Steffen Baumgart macht einen stets stabilen Eindruck, mag mutigen Fußball und laute Ansagen. Die "nackte Gewalt" von Nizza brachte aber auch den Trainer des 1. FC Köln an seine Grenzen. "Ich halte mich nicht für den ängstlichsten Menschen", sagte ein mitgenommener Baumgart am Tag danach, "aber ich glaube, ich brauche eine ganze Weile, um das zu verarbeiten. Das wird mich lange begleiten."
Das 1:1 (1:0) seines Teams in der Conference League bei OGC Nizza war kein normales Fußballspiel, die Krawalle auf den Tribünen vor dem Anpfiff rückten das Sportliche in den Hintergrund. Baumgart, Gelb-Rot gesperrt, stand bereits in seiner Loge und sah alles aus nächster Nähe: "Was ich erlebt habe, war einfach nackte Gewalt. Es ging nur darum, Leuten zu schaden."
Auch für den Klub dürften die "abscheulichen Geschehnisse" (Präsident Werner Wolf) Folgen haben. Denn Teile der eigenen Fanszene bleiben ein gewaltiges Problem, gerade international ergibt sich allmählich ein verheerendes Bild.
Gerade mal fünf Auswärtsspiele bestritt Köln in den vergangenen 30 Jahren auf europäischer Bühne - dreimal sorgten dabei FC-Anhänger für teils schlimme Szenen: 2017/2018 musste die UEFA auf das Fehlverhalten einiger Anhänger in London und Belgrad reagieren, nun prügelten Kölner Fans in Nizza.
Nach Krawallen in Nizza: Gabriel sieht Verschärfung der Situation"
Die Krawalle beim Conference-League-Spiel zwischen OGC Nizza und dem 1. FC Köln sind für den Fan-Experten Michael Gabriel das Resultat einer langjährigen Aufrüstung in den Ultra- und Hooligan-Szenen. "Wir beobachten momentan eine Verschärfung der Situation, die besorgniserregend ist", sagte der Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte der Rheinischen Post.
Kölner Anhänger hatten sich vor und im Stadion gewalttätige Auseinandersetzungen mit französischen Fans geliefert. "Schon seit einigen Jahren wird in Teilen der Szenen vermehrt Kampfsport trainiert, und die Bereitschaft zur Gewaltanwendung im Rahmen von Spielen und nicht nur bei verabredeten 'Matches' abseits der Stadien steigt", sagte Gabriel: "Während Corona fiel eine Präsentationsfläche weg, und es besteht offenbar eine Art Nachholbedarf, um sich gegenüber den anderen Szenen zu positionieren."
Die Koordinationsstelle Fanprojekte ist bei der Deutschen Sportjugend in Frankfurt am Main angesiedelt. Sie wurde 1993 eingerichtet, um Fanprojekte bei den Vereinen inhaltlich zu begleiten und zu koordinieren. Sie wird finanziert von der Bundesregierung, vom DFB und der DFL.
1. FC Köln: Strafe durch die UEFA?
Erschwerend dürfte hinzukommen: Nach den Vorfällen von Belgrad hatte die UEFA einen Ausschluss von Kölner Fans für das nächste Auswärtsspiel eigentlich schon beschlossen, diesen aber nach dem Einspruch des Klubs zurückgenommen.
Was die UEFA nun daraus macht, sei zunächst "reine Spekulation", sagte Kölns Geschäftsführer Christian Keller. Am Freitag wurde das Verfahren offiziell eröffnet, gegen den FC wird wegen drei unterschiedlicher Verstöße ermittelt: wegen des "Werfens von Gegenständen", des "Entzündens von Feuerwerkskörpern" und wegen "Krawalls in der Menge". Gegen die gastgebenden Franzosen gibt es sogar acht Verdachtspunkte. Eine erste, kleinere Entscheidung stand schon am Freitag fest: Das Heimspiel am kommenden Donnerstag gegen den 1. FC Slovacko aus Tschechien wurde von der UEFA zum Risikospiel hochgestuft.
Viele Aspekte sind erwähnenswert, dürften dem Klub aber kaum weiterhelfen. So verhielten sich fast alle der 8000 Kölner Fans friedlich, gingen gar die Gewalttäter bei deren Rückkehr in den Block hart an. "Wir sind Kölner, und ihr nicht", hallte es durchs Stadion. Die Gewalt ist keineswegs repräsentativ.
Auch nahm sie vielleicht schon vor dem Stadion ihren Ursprung, dort soll es Messerattacken durch Nizza-Fans gegeben haben. Zudem sollen sich Fans des OGC-Erzrivalen Paris St. Germain unter die Kölner gemischt und eine aktive Rolle gespielt haben. Einer dieser Männer stürzte aus dem Oberrang, ist mittlerweile aber wohl außer Lebensgefahr.
Baumgart: "Die haben durch mich durch geguckt"
Keller zeigte sich "fassungslos", bat aber zunächst um Zeit für die Aufarbeitung. Zahlreiche Bilder und Videos zeigen, mit welcher Gewalt Kölner Chaoten vorgingen, das galt indes auch für Heimfans und sogar für Ordner.
Auf dem Weg zur Randale waren Vermummte in Kölner Farben direkt an Baumgarts Loge vorbeigelaufen. "Ich dachte, dass ich dagegenwirken kann und habe es auch versucht", sagte der Trainer, "aber die haben durch mich durch geguckt."
FC-Präsident Wolf versprach nun: "Wir werden all unsere Kraft in die Aufklärung setzen und dabei mit aller Konsequenz gegen die Gewalttäter vorgehen." Gut möglich allerdings, dass die UEFA erst mal keine Lust mehr auf Kölner Auswärtsfans hat.