Im Teufelskreis gefangen

Von Philipp Böhl
Am Boden zerstört: Alex Oxlade-Chamberlain nach der jüngsten Pleite gegen ManUnited
© getty

Der FC Arsenal will seit Jahren zum großen Wurf ausholen. Abgesehen von einem FA-Cup-Triumph und dem Supercup reichte es aber bislang zu keinem Titel seit der Meisterschaft 2005. Vor dem Champions-League-Duell mit Borussia Dortmund (20.45 Uhr im LIVE-TICKER) ist die Lage besonders bedenklich. Dabei hat man zuletzt groß investiert. Liegen die Fehler also im System?

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Wir schreiben den 19. Oktober 2013, den vorläufigen Höhepunkt einer bis dato bärenstarken Saison des FC Arsenal. Im heimischen Emirates Stadium spielen die Gunners Fußball-Flipper in atemberaubender Geschwindigkeit.

Am Ende einer starken Kombination mit Santi Cazorla und Olivier Giroud erzielt Jack Wilshere gegen Norwich City eines der spektakulärsten Tore der Saison. Der Treffer ist Teil eines Saisondrittels, das Arsenal mit vier Punkten Vorsprung als Spitzenreiter der Premier League beendet. In der Champions League führt man eine tückisch schwere Gruppe vor Borussia Dortmund und dem SSC Neapel an.

Dass der Höhepunkt gleichzeitig auch der Wendepunkt ist, ahnt zu diesem Zeitpunkt niemand. Die Gunners brechen ein. Statt der lang ersehnten Meisterschaft, die im November 2013 durchaus realistisch erscheint, gibt es am Ende wieder "nur" den vierten Platz zu feiern. Und selbst dieses Minimalziel wurde letztlich nur mit Glück erreicht.

Viele Neue - alte Probleme

Heute, ein Jahr und einen FA-Cup-Triumph später, bietet sich das altgewohnte Bild: Der FC Arsenal ist weit von der Tabellenspitze entfernt. Selbst der vierte Platz am Saisonende ist wieder einmal in Gefahr. Dabei sollte doch alles besser werden...

Bereits im letzten Jahr gab der Klub dem Ruf nach Big Spendings nach und holte Mesut Özil für rund 50 Millionen Euro. In diesem Sommer wurden weitere 100 Millionen investiert, die unter anderem Alexis Sanchez und Danny Welbeck nach Holloway brachten. Was sich dadurch aber verändert haben soll, erschließt sich nicht.

Immer noch wirkt die Mannschaft von Arsene Wenger gegen große Teams nahezu chancenlos. Das zeigte sich diese Saison bereits gegen Dortmund oder den FC Chelsea.

Dazu kommt aktuell eine gravierende Fehleranfälligkeit in Spielen gegen vermeintlich schwächere Teams. Diese gipfelte im blamablen 3:3 in der Champions League gegen Anderlecht; Arsenal hatte im heimischen Emirates gegen den belgischen Meister nach knapp einer Stunde 3:0 geführt. Kurz darauf setzte es in der Liga eine Pleite bei Swansey City, nachdem in nur drei Minuten aus einer Gunners-Führung ein Rückstand geworden war.

Per Mertesacker platzte daraufhin der Kragen. Man müsse endlich anfangen, "ernsthaft" Fußball zu spielen. "Gerade wenn wir 1:0 führen, müssen wir das Spiel einfach halten, den Ball kontrollieren und geduldig sein." Genau das aber, was der deutsche Weltmeister unter "serious football" versteht, stellte Arsenal in Swansea nach Sanchez' Führungstreffer ein. Für Mertesacker "unbelievable".

Keeping it simple

So "einfach" und "seriös" wie es vor einem Jahr aussah, als man auch gegen direkte Konkurrenten wie den FC Liverpool in der Lage war, Spiele zu dominieren, als man mit One-Touch-Fußball nach Belieben durch gegnerische Abwehrreihen kombinierte. Doch wieso klappt dieses KISS-Prinzip, das "keeping it simple and smart", heute nicht mehr? Der Kader ist auf dem Papier um einiges besser, die jungen Spieler, die bei Arsenal zum Inventar gehören, sind gereift. Eine erfolgreichere Saison wäre doch die logische Folge.

Dabei nehmen die Gunners Probleme mit in diese Saison, die sie bereits in der letzten Spielzeit mit sich herumschleppten. Das Team ist im Mittelfeld nominell verblüffend breit aufgestellt, aber genau das ist die Krux: Es scheint, als wolle Wenger alle seine hochqualifizierten Mittelfeldspieler spielen lassen, was dazu führt, dass teilweise fünf Zentrale auf dem Feld stehen. So geschehen beispielsweise gegen Manchester United in der vergangenen Saison, als eine Serie von neun ungeschlagenen Spielen endete.

Besonders Spieler wie der derzeit allerdings verletzte Özil leiden darunter, dass zu viele Spieler zu sehr zur Mitte tendieren. Leicht auszurechnen sind die Gunners damit auch.

Vom Prunkstück zur Problemzone

Das vermeintliche Prunkstück von Wengers Kader hat aber noch einen gravierenden weiteren Schwachpunkt: Von den Routiniers Mathieu Flamini und Mikel Arteta muss mindestens ein Spieler auf dem Feld stehen, andererseits wäre die Defensivarbeit zu sehr vernachlässigt. Im aktuellen System sind diese Spieler unverzichtbar, Jack Wilshere oder Aaron Ramsey können die Position des disziplinierten Sechsers vor der Abwehr (noch) nicht ausfüllen.

Die Folge: Mit Arteta oder Flamini ist diese im modernen Fußball so wichtige und sensible Zone zwar solide, aber im Hinblick auf heimische oder internationale Spitzenmannschaften zu durchschnittlich besetzt. Auch deshalb trauern Fans den Zeiten von Alex Song nach, der vor seinem Wechsel nach Barcelona eine perfekte Mischung aus Stabilisator in der Defensive und Aufbauspieler in der Offensive bot. Während Arteta meist darauf bedacht ist, Sicherheitspässe zu spielen, suchte Song damals häufig den direkten Weg in die Spitze, machte das Spiel der Gunners so unberechenbarer.

Diese Berechenbarkeit ist aktuell ein großes Manko. Ohne Flügelspieler sind Özil und Co. darauf angewiesen, etliche Querpässe zu spielen. Eine Flügelzange, bestehend aus dem wiedergenesenen Theo Walcott und Sanchez, in Verbindung mit einem Spielmacher wie Özil wäre dagegen eine kaum zu berechnende Waffe. Stattdessen hat sich bei Arsenal ein träges Spiel etabliert, mit Spielern, die sich alle auf Ballbesitz besinnen. Welbeck in der Spitze wird so kaum über die Außen gefüttert, die Defensive der Gunners bleibt zudem stets bei Kontern anfällig.

Wengers Risiko bestraft

In der Abwehr ging man vor der Saison ein hohes Risiko ein und versuchte, die Abgänge von Thomas Vermaelen und Bacary Sagna mit Calum Chambers und Mathieu Debuchy eins zu eins zu ersetzen. Besonders Allzweckwaffe Chambers könnte, so der Plan, entweder auf rechts oder in der Innenverteidigung einspringen, sofern sich jemand verletzen sollte.

Die Realität sieht aber auch hier anders aus: Chambers muss auf rechts ran, da Debuchy lange ausfällt. So klafft ein großes Loch hinter dem Duo Mertesacker/Koscielny, das mit Nacho Monreal gestopft wird, der eigentlich aber Linksverteidiger ist und auf dieser Position nur zweite Wahl hinter Kieran Gibbs. Ein neuer Abwehrspieler soll im Winter kommen, das ist bereits beschlossene Sache.

Bis dahin muss Wenger weiter improvisieren. Ein Wintertransfer zeigt aber auch: Im Sommer wurde an der falschen Stelle gespart.

Im Teufelskreis

Arsenal dreht sich derzeit im Kreis: In der Abwehr und im zentral-defensiven Mittelfeld fehlt es an Qualität und Quantität, der nominell bärenstarken Abteilung Attacke an Variabilität und Inspiration. So gelingt es den Gunners zu selten, ihre Spiele zu dominieren. Ist aber die Kontrolle weg, treten die Defizite im Spiel gegen den Ball, wie etwa ein ausgereiftes kollektives Defensivpressing, schonungslos zutage.

Nach der jüngsten Pleite gegen ein alles andere als großartiges Manchester United garniert mit der Verletzung von Jack Wilshere steht der schlechteste Saisonstart seit 32 Jahren zu Buche. Die Stimmen gegen Wenger im engsten Umfeld des Klubs mehren sich. Zuletzt meldete sich der usbekische Multi-Milliardär Alisher Usmanov zu Wort, der 30 Prozent der Klub-Anteile hält, und stellte öffentlich die sportliche Ausrichtung unter Wenger in Frage.

Dieser antwortete bestimmt: "Wenn man eine schwierige Phase durchmacht, dann zeigt man Solidarität. Wenn man sich etwas zu sagen hat, dann sagt man es sich ins Gesicht und wendet sich nicht an die Zeitungen. Ich nehme seine Kritik zwar nicht persönlich, aber man ist entweder bei diesem Klub oder nicht. Man kann nicht beides sein."

Seine Kritiker prognostizieren Wenger seit Jahren, Arsenal buchstäblich vor die Wand zu fahren. Und seit Jahren gelingt es dem Altmeister, mit der steten Qualifikation für die Champions League zumindest den sportlichen Offenbarungseid zu umschiffen. Dass dies im Frühjahr 2015 wieder gelingt, scheint aber fraglicher denn je.

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