"Angst, dass uns Draxler wegbricht"

Haruka Gruber
24. September 201307:20
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Nach Julian Draxler und Max Meyer wächst bei S04 das nächste Wunderkind heran: 44-Tore-Sensation Donis Avdijaj. Schalkes U-19-Erfolgscoach Norbert Elgert spricht vor dem Halbfinal-Hinspiel der Deutschen A-Jugend-Meisterschaften in Wolfsburg über seine besondere Art der Förderung, Entdeckung Mesut Özil und eigene Profi-Ambitionen.

SPOX: Mitte Mai wurden Sie von Mesut Özil persönlich nach Madrid eingeladen, um das spanische Pokalfinale zwischen Real und Atletico zu besuchen. Wie kam es dazu?

Norbert Elgert: Es war einfach eine tolle Geste von Mesut, seinem Vater Mustafa und der gesamten Özil-Familie. Obwohl schon so viele Jahre vergangen sind, erinnern sie sich noch an die Wurzeln und bescherten meiner Frau und mir zwei wundervolle Tage in Madrid. Die Özils bemühten sich sehr um uns. Es zeigt die sehr, sehr positiven Charaktereigenschaften der gesamten Familie.

SPOX: Sie haben Özil als 15-Jährigen entdeckt und ihn gefördert, bis er mit 19 Jahren nach Bremen ging. Erkennen Sie noch den kleinen Mesut im mittlerweile 24-jährigen Weltstar?

Elgert: Menschlich ist er wesentlich selbstbewusster geworden, sehr charismatisch und einnehmend. Zugleich ist er noch der höfliche Mesut von früher. Wie er sich in Madrid gibt, ist absolut beispielhaft. Ich konnte hautnah erleben, wie er mit den Fans umgeht und wie bescheiden er ist. Das macht mich genauso stolz wie seine fußballerische Entwicklung. Er arbeitet immens an sich, verbessert sich von Jahr zu Jahr und ist auf einem großartigen Weg, der noch lange nicht zu Ende ist. Da wird noch gewaltig etwas kommen. Er ist extrem weit und wird in absehbarer Zeit ein heißer Kandidat für den Weltfußballer-Preis. Er gehört jetzt schon in die Kategorie der Messis, Iniestas und Xavis.

SPOX: Özils Verkauf 2008 an Bremen wird noch immer als Beleg für die lange vernachlässigte Nachwuchsarbeit der Schalker angeführt. Zu Recht?

Elgert: Selbst mit dem großen zeitlichen Abstand steht mir ein Urteil nicht zu. Das einzige, was ich sehe, ohne Schalke oder die damaligen Verantwortlichen kritisieren zu wollen: Mesut und Mustafa machten alles richtig. Alleine, dass Mesut jetzt bei Real Madrid spielt, zeigt, dass die Familie sehr große Weitsicht besaß.

SPOX: Sie mussten sich in den letzten Jahren von Özil und anderen Toptalenten verabschieden, sei es zu den Schalker Profis oder zu einem anderen Verein. Können Sie gut loslassen?

Elgert: Das ist das Schicksal eines Ausbilders. Es fällt einem immer schwer, loszulassen. Es ist wie mit eigenen Kindern. Als guter Vater muss man Kinder darauf vorbereiten, dass sie so schnell wie möglich alleine zurechtkommen. Das versuche ich vorzuleben: Ich lasse komplett los, aber die Jungs wissen, dass ich immer für sie da bin. Umso mehr freut es mich, wenn von Zeit zu Zeit einige, die es in den Profi-Bereich geschafft haben, das Angebot in Anspruch nehmen. So wie Mesut jetzt. Das soll nicht heißen, dass ich die Jungs, die es nicht ganz schafften, weniger wertschätze. Im Gegenteil: Ich bin genauso stolz, wenn einer von ihnen zu einem anständigen Kerl wird, einen tollen Job findet, eine Familie gründet und ein guter Vater ist. Am Ende sind nur diese Werte von Belang.

SPOX: Wie würden Sie Ihren Beruf beschreiben?

Elgert: Ich bin Ausbilder, Lehrer, Pädagoge, Psychologe, Förderer, Coach, Partner, Wertevermittler. Und Gärtner. Ich sehe mich als Gärtner, der die Pflanzen trimmt, pflegt und ihnen zum Wachstum verhilft.

SPOX: Was ist mit dem ewigen Widerspruch im Jugendfußball? Nachhaltigkeit und Wachstum mag gut klingen - doch in der Eliteförderung zählen die Ergebnisse.

Elgert: Ich verfahre nach dem Motto: Ohne Spaß kein Erfolg, andererseits ohne Erfolg kein Spaß. Alle Fußballer fingen mit der Sportart an, weil das Spiel so unglaublich viel Freude bringt. Das Teamerlebnis, gemeinsam der Kugel hinterherzulaufen, ist einzigartig. Deswegen erinnere ich die Jungs daran, dass sie dieses Gefühl niemals, wirklich niemals verlieren dürfen. Je höher das Niveau wird, desto größer wird der Druck. Nur: Selbst in einem Champions-League-Finale wird man keine gute Leistung erbringen können, wenn man keinen Spaß empfindet an dem wunderbaren Spiel. Wenn ein Junge keinen Spaß verspürt, sollte er sofort aufhören. Es ist alles verloren, wenn man den Fußball nur betreibt, um Geld zu verdienen, Anerkennung zu bekommen oder in der Öffentlichkeit zu stehen.

SPOX: Was ist mit dem harten Wettbewerb? Dem Druck? Wo liegt die goldene Mitte zwischen Spaß und Erwartung?

Elgert: Wir agieren im Hochleistungssport und das Empfinden von Druck ist individuell verschieden. Der durchschnittliche vom guten Fußballer, der gute vom sehr guten Fußballer und der sehr gute vom außergewöhnlichen Fußballer unterscheiden sich in einer entscheidenden Frage: Wie stressresistent ist man mental? Das sind Dinge, die genetisch oder soziologisch angelegt sind. Allerdings ist es etwas, das wir in der Ausbildung noch mehr unterstützen können. Man muss stressresistent sein und gleichzeitig darf man den Spaß nicht verlieren. Ob es dabei eine goldene Mitte gibt? Nein, und wenn, will ich das Patentrezept nicht hören. Wer glaubt, alles zu wissen, ist schon auf der Verliererstraße. Ich sehe mich als Ewiglernenden.

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SPOX: Sie fingen vor 17 Jahren als Schalker U-19-Trainer an und bekleiden das Amt von einer kurzen Phase abgesehen, als Sie bei den Profis assistierten, durchgängig. Aber: Würde 2013 der Norbert Elgert von 1996 funktionieren?

Elgert: Der Norbert Elgert von 1996 hätte heute wohl noch eine Existenzberechtigung. (lacht) Wobei es schlimm wäre, wenn ich mich seitdem nicht in allen Bereichen weiterentwickelt hätte, fachlich wie menschlich.

SPOX: Können Sie es konkretisieren?

Elgert: Ich bin gelassener und nehme eine andere Perspektive ein, vor allem in Bezug auf die Wichtigkeit des Fußballs in unserem Universum. Ohne zu spirituell werden zu wollen: Alles ist vergänglich und diese Sichtweise beruhigt einen. Es heißt nicht, dass ich plötzlich kein leidenschaftlicher Wettkämpfer mehr wäre oder den Job nicht ernst nehmen würde. Dennoch bewegt es sich auf einem ganz anderen Niveau. Ich sehe es nicht mehr ganz so verbissen wie früher. Das tut meiner Arbeit als Trainer gut, glaube ich.

SPOX: Sie gehören seit Jahren zu den führenden Jugendtrainern des Landes. Aber erst mit dem Wechsel an der sportlichen Führung von Felix Magath zu Horst Heldt 2010 scheint die Nachwuchs-Abteilung eine Aufwertung zu erfahren.

Elgert: Ich kann hundertprozentig bejahen, dass Horst Heldt die Ankündigung, dass ihm die Nachwuchsarbeit wichtig ist, mit Leben ausfüllt. Ich will nicht sagen, dass es eine Aufwertung ist, weil unserer Abteilung schon immer eine relativ große Rolle zukam. Was vergessen wird: Wir haben nicht nur jetzt, sondern in der Vergangenheit viele Spieler in die Bundesliga gebracht: Christian Pander, Mike Hanke, Sergio Pinto, Tamas Hajnal, Christian Wetklo, Christofer Heimeroth, nur um einige zu nennen. Aber klar ist auch: Wir spüren heute eine sehr starke Unterstützung von Horst Heldt.

Hier geht's weiter: Elgert über die nächsten Draxlers und den Wettstreit mit Dortmund

SPOX: Wie liegt Schalkes Nachwuchs im bundesweiten Vergleich? Ihre A-Jugend wurde letztes Jahr Deutscher Meister und steht in dieser Saison erneut im Halbfinale. Die B-Jugend erreichte zuletzt ebenfalls das Halbfinale und scheiterte nur knapp an Hertha BSC.

Elgert: Wir waren schon immer gut und sind aktuell sehr gut. Jedoch heißt das vor allem im Jugendfußball gar nichts. Die Vergangenheit zeigt, dass man besonders dann aufpassen muss, wenn man oben steht. Die Konkurrenz wird als Reaktion auf unsere Erfolge noch mehr forcieren und investieren. Andere Vereine scouten und sehen, wo es gute Fußballer gibt. Daher sind unsere Erfolge Chance und Gefahr zugleich. Wir müssen am Ball bleiben!

SPOX: Mit Tammo Harder, dem in 24 Spielen 20 Treffer und 10 Assists gelangen, wechselt Ihr bester Torjäger ausgerechnet zum Erzrivalen Dortmund. Ärgert es Sie? Oder ist es Teil des Geschäfts?

Elgert: Sie haben recht: Nachwuchsfußball ist ein Geschäft. Oder es wird immer mehr zu einem Geschäft. Für mich stehen die Liebe zum Fußball und das Menschliche im Vordergrund. Damit befasse ich mich lieber. Wenn ich die Realitäten verändern könnte, würde ich es machen, das ist nur nicht möglich. Daher versuche ich es nüchtern zu sehen. Wir wollten Tammo länger an uns binden. Wenn der Spieler sich anderweitig orientiert, können wir ihm nur vom Herzen alles Gute wünschen. Alles andere unterstütze ich nicht. Selbst Dortmund ist für mich eine positive Rivalität, in der Dinge wie Hass und Wut keinen Platz haben sollten, egal welche Spieler abgeworben werden oder nicht.

SPOX: Dortmund buhlte ebenfalls intensiv um Julian Draxler, als dieser in Ihrer A-Jugend spielte.

Elgert: Ich hatte damals keinerlei Bedenken. Julian wurde zwar schon damals gehypt, trotzdem konnte er damit umgehen, weil er bodenständig ist. Ich konnte und kann mir nicht vorstellen, dass er je zum Rivalen wechselt. Geschweige denn, dass er in näherer Zukunft wechselt. Ich glaube, dass er auf Schalke seine Ziele erreichen kann und ihm die nächsten paar Jahre hier sehr gut tun werden. Schalke ist ein Top-Klub, der sich sehr oft in der Champions League bewegt. Warum sollte er nicht lange bleiben?

SPOX: Was auffällt bei Schalke: Nach Draxler verfügt der Verein mit Max Meyer und Donis Avdijaj die nächsten beiden Supertalente für das offensive Mittelfeld und Sturm. Allerdings sind Meyer und Avdijaj mit ihrer kleinen Statur Spielertypen, die früher wegen der körperlichen Voraussetzungen wohl nicht gefördert worden wären. Was steckt dahinter?

Elgert: Das ist kein Schalke-spezifisches Phänomen, sondern ist in einem größeren Kontext einzuordnen. Bis vor einigen Jahren wurde in Deutschland kein Spieler unterstützt, der zwar fußballerisch herausragend war, dafür aber eine Zierlichkeit mitbrachte und nicht mithalten konnte. Ich habe es früher schon nicht verstanden, warum solche Spieler durchs Raster fallen. Das kommt heute Gott sei Dank nicht mehr so oft vor. Es gibt ein neues Bewusstsein und es wird mehr Wert auf Spielintelligenz, taktisches Verständnis und Antizipationsschnelligkeit gelegt. Es ist viel wichtiger geworden, dass man schlau ist.

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SPOX: Können Sie etwas über den bislang eher unbekannten Avdijaj erzählen? Der 16-Jährige verzeichnet in 25 B-Jugend-Bundesliga-Spielen unglaubliche 44 Tore und 14 Assists.

Elgert: So leid es mir tut: nein. Ich mache das Spielchen nicht mit und spreche nicht über einzelne Namen, weil gleichzeitig die anderen Spieler immer zu kurz kommen würden. Ich möchte den Hype nicht noch fördern. Ich bin überzeugt, dass ein Hype in jungen Jahren entwicklungshemmend ist, weil sich die Spieler weiter sehen, als sie sind. Um es klarzustellen: Ich spreche nicht über Max oder Donis, sondern ganz allgemein. Es ist immer besser, Schritt für Schritt zu gehen und sich die nötige Zeit in der A-Jugend zu geben. Wenn ein Ausnahmespieler dabei ist, ergibt sich ohnehin alles von allein.

SPOX: Sie hatten Ende 2010 nur grummelnd akzeptiert, dass Draxler vom damaligen Cheftrainer Felix Magath sehr schnell zu den Profis hochgezogen wurde. Woher kam die Skepsis?

Elgert: Mesut, Manuel Neuer und Benedikt Höwedes spielten die beiden A-Jugend-Jahre komplett durch und wurden zu internationalen Top-Fußballern. Ich behalte die Nachwuchsspieler lieber etwas länger bei mir und gebe ihnen Zeit, bevor etwas überstürzt wird. Es geht mir häufig alles zu schnell. Was die meisten unterschätzen: Bei den Profis zählt auch im Training nur das Gewinnen. Daher sage ich, dass es gut ist, wenn ein Fußballer lange bei mir bleibt. Deswegen hatte ich bei Jule Bedenken, als er zu Felix Magath sollte. Trotz aller Wertschätzung weiß man, dass das Training unter ihm extrem körperlich orientiert ist. Daher hatte ich Angst, dass uns Jule wegbricht. Umso schöner ist es zu sehen, dass es geklappt hat. Jule sagte damals, dass das Zirkeltraining unter Felix Magath nicht härter sei als unter mir. (lacht)

SPOX: Ein weiterer Ex-Spieler von Ihnen könnte nächste Saison eine wichtige Rolle zukommen: Philipp Hofmann kehrt nach der Leihe aus Paderborn zurück und bewirbt sich als erster Backup für Klaas-Jan Huntelaar. Es wäre die Fortsetzung einer erstaunlichen Karriere. Hofmann spielte noch in der C-Jugend in der sauerländischen Provinz und wurde sehr spät gefördert.

Elgert: An Philipp sieht man exemplarisch, dass jeder Karriereplan individuell ist. Und dass es egal ist, ob man mit 17, 18 oder 20 den ersten Profivertrag unterzeichnet. Es gibt eben Frühentwickler und Spätentwickler - und man muss situativ entscheiden, was das Beste ist. Die Ausleihe nach Paderborn erwies sich für Philipp als die richtige Entscheidung.

SPOX: Bringt er die Güte für den Spitzenfußball mit? An ihm werden der Antritt und die fehlende Beidfüßigkeit kritisiert.

Elgert: Philipp ist nun mal ein Spätstarter, der lange nicht einmal Elf-gegen-Elf gespielt hat. Daher gibt es einiges nachzuholen, vor allem bei der Häufigkeit der Ballkontakte. Deswegen ist sein linker Fuß ausgesprochen stark, dafür liegt am rechten Fuß einiges brach. Aber er ist mit 20 Jahren immer noch super jung und wird sich verbessern. Es kommt noch einiges bei ihm. Dennoch müssen wir erst einmal abwarten, wie er sich im Sommer-Trainingslager einfindet und wie er den Sprung aus der 2. Liga zu einer möglichen Champions-League-Mannschaft verkraftet. Möglich ist es.

SPOX: Zur kommenden Saison werden Hofmann und Ihr Kapitän Kaan Ayhan Teil des Bundesliga-Teams. Es werden die Elgert-Spieler Nummer acht und Nummer neun im aktuellen Kader. Wann versuchen Sie es selbst in der Bundesliga? Vor Ihnen glückten mit Mainz' Thomas Tuchel, Freiburgs Christian Streich und Leverkusens Sascha Lewandowski bereits drei A-Jugend-Trainern in kurzer Zeit der nahtlose Übergang.

Elgert: Wenn ich das gewollt hätte, wäre das schon längst passiert.

SPOX: Sie hatten Anfragen?

Elgert: Bei aller Bescheidenheit: Ich gehöre in jeder Hinsicht zur gleichen Klasse wie Tuchel, Streich und Lewandowski. Ich fühle mich in der Ausbildung sehr wohl und hatte nie das große Ziel "Bundesliga" vor Augen. Gleichzeitig muss ich deutlich sagen, dass die Wertschätzung für uns Jugendtrainer immer noch deutlich zu gering ist. Es gibt in Deutschland noch zahlreiche Trainertalente oder etwas ältere Trainer, die die Qualitäten für die Bundesliga mitbringen und unter dem Radar fliegen.

SPOX: Es klingt durch, dass Sie mittlerweile mehr Lust auf die Bundesliga haben.

Elgert: Ich habe den Vertrag als A-Jugend-Trainer erst kürzlich bis 2015 verlängert. Danach ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass ich etwas anderes mache. Und dann ist vieles möglich. Dazu gehört das eine oder andere Jahr Profifußball. Wobei es nicht so ist, dass mein Seelenheil davon abhängt, ob ich das schaffe oder nicht. Mir geht es vor allem um die generell fehlende Wertschätzung für die Jugendtrainer. Umso schöner ist es, wenn ich diese Wertschätzung von ehemaligen Spielern wie Mesut und seinem Vater spüre.

Norbert Elgert im Steckbrief