Alles andere als eine Maschine

Frank Oschwald
21. Juli 201709:22
Alvaro Morata wechselt von Real Madrid zum FC Chelseagetty
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Alvaro Morata wagte bei seinem Herzensklub Real Madrid zwei Anläufe mit komplett unterschiedlichen Voraussetzungen. Beide Male setzte er sich nicht durch, obwohl die Statistik für ihn sprach. Für den Kopfmenschen Morata zählen jedoch auch scheinbar nebensächliche Rahmenbedingungen. Die könnte er nach seinem Wechsel zum FC Chelsea vorfinden.

Die Eltern von Alvaro Morata ließ der Hype um ihren Sohn im Winter 2010 irgendwie kalt. Der damals 17-jährige Zögling hatte gerade im Spiel gegen Ligaschlusslicht Real Saragossa die ersten Einsatzminuten gesammelt, schon bekamen sie in Madrid große Augen und feuchte Hände. Endlich wieder mal wieder ein Bub aus der eigenen Jugend. Ein echter Madrilene. Einer von uns.

Die große Karriere war damals noch Lichtjahre entfernt. Dennoch wurden seine Eltern bereits mit Fragen gelöchert. Was denn der Wunsch für die Zukunft wäre, fragten sie die Familienmitglieder. "Och, es wäre ein Traum, wenn er einmal fünf Spiele in Folge für Real in der Startelf steht", so der Tenor.

Sieben Jahre später klingt das Zitat fast schon albern und es trieft vor Understatement. Schließlich spielte Morata insgesamt fünf Jahre für die Königlichen und darf sich seit wenigen Tagen als teuerster spanischer Fußballer aller Zeiten bezeichnen. Die pubertären Anfänge des Jungen aus der Real-Kaderschmiede sind in weite Ferne gerutscht, aus ihm ist ein Weltstar geworden.

Doch obwohl inzwischen zwei Champions-League-Trophäen auf seinem Briefbogen stehen, blieb ihm ein Ziel bei den Königlichen trotzdem verwehrt: fünf Startelfeinsätze in Folge. Es ist diese unerreichte Marke, die die unglückliche Beziehung zwischen Morata und seinem Herzensklub gut widerspiegelt.

Real Madrid: Zwei unterschiedliche Etappen

Insgesamt zwei Anläufe wagte er bei den Königlichen, beide sind kaum miteinander zu vergleichen. Zunächst klopfte er im zarten Alter von 17 Jahren an, als er immer mal wieder bei den Profis reinschnuppern durfte und hier und da aufgrund seiner guten Technik und starken Einzelaktionen erste Duftmarken setze. Über allem thronte im Sturm bereits damals jedoch der bullige Karim Benzema, an dem für das Talent kein Vorbeikommen war.

Die Königlichen schickten Morata deshalb zu Juventus und ließen ihn dort von 2014 zu einem gestandenen Fußballer reifen. Sowohl charakterlich als auch spielerisch machte er in dieser Zeit mehrere Schritte nach vorne. Der ausgeklügelte Plan der Madrilenen ging auf. Der Marktwert schoss innerhalb von zwei Jahren in die Höhe, die Rückkaufoption in Höhe von rund 30 Millionen Euro zogen die Madrilenen, ohne groß nachzudenken.

Auch für Morata, der zu "seinem Real" zurückkehren durfte, war das auf den ersten Blick ein gelungener Deal. Doch so richtig glücklich wirkte der Spanier nicht. "Ohne die Rückkaufoption hätte man mich zwingen müssen, Turin zu verlassen. Ich vermisse die Truppe in der Umkleide: Bonucci, Barzagli, Chiellini, Marchisio, Buffon. Sie waren sehr wichtig für mich", erklärte der Spanier.

Morata: Benzema im Weg

Schon damals kamen Gerüchte über einen direkten Verkauf auf. Morata blieb jedoch in Madrid und versuchte erneut, sich bei den Königlichen durchzubeißen. Wiederum erwies sich Benzema jedoch als der bessere Kombinationsspieler, der besser in das auf Ronaldo und Bale ausgerichtete System von Real passte.

Der 24-Jährige kam weiterhin regelmäßig zu Einsätzen, in den entscheidenden Spielen zeigte sich die Hackordnung im Angriff jedoch deutlich. Wenn es gegen die Großkopferten des Weltfußballs wie Barcelona, Atletico oder Bayern ging, saß er auf der Bank. Im Champions-League-Finale spielte er zwar, doch sein Arbeitstag begann erst in der 89. Minute.

Die Statistiken der zurückliegenden Saison wirken deshalb fast schon obskur. Morata war bei den Königlichen alle 70 Minuten an einem Tor beteiligt und somit häufiger als alle anderen. Häufiger als Karim Benzema. Und auch häufiger als Cristiano Ronaldo. In Sachen Treffsicherheit setzte er sich mit 15 Toren aus 55 Schüssen sogar ligaweit an die Spitze. Obwohl er stets nur die zweite Geige spielte, sprach dessen Berater von einer "beeindruckenden Saison" seines Schützlings.

Damit steht er nicht alleine da. Zahlreiche Real-Fans verstehen den Abschied des 24-Jährigen nicht wirklich und sprechen nach dem Wechsel zum FC Chelsea sogar von einer verfrühten Flucht. Benzema werde schließlich auch älter und habe am Anfang seiner Zeit in Madrid auch zu kämpfen gehabt, ist zu hören. Jetzt, nach nur einem Jahr als gestandener Profi wieder die Segel bei seinem Traumverein zu streichen, sei feige.

Morata: Abschied unter Tränen

Wie schwer dem gebürtigen Madrilenen der Abschied allerdings gefallen ist, wird bei den jüngsten Szenen aus dem Trainingslager der Königlichen klar. Unter Tränen verabschiedete er sich von Mitspielern, den Trainern und dem Betreuerstab. "Das letzte Mal, dass ich dieses Trikot getragen habe, war am Cibeles-Brunnen nach dem Gewinn der Champions League", gab Morata pathetisch zu Protokoll.

Die Entscheidung gegen einen Verbleib bei Real auf einzelne Faktoren herunterzubrechen, wäre sicherlich viel zu einfach. Es scheint jedoch klar, dass vor allem Chelsea-Trainer Antonio Conte eine entscheidende Rolle beim Wechsel gespielt hat. Der Italiener holte das Real-Talent bereits 2014 bereits zu Juventus, schmiss dann noch vor Saisonbeginn allerdings das Handtuch.

Auch im letzten Jahr, als Real an einen direkten Weiterverkauf nachdachte, soll Conte die Angel ausgeworfen haben. "Ich sprach mit Mauricio Pochettino und Antonio Conte", erinnerte sich Morata vor einigen Monaten an den Sommer 2016. "Im Anschluss sprach ich mit meinem Vater. Er sagte: 'Dieser Typ (Conte, Anm. d. Red.) gewinnt die Premier League. Ganz sicher.'" Er sollte recht behalten.

Morata und Conte: Spezielle Beziehung

Schnell entwickelte sich zwischen beiden Parteien ein freundschaftliches und vertrauensvolles Verhältnis. Auch zwischen der Saison soll der Italiener hin und wieder bei Morata durchgeklingelt haben und sich nach dem Empfinden erkundigt haben. Die Beharrlichkeit und Wärme beeindruckte den Spanier. "Conte hat am meisten auf mich gesetzt, ohne dass ich je für ihn gespielt habe. Er kennt mich besser, als ich es mir vorstellen kann", erklärte der 24-Jährige. "Ich werde zu dem Team wechseln, bei dem der Trainer mich das stärkste Vertrauen spüren hat lassen."

Eine Phrase, die so bereits tausende Male im Fußballzirkus verwendet wurde. Doch bei Kopfmensch Morata scheint mehr dahinter zu stecken. Auf den ersten Blick softe Rahmenbedingungen sind elementar wichtig für sein Befinden und letztlich für seinen Erfolg. Nicht selten tendiert er dazu, sich zu unterschiedlichen Themen zu viele Gedanken zu machen. Nach der EM 2016 gab er beispielsweise zu, dass ihn seine ungewisse sportliche Zukunft während des Turniers durchgehend hemmte.

"Ich war ein wenig verloren. Es waren nicht nur die fehlenden Tore. Ich habe dafür gekämpft, weiter für Juventus zu spielen, wusste aber, dass Real unabhängig von meiner Meinung eine Rückkaufoption hat. Ich wusste nicht, wohin meine Reise geht. Das hat mich alles beeinflusst und lenkte mich ab", erklärte Morata im Interview mit dem Guardian.

Morata redet über Ängste und Sorgen

Der Spanier redet verhältnismäßig offen über seine Ängste und Sorgen im sonst so harschen Fußball-Business. Immer wieder stellt er heraus, dass "Fußballer eben keine Maschinen" seien und viele nicht kapieren, dass hinter jedem "Negativlauf auch persönliche und familiäre Probleme" stecken können. "Du hast Gefühle, du machst Fehler, du bist eben ein Mensch", appelliert Morata an Fans und Medien.

Beim FC Chelsea erhofft er sich, die geeigneten Rahmenbedingungen vorzufinden. Mit Antonio Conte hat der 24-Jährige nun einen Trainer an der Seite, der zu einhundert Prozent von den Qualitäten überzeugt ist und im Gegensatz zu Zinedine Zidane den Transfer ausdrücklich forciert hat. Zudem wird er bei den Blues nach dem bevorstehenden Abgang von Diego Costa im Sturm gesetzt sein und Einsatzminuten sammeln.

"Ich brauche Startelfeinsätze - dauerhaft. Das hatte ich in den letzten drei Jahren nicht. Es ist schwierig, in einem Spiel 10 Minuten und im nächsten 20 Minuten zu spielen. Aber das wird sich eines Tages ändern", sagte er noch im Frühling dieses Jahres. Dieser Tag scheint nun gekommen.

Gut möglich, dass Morata am 5. Spieltag dann bereits das erreicht hat, was er bei Real nie schaffte: fünf Startelfeinsätze in Folge.