duisburg hätte nachlegen können, stattdessen drehten die Bayern die Partie, nachdem Sie sich wegen eines Fouls von Michael Tarnat auswechseln lassen mussten. War Ihre Verletzung tatsächlich spielentscheidend?

Salou: Wenn dieses blöde Foul nicht passiert wäre, hätten wir gewonnen. Unser Konzept basierte auf zwei Säulen: hinten dicht machen und vorne den Bachi in Eins-gegen-eins-Situationen bringen. Trainer Funkel, die Mitspieler, ich, wir wussten alle, dass die Bayern mich nicht stoppen konnten. Der Plan hatte auch wunderbar funktioniert...

SPOX: ... bis Sie von Tarnat umgenietet wurden. Mehmet Scholl deutete an, dass Tarnat eigens den Auftrag bekommen habe, Sie aus dem Spiel zu nehmen.

Salou: Das ist ihm auch gut gelungen: Ich erlitt eine vier Zentimeter lange Risswunde, die unfassbar wehtat. Ich konnte nicht mehr. Aber ich glaube dennoch nicht, dass mich Tarnat mit Vorsatz verletzt hat. Er wollte definitiv Härte zeigen und war in dieser Situation zu spät dran, so etwas passiert im Duell zwischen Männern. Daher bin ich auch nicht sauer auf ihn. Viel schlimmer fand ich, dass Schiedsrichter Strampe Tarnat nicht einmal die Gelbe Karte zeigte, obwohl es klar Rot hätte geben müssen.

SPOX: Die damalige Taktik des MSV war simpel, dennoch wirkungsvoll. Wie könnte Duisburg gegen Schalke eine Überraschung gelingen?

Salou: Die Voraussetzungen sind nicht so schlecht: Schalke ist außer Form und verunsichert, außerdem ist Milan Sasic ein Fuchs. Aber die vielen Ausfälle werden nicht zu kompensieren sein. Und: Damals hatten wir eine sehr erfahrene Mannschaft, die sich in der Bundesliga etabliert hatte, während die aktuelle Generation womöglich zu unerfahren ist, um mit dem Druck zurechtzukommen. Wenn sie die Lockerheit aus der Hinrunde jedoch wiederfindet, wer weiß...

SPOX: Ist die Besinnung auf junge Spieler der richtige Weg für den MSV?

Salou: Absolut. Diese Saison fehlte noch die Kadertiefe und die Erfahrung, deswegen rutschte der MSV auch ab. In der kommenden Saison gehe ich davon aus, dass Duisburg ganz oben mitspielt. Julian Koch und Olcay Sahan gehen zwar, aber die Mannschaft besitzt ein Fundament und wird weiter verstärkt, mit Jula, mit Shao, mit vielen Talenten. Ich habe das Gefühl, dass der Verein mit dem wenigen Geld, das zur Verfügung steht, sehr gut umgeht.

SPOX: Koch und Sahan nutzten die Saison für den nächsten Karriereschritt und wechseln als bewährte Profis zurück zu Dortmund beziehungsweise nach Kaiserslautern. Für Sie war Duisburg ebenfalls ein Sprungbrett und Sie gingen nach Dortmund.

Salou: Witzigerweise wollte mich damals auch Schalke, außerdem hatte ich Angebote von PSG, Fenerbahce und weiteren Klubs aus dem Ausland. Aber ich wollte in Deutschland bleiben und entschied mich für Dortmund.

SPOX: Sie kosteten eine für damalige Verhältnisse sehr hohe Ablöse von 4,5 Millionen Euro - und enttäuschten beim BVB. Lag es an den hohen Erwartungen?

Salou: Nein, ich hatte nie Druck verspürt, weil ich wusste, dass ich das Geld wert war. Es lief einfach unglücklich: Mich hatte Nevio Scala verpflichtet, dann kam plötzlich Michael Skibbe. Das erste Halbjahr lief noch ordentlich, dann sagte mir Skibbe in der Winterpause, dass er in mir nur einen Konterspieler sieht, er hingegen einen Fußball mit viel Ballbesitz bevorzugt. Ich war daraufhin so was von sauer. Ich nur ein Konterspieler? Als ob wir beim MSV den Ball nur vorgebolzt hätten und ich den Ball hinterhergelaufen wäre.

Bachirou Salou über seinen legendären Magath-Diktator-Spruch und die Auto-Suche in Togo: Hier geht's zu Teil II!

SPOX: Schon nach einem Jahr ließen Sie sich weiter nach Frankfurt verkaufen. Ein Fehler?

Salou: Ich war jung und zu ungeduldig, das weiß ich mittlerweile. Ich sage nur: Felix Magath.

SPOX: Sie kamen mit Magaths rigider Art überhaupt nicht zurecht und bezeichneten Ihn als den "letzten Diktator Europas". Eine Aussage, die noch heute häufig zitiert wird.

Salou: Ich bereue nicht, es damals gesagt zu haben. Mich hatte Jörg Berger verpflichtet, der mich später auch nach Aachen geholt hat. Aber ähnlich wie in Dortmund mit Scala wurde er früh gefeuert - und dann kam Magath. Ich habe unter ihm gelitten wie nie. Die erste Zeit lief noch okay, im zweiten Jahr jedoch übertrieb er es mit seinen Trainingsmethoden. Er wollte immer mehr und mehr und mehr. Er hat mir drei Jahre meiner Karriere gekostet. Es war Raubbau am Körper. Ich war so ausgebrannt und bekam irgendwann sogar Angst davor, den Ball zu bekommen, weil ich keine Kraft mehr in den Beinen hatte.

SPOX-Reporter Haruka Gruber traf sich mit Bachirou Salouspox

SPOX: Damals kamen erste Vorwürfe auf, Sie seien ein Abzocker und das Geld hätte Sie satt gemacht.

Salou: Der Vorwurf und die Pfiffe der Fans trafen mein Herz. Ich musste beim Fußball Freude spüren, um gut zu spielen - aber diese nahm mir Magath weg. Wenn es mir wirklich nur um die Kohle gegangen wäre, hätte ich niemals einem Wechsel von Frankfurt nach Rostock zugestimmt, sondern in Katar unterschrieben.

SPOX: Und was war mit den Geschichten über Ihr angebliches Partyleben?

Salou: Vorweg: Mein Privatleben ist niemals mit der Arbeit kollidiert. Ich kam nicht besoffen zum Training, lief torkelnd durch die Stadt oder machte andauernd Party. Es ist nur so, dass ich abends gerne rausgehe zum Essen oder Trinken - genau wie fast jeder andere Fußballer. Nur bei mir wurde darüber berichtet, weil das gut in die Storys gepasst hat.

SPOX: Das Bild des afrikanischen Lebemanns passt aber?

Salou: Wenn das heißt, dass ich ein offener Typ war und versucht habe, mich zu integrieren, dann: ja. Bei meiner ersten Station in Mönchengladbach nahmen mich die Mitspieler wie Kalle Pflipsen sofort auf und luden mich nach dem Training ein - ein bisschen Diskothek, ein bisschen feiern, nichts Übertriebenes. Parallel habe ich deutsch gelernt und auch nach dem ersten richtigen Vertrag im Training weiter Gas gegeben. So wurde ich schnell akzeptiert. Diese Mentalität vermisse ich etwas bei den afrikanischen Talenten von heute, die nach Europa kommen.

SPOX: Stimmt es, dass Sie damals nur entdeckt wurden, weil der ehemalige tschechoslowakische Nationalspieler Anton Ondrus Urlaub in Kamerun machte und zufällig ein Spiel von Ihnen sah?

Salou: Es klingt komisch, aber es stimmt. Ich hatte mich gar nicht so mit der Möglichkeit beschäftigt, irgendwann nach Europa zu wechseln. Ich bin damals als 18-Jähriger aus Togo nach Kamerun gezogen, weil ich etwas anderes sehen wollte. Ich unterschrieb bei einem Verein namens Panthere, führte die Torschützenliste der Liga an - und dann sprach mich nach einem Spiel Anton an. Eine Woche später saß ich im Flieger nach Deutschland und noch am selben Tag fuhren wir weiter nach Mönchengladbach zum Probetraining.

SPOX: Der Beginn einer Karriere, die Sie zu einem Volkshelden in Togo machte. Sie wurden derart verehrt, dass sich der damalige Staatspräsident einschaltete, als Ihr Auto in der Hauptstadt Lome geklaut wurde.

Salou: Eine kuriose Story: 1998 fand in Burkina Faso der Afrika Cup statt und einige Fans waren wegen schwacher Leistungen sauer auf mich, deswegen wollte mich wohl irgendwer bestrafen. Als der Präsident davon erfuhr, rief er die Polizei oder wen auch immer an, mit der Ansage: 'Findet verdammt noch mal das scheiß Auto!' Und plötzlich tauchte es über irgendwelche Kanäle auf einmal wieder auf. (lacht)

SPOX: Weniger amüsant sind die jüngsten Ereignisse, die man mit Togos Fußball verbindet. Der blutige Anschlag auf den Nationalmannschaftsbus 2010 und der Betrugsfall, als der ehemalige Nationaltrainer Tchanile Bana mit einer falschen Nationalmannschaft zu einem Freundschaftsspiel in Bahrain antrat.

Salou: Der Anschlag war tragisch. Aber der Betrugsfall beweist, wie chaotisch es noch immer in Togo zugeht. Ich kenne Bana persönlich und hätte nie gedacht, dass er wegen des schnellen Geldes so eine Schande über unser Land bringt. Genauso viel Schuld kommt jedoch dem Verband zu, der offenbar so unorganisiert ist, dass so etwas passieren kann.

SPOX: Sie arbeiteten bei der WM 2006 bereits als Teammanager für die Nationalmannschaft Togos. Warum kehren Sie nicht zum Verband zurück?

Salou: Vielleicht steige ich in vier, fünf Jahren wieder ein. Ich habe seit dem Karriereende sehr viel gelernt und könnte Knowhow einbringen - aber die Situation in Togo ist schwierig. Alles geht sehr langsam voran und an den entscheidenden Stellen sitzen Leute, die von Fußball keine Ahnung haben, korrupt sind oder beides. Zunächst plane ich, mit meinen ehemaligen Gladbacher Mitspielern Pflipsen und Peter Wynhoff eine Spielerberater-Agentur zu gründen. Dann sehen wir weiter.

Der Kultstürmer aus Lome: Bachirou Salou im Steckbrief