Irgendwie hatte man sich diesen Sommer doch etwas anders vorgestellt. Nach dem englischen Misserfolg in der Champions League im Vorjahr würden die Topvereine mit Großkaliber-Investitionen zurück feuern, dachte man auf der Insel - Munition genug wäre ja dank des neuen Fernsehvertrages vorhanden.
76 Millionen Euro entfallen auf jeden der 20 Premier-League-Vereine ab sofort im Durchschnitt pro Jahr. Aber irgendwie klemmt der Abzug, um im Bild zu bleiben. Wenige Stunden vor Beginn der neuen Saison überwiegt bei vielen Fans der Spitzenklubs so Frust anstatt Vorfreude.
Sanogo: Die Karikatur eines Wenger-Spielers
Am allerwenigsten geht es kurioserweise beim FC Arsenal vorwärts, obwohl die Nord-Londoner als einzige Champions-League-Mannschaft nicht mit einem neuen Trainer ins Rennen gehen müssen.
Arsene Wenger braucht im Gegensatz zur Konkurrenz keine Eingewöhnungszeit, aber "Alles beim Alten" ist für viele zunehmend nervöse Gunners-Fans alles andere als ein Erfolgsrezept: aus schwer begreiflichen Gründen hat der Elsässer bisher noch keine echte Verstärkung geholt.
Der einzige Neue, Stürmer Yaya Sanogo, kam vom französischen Zweitligisten Auxerre und ist fast schon die Karikatur eines Wenger-Spielers: 20 Jahre, Franzose, verletzungsanfällig. Einer für die Zukunft, wie es so schön heißt.
Arsenal hat 180 Millionen über
Aber was ist mit der Gegenwart? "Andere Vereine haben sehr früh reagiert, das hat die Auswahl verringert", sagte Wenger vor ein paar Tagen. Warum Arsenal nicht auch früher reagierte, blieb unbeantwortet.
Geld ist, anders als in den Vorjahren, jedenfalls da. Fußball-Finanzen-Spezialist (und Arsenal-Sympathisant) Swiss Ramble hat errechnet, dass die Gunners über eine Liquiditätsreserve von 180 Millionen Euro verfügen. Gut die Hälfte davon steht dem Vernehmen nach für Neueinkäufe bereit.
"Dieses Jahr wird man sehen, was wir schon länger geplant haben, nämlich die Steigerung unserer finanziellen Feuerkraft," versprach Geschäftsführer Ivan Gazidis vor zwei Monaten vollmundig.
Es ist auch nicht so, dass Wenger niemand im Visier gehabt hätte. Die Verhandlungen mit Stürmer Gonzalo Higuain und Real Madrid standen Anfang Juli schon kurz vor dem Abschluss, aber dem Arsenal-Trainer war der Preis Real Madrids von 37 Millionen Euro am Ende zu hoch.
"Was rauchen die da im Emirates?"
Arsenal konzentrierte sich plötzlich auf Liverpools Luis Suarez. Im irrtümlichen Glauben, dass der Uruguayer eine Ausstiegsklausel für "mehr als 40 Millionen Pfund" im Vertrag stehen hatte, gab man ein Gebot von 40000001 Pfund ab. "Was rauchen die da im Emirates?" war die Reaktion von Liverpool-Eigentümer John W. Henry. Die sonst auf gute Umgangsformen und Stil bedachten Londoner standen nach dem Malheur ziemlich blöd da.
Suarez würde gerne wechseln, doch Liverpool sagt bisher nein. Nun berichten die Zeitungen von einem neuerlichen Angebot über 49 Millionen Pfund (57 Millionen Euro). Ein stolzer Preis für einen Spieler, der wegen seiner Bissattacke auf Branislav Ivanovic (Chelsea) die ersten sechs Saisonspiele verpassen wird.
"Man spürt einen Hauch von Verzweiflung", schrieb Ex-Arsenal-Stürmer Alan Smith in seiner Kolumne für den "Daily Telegraph". Ausgang weiter offen, die Tendenz geht allerdings in Richtung "Suarez muss bleiben". Die Reds wissen, dass sie auf Dauer keine Chance auf die Rückkehr in die Königsklasse haben, wenn sie ihren besten Mann an die direkte Konkurrenz abgeben.
Spurs schon für 58 Mio. zugeschlagen
Wenger versprach am Donnerstag "weitere Aktivitäten", aber das Vertrauen in ihn fällt der Anhängerschaft zunehmend schwer. Vereins-Insider wie die Journalistin Amy Lawrence berichten von Spannungen zwischen dem vorsichtigen, auf "angemessene Preise" pochenden Wenger und dem Vorstand, der um die Wettbewerbsfähigkeit fürchtet.
Insgesamt bleibt das Verhalten des sechstreichsten Klubs in Europa (Deloitte Money League 2013) auf dem Transfermarkt rätselhaft. Dass die Lokalrivalen von Tottenham Hotspur bereits 58 Millionen Euro für Roberto Soldado (Valencia), Nacer Chadli (Twente) und Paulinho (Corinthians) ausgegeben haben, macht Wengers Passivität aus Sicht der Arsenal-Fans noch viel schlimmer.
Ähnlich unbefriedigend - um nicht zu sagen: dilettantisch - hat sich überraschenderweise bisher auch Manchester United angestellt. Um David Moyes einen guten Einstand zu gewährleisten, wollte der Meister mit einem ganz großen Star aufwarten. Cristiano Ronaldo und Gareth Bale wurden hinter vorgehaltener Hand als potenzielle Verstärkungen ins Spiel gebracht, aber beide Deals erwiesen sich schnell als unrealistisch.
Cesc-Bemühungen peinlich
Der lange umworbene Thiago Alcantara ging zu den Bayern. Am peinlichsten gestalteten sich bisher jedoch die Bemühungen um Cesc Fabregas. United gab - anders als unter dem ultra-verschwiegenen Alex Ferguson - offen zu, Barcelona zwei Angebote unterbreitet zu haben. Diese wurden prompt - wie allgemein erwartet - abgelehnt. Der Spieler selbst bekundete, in Spanien glücklich zu sein.
Offensichtlich wurde United, ähnlich wie Arsenal im Fall Suarez, von Fabregas' Berater angehalten, Gebote für den Spieler abzugeben. Der Verdacht drängt sich jedoch auf, dass der dem FC Arsenal und Wenger nahestehende Agent United nur benützt, um seinen Klienten mehr Wertschätzung und eventuell bessere Bezüge zu verschaffen. Fabregas verdient bei Barcelona um die sechs Millionen Pfund im Jahr. United würde ihm knapp zehn zahlen, heißt es aus Manchester.
"Man merkt leider, dass hier Anfänger am Werk sind," sagt ein langjähriger Mitarbeiter des Vereins über Moyes und den neuen Geschäftsführer Ed Woodward, der diesen Sommer die Nachfolge von David Gill übernahm. Alle Zeichen deuten nun daraufhin, dass sich United nach acht Wochen Leerlauf auf Moyes' alte Bekannte, Marouane Fellaini und Leighton Baines vom FC Everton konzentriert. Warum man damit bis Mitte August warten musste, ist nicht nachzuvollziehen.
Optimismus bei Chelsea
Der einzig gelungene Schachzug der Red Devils war von defensiver Natur. Chelseas Avancen in Richtung von Wayne Rooney - der unter keinen Umständen verkauft werden wird - konterte United listig. Das Angebot würde ein Tauschgeschäft für David Luiz oder Juan Mata beinhalten, ließ Old Trafford verlauten. Das stimmte zwar nicht, brachte aber gehörig Unruhe in den blauen Laden.
"Woodward hoffte zudem, dass Mata vielleicht zu Barcelona gehen würde, was Fabregas für uns frei gemacht hätte", erzählt der United-Angestellte. Ob sich mit solchen Spielchen erfolgreiche Transferpolitik machen lässt, steht auf einem anderen Blatt.
Bei Chelsea herrscht dagegen bedeutend mehr Optimismus. Mit Marco van Ginkel, Andre Schürrle und den Rückkehrern Jose Mourinho, Romelu Lukaku und Kevin de Bruyne sind die Dritten des Vorjahres sehr gut aufgestellt. Nur im Sturm drückt noch der Schuh. Und diesbezüglich hat man sich in West-London auch nicht sehr geschickt angestellt. Die Verpflichtung von Rooney war, abgesehen von allen Risiken, die er mit sich bringen würde, von Anfang an ein extrem ambitioniertes, nahezu unerreichbares Ziel.
City als Gewinner der Sommerpause
Mit Hinblick auf all die fehlgeschlagenen Versuche darf sich Manchester City schon jetzt als Gewinner der Sommerpause fühlen. Während sich die direkten Meisterschaftskonkurrenten alle noch krampfhaft um den ganz großen Transfer-Wurf bemühen, haben die Hellblauen schon extrem smart eingekauft.
Für 103 Millionen Euro wurden vier Spieler verpflichtet, die das Team in der Offensive sofort entscheidend verstärken werden. Der Brasilianer Fernandinho begeisterte als Spielmacher von Schachtjor Donezk in der Vorsaison. Die Spanier Jesus Navas und Alvaro Negredo (beide Sevilla) sind international erprobte Könner.
Dazu kam mit Stevan Jovetic (23, Florenz) ein Mann mit dem Potenzial für die absolute Weltspitze. Die Folge: City wird bei den britischen Buchmachern vor Chelsea und Manchester United als Favorit auf den Titel gehandelt. Letztere sollten wie Arsenal bis Ende August unbedingt nachlegen, um nicht den Zorn des Anhangs auf sich zu ziehen, bevor die Saison überhaupt richtig angefangen hat.
Nach all dem Gerede um namhafte Zugänge in den vergangenen Monaten werden sich die United- und Arsenal-Fans nicht mit Perspektivspielern abspeisen lassen.
Premier League: Der 1. Spieltag im Überblick
Raphael Honigstein lebt und arbeitet seit 1993 in London. Für die "Süddeutsche Zeitung" berichtet er über den englischen Fußball und ist Kolumnist für die britische Tageszeitung "The Guardian". Beim früheren Premier-League-Rechteinhaber "Setanta Sports" fungierte Honigstein als Experte für den deutschen Fußball. In Deutschland wurde der 37-Jährige auch bekannt durch sein Buch "Harder, Better, Faster, Stronger - Die geheime Geschichte des englischen Fußballs". Zudem ist er als Blogger bei footbo.comtätig und auch unter twitter.com/honigstein zu finden.