Ralph Krueger hat einen einzigartigen Lebenslauf: Von der NHL spülte es den Deutsch-Kanadier über Olympia in die Premier League. Dort ist er derzeit Vorstandsvorsitzender des FC Southampton. Der 56-Jährige spricht im SPOX-Interview über seinen besonderen Wechsel, die Auswirkungen des neuen TV-Deals der englischen Liga und den Aderlass der Saints.
SPOX: Herr Krueger, im Eishockey haben Sie fast alles mitgemacht: Unter anderem waren Sie Spieler, NHL-Trainer und mit Team Canada bei Olympia. Im Frühling 2014 wechselten Sie die Sportart. Seitdem sind in der Vorstandsebene des FC Southampton tätig. Diesen Wechsel müssen Sie uns erklären.
Ralph Krueger: Es war wie so oft im Leben. Ich hatte eigentlich keinen fixen Plan nach Olympia 2014 in Sotschi. Aufgrund meiner Vergangenheit im Weltwirtschaftsforum war ich allerdings vernetzt. Das brachte mich im Oktober 2013 mit der Besitzerin der Saints, Katharina Liebherr, zusammen. Sie suchte zu dieser Zeit neue Impulse in Southampton.
SPOX: Das reichte schon?
Krueger: Letztlich kamen viele Dinge zusammen. Mehr als alles andere suchte ich eine große Herausforderung im Führungsbereich. Diese Aufgabe bei den Saints war da genau das Richtige und hat mich sehr gereizt. Ich kann hier bei meiner Arbeit komplett auf mein Herz hören. Das ist sehr selten auf diesem Niveau und einfach nur wunderbar.
SPOX: Sie haben jetzt beide Seiten gesehen. Wie groß ist der Unterschied zwischen Eishockey und Fußball?
Krueger: Es gibt keine grundsätzlichen Unterschiede, wie man einen Verein führt - das ist unabhängig von der Zuschauerzahl oder dem Budget. Da geht es hauptsächlich darum, welche Ziele man formuliert, wie man mit den Menschen umgeht und was für einen Charakter man im Team sehen will. Der Umgang mit den Spielern, die Professionalität und die Trainingsintensität ist aber genau gleich wie im Eishockey. Da zählen die gleichen Gesetze - nämlich der Erfolg. Die größte Differenz aktuell ist, dass die Premier League eine weltweite Marke ist. Das bringt eine ganz andere Verantwortung mit sich. Fußball ist im Gegensatz zu Eishockey eben die Sportart schlechthin.
SPOX: Wie groß war für Sie persönlich die Umstellung? Die Schweizer Zeitung "Blick" beispielsweise schrieb über Ihren Wechsel "Kein Witz: Ralph Krueger wechselt in die Premier League". Wie gehen Sie damit um?
Krueger: Meinungen von außerhalb werden immer unterschiedlich sein. Der Wechsel kam sicherlich überraschend, das ist ja völlig klar. Und klar ist auch, dass ein Wechsel auf diesem Niveau eine Seltenheit ist. Das Risiko war sehr, sehr groß. Wenn das in die Hose gegangen wäre, hätten alle mit dem Finger auf mich gezeigt. Aber ich fand das spannend. Und überall, wo ich war, hat man sich gefreut, dass sich das mal jemand traut. Negative Kommentare gab es bislang eigentlich gar nicht.
SPOX: Sie sprechen das Risiko an. Hatten Sie denn Sorgen, dass es nicht funktioniert?
Krueger: Es ist logisch, dass es da Unsicherheiten und Zweifel gibt. Das hat jede Führungsperson, die etwas riskiert und ein unsicheres Projekt angeht. Ich hatte ja überhaupt keine Ahnung, wo es überhaupt hingeht. Speziell, wenn man in eine Welt einsteigt, in der man noch nie war. Das sind aber Herausforderungen, die mir sehr liegen und die ich mag.
SPOX: Wie ist ihr erster Eindruck von der Fußball-Welt?
Krueger: Im Sommer habe ich die Transferwelt kennengelernt. Die ist brutal hart und ohne irgendwelche Rahmen und Gesetze. Im Eishockey ist viel mehr geregelt. Dort hast du nie und nimmer die Komplikationen, die im Fußball auftauchen.
SPOX: Was für Komplikationen?
Krueger: Meistens stehen mehrere Agenten hinter einem einzigen Spieler. Das macht es für die Klubs natürlich nicht einfacher. Hinzu kommt, dass die Spieler im Gegensatz zum Eishockey aus der ganzen Welt kommen. Das war sehr spannend, aber oft auch enorm schwierig. Es gab Zeiten, da dachte ich, dass wir am Abgrund stehen. Aber irgendwie haben wir uns immer wieder aus der Lage befreit. Es hat aber schon hier und da gekitzelt. Das war teilweise nicht leicht und da bekommt man es auch mal mit der Angst zu tun. Inzwischen fühle ich mich sehr wohl, aber vor einiger Zeit war es schon verdammt schwierig.
SPOX: Mit der schwierigen Zeit meinen Sie wohl den vergangenen Sommer. Mit Luke Shaw, Adam Lallana, Dejan Lovren, Calum Chambers und Rickie Lambert verließen fünf Leistungsträger den Klub. Außerdem wechselte Coach Mauricio Pochettino zu Tottenham. Erklären Sie uns doch bitte, was da im Klub los war.
Krueger: Es ist ganz klar, dass die heimischen Fans daraufhin in Panik ausgebrochen sind. Im Management-Team sind wir allerdings extrem ruhig geblieben und haben sehr wenige Medienberichte gelesen. Wir hatten von Anfang an einen Plan und den haben wir in aller Ruhe umgesetzt. Auch der Pochettino-Abgang hat die Anhänger natürlich zusätzlich geschockt. Man war sehr unsicher, ob man ihn überhaupt ersetzen könnte. Nachträglich gesehen ist Ronald Koeman aber passender für unsere aktuelle Situation.
SPOX: Kann man bei einem solchen Druck überhaupt ruhig arbeiten?
Krueger: Es gab natürlich schon ein paar Tage, an denen der Druck deutlich zu spüren war. Vor allem war es nicht einfach, die ersten Spieler zu verpflichten. Der Deal mit Chelseas Ryan Bertrand hat den Stein letztlich ins Rollen gebracht. Wir brauchten einen großen Namen, sodass andere sagen: 'Okay, so spielen wir oben mit'. Als er kam, hat es 'Boom' gemacht. Aber vor seinem Deal war es schon heiß.
SPOX: Der Trainerjob schließt in England das Manager-Dasein mit ein. Wie viel Mitspracherecht haben Sie beispielsweise bei Transfers?
Krueger: Sportchef Les Reed bekommt von uns natürlich finanzielle Rahmenbedingungen, in denen er sich bewegen muss. Zusammen mit Trainer Ronald Koeman hat er die Entscheidung, wer kommt und wer geht - solange es ins Finanzkonzept passt. Ich werde stets informiert und weiß über jeden Ablauf Bescheid, aber ich vertraue den beiden voll und ganz.
SPOX: Wie sieht dann Ihr Aufgabengebiet aus? Im letzten SPOX-Interview sagten Sie vor Ihrem Amtsantritt, dass dieses "noch nicht genau definiert" sei.
Krueger: Der Verein war in einer ganz gefährlichen Situation, als ich gekommen bin. Als erstes war es deshalb wichtig, eine finanzielle Basis zu legen und einen Plan zu implementieren. In meiner Rolle geht es weniger um das Fußballerische. Es geht mehr um die Sportwelt im Allgemeinen auf diesem Level. Da bringe ich einiges an Erfahrung mit. Dennoch werde ich aufgrund meiner Eishockey-Vergangenheit sicherlich nicht irgendwelche taktischen Dinge entscheiden (lacht). Wir haben sehr gute Leute, die dafür zuständig sind. In meiner Aufgabe geht es vielmehr um Führung und darum, Struktur und Werte in einen Klub zu bringen.
SPOX: Wie sieht das im Detail aus?
Krueger: Ich wusste recht genau, was passieren musste in unserer Belegschaft. Ich habe die ganze Führungsebene neu aufgebaut - mit einer ganz neuen Geschäftsleitung und teilweise Leuten, die zuvor nicht in dieser Rolle waren. Die Führungsebene wurde eigentlich komplett eliminiert. Es war also nicht immer alles sehr freundlich hier. Aber wir hatten einen klaren Plan und ich wusste, was ich wollte und hab das durchgesetzt. Für mich war es wichtig, dass die richtigen Personen an der richtigen Stelle sitzen. Dort sollen sie dann Eigenverantwortung übernehmen. Ich sehe mich in einem Hubschrauber, der über allem kreist und alles beobachtet. Und nur, wenn es dann nötig ist, gehe ich mal runter und unterstütze. Aber ich vertraue den Leuten voll und ganz.
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SPOX: Als Vorstand muss man sich in England doch aktuell wie im Paradies vorkommen. Schließlich badet man nach Abschluss des neuen TV-Vertrages im Geld. Wo fließt das Geld hin?
Krueger: Dieser TV-Vertrag ist ein riesiger Schritt nach vorne. Aber wir müssen sehr verantwortlich mit diesen Summen umgehen. Es wird auch noch etwas Zeit brauchen, bis wir wissen, wie wir das Geld auch innerhalb des Vereins einsetzen.
SPOX: Verschafft dieses Geld der Premier League einen riesigen Vorteil?
Krueger: Ich bin davon überzeugt, dass die Premier League in der Tiefe die stärkste Liga der Welt ist. Und das wollen wir weiter ausbauen. Wir wollen uns weltweit noch stärker positionieren. Es geht nicht um die Konkurrenz zu den anderen Ligen. Diesen wünschen wir ebenfalls Erfolg. Die deutsche Liga und deren Entwicklung ist beispielsweise sensationell. Aber die Sportwelt ist so. Man muss in seinen Garten schauen. Und das macht die Premier League eben enorm gut.
SPOX: Anders als in Spanien entsteht kein Konflikt bei der Verteilung der Gelder. Woran liegt das?
Krueger: Letztlich kann man sagen, dass trotz der riesigen Unterschiede alle Teams an einem Strang ziehen. Wir teilen das Fernsehgeld sehr, sehr fair miteinander. Sowohl der Erste als auch der Letzte kommen gut dabei weg. Die Premier League ist ein Team, das auch wirtschaftlich zusammenarbeitet.
SPOX: Aber wird dadurch nicht der Transferirrsinn angetrieben? In Deutschland wären Summen wie die 40 Millionen Euro für einen Spieler wie Andy Caroll beispielsweise nicht denkbar.
Krueger: Es gibt natürlich die großen sechs Klubs, die in ihrer eigenen Welt leben. Sie spielen mit anderen Regeln. In Southampton zahlen wir zum Beispiel nur ein Drittel der Gehälter der Topvereine. Letztlich ist es unsere Aufgabe, ihnen sportlich in die Augen zu schauen und sie zu ärgern. Wir sind kein Klub, der 40 Millionen für einen Spieler ausgibt. Wir sind aber nicht in irgendeiner Form eifersüchtig. Vielmehr helfen die Teams uns auch, uns global stärker zu positionieren.
SPOX: In die Augen zu schauen? Jetzt untertreiben Sie aber. Auch in der aktuellen Saison lagen die Saints in der Tabelle lange vor Liverpool, obwohl diese im Sommer drei Ihrer Stars abwarben. Verspürt man da Genugtuung?
Krueger: Wir hatten im Sommer eine Win-Win-Situation. Liverpool hat einen sehr fairen Preis für unsere Spieler bezahlt. Das hat es uns ermöglicht, uns in der Tiefe besser zu besetzen und unser Jugendkonzept gut umzusetzen. Es ist ein freier Markt, das muss man akzeptieren. Ich hab das nie als eine negative Sache gesehen. Ich schaue mir an, wie das Geschäft funktioniert und akzeptiere dann die Regeln. Wir lassen uns von Erwartungen oder vom Tabellenplatz nicht verrückt machen. Wir haben es jetzt auch wieder geschafft, einige junge Spieler ins Team zu integrieren.
SPOX: Sie sprachen einmal vom "großen, ungenutzten Potenzial" von Southampton. Wann wird das genutzt?
Krueger: Wirtschaftlich waren die Strukturen in den letzten Jahren sehr ungesund. Es war kein Marketing und keine Verkaufsbasis da, auch das Sponsoring war schwach. Da liegt einiges im Argen. Und das bauen wir nun Schritt für Schritt auf. Für den Außenstehenden ist das natürlich nicht wirklich attraktiv. Aber langfristig sind diese Prozesse für den Verein eminent wichtig. Wenn wir das geschafft haben, können wir auch sportlich den nächsten Schritt machen.
SPOX: Wie geht es mit Ihnen persönlich weiter? Bleiben Sie dem Fußball erhalten oder geht's noch mal zurück zum Eishockey?
Krueger: Ich werde das Eishockey weiterhin lieben. Falls ich irgendwann das Gefühl habe, dass ich zu weit weg vom eigentlichen Sport bin, kann es sein, dass ich noch mal zurückwechsle. Im letzten Sommer kamen ein paar NHL-Mannschaften und haben angeklopft. Da war ich sehr glücklich über die Anfragen. Aber ich war nicht bereit dafür.
SPOX: Das hört sich nach einem Verbleib im Fußball an.
Krueger: Ich habe keinen Druck, persönlich langfristige Entscheidungen zu treffen. Ich werde diese Saison zu Ende machen und mich dann in Ruhe mit meiner Familie zusammensetzen. Erst dann entscheide ich, ob ich diese Rolle über einen längeren Zeitraum ausüben kann oder nicht.
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