Paul Mitchell, die Antwort auf verkrustete Vereinstrukturen: Alternative für England

Nino Duit
05. Dezember 201717:01
Paul Mitchell holte einst Sadio Mane, Nathaniel Clyne und Dejan Lovren zum FC Southamptongetty
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Die Premier-League-Vereine verfügen über enorme finanzielle Mittel, hinken im internationalen Fußball jedoch trotzdem etwas hinterher. Gründe dafür gibt es viele, einer ist die historisch bedingte und bis heute gängige Vereinsstruktur. Paul Mitchell hat als "Head of Recruitment" beim FC Southampton einen alternativen Weg aufgezeigt, bei Tottenham Hotspur wurde er dagegen nicht glücklich.

Der erste Eindruck bleibt, heißt es oft so schön. Und Paul Mitchells erster Eindruck bei Tottenham Hotspur trägt den Namen Dele Alli. Der 2. Februar 2015 war es, als die Spurs-Fans erstmals einen Transfer ihres neuen "Head of Recruitment" begutachten durften.

Wenige Wochen zuvor wurde Mitchell vom FC Southampton abgeworben, jetzt gab er erstmals Geld aus. Knapp 6,5 Millionen Euro wanderten auf das Konto der Milton Keynes Dons, Dele Alli im Gegenzug auf die Gehaltsliste der Spurs.

Im folgenden Frühjahr spielte Alli noch per Leihe für die MK Dons in Liga drei, verzeichnete in zwölf Ligaspielen zehn Scorerpunkte, schoss seinen Klub zum Aufstieg und machte sich dann auf, die englische Fußballwelt zu erobern.

Im Rekordtempo wurde er bei den Spurs Stammspieler. Er dirigierte das Spiel seiner Mannschaft, trug bald das Nationaltrikot Englands und war Stammspieler bei der folgenden EM. Alli, 20, ist der Shooting-Star der vergangenen Premier-League-Saison schlechthin - und inzwischen knapp zehnmal so viel wert wie bei seinem Transfer zu den Spurs.

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Eine Verletzung als Glücksfall

Auf die große Bühne gehoben hat ihn aber erst Mitchell. Mitchells Karriere erzählt eine Geschichte, die das Dilemma, in dem der englische Fußball trotz der Milliarden des TV-Deals steckt, wunderbar beschreibt.

Und diese Geschichte geht so: 1981 in Manchester geboren landete Mitchell 1999 in der ersten Mannschaft von Wigan Athletic. Wirklich durchsetzen konnte er sich nicht, stattdessen spielte er per Leihe mal in Halifax, mal in Swindon. 2009 beendete er schließlich bei Milton Keynes wegen einer Verletzung seine Karriere. Mitchell war 27 Jahre alt.

Auffällig war bereits damals sein analytischer Blick auf den Fußball, eine Anstellung im Management von Milton Keynes also fast folgerichtig. Mit seiner Arbeit beim Drittligisten wusste er zu überzeugen, im Januar 2012 kam der Anruf des klassenhöheren FC Southampton. Fortan war Mitchell "Head of Recruitment" bei den Saints. Innerhalb von knapp drei Jahren schuf er in Southampton eine Recruitment- und Scoutingabteilung, die in England ihresgleichen sucht.

Kleiner Raum, großer Bildschirm

Ein großer Raum wurde eingerichtet, in dem auf etlichen Screens Spiele von hauptberuflichen Mitarbeitern beobachtet und analysiert wurden. Da saß dann etwa Rod Ruddick, der einst den achtjährigen Gareth Bale bei einem Kleinfeld-Turnier entdeckte. Mehrere Scouts führten Kartei über Jugendspieler ab einem Alter von fünf Jahren.

Und dann gab es die "Black Box". Ein kleiner Raum mit großem Bildschirm, unterstützt von einer eigens entwickelten Software. Kein Detail blieb außer Acht. "Ich habe die Kraft dieses Raums gespürt", sagte Mitchell mal, "es ist eine mächtige Plattform." Genutzt wurde sie, um eigenen Spielern Fehler und Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen und sich ein exaktes Bild von potenziellen Transferobjekten zu machen. Erst nach ausführlichster Analyse wurde Geld investiert.

"Wir kennen Manager anderer Vereine, die Spieler einzig und alleine wegen zwei starken Spielen gegen den eigenen Klub verpflichten", sagte Mitchell dem Telegraph.

Man sieht ihn dabei vor seinem inneren Auge den Kopf schütteln. Diese Aussage umschreibt das Grundübel des englischen Fußballs. Und gleichzeitig den Grund, warum die Premier-League-Vereine international trotz teilweise bester finanzieller Rahmenbedingungen Jahr für Jahr aufs Neue enttäuschen.

Direktor, Sekretär, Manager

Bedingt ist dieses Problem nicht zuletzt historisch. Der deutsche "Trainer" und der englische "Manager" tragen nicht nur einen unterschiedlichen Titel, sondern sind trotz fälschlicher medialer Gleichstellung auch für unterschiedliche Arbeitsbereiche zuständig. Während sich der deutsche Trainer größtenteils auf die Arbeit mit der Mannschaft konzentrieren kann, sind die Aufgabenfelder des englischen Managers deutlich breiter.

Ende des 19. Jahrhunderts war es, als sich der englische Fußball zum Profisport entwickelte. Vereine wurden damals von Direktoren geleitet; die Trainingsarbeit übernahmen oftmals die Spieler in Eigenregie. Später heuerten die Klubs Fitnesstrainer an, die aber keine Entscheidungsbefugnis hatten, weder über die Aufstellung der Mannschaft, noch über Transfers.

Gleichzeitig entwickelte sich aus der Direktorenebene heraus die Position des Klubsekretärs, aus dem später der Manager wurde. Er war letztlich für alles verantwortlich: Arbeit mit der Mannschaft, Scouting, Transfers, Kommunikation mit den Medien. Bis heute hält sich in vielen Vereinen dieses Schema. Arsenal führt auf seiner offiziellen Website etwa Arsene Wenger als Manager an, den öffentlich dagegen reichlich unbekannten Boro Primorac als First-Team-Coach.

Englische Alleinunterhalter

In Deutschland und auf dem übrigen Kontinent popularisierte sich der Fußball erst später. Mangels eigener Erfahrungswerte kamen bald englische Ex-Spieler ans Festland und fungierten dort als Vereinstrainer. Allein ihre Reputation verschaffte ihnen Respekt. Die Position des eigentlichen Trainers hatte sofort einen höheren Stellenwert und wurde bald auch von Einheimischen ausgeübt.

Mit zunehmender Professionalisierung des Fußballs und einem immer weiter wachsenden Arbeitsaufwand wurden diesen Trainern Sportdirektoren (die Manager im deutschen Sinne) zur Seite gestellt. Hierzulande trug sich diese Entwicklung in den späten 1960er Jahren zu, die Verantwortunsgbereiche wurden verteilt, Experten in verschiedenen Bereichen eingestellt.

In England herrscht dagegen bis heute in vielen Klubs der Manager als Alleinunterhalter. Arsenal etwa ist Arsene Wenger. Öffentliche Auftritte von anderen Vereinsvertretern sind rar. Nicht zu vergleichen mit jedem beliebigen deutschen Verein, wo auch öffentlich stets Trainer und Sportdirektor, manchmal sogar noch weitere Funktionsträger, Präsenz zeigen.

Auch intern herrscht ein Diskussions-Klima, das sich speziell auch auf dem Transfermarkt positiv auswirken kann. Geht es um Transfers haben in England neben dem Manager - wenn überhaupt - Vertreter der Investoren Mitspracherecht. Auch wenn neue, ausländische Trainer daran arbeiten, dieses Schema aufzubrechen.

Mitchell, die Gelddruckmaschine

Zurück zu Paul Mitchell, zurück zu einem alternativen Weg. In Southampton waren nun Mitchell und seine Mitarbeiter für Transfers zuständig. Wechsel fußten auf langfristigen Analysen und nicht wie im englischen Fußball weit verbreitet auf Kurzschlusshandlungen, deren Ziel es ist, überflüssiges Geld zu investieren. "Ich habe die Verantwortung gegenüber dem Investor, das Beste aus seinem Geld zu machen", sagt Mitchell.

In Southampton dürften die Geldgeber zufrieden gewesen sein. Mitchell transferierte etwa Nathaniel Clyne, Dejan Lovren und Sadio Mane für zusammen nicht einmal 20 Millionen Euro an die Südküste Englands. Später wurde das Trio für fast 80 Millionen nach Liverpool verkauft. Mitchell, die Gelddruckmaschiene des englischen Fußballs. Southampton verlor stets seine besten Spieler, verbesserte sich aber dank klugem Einkaufsverhalten auf dem Transfermarkt Saison für Saison in der Tabelle.

Ein Best-Practice-Beispiel, das Tottenham aufmerksam machte. Die knapp 100 Millionen Euro, die sie einst für Gareth Bale eingenommen hatten, wurden in dieser Zeit größtenteils verschwendet. Sportlich überzeugten die Neuzugänge kaum. Neiderfüllte Blicke gingen gen Südwesten.

Ausgebremst von Levy

Mauricio Pochettino, einst als Manager gemeinsam mit Mitchell bei Southampton tätig, holte seinen ehemaligen Weggefährten im November 2014 also nach London. Und dann kam Alli. Die Arbeit bei Tottenham stellte sich für Mitchell aber anders dar als in Southampton.

Mit Daniel Levy mischte im Hintergrund ein Mann aus der Wirtschaft mit. Ein berüchtigter Transfermarkt-Zocker, der die abschließende Verantwortung nicht abgeben wollte und stets das letzte Wort besaß. Vor einigen Wochen reichte Mitchell konsequent die Kündigung ein.

Es scheint, als war es der Plan, Mitchell Aufbauarbeit leisten zu lassen, sein Know-how abzuschöpfen; wirkliche Entscheidungskompetenz wurde ihm wohl nicht überlassen.

"Mitch hat ein perfekt aufgestelltes Recruitment- und Scoutingdepartment hinterlassen", sagte Levy zum Abschied. Ziel erreicht.

Nur eine kleine Episode aus dem englischen Fußball, klar, aber auch eine, die zeigt, wie es gehen kann - und wie nicht. In deutschen Vereinen wird man hoffen: Macht es nicht wie Paul Mitchell in Southampton. Und vor allem nicht bei einem der großen Vereine. Denn sonst könnte die Geldflut noch gefährlicher werden.

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