SPOX: Herr Freund, zum Jahreswechsel traten Sie einen kleinen Internet-Hype los, nachdem Sie bei der Darts-WM in London im Teletubby-Kostüm zu sehen waren. Sind Sie ein echter Darts-Fan?
Steffen Freund: Schon vor zehn Jahren, als ich bei den Tottenham Hotspur war, wollte ich unbedingt zur Darts-WM. Leider hat es damals nie geklappt, aber ich verfolgte die Darts-WM seither im Fernsehen und war begeistert von der Stimmung und der positiven Art, wie jeder Spieler gefeiert wurde. Zu der Zeit wurde Darts in Deutschland noch belächelt, doch mittlerweile versteht auch hier jeder, wie professionell diese Sportart ist und welchen Druck die Spieler aushalten müssen. Daher hatte ich es seit Jahren im Hinterkopf, mit der Familie den Ally Pally zu besuchen - und wir wurden nicht enttäuscht. Wir waren live dabei, als Adrian Lewis den Neun-Darter warf und das Dach beim Jubel fast abhob. Dabei ist Darts im Ally Pally mehr als nur Spitzensport. Es ist gleichzeitig eine riesige Party! Eigentlich in Deutschland nur mit dem Karneval zu vergleichen.
SPOX: Ihre Darts-Leidenschaft spiegelt Ihre Affinität zu England wider?
Freund: Deutsche können auch gut feiern, wobei die englische Mentalität etwas ganz Besonderes ist. Die Engländer nehmen es insgesamt lockerer. Die Darts-WM steht stellvertretend für ein Lebensgefühl, das mir gefällt. Deswegen bin ich so gerne in England.
SPOX: Sie sind weiterhin für die Tottenham Hotspur tätig, obwohl der komplette Trainerstab vom neuen Teammanager Mauricio Pochettino ausgetauscht wurde. Was machen Sie genau?
Freund: Der Alltag ist mittlerweile ruhiger. Als Co-Trainer unter Andre Villas-Boas und Tim Sherwood war ich ins tägliche Training voll eingebunden. Mauricio hingegen hat sein eigenes Trainerteam mitgebracht, was verständlich und legitim ist. Seitdem bin ich weg vom ersten Team und habe den Posten "Internationaler technischer Koordinator" übernommen. Ich bin viel unterwegs und repräsentiere die Spurs. Ich war bereits zweimal in China, um dort die Toptalente des Landes zu scouten und die Zusammenarbeit mit unserem Hautsponsor AIA zu intensivieren. Es gibt in China auch ein gemeinsames TV-Projekt, bei dem die Spurs gemeinsam mit Inter Mailand die Talente von morgen suchen. Der Markt in Asien ist ein sehr wichtiger Bestandteil unseres Geschäfts.
SPOX: Sie wurden in die Hall of Fame des Klubs berufen und sind Kult bei den Spurs-Fans, weil Sie ein Vorbild an Einsatz waren. Halb scherzend, halb ehrfurchtsvoll sprach Sie Ihr damaliger Teamkollege David Ginola immer mit "Arbeit" an. Wie war Ihr Verhältnis?
Freund: Ich habe David zuletzt in China wiedergesehen. Er ist ein extremer Individualist, aber mit großem Herz und gutem Charakter. Er nannte mich immer "Arbeit", weil ich immer von ihm wollte, dass er defensiv mehr investiert. Auf der anderen Seite habe ich offensiv nicht so viel beigetragen, wie es sich David gewünscht hat. Wir haben uns bei allen Unterschieden immer sehr respektiert.
SPOX: Was dachten Sie sich, als Ginola seine Kandidatur für das FIFA-Präsidentenamt bekanntgab, nur um zwei Wochen später wieder zurückzuziehen?
David Ginola: Seine beste Rolle
Freund: Er hatte zwei Wochen Zeit, die Unterstützung von fünf nationalen Fußball-Verbänden nachzuweisen. Dass das nicht gelingt, war absehbar, daher musste er auch zurückziehen. Anders als einige andere Beobachter glaube ich schon, dass es David mit der Kandidatur dennoch ernstgemeint hat. Es zeigt gleichzeitig, dass David weiter seinen Platz im Fußball sucht. Er muss sich Gedanken machen, was er wirklich will, und das konsequent verfolgen. Dann wird er seinen Platz finden, sei es bei einem Verein oder bei einem Verband.
SPOX: Ginolas Rastlosigkeit nach der Karriere: Ist sie ein Spiegel für seine aktive Laufbahn? Er galt immer als äußerst talentiert, trotzdem spielte er nie für einen großen Klub und zählte nie zu den Superstars.
Freund: Nein, das darf man nicht vermischen. Er war zu seinen aktiven Zeiten schon ein Typ, der mit vielen aneinandergeriet. Doch was viele unterschätzen: Er war ein wirklich grandioser Fußballer. Er war der Größte, mit dem ich je zusammengespielt habe. Es war unfassbar, wie er mühelos eine Begegnung komplett alleine entscheiden konnte. Das, was Cristiano Ronaldo und Lionel Messi heute sind, war damals David. Ich sehe ihn auf dem gleichen Niveau wie die beiden. Einige können sich das nicht mehr vorstellen, aber er war zu seinen besten Zeiten nicht nur ein Techniker, sondern auch ein physisch unglaublich robuster und starker Spieler, der locker an fünf Leuten vorbeiging. Ich bewunderte an ihm gar nicht so die Technik, sondern die Dynamik, die er entwickeln konnte.
SPOX: Ein weiterer Exot, den Sie bei Tottenham kennenlernten, war der Schweizer Innenverteidiger Ramon Vega. Ähnlich exzentrisch wie Ginola, dafür fußballerisch nicht so begnadet.
Freund: Ich weiß noch, wie ich ihm 1995 erstmals begegnet bin, lange bevor wir uns bei Tottenham wiedersahen: Es war ein Freundschaftsspiel zwischen der Schweiz und Deutschland und da wurde dieser langhaarige Koloss eingewechselt und ich dachte nur: "Der kann niemals ein Schweizer sein!" Dann trafen wir uns bei den Spurs wieder - und ich werde Ramon für immer dankbar sein, wie er in der schwierigen Anfangszeit immer zu mir stand. Ich konnte nur wenige Brocken Englisch, weil ich ja in Ostdeutschland aufgewachsen war, entsprechend hart war es, in London Fuß zu fassen. Ramon half mir in der Zeit als Übersetzer und wir hatten viel Spaß. Und fußballerisch sollte man ihn nicht unter Wert verkaufen: Seine Karriere war vielleicht nicht so glanzvoll wie die von David oder so erfolgreich wie meine - trotzdem war er ein sehr guter Innenverteidiger.
Ramon Vega im Interview: Der Milliarden-Mann
SPOX: Was bei Vega ungewöhnlich war: sein breit gefächertes Interesse. Als Fußballer modelte er für Vivienne Westwood und bildete sich als Wirtschaftsexperte fort. Seit dem Rücktritt arbeitet er erfolgreich als Investmentbanker.
Freund: Ich freue mich riesig, dass er ein zweites Standbein gefunden hat. Das ist mit das Schwierigste überhaupt für einen Fußballprofi. Was jeder wissen muss: Man muss bereit sein zu lernen, egal wie erfolgreich man früher war. Daher ist Ramon ein gutes Vorbild für alle. Ich habe auch relativ früh die B-, und A-Trainerlizenz in Angriff genommen, weil ich wusste, dass ich im Trainer-Bereich wieder ein Anfänger bin und die Erfolge als Spieler nur begrenzt zählen.
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