Nach einem halbjährigen Poker ist Philippe Coutinho für 120 Millionen Euro vom FC Liverpool zum FC Barcelona gewechselt, die Ablösesumme kann noch auf bis zu 160 Millionen ansteigen. Für Coutinho ist der Transfer ein Risiko, Barcelona hat alles richtig gemacht - und der Verlierer heißt Liverpool.
Die Coutinho-Perspektive
Mit viermonatiger Verzögerung ist der Wechsel zum FC Barcelona für Philippe Coutinho die verspätete Erfüllung seines Traums. "Ich hatte ein Jobangebot und wie jeder weiß, habe ich mich dafür interessiert", sagte er im Sommer. Sein Ex-Trainer Jürgen Klopp erklärte nun in einem Statement, dass es "kein Geheimnis ist, dass Philippe schon seit letztem Juli, als Barcelona erstmals Interesse anmeldete, wechseln wollte". Weil es damals nicht geklappt hat, durchlebte Coutinho "einen Moment der Qual, Enttäuschung und Trauer", wie es dessen Nationalmannschafts-Kollege und Freund Neymar pathetisch formulierte.
Dass ihm sein Verein Liverpool nun doch noch einen frühzeitigen Ausstieg aus seinem bis 2022 gültigen Vertrag gewährte, fühlt sich für Coutinho wohl wie eine Erlösung an. Fortan darf er für seinen Traumverein spielen, doch aus seiner Sicht hätte ein Sommer-Wechsel deutlich mehr Sinn gemacht - entweder im vergangenen oder im kommenden.
Im kommenden Sommer nämlich will Coutinho mit seinem Land Brasilien die WM gewinnen - vorzugsweise als Stamm-, am liebsten als Schlüsselspieler. Dafür ist es einerseits von Vorteil, die vorangegangene Saison ohne große Turbulenzen, in gewohntem Umfeld und mit reichlich Spielpraxis absolviert zu haben. Und andererseits, sich auf allerhöchstem Niveau gemessen zu haben. Beides ist für Coutinho nun nicht oder nur spärlich möglich.
Coutinho wechselt in eine perfekt funktionierende Mannschaft, die die heimische Liga ungeschlagen und souverän anführt. Nach langer Verletzungspause kehrte mit Ousmane Dembele kürzlich ein weiterer potentieller Stammspieler zurück. Mit seiner Klasse sollte Coutinho zwar in jeder Mannschaft der Welt spielen, doch für Barcelona-Trainer Ernesto Valverde wird es schwierig sein, einem bisherigen Stammspieler trotz starker Leistungen zu erklären, dass er wegen des Neuzugangs nur auf der Bank sitzt.
Erschwerend hinzu kommt Coutinhos Spielverbot in der Champions League. Dadurch fehlen ihm Möglichkeiten, sich auf allerhöchstem Niveau zu messen. Anfang März spielt Barcelona in der Liga gegen Atletico Madrid, Anfang Mai gegen Real Madrid und je nach Weiterkommen und Auslosung womöglich nochmal im Pokal. Das war es für Coutinho bis zur WM mit Gegnern von höchstem internationalen Niveau - sofern er in diesen Partien überhaupt aufgestellt wird.
Mit Liverpool hätte Coutinho nicht nur Premier-League-Spiele gegen die Top-Klubs aus Manchester und London vor sich gehabt, sondern auch die Möglichkeit auf Champions-League-Einsätze. Barcelona wäre wohl auch noch im Sommer an einem Kauf interessiert gewesen. Das Risiko einer unterfordernden Rückrunde, die seiner Rolle bei der WM womöglich schadet, erschien Coutinho jedoch offenbar annehmbarer als das eines endgültigen Scheiterns seines Wechsels nach Barcelona.
Die Barcelona-Perspektive
Nach dem Abgang von Neymar für 222 Millionen Euro zu Paris Saint-Germain hatte der FC Barcelona im vergangenen Sommer ein volles Konto und ein Loch in seiner Offensive. Um dieses zu füllen, machten die Vereinsverantwortlichen schnell zwei Wunschspieler aus: Ousmane Dembele und Philippe Coutinho.
Innerhalb von weniger als einem halben Jahr hat Barcelona beide verpflichtet - ohne erfolgsabhängige Klauseln für zusammen 225 Millionen Euro. Plakativ gesagt: Für etwa den gleichen Betrag also, den der Klub zuvor mit Neymar verdient hatte. Trotz der abstrus erscheinenden Summen ist das aus Sicht Barcelonas ein hervorragender Deal: einen Weltklassespieler verloren, zwei bekommen. Und somit mehr taktische Möglichkeiten.
Coutinho passt perfekt ins taktische Konzept der Katalanen. Er ist ein kleiner, technisch hervorragender Passspieler, der sich wohl schnell ins Spiel der Mannschaft einfinden wird. Genau wie Liverpool agiert auch Barcelona vorzugsweise in einem 4-3-3-System, in dem sich Coutinho bereits sowohl auf dem linken Flügel als auch im linken Mittelfeld bewährte. "Er ist vielseitig und kann die Statik eines Spiels bestimmen", lobt Trainer Ernesto Valverde.
Coutinhos fehlende Spielberechtigung für die restliche Champions-League-Saison ist für Barcelona deutlich irrelevanter als für den Spieler selbst. Valverde hat ein halbes Jahr lang Zeit, Coutinho bei Spielen gegen Gegner, die Barcelona ohnehin schlagen wird, in diversen Rollen zu testen und herauszufinden, inwiefern er der Mannschaft am besten helfen kann. In der neuen Saison wird Coutinho dann wohl als Schlüsselspieler am Ziel Champions-League-Titel mitarbeiten.
Hätte Barcelona mit dem Transfer bis zum nächsten Sommer gewartet, wäre der Spieler wohl eher teurer als billiger geworden. Womöglich hätte Coutinho eine hervorragende WM gespielt, womöglich hätten sich andere Vereine wie PSG intensiver um seine Dienste bemüht. Stattdessen hat Barcelona Coutinho schon jetzt bis zum Sommer 2023 gebunden.
Coutinho ist erst 25 und hat daher noch viele Profijahre auf höchstem Niveau vor sich. Sein Marktwert wird sich bei normalem Karriereverlauf kaum verringern, bei einem möglichen Weiterverkauf könnte Barcelona mit einem Gewinn rechnen. Die festgeschriebene Ablösesumme beträgt 400 Millionen Euro, sollte sie ein anderer Verein ziehen, würde Coutinho zum teuersten Fußballer aller Zeiten aufsteigen. Barcelona hat mit diesem Transfer alles richtig gemacht.
Die Liverpool-Perspektive
Pragmatisch gesehen ist der Transfer von Philippe Coutinho für den FC Liverpool ein hervorragender Deal: 2013 hatte ihn der Klub für knapp 13 Millionen Euro gekauft und nun für beinahe das Zehnfache weitergereicht. Dank der exorbitanten TV-Einnahmen in der Premier League gab es für Liverpool aber gar keinen wirtschaftlichen Zwang, einen Schlüsselspieler wie Coutinho zu verkaufen.
Ganz im Gegenteil: Noch im Laufe der Hinrunde soll der Klub versucht haben, Coutinho mit einer weiteren Gehaltserhöhung von einem Verbleib zu überzeugen. Obwohl er seinen Vertrag erst im vergangenen Januar mit stark verbesserten Bezügen bis 2022 verlängert und betont hatte, dass er "noch viele Jahre bleiben will".
Als Barcelona im Sommer Interesse zeigte, änderte sich Coutinhos Wunsch aber offenbar schlagartig. "Wenn ich sage, dass er nicht zum Verkauf steht, dann steht er nicht zum Verkauf", erklärte Liverpool-Trainer Jürgen Klopp damals jedoch und hielt zunächst Wort. Er hatte noch Hoffnung, dass Coutinho seine Meinung ändern könne - ob dessen erstaunlich guter und geräuschloser Reintegration in die Mannschaft nach dem gescheiterten Sommer-Transfer auch keine unbegründete.
Klopp verzieh Coutinho den sommerlichen Flirt und die Fans taten es ihm gleich. Bei seinem ersten Saisoneinsatz begrüßten sie ihn mit Applaus. Im Laufe der Hinrunde trug Coutinho sogar zeitweise die Kapitänsbinde. Klopp wollte Coutinho zeigen, was er in Liverpool für eine Rolle hat und noch bekommen kann. Doch das beeindruckte ihn offenbar nicht. "Ich bin jetzt überzeugt, dass wir nichts in unserer Macht Stehendes hätten tun können, um seine Meinung zu ändern", sagte Klopp nach dem Abschied resignativ.
Für die sportlichen Ziele des Klubs ist der Transfer ein verheerendes Zeichen. In wettbewerbsübergreifend 20 Saisonspielen erzielte Coutinho zwölf Tore und bereitete neun weitere vor. Coutinho war ein Schlüsselspieler, gleichzeitig Gestalter und Vollstrecker. Für Liverpool wird es schwierig, den offenen Platz adäquat nachzubesetzen. Gehandelte Kandidaten wie Riyad Mahrez von Leicester City und Thomas Lemar von der AS Monaco sind andere Spielertypen. Sie sind für das Spiel einer Mannschaft weniger prägend und weniger flexibel einsetzbar.
Sollte einer der beiden nach einem möglichen Wechsel in Liverpool aber trotzdem durchstarten, müsste der Klub wohl bald mit einem erneuten Abschied rechnen. "Coutinhos Wechsel zeigt, dass Liverpool nicht wie von Klopp gewünscht ein Ziel für die besten Spieler der Welt ist, sondern nur ein Sprungbrett", schrieb der Guardian.
Fernando Torres, Javier Mascherano, Xabi Alonso, Luis Suarez und jetzt eben Coutinho: Sobald sie für internationales Aufsehen gesorgt haben, drängen Liverpools beste Legionäre seit Jahren auf den Abschied. Dass der Klub diesen Wünschen ohne wirtschaftlichen Zwang stets nachgibt, ist einerseits nachvollziehbar, um schlechte Stimmung zu verhindern. Andererseits hält es Liverpool aber davon ab, sich als ernsthafter Titelkandidat der Premier League zu etablieren. Das hat sich auch unter Klopp nicht geändert. Sollte es beim Coutinho-Transfer also einen Verlierer geben, dann heißt er FC Liverpool.