Die Liverpool-Perspektive
Pragmatisch gesehen ist der Transfer von Philippe Coutinho für den FC Liverpool ein hervorragender Deal: 2013 hatte ihn der Klub für knapp 13 Millionen Euro gekauft und nun für beinahe das Zehnfache weitergereicht. Dank der exorbitanten TV-Einnahmen in der Premier League gab es für Liverpool aber gar keinen wirtschaftlichen Zwang, einen Schlüsselspieler wie Coutinho zu verkaufen.
Ganz im Gegenteil: Noch im Laufe der Hinrunde soll der Klub versucht haben, Coutinho mit einer weiteren Gehaltserhöhung von einem Verbleib zu überzeugen. Obwohl er seinen Vertrag erst im vergangenen Januar mit stark verbesserten Bezügen bis 2022 verlängert und betont hatte, dass er "noch viele Jahre bleiben will".
Als Barcelona im Sommer Interesse zeigte, änderte sich Coutinhos Wunsch aber offenbar schlagartig. "Wenn ich sage, dass er nicht zum Verkauf steht, dann steht er nicht zum Verkauf", erklärte Liverpool-Trainer Jürgen Klopp damals jedoch und hielt zunächst Wort. Er hatte noch Hoffnung, dass Coutinho seine Meinung ändern könne - ob dessen erstaunlich guter und geräuschloser Reintegration in die Mannschaft nach dem gescheiterten Sommer-Transfer auch keine unbegründete.
Klopp verzieh Coutinho den sommerlichen Flirt und die Fans taten es ihm gleich. Bei seinem ersten Saisoneinsatz begrüßten sie ihn mit Applaus. Im Laufe der Hinrunde trug Coutinho sogar zeitweise die Kapitänsbinde. Klopp wollte Coutinho zeigen, was er in Liverpool für eine Rolle hat und noch bekommen kann. Doch das beeindruckte ihn offenbar nicht. "Ich bin jetzt überzeugt, dass wir nichts in unserer Macht Stehendes hätten tun können, um seine Meinung zu ändern", sagte Klopp nach dem Abschied resignativ.
Für die sportlichen Ziele des Klubs ist der Transfer ein verheerendes Zeichen. In wettbewerbsübergreifend 20 Saisonspielen erzielte Coutinho zwölf Tore und bereitete neun weitere vor. Coutinho war ein Schlüsselspieler, gleichzeitig Gestalter und Vollstrecker. Für Liverpool wird es schwierig, den offenen Platz adäquat nachzubesetzen. Gehandelte Kandidaten wie Riyad Mahrez von Leicester City und Thomas Lemar von der AS Monaco sind andere Spielertypen. Sie sind für das Spiel einer Mannschaft weniger prägend und weniger flexibel einsetzbar.
Sollte einer der beiden nach einem möglichen Wechsel in Liverpool aber trotzdem durchstarten, müsste der Klub wohl bald mit einem erneuten Abschied rechnen. "Coutinhos Wechsel zeigt, dass Liverpool nicht wie von Klopp gewünscht ein Ziel für die besten Spieler der Welt ist, sondern nur ein Sprungbrett", schrieb der Guardian.
Fernando Torres, Javier Mascherano, Xabi Alonso, Luis Suarez und jetzt eben Coutinho: Sobald sie für internationales Aufsehen gesorgt haben, drängen Liverpools beste Legionäre seit Jahren auf den Abschied. Dass der Klub diesen Wünschen ohne wirtschaftlichen Zwang stets nachgibt, ist einerseits nachvollziehbar, um schlechte Stimmung zu verhindern. Andererseits hält es Liverpool aber davon ab, sich als ernsthafter Titelkandidat der Premier League zu etablieren. Das hat sich auch unter Klopp nicht geändert. Sollte es beim Coutinho-Transfer also einen Verlierer geben, dann heißt er FC Liverpool.