BVB - Thesen nach Einzug ins Pokalfinale: Dortmund schielt aufs Happy End

Patrick Brandenburg
02. Mai 202112:50
Der BVB steht im DFB-Pokalfinale und ist wieder in Reichweite der Champions-League-Plätze.getty
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Mit einem Torfestival gegen Favoritenschreck Holstein Kiel zieht Borussia Dortmund ins Finale des DFB-Pokals ein. Weil ein Offensivtrio zum Saisonfinish in Topform kommt, könnte der BVB eine Saison voller Sorgen doch auf der Sonnenseite beenden. Punktuell bleibt das Terzic-Team aber ein wackliges Gebilde.

Drei Thesen zum Halbfinalsieg des BVB über Holstein Kiel.

1. Der BVB kann plötzlich alle Ziele erreichen - und mehr!

Behält Mats Hummels am Ende doch Recht? "Wir wollen einen aktiveren und aggressiveren Stil gegen den Ball. Ich bin zu hundert Prozent davon überzeugt, dass man es in dieser Saison noch sehen wird", hatte der Abwehrchef des BVB schon vor Wochen prophezeit.

Nach einer Spielzeit voller Rückschläge und Selbstzweifel, einer Trainer-Entlassung und weiteren Zwischentiefs unter Interimscoach Edin Terzic scheint Borussia Dortmund nun mit teils spektakulärem Fußball wieder zu sich selbst gefunden zu haben. Dank einer Siegesserie in der Liga und einer tollen 5:0-Gala im Halbfinale des DFB-Pokals gegen den überforderten Zweitligisten Holstein Kiel kann Dortmund wieder sämtliche Saisonzielen erreichen - und einen Titel obendrein.

Bei einem Sieg im Finale gegen RB Leipzig am 13. Mai in Berlin winkt der fünfte Pokaltriumph nach 1966, 1989, 2012 und 2017. Der erste große Titel nach vier Jahren Durststrecke wäre für die ambitionierten Westfalen ein dickes Trostpflaster für diese bislang so unbefriedigende Spielzeit. Bis zu zehn Millionen Euro Pokal-Prämien sind in Corona-Zeiten genauso wenig zu verachten wie die Aussicht, die enttäuschten Fans mit einem Sieg über den verhassten Rivalen RasenBall zu versöhnen. Trainer Terzic gibt sich selbstbewusst. "Der Gegner ist brutal schwer, das ist eins der besten Teams in Deutschland. Aber wir sind bereit, das Finale zu gewinnen."

Reus: "Dürfen nicht ein Prozent nachlassen"

In der Champions League hat der BVB ohnehin die Erwartungen erfüllt. Erstmals seit 2017 hatten die Dortmunder wieder das Viertelfinale erreicht. Dort ist Dortmund gegen die aktuell wohl beste Mannschaft der Welt, Manchester City, fast ein wenig unglücklich ausgeschieden. Das hat Renommee aufgefrischt, angesichts permanenter Geisterspiele vor allem aber den Etat gestärkt - um etwa 60 bis 70 Millionen Euro. Das hilft, den Edelkader beisammen zu halten und standhaft zu bleiben, wenn Europas Eliteklubs mit viel Geld nach BVB-Stars schmeißen.

Das wichtigste Saisonziel bleibt die erneute Qualifikation für die lukrative Champions League. Hier ist die Borussia nach dem jüngsten Zwischenspurt mit vier Siegen in Serie zwar noch nicht über der Linie, aber in Schlagweite. Die sichtbar gestrafft auftretenden Dortmunder haben neun Punkte auf die zwischenzeitlich elf Zähler enteilten Wolfsburger aufgeholt. Eintracht Frankfurt ist nur noch einen Zähler entfernt und hat eine schlechtere Tordifferenz.

Als Fünfter der Tabelle liegt der BVB auf der Lauer, das nicht mehr für möglich gehaltene Happy End ist wieder in Reichweite. Als Generalprobe für das Pokalfinale wartet Leipzig nun auch in der Liga. Dranbleiben ist das Motto: "Es ist ein guter Lauf, aber wir dürfen nicht ein Prozent nachlassen", sagt Marco Reus.

2. Die Abteilung Offensivspektakel meldet sich zurück

Die Sorge vieler Dortmund-Fans war unbegründet, dass sich der kurzfristige Ausfall von Torjäger Erling Haaland gegen einen tief stehenden und kompakt verteidigenden Gegner wie Kiel als zu schwere Hypothek erweisen würde. Im Gegensatz zu vielen Beispielen aus der jüngeren Vergangenheit hatte der BVB gegen den Außenseiter keine Probleme, ohne die Wucht des Norwegers das dichte Abwehrgeflecht zu zerpflücken.

Das liegt vor allem daran, dass Dortmunds Trio Infernale rechtzeitig zum Saisonfinish in Topform gekommen ist. Allen voran Marco Reus, der fast wie in besseren Zeiten für die nötige Kreativität in der schwarzgelben Offensive sorgt. Der Kapitän weiß in Jadon Sancho und Giovanni Reyna nun auch wieder selbstbewusste Partner an der Seite, die Doppelpässe oder knackige Kombinationen spielen können.

Reus hat zwei Drittel der Saison weit unter seinen Möglichkeiten gespielt. Seit dem Achtelfinale der Königsklasse in Sevilla dreht der 31-Jährige aber auf. Vier Tore und sieben Assists stehen seither für ihn wettbewerbsübergreifend zu Buche. Mehrfach war er Matchwinner der Borussia. Gegen Kiel hatte er unter anderem mit dem hochwertigen Treffer zum 3:0 Anteil am Erfolg. Bezeichnend war aber vor allem die ebenso energische wie trickreiche Vorarbeit zum 2:0, die den Widerstand des Pokalschrecks früh brach.

Gegen Zweitligist Kiel hatte der BVB keine Probleme.getty

BVB: Reyna "X-Faktor" im Saisonendspurt?

Ähnliches gilt für Jadon Sancho, der seine Formkrise schon etwas früher beendet hat. Dank der zwei Assists im Pokal-Halbfinale hat der Scorerkönig der vergangenen Saison (je 20 Treffer und Assists) seine Bilanz schon wieder auf 30 Torbeteiligungen (12 Treffer/18 Assists) geschraubt. Und das rotz mäßiger Hinrunde und Zwangspause von neun Spielen. Der junge Engländer hat wieder so viel Selbstvertrauen, dass er es gegen die Störche mit Kabinettstücken fast übertrieb.

Und schließlich passt auch das dritte Mosaiksteinchen wieder: Reyna hat seinen Corona-Blues abgelegt und erinnert wieder an seinen spektakulären Saisonstart. Seit der Bundesliga-Partie in Stuttgart, wo er mit einer Torvorlage glänzte, hat der 18-Jährige kontinuierlich an Selbstvertrauen gewonnen. Sein erster Doppelpack in Schwarzgelb gegen Kiel drückt das super aus.

Zwei Vorlagen und drei Treffer in den letzten fünf Partien in der Liga und im DFB-Pokal haben den US-Amerikaner nach dem ersten Durchhänger seiner Karriere wieder zum festen Startelf-Kandidaten befördert. Die Ruhr Nachrichten orakelten bereits, der unberechenbare Techniker könne zum "X-Faktor" im Saisonfinish des BVB werden.

3. Die Borussia bleibt ein wackliges Gebilde

Der BVB bleibt sich treu und so muss man trotz des Aufwärtstrends Wasser in den Wein gießen. Was der höchste Halbfinalsieg in der Geschichte des DFB-Pokals gegen den Quarantäne gebeutelten, nicht voll im Saft stehenden Zweitligisten aus Kiel wirklich wert ist - den Beweis muss die Borussia gegen größere Gegner erst noch antreten. Einige Defizite dürften die Dortmunder sogar bis in die Sommerpause schleppen.

Das defensive Mittelfeld bleibt eine Problemzone. Emre Can wirkt seit Wochen übermotiviert und überspielt. Auch gegen Kiel sorgte er beim Stande von 0:0 für einen Moment der Sorge, als er im Mittelkreis unnötig ins Dribbling ging und prompt einen gefährlichen Konter heraufbeschwor. Für Umschaltspezialisten wie Leipzig die perfekte Einladung zum Tore schießen. Zurzeit hängt beim BVB in der Schaltzentrale zu viel davon ab, dass ein 17-Jähriger - Jude Bellingham - regelmäßig alle Erwartungen übertrifft. Diese Unwucht gilt es zu beseitigen.

Auch auf der Seite bleibt die Situation schwierig, besonders bei den rechten Außenverteidigern. Lukasz Piszczek hat sich zurück in die erste Elf gespielt und macht das recht souverän. Aber die Tempodefizite sind beim Routinier nicht zu übersehen. Gegen Kiel hatte der 35-Jährige mehrfach das Nachsehen gegen den flinken Reese und musste sich sogar tunneln lassen. Im anstehenden Leipzig-Doppelpack könnten die Duelle mit Forsberg, Angelino und Co. Schlüsselmomente sein. Hier muss Terzic schnell Lösungen finden.

BVB: Keine Alternativen für den Angriff

Zumal die Alternativen geringer werden nach der schrecklichen Verletzung von Mateu Morey. Der Spanier wird wohl lange fehlen, vielleicht sogar über den Sommer hinaus. Bei Thomas Meunier als Ersatzkandidat hat zurzeit kaum jemand ein gutes Gefühl rund ums frühere Westfalenstadion. Der Belgier spielt eine Saison zum Vergessen und scheint aktuell keine Alternative zu sein.

Zu guter Letzt fehlt auch für die Offensive der Druck von der Bank. Die Zeit der Joker-Rekorde im ersten Favre-Jahr ist lange vorbei. Julian Brandt lässt als Reus-Backup Chance um Chance vorbeiziehen. Auch der Brasilianer Reinier bringt kaum Impulse. Im Sturm hat der BVB gar keine Alternative seit der Verletzung von Youssoufa Moukoko. Steffen Tigges ist den Beweis schuldig geblieben, mehr zu sein als ein guter Regionalliga-Stürmer.

Und ein Thorgan Hazard fremdelt - bei aller Klasse - als "falscher Neuner". Gegen Kiel ließ er sich immer wieder auf die Seite fallen. Die Angriffsspitze stärker zu besetzen, dürfte bei Sportdirektor Michael Zorc auf der Aufgabenliste für die neue Spielzeit ganz oben stehen. Bis dahin drücken vermutlich alle Dortmunder die Daumen, dass Haaland für die kommenden Highlight-Spiele wieder fit wird.