Wir sind Helden

Von Christoph Köchy
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Länderspiel. WM-Qualifikation. Ich spiele.

Als der Morgen anbricht, hat er kaum Schlaf gefunden. Doch das Adrenalin hilft. Bei der Mannschaftsbesprechung folgt die nächste positive Überraschung. Trainer Stärk setzt auf seine vier "deutschen" Spieler, sie sollen die Mannschaft führen. Harez kann es erneut kaum glauben. Er schaut auf sein Trikot mit der Nummer 11 und versucht, zu begreifen. Länderspiel. WM-Qualifikation. Und ich spiele von Anfang an.

Die Nationalhymne erklingt, ein Schwebezustand zwischen Traum und Wirklichkeit. Millionen Menschen aus 43 Ländern sitzen vor dem Fernseher, darunter auch Harez' Vater, der beruflich in Usbekistan unterwegs ist.

Harez agiert zentral hinter den Spitzen und kommt gut ins Spiel. In der 15. Minute spielt er einen Pass in die Gasse, sein Mitspieler Obaidullas Karimi kann den Ball kontrollieren und erzielt das 1:0.

Kurz ist das Fußballwunder greifbar, doch im Gegenzug können die starken Syrer ausgleichen. Die Afghanen kämpfen beherzt, treffen den Pfosten und müssen doch in der 63. Minute zusehen, wie Syrien in Führung geht. Mit 1:2 endet das Spiel, dennoch ist es eine Sensation. Der Treffer zum 1:0 war das erste Tor für Afghanistan in einem offiziellen Wettbewerb.

Mit Fußball Geld verdienen...?

"Das allein hat uns zu Helden gemacht", erzählt Harez und fügt lächelnd hinzu, er habe von Ruhm und Ehre wenig mitbekommen, denn dem offiziellen Empfang in Kabul, wo die Mannschaft begeistert empfangen wird, kann er nicht beiwohnen. Er fliegt zurück nach Deutschland, wo seine Mutter ihn mit Tränen in den Augen empfängt. Das Telefon steht nicht still, alle rufen sie an. Seine Verwandten aus Afghanistan, sein Onkel aus Toronto. Alle haben verfolgt, wie er quasi über Nacht zum Nationalspieler wurde.

Der Verband ehrt ihn, der Bürgermeister von Lohfelden, der Verein sowieso. Dennoch gibt es auch negative Reaktionen, im nächsten Spiel wird er gefoult und fordert Freistoß, woraufhin ihm sein Gegenspieler erklärt, er solle sich nicht so anstellen, er sei jetzt Nationalspieler.

Harez weiß, dass er sich jetzt jede Woche beweisen muss, doch das würde er auch ohne übermotivierte Gegner in Angriff nehmen. Die Länderspielreise hat ihm einen Motivationsschub verpasst, er liebäugelt schon ein wenig mit dem Profifußball.

"Manchmal werden Träume wahr"

Der eine oder andere Berater hat schon angerufen, doch die Saison wird er bei Lohfelden erst einmal beenden. Er weiß, dass die Schulterklopfer von heute die ersten Kritiker von morgen sind. Im Sommer wird er sich dann neu orientieren und sollte ein Angebot eines höherklassigen Vereins dabei sein, wird er sein Studium vielleicht ruhen lassen und noch einmal richtig angreifen.

Der Chance, jetzt nicht mehr für Deutschland spielen zu dürfen, trauert er nicht nach und erklärt grinsend: "Der Jogi wird gerade so auf mich verzichten können."

Abgesehen vom Sportlichen war es aber auch eine Herzensangelegenheit, für Afghanistan zu spielen, das er als sein Land bezeichnet.

Ich blicke auf meine Tasse Kaffee. Sie ist leer. Ich lasse die Geschichte noch einmal auf mich wirken. "Ein Traum", sage ich leise. Harez nickt langsam und sagt: "Ja, und manchmal werden Träume wahr."

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