120 Minuten hatten sich die Spieler von Villarreal und United Zeit gelassen, um einen zähen Final-Krimi mit einem fast schon epischen Finale enden zu lassen. Nur drei Schüsse aufs Tor hatten das Gelbe U-Boot und die Red Devils in 120 zwar spannenden, aber kaum unterhaltsamen Minuten zustande gebracht.
Weil von diesen drei Schüssen jeweils einer auf jeder Seite sein Ziel fand, gipfelte das Finale in einem Elfmeterschießen, das so schnell nicht in Vergessenheit geraten wird - genau wie die Protagonisten, die dadurch zu Helden oder tragischen Figuren wurden. Vier Storylines zum Endspiel...
1. De Gea wird zur tragischen Figur bei ManUnited: Ausgedient!
Die Angst vor dem Elfmeterschießen, so besagt es eine alte Fußball-Weisheit, liegt nicht beim Torhüter, sondern beim Schützen. So weit, so gut, so einleuchtend. Doch am Mittwochabend, als de Gea gegen Villarreal elfmal zwischen den Pfosten stand, elfmal den Ball passieren ließ und dann als 22. Schütze selbst antreten musste, war diese Weisheit für ihn außer Kraft gesetzt - und das hatte eine Vorgeschichte.
Seit der Spanier 2011 für 25 Millionen Euro von Atletico Madrid zu Manchester United kam, war er nahezu unumstritten die Nummer eins bei den Red Devils - und das nicht zu Unrecht, schließlich war er qua Leistung einer der wenigen Konstanten in der frustrierenden Post-Sir-Alex-Ferguson-Ära in Manchester.
Von 2013 bis 2019 wurde er von den United-Fans viermal zum Spieler des Jahres gewählt (ein Novum seit Einführung des Sir Matt Busby Player of the Year Awards 1988) und somit automatisch in die Elite der Weltklasse-Torhüter erhoben. "Wenn du einen Keeper wie ihn hast, gibt das der ganzen Mannschaft Selbstvertrauen", sagte Ex-Teamkollege und United-Legende Ryan Giggs einmal.
Auch weil Giggs nicht der einzige vollends überzeugte De-Gea-Fürsprecher im Klub war, machte ihn der Klub 2019 mit einer Vertragsverlängerung bis 2023 zum Bestverdiener neben Paul Pogba unter den United-Profis. Doch seitdem bröckelt der Status von de Gea bei United gewaltig.
De Geas Patzer bei United häufen sich: "Ich hätte ihn gekillt"
Immer wieder leistete sich der 30-Jährige individuelle Aussetzer. Beispielsweise bei der peinlichen Pleite gegen Schlusslicht Watford 2019, oder beim FA-Cup-Halbfinale gegen Chelsea im vergangenen Jahr, oder bei einem 1:1 gegen Everton nur wenige Monate vor der Chelsea-Pleite, nach der United-Legende Roy Keane der Kragen platzte.
"Egal, ob ich Spieler oder Trainer gewesen wäre, ich hätte ihn gekillt", sagte Keane damals: "Das ist fast schon arrogant. Ich hätte ihn in der Halbzeitpause gelyncht. Dafür gibt es keine Entschuldigung."
Anders als Keane schenkte United-Trainer Solskjaer seinem kriselnden Schlussmann trotz der sich häufenden Fehler lange das Vertrauen - gerade in den wichtigen Spielen. Und das, obwohl sich in Dean Henderson, der im vergangenen Sommer nach einer bärenstarken Saison auf Leihbasis bei Sheffield United nach Manchester zurückgekehrt war, ein Eigengewächs immer mehr aufdrängte.
Im März aber änderte sich die Hierarchie im United-Tor schlagartig: De Gea fehlte "aus persönlichen Gründen" im Kader für das Spiel bei Crystal Palace und tat das auch in den darauffolgenden zwei Wochen. Henderson sprang ein, überzeugte und verdrängte de Gea als Stammtorhüter, abgesehen von den Ligaspielen gegen Leicester und Fulham und den Europa-League-Spielen.
De Gea im Europa-League-Finale: Solskjaers Nibelungentreue rächt sich
Mit Spannung wurde daher Solskjaers Entscheidung für seine Startelf am Mittwoch erwartet - und sie viel wie schon so oft in großen K.o.-Spielen im FA Cup, League Cup oder der Europa League erneut auf de Gea. Solskjaers Nibelungentreue sollte bittere Konsequenzen haben.
Während Henderson, der acht seiner letzten 17 Elfmeter gehalten hatte, im Elfmeterschießen zuschauen musste, machte de Gea, dessen letzter parierter Strafstoß aus dem Spiel heraus vom 23. April 2016 datiert, mehrfach keine gute Figur - besonders beim Elfmeter von Paco Alcacer.
Und dann vergab de Gea mit dem 22. Schuss auch noch selbst. Damit machte er Villarreal erstmals zu einem Europapokalsieger - und sich selbst wohl ab der kommenden Saison dauerhaft zur Nummer zwei. Es wäre das Ende einer zehnjährigen Ära.
2. Solskjaer bei Manchester United: Der Druck wächst
Es ist noch gar nicht so lange her, da war Solskjaer eigentlich schon gar nicht mehr Trainer von Manchester United. Das peinliche 1:6 gegen Tottenham zu Saisonbeginn und das Aus in der Champions-League-Gruppenphase kratzten abermals am Ruf des Norwegers, der nicht nur aufgrund seines Joker-Tores im Finale der Königsklasse 1999 gegen die Bayern Legendenstatus genießt.
Doch entgegen aller lautstarker Kritik und immer öfter kursierenden Gerüchten über seine vorzeitige Entlassung schaffte Solskjaer eine positive Trendwende, lag mit United gar kurzzeitig zu Beginn des Jahres an der Tabellenspitze. Am Ende stand zumindest in der Premier League mit der Vizemeisterschaft die beste Saisonplatzierung seit 2017/18.
Der Fortschritt bei den Red Devils sei im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren auch spielerisch zu erkennen, so die einhellige Meinung. Und genau das galt es für Solskjaer im EL-Finale nicht nur zu bestätigen, sondern zu versilbern. Doch diese Chance ließen er und seine Mannschaft ungenutzt - und nicht nur das.
Sie veranschaulichten, dass sie mehr als nur die zwölf Punkte in der Liga von Manchester City trennen. Villarreal habe es ihnen schwer gemacht, sagte Solskjaer: "Wir waren nicht da. Wir haben nicht so gut gespielt, wie wir können." Davon zeugen nicht nur die zwei mageren Abschlüsse auf das Tor der Submarino amarillo. Gegen die Spanier fanden die Red Devils nie den richtigen offensiven Schlüssel, auch weil Villarreal Uniteds Schlüsselspieler Bruno Fernandes nahezu komplett aus dem Spiel nahm.
"Sie waren heute nicht gut. Aber alles in allem ist ein Fortschritt erkennbar", sagte United-Legende Paul Scholes als TV-Experte bei BT Sports. Dem stimmte auch Rio Ferdinand zu: "Als Ole hier ankam ging es drunter und drüber. Er hat für Stabilität gesorgt. Aber irgendwann kommt eine Zeit, in der du Titel gewinnen musst."
Die Niederlage in Danzig ist für Solskjaer angesichts des Liga-Ergebnisses also zunächst kein Worst Case. Aber der Druck auf ihn wächst. Er ist mittlerweile länger im Amt als seine Vorgänger Jose Mourinho und Louis van Gaal. Beide gewannen Titel mit United - und das wird auch Solskjaer spätestens ab der kommenden Saison müssen.
3. Emery zum 4. Mal Europa-League-Sieger: Wer zuletzt lacht, ...
Seine große Revanche nahm Unai Emery am FC Arsenal bereits vor ein paar Wochen, als er die Gunners, die er eineinhalb Jahre trainiert hatte, mit Villarreal aus dem Halbfinale schoss. "Genugtuung, Stolz und Freude", habe er nach dem 0:0 im Rückspiel verspürt, wie er selbst offen zugab.
Er, den sie bei Arsenal noch wegen seiner schlechten englischen Aussprache ("Good Ebening") und seiner oft sehr energischen Weise am Spielfeldrand nach allen Regeln der Kunst durch den Kakao gezogen hatten, hatte seinem Ex-Klub, dem er nach der Trennung schwere Vorwürfe aufgrund mangelnder Unterstützung gemacht hatte, die letzte Chance verbaut, sich über den Gewinn der Europa League doch noch für die Champions League zu qualifizieren. Doch dabei blieb es nicht.
Während Arsenal nun sogar erstmals seit 23 Jahren unter seinem Nachfolger Mikel Arteta das internationale Geschäft gänzlich verpasst hat, ließ sich Emery nach seinem historischen vierten Europa-League-Sieg abermals von seinen Spielern in die Luft werfen - und das nicht unverdient.
In der Liga war Villarreal unter Emery zwar nur Durchschnitt (Tabellenplatz sieben), doch auf der Europapokalbühne trumpfte das Gelbe U-Boot groß auf. Kein einziges Europa-League-Spiel verlor Villarreal im Verlauf der Saison 2020/21. Dass das im Finale gegen den Favoriten aus Manchester so blieb, lag nach Ansicht vieler Experten auch an Emery, der Villarreal "taktisch auf den Punkt vorbereitet" habe (Rio Ferdinand) und Solskjaer "eine Lehrstunde erteilt" habe (Henry Winter, Times-Journalist).
Zwar versicherte Emery nach dem Triumph, der ihn zum alleinigen Rekordhalter der UEFA-Cup/Europa-League-Siegertrainer machte (vor Giovanni Trapattoni), keine Genugtuung gegenüber englischen klubs zu verspüren. Aber dennoch konnte man sich mit Blick auf Arsenal einem Gedanken nicht verschließen: Wer zuletzt lacht, lacht eben doch am besten.
4. Villarreal-Held Moreno: Halb verschmäht ist ganz gewonnen
Dass Emery im Europa-League-Finale die letzten Lacher auf seiner Seite hatte, lag auch daran, dass er in Gerard Moreno den aktuell wohl besten spanischen Stürmer in seiner Mannschaft hatte - oder vielmehr: Ihn überhaupt dazu gemacht hat.
In Emerys wechselndem 4-4-2- und 4-3-3-System agiert Moreno mal als Part der Doppelspitze, mal als zentrumsorientierter Außenstürmer, der nicht nur im Strafraum abschließt, sondern auch Angriffe einleitet. Stürmer oder Spielmacher? "Ich bin ein bisschen von beidem", sagt Moreno über sich selbst. Und weil diese Symbiose perfekt zu seinen Aufgaben unter Emery passt, kann sich das Saisonergebnis sehen lassen: In 46 Spielen war der 29-Jährige an 41 Toren direkt beteiligt (30 Tore, 11 Vorlagen). Der Lohn: Für die EM 2021 wurde Moreno von Nationaltrainer Luis Enrique bereits nominiert und er darf sich gar Hoffnungen auf Startelfeinsätze machen.
Gegen United erzielte er die 1:0-Führung nach einem Standard. Es war sein 82. Tor für Villarreal, wodurch er nun gemeinsam mit Klublegende Guiseppe Rossi der beste Torjäger der Vereinsgeschichte ist. Dass es überhaupt so weit kam, lag an einer Ahnung von Vereinspräsident Fernando Roig im Jahr 2015.
Als Moreno, der mit 18 Jahren zu den Submarinos gekommen war, frustriert auf einen Wechsel drängte, weil er kaum Spielzeit bekam, schloss Roig einen Deal mit Morenos künftigem Klub Espanyol Barcelona und verkaufte nur 50 Prozent der Rechte an dem schlacksigen Stürmer.
Bei Espanyol gab ihm Trainer Quique Sanchez Flores dann die Freiheiten, die er brauchte. Binnen drei Jahren etablierte sich Moreno in Spanien als Torjäger, dann holte ihn Villarreal für 20 Millionen Euro zurück - und der halb Verschmähte schlug voll ein.