Claassen: "Dritte Kraft neben Real und Barca"

Haruka Gruber
08. November 201012:23
Utz Claassen (r.) plant den Aufstieg von Mallorca zu einem europäischen Topteamspox
Werbung

Er war ein Wunderkind und machte als 17-Jähriger sein Abitur mit der Note 0,7. Er galt bis vor wenigen Jahren als einer der einflussreichsten Wirtschafts-Manager Deutschlands. Sein Name: Utz Claassen. Sein Spitzname: Rambo. Seine Mission: RCD Mallorca zu einer "internationalen Marke" machen. Nachdem Claassen Aktienanteile des spanischen Erstligisten (angeblich zehn Prozent) erwarb, spricht der 47-Jährige über seine Vision und seine bewegte Vita.

SPOX: Ihr Einstieg bei Mallorca kommt überraschend. Wie kam der Kontakt zustande?

Utz Claassen: Den Kontakt habe ich selbst geknüpft. Es ist immer gut, wenn man Potenziale früher erkennt als andere. Wäre ich angesprochen worden, hätte ich mich für die Idee aber auch begeistern lassen.

SPOX: Und welches Potenzial sehen Sie bei Mallorca?

Claassen: Ich habe vor einiger Zeit analysiert, an welchen Standorten das Potenzial zur Entwicklung großer Marken im Sport liegt. Früher wurden die Umsätze maßgeblich durch Zuschauerzahlen und Ticketverkäufe bestimmt. Die damalige Grundfrage lautete: Wie groß ist mein Einzugsgebiet? Städte mit großem Hinterland wie München, Nürnberg, Bremen oder auch Hannover haben sich im Profi-Fußball etabliert, Klubs mit kleinerem Umfeld wie Saarbrücken, Homburg oder Neunkirchen hielten sich hingegen in aller Regel nicht so lange. Heutzutage jedoch leben wir in einer neuen, mobilen Welt, wo es nicht alleine um das direkte Einzugsgebiet geht.

SPOX: Aber warum Mallorca?

Claassen: Weil Mallorca sich geradezu anbietet, um dort eine Marke aufzubauen. Heutzutage kann man für 30 Euro quer durch Europa fliegen, und Palma de Mallorca ist neben London und Frankfurt der logistisch vielleicht bestangebundene Ort Europas. Die Ausgangslage ist exorbitant gut, allein mehr als 15 deutsche Städte werden täglich angeflogen. Außerdem hat Mallorca Zugang zu Millionen möglicher Fußball-Fans. London verfügt über acht Millionen Einwohner, doch auf Mallorca verbringen mehr Menschen pro Jahr ihren Urlaub als London Einwohner hat. Zudem ist auf Mallorca die Konkurrenz überschaubarer. In London ist der Markt mit Chelsea, Arsenal und Tottenham in der Spitze sowie mit West Ham, Fulham, Charlton, Millwall, Crystal Palace und Queens Park in der Breite gut gefüllt. All die Argumente sprechen dafür, dass Mallorca der geeignete Standort ist.

SPOX: Und was geschah nach dieser Analyse?

Claassen: Ich habe Mallorcas Vereinsführung meine Idee dargelegt, eine europäische Marke zu entwickeln und den europäischen Markt zu erschließen - und die Reaktionen waren extrem positiv. Die folgenden Gespräche ähnelten mehr einem Treffen unter Freunden als Verhandlungen unter Geschäftsleuten.

SPOX: Gegenseitige Sympathie mag wichtig sein für die Zusammenarbeit, doch wie wollen Sie die Verbindlichkeiten von angeblich über 60 Millionen Euro abtragen?

Claassen: Es mag trivial klingen, aber uns eint eine feste, gemeinsame Vorstellung: Man darf nicht mehr Geld ausgeben, als man einnimmt. Der erste Schritt lautet: finanzielle Stabilisierung. Und da ich mit dem Thema vertraut bin und mit Seat, Sartorius sowie EnBW drei große Unternehmen erfolgreich saniert habe, bin ich überzeugt, dass es uns auch auf Mallorca gelingt. Dabei ist ausdrücklich zu sagen, dass die Handelnden auch ohne mich einen detaillierten und überzeugenden Restrukturierungsplan erstellt haben. Insofern brauchte es meine Sanierungskompetenz hier gar nicht. Ich habe einen Plan, wie wir beispielsweise das Marketing, die Markenbildung und das Merchandising voranbringen können. Um über Details zu sprechen, ist es jedoch zu früh.

SPOX: Mallorca sorgte trotz sportlicher Erfolge für Negativschlagzeilen, weil der Verein von der UEFA wegen der Schulden aus der Europa League ausgeschlossen wurde. Hat Sie das nicht abgeschreckt?

Claassen: Zunächst einmal: Mit dem Ausschluss hat streng genommen nicht Mallorca für Negativschlagzeilen gesorgt, sondern eigentlich die UEFA. Wir sind uns doch wohl alle einig, dass sich durchaus Klubs finden lassen würden, die deutlich mehr Schulden haben und nicht bestraft wurden. Ich habe auch vor meinem Engagement bei Mallorca jedenfalls nicht verstanden, nach welchen Maßstäben die UEFA gehandelt hat. Der Fall wurde juristisch noch nicht abschließend beurteilt, und ich bin sicher, dass die Klärung weit reichende rechtliche Konsequenzen haben könnte, vielleicht sogar bis in die Nähe der Dimension des Bosman-Urteils. Ich bin aber keineswegs beim RCD Mallorca eingestiegen, um Streit mit der UEFA zu suchen.

Michael Laudrup, RCD MallorcaGetty

SPOX: Ist es tatsächlich Ihr Ziel, aus Mallorca die dritte Kraft im spanischen Fußball neben dem FC Barcelona und Real Madrid zu machen?

Claassen: So etwas wird nicht von heute auf morgen klappen, da dürfen wir nicht vermessen sein. Es wird ein langer Weg. Man darf nicht vergessen, dass Real Madrid schon vor 50 Jahren fünfmal den Europapokal der Landesmeister gewonnen hatte. Aber wenn ich mir den Standort sowie die Zahl der Touristen und Flugverbindungen anschaue, stelle ich fest, dass - abgesehen von Madrid und Barcelona - die infrastrukturellen Voraussetzungen in Mallorca vermutlich besser sind als an jedem anderen spanischen Standort. Es klingt ambitioniert, aber wer hier investiert, muss sich doch auch zutrauen wollen, perspektivisch zur dritten Kraft werden zu können.

SPOX: Gibt es einen Zeitrahmen?

Claassen: Nein. Als Privatinvestor setze ich mir keinen Exit-Zeitpunkt, an dem ich sage, dass bis zu einem bestimmten Tag X ein gewisser Wert Y entstanden sein muss.

SPOX: Nachdem Sie zehn Prozent der Aktien am Klub erworben haben sollen, gehört Ihnen ein Sitz im Verwaltungsrat. Wie viel Einfluss haben Sie auf das operative Geschäft?

Claassen: Die zehn Prozent kommentiere ich nicht, da wir vertraglich Stillschweigen vereinbart haben. Der Verwaltungsrat hier wäre übertragen auf Deutschland in etwa vergleichbar mit einer Mischung aus Vorstand und Aufsichtsrat. Er tagt einmal wöchentlich und trifft die wesentlichen Entscheidungen.

SPOX: Sie bestimmen demnach mit, ob der Vertrag mit Trainer Michael Laudrup verlängert wird oder welche Spieler verpflichtet werden?

Claassen: Ich glaube nicht, dass ich einem Michael Laudrup oder seinem Co-Trainer Miguel Angel Nadal erklären muss, welcher Rechtsverteidiger oder Mittelstürmer gekauft werden soll. Mein Aufgabengebiet sind Marktentwicklung und Markenbildung.

SPOX: Es werden aber nur richtig viele deutsche Touristen Mallorcas Heimspiele besuchen und Trikots kaufen, wenn auch deutsche Spieler auf dem Platz stehen.

Claassen: Ich werde mich nicht in die sportliche Planung einmischen und nach einer Woche sicherlich keine Transfers vorschlagen. Aber: Um Aufmerksamkeit in den großen Märkten wie Deutschland zu generieren, schadet es offenkundig nicht, wenn zur geeigneten Zeit darüber nachgedacht wird, beispielsweise einen deutschen Sympathieträger zu verpflichten. Es bestreitet ja wohl niemand, dass das Interesse an Chelsea in Deutschland deutlich gestiegen ist, nachdem Michael Ballack nach London gewechselt war.

SPOX: Stehen Sie in Gesprächen mit Gerhard Poschner, der als Generaldirektor in Saragossa Erfahrung gesammelt hat und derzeit ohne eine Anstellung ist?

Claassen: Ich habe mich nicht mit ihm unterhalten, und es gibt dazu auch keine Gedankenspiele.

SPOX: Wie gut kennen Sie die Mannschaft von Mallorca?

Claassen: Ich verfolge den Verein schon seit längerem, und mir ist die aktuelle Mannschaft sehr vertraut. Ich bin nie extra nach Mallorca geflogen, um ein Spiel zu sehen, aber fast immer, wenn ich auf der Insel Urlaub machte, ging ich auch ins Stadion. Vor ungefähr zehn Jahren habe ich auf dem Platz einen blutjungen Spieler gesehen. Unglaublich griffig, mit Zug und Konsequenz. Es war Samuel Eto'o. Wenige Wochen später, bei einem privaten Abendessen, fragte mich der Entscheidungsträger eines großen deutschen Bundesligisten, ob ich einen Mittelstürmer empfehlen könnte. Ich erzählte ihm von Eto'o. Einige Monate darauf fragte ich ihn, warum sein Verein Eto'o denn nicht verpflichtet hatte, und er sagte mir, dass die geforderte Ablöse von damals fünf Millionen Mark zu hoch gewesen sei. So kann man sich irren. Die Geschichte mit Eto'o ist eine der vielen Erinnerungen, die ich mit Mallorca verbinde.

Claassen über Drohungen, Heuschrecken und Rambo: Hier geht's zum zweiten Teil!

SPOX: In kaum einem Land polarisiert das Thema "Fußball-Investoren" so sehr wie in Deutschland. Engagieren Sie sich deswegen in Spanien und nicht in der Bundesliga?

Claassen: Die Frage, in die Bundesliga einzusteigen, hat sich nie gestellt, weil ich in Deutschland ohnehin in keinen anderen Verein investieren würde als in Hannover 96. Zur generellen Ablehnung gegenüber Investoren: Angesichts der Entwicklungen in England kann ich eine gewisse Skepsis verstehen, in Deutschland jedoch wird nicht hinreichend differenziert. In der Regel sind Vereine nicht von Verantwortlichen vor die Wand gefahren worden, die ihr eigenes Geld eingesetzt hatten. Vielmehr waren dort, wo gewaltige finanzielle Probleme entstanden sind, eher Menschen am Werk, die mit grenzenloser Eitelkeit zu große Risiken eingegangen sind und das Geld Dritter verbrannt haben. Ich hingegen engagiere mich mit meinem eigenen Kapital.

Hannover 1997: Utz Claassen (M.) mit Manager Gerber (r.) und Finanzchef HeinemannImago

SPOX: Sehen Sie Ihre Beteiligung an Mallorca als Chance, sich im deutschen Fußball zu rehabilitieren? Ihre Amtszeit als Präsident von Hannover 96 ging 1997 nur einige Wochen und war geprägt von klubinternen Unruhen. Am Ende waren Sie so umstritten, dass Sie sogar Morddrohungen erhalten haben sollen.

Claassen: Ich habe keinen Grund, mich für irgendetwas zu rehabilitieren. Damals war es in Hannover nicht angenehm, aber am Ende kann ich mit Genugtuung auf diese Zeit zurückblicken. Ich habe die finanzielle Situation bewertet und Wahrheiten ausgesprochen, die damals nicht jeder hören wollte. Mittlerweile ist unstrittig, dass meine Analyse zutreffend war und eine Grundlage für die Gesundung des Vereins geschaffen hat, auf der mein Nachfolger und Freund Martin Kind äußerst erfolgreich und mit bewundernswertem Engagement aufgebaut hat. Nicht umsonst erlebe ich heutzutage nichts anderes als Anerkennung und Zuspruch, wenn ich in Hannover ins Stadion gehe.

SPOX: Und was ist 2005 in Karlsruhe geschehen? Trainer Reinhold Fanz, der damals in Hannover mit Ihnen aneinandergeriet, wurde unter mysteriösen Umständen kurz nach seiner Einstellung vom KSC wieder entlassen. Viele schlossen daraus, dass Sie Ihren Einfluss als Vorstandsvorsitzender von Hauptsponsor EnBW missbraucht hätten.

Claassen: Von Missbrauch kann keine Rede sein. In der Presse wird es seitdem falsch kolportiert, von daher möchte ich hier die Gunst nutzen und die Angelegenheit klarstellen: Angefangen hatte es, als Herr Fanz in einem Interview mit der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" die Äußerung tätigte, ich hätte in Hannover alle belogen. Er hat mich also der Lüge bezichtigt, und das lässt niemand auf sich sitzen. Deswegen bin ich gerichtlich gegen ihn vorgegangen - und das mit großem Erfolg: Herr Fanz hat vor dem Oberlandesgericht Celle ein Unterlassungsversprechen abgegeben.

SPOX: Was passierte dann in Karlsruhe?

Claassen: Als die Verantwortlichen in Karlsruhe von der Geschichte hörten, bedurfte es überhaupt keiner Intervention meinerseits. Ich habe nie eine Entlassung gefordert, vielmehr wussten die Entscheidungsträger selbst, wie sie sich zu verhalten hatten. Wenn Wolfsburgs Trainer Steve McClaren über den Vorstandsvorsitzenden des Hauptsponsors Volkswagen, Martin Winterkorn, sagen würde, dass dieser jeden belüge oder belogen habe, wie lange bliebe Steve McClaren dann wohl noch im Amt? Doch Steve McClaren würde so einen Unsinn niemals von sich geben, denn es ist eine Frage des Anstandes.

SPOX: Wer sich Ihre Vita anschaut, bekommt den Eindruck, dass Sie keinem Konflikt aus dem Weg gehen. Mögen Sie Ihren Spitznamen "Rambo", nachdem Sie einmal sagten: "Lieber ein Rambo als Bambi"?

Claassen: Ursprünglich kam der Spitzname von jemandem auf, der den Vergleich danach bedauert hat und den ich im Übrigen sogar eingestellt habe. Später wurde das Zitat über Rambo und Bambi aus dem Kontext gerissen. Was ich damals gemeint habe: Wenn Rambo für Wahrheit, Klarheit Konsequenz, Mut und Tatkraft steht, kann ich mich mit dem Namen identifizieren. Aber nicht, wenn Rambo mit Gewalt und Brutalität gleichgesetzt wird. Mittlerweile haben sich aber auch bei mir die Prioritäten verändert und ich lese meiner kleinen Tochter sehr gerne aus Bambi vor. (lacht)

Fußball auf der Trauminsel: RCD Mallorca im Steckbrief