Manchester Uniteds Probleme: Auf dem Weg nach Nirgendwo

Stefan Rommel
07. März 202217:07
Ralf Rangnick (l.) und Cristiano Ronaldo gemeinsam bei ManUnited: Wie lange geht das noch gut?getty
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Manchester United droht die nächste Saison zu verschenken, ohne sich wirklich weiterzuentwickeln. Der Klub benötigt einen radikalen Schnitt, seine wenigen Experten in den richtigen Positionen - und vielleicht jene Demut, die seine Fans längst an den Tag legen.

ManUnited: Was haben die Eigentümer mit dem Absturz zu tun?

Die Anfänge von Manchesters schleichendem Niedergang vom einst wertvollsten und zeitweise auch erfolgreichsten Klub der Welt zur Nummer vier oder fünf in England und einem Mitläufer auf europäischer Bühne liegen schon ein paar Jahre zurück. Der Einstieg der Glazer-Familie als Eigentümer gilt als Zeitenwende und markiert wohl den Start jener Veränderungen, die bis heute nachklingen und auch nicht so einfach wieder verändert werden können.

Die Glazers haben bis heute die Wucht und die Autorität Uniteds als ein Fußball-Klub von Weltformat nicht verstanden, behandeln und handeln immer noch mit dem Verein, als sei der ein reines Wirtschaftsunternehmen. Für die Eigentümer zählt im Zweifel immer die Rendite, sie kommt noch vor den sportlichen Erfolgen. Dass die Reihenfolge eigentlich eine andere sein müsste, interessiert dabei offenbar nur am Rande, so lange die Bilanzen stimmen.

Das unterscheidet Manchester United auch so extrem von anderen Klubs, die sich ebenfalls in die Hände externer Besitzer begeben haben. Der FC Liverpool wird von der Fenway Sports Group gehalten, Tom Hicks und George Gillet sehen sich anders als die Glazer-Familie schon auf Grund der Sportsozialisation der Fenway Sports Group eher als Verwalter denn als Besitzer und lassen dem Klub die Möglichkeit offen, auch sportlich smartere Lösungen selbst zu treffen. Bei Manchester City verfolgt die saudische Herrscherfamilie um Scheich Mansour mit der City Football Group nur einen einzigen Gedanken: So viele Titel wir möglich zu erringen.

Die Eigentümer von Uniteds Stadtrivalen sind nicht auf wirtschaftlichen Profit aus und wählen deshalb ebenfalls einen anderen Ansatz als die Glazers. Zwar fließt sowohl in Liverpool als auch bei den Citizens seit Jahren unverschämt viel Geld, aber der Start und die Entscheidungsfreiheiten für die sportlich verantwortlichen Personen unterliegen nicht so stark dem finanziellen Diktat wie das bei United der Fall ist. Das wiederum beeinflusst den Ansatz der Investitionen: United will und muss wirtschaftlich erfolgreich sein, ManCity kann sich dagegen voll auf sportliche Erfolge konzentrieren.

Warum hat Manchester United den Anschluss verloren?

Ed Woodward hat United zu einer, vielleicht sogar zu der globalen Marke des Weltfußballs aufgebaut. Ein wirtschaftliches Powerhouse, das seinesgleichen suchte. Ähnliches erwarteten die Eigentümer dann auch, als Woodward auch in den sportlichen Bereich komplimentiert wurde - dabei hatte der zwar exzellente Kontakte in die Wirtschafts- und Medienwelt, aber nicht die entsprechende sportliche Expertise. Woodwards Netzwerke funktionierten in seinen "alten" Geschäftsbereichen ganz wunderbar, als eine Art Geschäftsführer Sport aber war der 50-Jährige eine ziemliche Fehlbesetzung.

Woodward konnte dabei auch nicht von Alex Ferguson in dem Maße und der Qualität unterstützt werden, wie sich das die Eigentümer und auch die von Beginn an eher skeptischen Fans wohl erhofft hatten. Ganz im Gegenteil: Ferguson als Board Member steht in gewisser Weise stellvertretend dafür, wie der gesamte Klub stagniert. Der erfolgreichste Trainer der Klub-Geschichte steht für die alte Zeit, seine Herangehensweise ist immer noch so, wie das vor 15 oder 20 Jahren vielleicht noch passend war - heute aber aus der Zeit gefallen scheint.

Ferguson als Galionsfigur bedeutete immer auch ein angespanntes Verhältnis zur Presse. Unvergessen sein Boykott der BBC, nachdem sein Sohn in einer Dokumentation nicht besonders gut weggekommen war. Ferguson mied den Sender daraufhin jahrelang. Das mag eine Anekdote sein, als graue Eminenz des Klubs überlagert der antiquierte Ferguson-Kult aber längst fällige Erneuerungsprozesse auch im Hintergrund und lähmt den Klub in wichtigen Bereichen.

Ohne innovative Ideen aus dem Board und mit einem fachfremden sportlichen Leiter wurden in den letzten zehn Jahren deshalb Abermillionen an Euro an der falschen Stelle, sprich: in die falschen Spieler, investiert. Transfers wie die von Falcao oder Angel di Maria dürfen stellvertretend dafür stehen, was im Zweifel wichtiger war als ein passgenaues sportliches Investment.

Diese Spieler brachten Reputation, einen großen Namen und jede Menge Follower mit sich und waren auch deshalb scheinbar rentable Zugewinne. Dass diese Spieler und Dutzende andere aber nicht sauber in das sportliche Konstrukt passten, war dann ein Kollateralschaden und eine Wette darauf, dass das dann schon irgendwie passen könnte. Nur ging diese Wette in den meisten Fällen eben nie auf.

Und so dreht sich United seit zehn, 15 Jahren förmlich im Kreis: Schlechte Entscheidungen werden von anderen schlechte Entscheidungen abgelöst, die Fluktuation bei Spielern und Trainern ist enorm. Es fehlt an einer echten Identität, die die Realität endlich auch mit einpreist. Allein den Posten des Managers haben bei United sechs verschiedene Trainer bekleidet seit dem Rückzug von Ferguson - bei Liverpool und City sind es nur zwei.

Wie kann Ralf Rangnick dem Klub (wirklich) helfen?

Mit Rangnick als Consultant, als Berater oder auch Sportchef hatte United die richtige Idee für die Zukunft. Aktuell ist der 63-Jährige als Trainer gefordert. Für Rangnick selbst hat sich der Traum von einer Premier-League-Mannschaft beim größtmöglichen Klub damit füllt - die Frage ist nur, ob das auch die richtige Position für den Deutschen ist?

Seit Anfang Dezember leitet Rangnick die Mannschaft an. Er hat es mit "seinem" 4-4-2 und "seinen" Stilmitteln versucht, also mit hohem, sehr aggressivem Pressing und vielen Gegenpressingmomenten. Aber davon eben auch schon seit längerer Zeit wieder Abstand genommen.

Im Prinzip spielt United aktuell Solskjaer-Fußball im Rangnick-Gewand, eine echte Entwicklung oder greifbare Versatzstücke dessen, was man als Rangnick-Fußball bezeichnen könnte, sind immer schwerer zu erkennen. Dass sich die Bosse nicht zu einer Entscheidung durchringen können oder wollen, wie es im Sommer auf dem Trainerposten weitergehen soll, macht die Lage nur noch schlimmer.

Derzeit sieht es danach als, als habe Rangnick als Trainer keine Zukunft bei United, was seinem Standing innerhalb der Mannschaft bestimmt nicht zuträglich ist. Nach anfänglichen Erfolgen des Teams und auch einzelner Spieler wie etwa Jadon Sancho oder Fred stagniert auch hier die Entwicklung schon wieder, für die Gruppe war Rangnicks Übernahme der Mannschaft kein echter Neustart.

Es war eine vernünftige Entscheidung, Ex-Profi Darren Fletcher als Technischen Direktor zu holen. Aber Fletcher ist auch ein Newcomer in dieser Position und ohne jede Erfahrung. Insofern wäre es nur naheliegend, ihm und den anderen eine übergeordnete Instanz zu installieren. Und die kann nur Ralf Rangnick sein. Als eine Art Supervisor, der sich um die Entwicklung einer Kultur und einer neuen Identität kümmert - sowohl bei den Profis, als auch in der Academy. Rangnick ist die richtige Person, wird aktuell aber auf der falschen Position bei United eingesetzt.

United hat im Moment einen der stärksten Jahrgänge seit langer Zeit in der U19, einige Spieler sind bereits in die Championship verliehen oder könnten bald den Sprung zu den eigenen Profis schaffen. Diese Spieler zu verknüpfen mit ein paar Erfahrenen und einigen schlauen - und nicht einfach nur teuren - Transfers: Das wäre die eigentlich Aufgabe, die Rangnick bei United erfüllen müsste.

Denn das Scouting-Netzwerk der letzten Jahre hätte sich United in der Form auch sparen können. Für die Mega-Transfers, die sich am Ende lediglich noch über die Höhe der Ablösesummen definiert hatten, braucht der Klub keine aufgeblähte Scouting-Abteilung. Zukäufe wie Harry Maguire für 80 Millionen Euro und Cristiano Ronaldos Rückhol-Aktion benötigen jedenfalls kein dezidiertes Scouting.

Wie geht es mit der Mannschaft weiter?

In der Liga bleibt Platz vier und damit die Champions-League-Qualifikation das Ziel - und mehr ist mit dieser Mannschaft dann tatsächlich auch nicht drin. City, Liverpool und Chelsea spielen in einer anderen Liga. In der CL ist das Viertelfinale definitiv erreichbar, für Erfolge darüber hinaus benötigt man aber schon eine Menge Phantasie.

Das 1:4 gegen ManCity war mehr als nur eine Niederlage, es war ein empfindlicher Rückschlag für alle, die United schon auf einem besseren Weg wähnten. Etliche Spieler finden einfach nicht ihre Form. Aaron Wan-Bissaka oder Luke Shaw hängen voll durch, Maguire kommt mit seiner Rolle als Anführer offenbar überhaupt nicht klar. Marcus Rashfords Unbekümmertheit ist komplett weg, der Academy-Spieler soll sogar über einen Weggang von United nachdenken.

Ronaldo entwickelt sich immer mehr zum Problemfall. In der Hinserie hatte der Superstar noch einige klassische Ronaldo-Momente, schoss United fast im Alleingang mit seinen Toren in die K.o.-Phase der Königsklasse. Nun sorgt Ronaldo aber immer wieder für ganz andere Schlagzeilen, soll sich mit Kapitän Maguire nicht grün und auf den Trainer sauer sein, weil dieser ihn gegen City wohl auf Anraten der Ärzte nur als Ergänzungsspieler sah.

Bei United sind verletzte Spieler nicht vertraglich dazu verpflichtet, den Spielen ihrer Mannschaft zumindest als moralische Stütze live im Stadion beizuwohnen, insofern hat sich Ronaldo mit seinem (angeblichen) Abflug nach Portugal vor dem City-Spiel nichts zu Schulden kommen lassen. Aber das Signal einer solchen Aktion ist trotzdem verheerend und sie passt zu den letzten Wochen, in denen Ronaldo immer öfter lamentiert und sich offenbar immer weniger noch als Teil der Mannschaft sieht.

In den letzten acht Spielen hat Ronaldo nur noch ein Tor erzielt, ein Fernschuss gegen Brighton. Eines dieser klassischen Ronaldo-Tore, per Schuss oder Abstauber im Sechzehner oder gar ein Kopfball, gab es schon seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr.

Und so bleibt nur eine kleine Schar an Spielern um Bruno Fernandes, die stabil und verlässlich ihre Leistungen abrufen und einigermaßen produktiv bleiben. Für den notwendigen Umbau des Kaders im Sommer sollte United auch nicht davor zurückschrecken, sich vom einen oder anderen großen Namen zu trennen.

Braucht United ein Sabbatical, um sich neu aufzustellen?

Manchester United als Klub und seine Profimannschaft brauchen ein Reboot, so viel kann man wohl jetzt schon sagen. Und vielleicht bedeutet dieser Neuanfang auch, dass man sich eine Saison dafür Zeit nimmt und den "sportlichen Erfolg", also die Qualifikation für die Champions League, dafür opfert.

Die Fans würden so einen kulturellen Neustart wohl auch mittragen, sofern der offen und klar kommuniziert wird. Dafür ist aber auch eine entsprechende Kommunikation von Seiten des Klubs notwendig. Die alte Doktrin der Verschlossenheit und Verschwiegenheit und der teuren Hinterzimmergeschäfte muss dafür beendet werden.

Die Fans jedenfalls sind demütig geworden in den letzten Jahren und sie sehen in den unmittelbaren Nachbarschaft, dass ein Schritt zurück nicht immer die schlechteste Idee sein muss, wenn man mittelfristig wieder erfolgreich sein will. Und dass es Zeit und Kontinuität ebenso benötigt wie fachlich fundierte Entscheidungen, die sich am Sport orientieren - und nicht an den Bilanzen.

Die Besetzung des Trainerpostens wird deshalb mehr denn je zur größten aller Aufgabe. Das ist der wichtigste Job im Klub, um den Trainer oder Manager und dessen Ideen herum sollte das Konstrukt aufgebaut sein. Mauricio Pochettino könnte so ein Trainer sein - oder aber Ajax' Erik ten Hag.