"Heute war nicht immer alles schön", analysierte Emre Can bei Sky nüchtern den Pokalfight. Viel mehr war auch gar nicht nötig. Dortmund spielte größtenteils nicht gut, setzte sich am Ende aber dennoch durch.
Terzic zeigte sich nach den anstrengenden 90 Minuten ebenfalls zufrieden - allerdings einen Tick kritischer. "Ich finde, besonders in den ersten 30 Minuten war es ein ordentliches Spiel von uns", erklärte der BVB-Coach. Dann aber habe sich sein Team "dem Spiel und dem Platz angepasst".
Tatsächlich könnte Borussia Dortmund angesichts der überschaubaren spielerischen Leistung mildernde Umstände in Sachen Kritik geltend machen. Der Rasen im Bochumer Ruhrstadion hat seine beste Zeit längst hinter sich. Der Ball versprang häufig und beide Mannschaften taten sich schwer damit, mehrere Pässe aneinander zu reihen. Und doch blickt Terzic auf wechselhafte Erkenntnisse zurück, die es jeweils ernsthaft aufzuarbeiten gilt.
Emre Can: Wichtiges Tor, wichtige Botschaft - aber was gibt er dem BVB?
Das Führungstor der Dortmunder war kurios. Manuel Riemann sprintete aus dem Tor und klärte den Ball weit außerhalb seines Strafraums viel zu hektisch. Obwohl er keinen Gegnerdruck hatte, schlug er das Spielgerät überhastet genau in die Füße von Emre Can, der an der Mittellinie schnell reagierte. Obwohl er den Ball nach eigener Aussage nicht richtig traf, kullerte er ins Tor.
Ein wichtiger Treffer in einer Phase, in der Bochum viel Druck nach vorne machte. Noch wichtiger aber ist seine Botschaft danach: Can setzte zum Jubel an und küsste dabei seinen rechten Arm. Dort war eine schwarze Binde befestigt, die den Opfern der Erdbeben-Katastrophe in der Türkei und in Syrien gewidmet war. "Es gibt Dinge, die sind wichtiger als Fußball. Was geschehen ist, zeigt, dass Fußball nicht das Wichtigste ist im Leben", wurde er anschließend vom BVB zitiert. Es sei ein "besonderes Spiel" für ihn gewesen.
Neben der deutschen Staatsbürgerschaft verfügt der 29-Jährige auch über die türkische. Vor dem Spiel hatte er einen Spendenaufruf von Ömer Toprak bei Instagram geteilt. Für Can war es ein emotionaler Moment, so wie er auch ein emotionaler Fußballspieler ist.
Geholt wurde der 37-fache Nationalspieler 2020 für 25 Millionen Euro von Juventus Turin, um dem insgesamt jungen Team Halt zu geben. Can, so die Rechnung der damaligen sportlichen Leitung, verfüge über eine besondere Mentalität und internationale Erfahrung. Diese Rechnung ging nicht immer auf. Fehleranfällig, inkonstant, einfach nicht gut genug - dieser Eindruck entstand bei vielen BVB-Fans.
Im Jahr 2023 scheint es so, als würde Can mit seinem Image aufräumen wollen. Anfang des Jahres gab er sich im kicker durchaus selbstkritisch, ließ jedoch auch mit einer Aussage aufhorchen: "Ich habe im Ausland ein ganz anderes Standing, in England zum Beispiel. Ich weiß nicht, woran das liegt. Vielleicht respektiert man meine Leistungen da anders oder mag mich als Fußballer-Typ lieber."
Unabhängig davon, wie viele Fakten und wie viel Gefühl in dieser Aussage stecken: Can ist tatsächlich ein Spielertyp, der gut zum englischen Stereotyp des "Kick and Rush" passt. Vermutlich war er auch deshalb in Bochum, einem sehr wilden und wechselhaften Spiel, so viel besser als in vielen anderen Partien. Can konnte in diesem Achtelfinal-Fight mit seinen angestauten Emotionen glänzen - und hatte sie diesmal auch über die volle Distanz im Griff.
Trotz schwieriger Anfangsphase kämpfte er sich in das Spiel und zog andere um sich herum mit. Das ist eine Qualität, die dem BVB durchaus helfen kann - mindestens in den Partien, in denen die Kontrolle fehlt. Auf der anderen Seite ist Can aber nicht nur Problemlöser, sondern eben auch Ursache. Weil er technisch und fußballerisch auf hohem Niveau limitiert ist, kann er dem Aufbauspiel der Dortmunder wenig geben. Immer wieder bewegt er sich in Räume, in denen ein Mittelfeldspieler nicht gebraucht wird.
In Bochum ließ er sich erneut zu oft in die Abwehrreihe fallen, wodurch im ohnehin schon zu schwach strukturierten Mittelfeld des BVB Personal fehlte. Und so bremst er die Spieleröffnung eher aus, als zu helfen. Die Ambivalenz von Can wird Borussia Dortmund immer wieder begleiten. Auch in Bochum waren Licht und Schatten nah beieinander.
BVB: Die Außenbahnen bleiben ein Problem
Mehrheitlich schattig blieb es auf den Außenbahnen des BVB. Zumindest auf die Defensive bezogen. Eigentlich wurde Julian Ryerson unter anderem deshalb verpflichtet, weil Raphaël Guerreiro auf der einen und Thomas Meunier auf der anderen Seite zu anfällig in der Defensive waren.
Abgesehen von seinem sehr auffälligen Debüt in Mainz, wo er sogar ein Tor schoss, ist er bisher aber ein eher überschaubarer Gewinn für Borussia Dortmund. Im Moment gewinnt er nicht mal die Hälfte seiner Zweikämpfe - in Bochum waren es sogar nur zwei von neun Bodenzweikämpfen. Mehrfach wurde er ausgedribbelt und ausgespielt.
Aber auch mit dem Ball ist der 25-Jährige zu wechselhaft. Auf gute Offensivläufe mit starken Flanken folgen hektische Aktionen, in denen der Norweger den Ballbesitz zu leicht herschenkt. Seine Passquote von 53,7 Prozent war in Bochum eine weitere Schwachstelle. Der VfL wusste, wo er pressen musste, um Ballgewinne zu erzeugen.
Ein besserer Zweikämpfer ist Marius Wolf auf der rechten Seite. Immerhin gewann er im Ruhrstadion sechs von neun Bodenzweikämpfen. Allerdings ist auch er fehleranfällig in alle Richtungen. Mit einer Passquote von 59,3 Prozent war er nur marginal besser als sein Kollege. Immerhin brachte Wolf noch etwas Dynamik im Spiel nach vorn mit. Mit der Einwechslung von Schlotterbeck und der Verschiebung von Süle auf die rechte Defensivseite wurde die Abwehr noch wackeliger.
Die Hoffnung der letzten Tage, dass die Baustelle auf den Außenbahnen bald geschlossen sein könnte, hat sich nicht bestätigt. Das liegt auch daran, dass Jamie Bynoe-Gittens in der Rückwärtsbewegung noch zu passiv ist. Hier muss Terzic noch ordentlich justieren - individuell, aber auch gruppentaktisch.
BVB: Endlich sinnvoller Fußball?
"Wir spielen sehr viel unsinnigen und unlogischen Fußball und machen den Gegner damit unnötig stark" - fast ein Jahr ist es jetzt her, dass Mats Hummels diese Kritik an seinem eigenen Team bei RTL geäußert hat. Der Innenverteidiger bemängelte die vielen einfachen Ballverluste des BVB. Fast genau zwölf Monate später scheint Dortmund logischeren und sinnvolleren Fußball zu spielen - oder?
Gregor Kobel analysierte bei Sky, dass man einen oft sehr simplen Aufbau gewählt habe und auch mal auf den langen Ball zurückgriff. Tatsächlich war das Team von Terzic darum bemüht, das Risiko in der Spieleröffnung zu minimieren. Wohl auch wegen der schwierigen Platzverhältnisse und des hohen Bochumer Drucks im Pressing. Die Borussia hatte eine ungewohnt schwache Passquote (71 Prozent) und schlug immerhin 56 lange Bälle. Auch wenn es nicht der Selbstanspruch der Dortmunder ist, so nahmen sie die Situation an - und veränderten ihr Spiel entsprechend. "Wir haben den Kampf angenommen", sagte Can bei Sky.
Damit fuhr der BVB seinen fünften Pflichtspielsieg in Serie ein. Letztmals gelang ihnen das im Jahr 2021. Der damalige Trainer war ebenfalls Terzic. Im Saisonendspurt spielten sich die Dortmunder in einen Rausch. Sie glänzten dabei selten, gewannen ihre Spiele jedoch konstant. Acht Siege in Serie waren es damals - darunter der Pokalsieg gegen RB Leipzig.
Strukturell und fußballerisch wirkt der BVB nach wie vor fragil. Auf der Pressekonferenz vor dem Pokalspiel sagte Terzic: "Wir sind nicht so gut, wie ihr uns gerade macht." Bisweilen wirkt der Ballvortrag der Dortmunder träge und uninspiriert, defensiv gibt es das eine oder andere Problem.
Hummels kritisierte einst den zu komplizierten Fußball des Teams. Bei Terzic scheiden sich die Geister: Seine Spielidee ist vergleichsweise simpel. Das kann Vor- und Nachteile haben. Weniger Komplexität führt womöglich auch dazu, dass der von Hummels oft als zu verkopft beschriebene BVB-Fußball seltener wird. Auf der anderen Seite fehlen dem Team häufig Lösungen, wenn Gegner wie Bochum ein gut organisiertes und druckvolles Pressing im Mittelfeld spielen. Zwischen unsinnigem und sinnvollem Fußball liegt demnach nicht viel. Ein Ausscheiden in Bochum wäre durchaus möglich gewesen. Dann wäre die allgemeine Bewertung eine andere. So aber haben die Dortmunder das Ergebnis auf ihrer Seite.
Terzics größte Qualität ist es wohl, dass er eine Art Wagenburgmentalität errichten kann, an der sich das Team insgesamt hochzieht und die den BVB stärker erscheinen lässt, als er rein fußballerisch betrachtet wirklich ist. Wohin das führen kann, hat Terzic 2021 bereits bewiesen. Die große Frage ist, ob er dieses paradoxe Kunststück wiederholen kann.
BVB: Die nächsten Spiele von Borussia Dortmund
Datum | Uhrzeit | Wettbewerb | Gegner |
11. Februar | 15,30 Uhr | Bundesliga | Werder Bremen (A) |
15. Februar | 21 Uhr | Champions League | FC Chelsea (H) |
19. Februar | 17.30 Uhr | Bundesliga | Hertha BSC (H) |
25. Februar | 15.30 Uhr | Bundesliga | TSG Hoffenheim (A) |