"Es ist kompliziert", sagt Akhil Vyas vom Supporters Trust, der Fanvereinigung des FC Arsenal, im Gespräch mit SPOX. Eine wunderbare Floskel ist das, die sogar große Karriere gemacht hat als Facebook-Beziehungsstatus. Ist es kompliziert, geht es dem Facebook-User um die große Liebe, die hinterfragt wird und vielleicht sogar schon vor dem Aus steht. So weit geht es bei Vyas nicht, ein Liebesaus zwischen ihm und dem FC Arsenal steht nicht bevor. Kompliziert ist es trotzdem.
Vyas und seine Gunners erleben die Zerreißprobe, der jeder globale Verein dieser Welt ausgesetzt ist. Speziell die englischen Klubs, die im Zweifel immer noch einen Tick globalisierter, kommerzieller und von fragwürdigeren Besitzern kontrolliert sind als andere. Den TV-Milliarden sei Dank. Es wird gebuhlt um Fans in China oder den USA oder wo auch immer. Die eigene Basis in der Heimat wird dabei gerne vergessen.
Bei Manchester United führte diese Zerreißprobe vor einigen Jahren gar zum tatsächlichen Riss. Einige Fans spalteten sich ab, gründeten ihren eigenen Verein, den FC United of Manchester, und legten in den Niederungen des Ligensystems los.
"Es ist schwierig, seinem Klub den Rücken zu kehren", sagt Vyas, "ich könnte das nicht." Statt einen neuen Klub zu gründen, engagiert er sich beim Supporters Trust, dem Sprachrohr zwischen Fans und Verein. Er will die aktuelle Situation verbessern und keine neue schaffen.
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Das Emirates und die Mailänder Scala
Sechs bis acht Stunden opfert Vyas pro Woche für den Supporters Trust, manchmal auch mal ein paar mehr. Ehrenamtlich, versteht sich. Gemeinsam mit sechs Kollegen arbeitet er für sich und seine Prinzipien, aber auch für etwa 2.000 Mitglieder, die einen monatlichen Beitrag von zwei Pfund zahlen. Er selbst zahlt die zwei Pfund natürlich auch, Ehrensache.
Zwei Pfund? Für Arsenal-Fans eh schon egal, könnte man durchaus einwenden. Geht es um die Höhe der Eintrittspreise, ist das Emirates Stadium die Mailänder Scala der Fußballarenen: Wohl das teuerste, was unser Planet zu bieten hat. Knapp 1.500 Euro gilt es für eine Jahreskarte zu entrichten, wenn man sich in den hinteren Reihen wohlfühlt. "Für bessere Plätze kann man aber auch beträchtlich mehr zahlen", sagt Vyas.
Mit Zahlen und Preisen haben Vyas und seine Kollegen in ihrer alltäglichen Arbeit viel zu tun. Ein bezahlbares Stadionerlebnis für alle Fans soll es geben, doch davon ist derzeit nur zu träumen. Viele Fans können es sich einfach nicht mehr leisten, ins Stadion zu gehen. In England gibt es für dieses Phänomen sogar einen eigenen Begriff. "Priced-out-fans", sagt Vyas. Fans, die durch zu hohe Eintrittspreise verdrängt wurden, ist die passende, aber sperrige Übersetzung.
Tony Adams und das Schloss Neuschwanstein
Auch um die Interessen dieser "Priced-out-Fans" kümmert sich Vyas und vertritt sie gegenüber dem Verein, mit dem der Supporters Trust in regem Austausch steht. "Wir können ihnen eine Mail schicken und sie antworten", sagt Vyas.
Zuletzt wurden wohl einige Mails mit dem Betreff "Awayticket-Pricing" verschickt. In den vergangenen Monaten engagierten sich die Supporters Trusts der Premier-League-Vereine besonders intensiv dafür, die Preise für Auswärtstickets zu senken. Mit Erfolg. Im vergangenen Jahr mussten Arsenal-Fans beim Spiel an Chelseas Stamford Bridge beispielsweise 59 Pfund zahlen, in dieser Saison dagegen nur 26. Vyas nennt es stolz "eine Erfolgsgeschichte" und "einen Sieg für uns". Es sind solche Erfolge, die ihn weitermachen lassen - und letztlich auch seine eigene Geldbörse entlasten, "denn ich verpasse nicht viele Auswärtsspiele".
Als nächstes stehen die Tickets für die Heimspiele auf seiner Agenda, ein bedeutend schwierigeres Thema. Bei Heimspielen im Emirates ist die Zerreißprobe, der sich der Verein ausgesetzt fühlt, spürbarer als irgendwo sonst.
Denn dort treffen alle zwei Wochen die Extreme aufeinander. Der Arsenal-Fan, der schon ins Highbury ging, als Tony Adams - sofern er nicht gerade durch einen Pub-Besuch verhindert war - seine Gegenspieler umgrätschte. Und der Arsenal-Fan, der sich neulich ein Özil-Trikot nach Shanghai schicken ließ ... und gleich noch eine Gunners-gebrandete Hundeleine dazu, damit sich die Bestellung auch lohnt. So sitzt der Urlondoner neben dem Urlauber, der bei seiner Europa-Tour neben dem Eiffelturm und dem Schloss Neuschwanstein eben auch einmal das Emirates Stadium besuchen will.
Sänger und Touristen
Vyas ist Realist. Er weiß, dass sein Verein zum Überleben auf höchstem Niveau auch die zweite Kategorie von Fans braucht. "Der Fußball ändert sich", sagt er und sagt das nicht einmal wehmütig oder traurig sondern rational und nüchtern: "Ein Klub braucht Fans auf der ganzen Welt, denn so macht er Geld, kann gute Spieler kaufen, mehr Spiele gewinnen und letztlich auch mehr Pokale."
Wer mithalten will, muss Opfer bringen. Eines ist oftmals die Stimmung im Stadion. Hohe Ticketpreise und ein fehlender Stimmungskern wegen fehlender Fanblöcke ist das Eine, der florierende Fußball-Tourismus das Andere. "Wenn 10.000 Touristen im Stadion sind, betrifft das natürlich die Atmosphäre", sagt Vyas und überlegt, man könne doch eine "Tourist Section" kreieren.
Genauso plädiert er für eine "Singing Section" Einen Bereich, in dem motivierte, aktive Fans zusammen sind, im Idealfall auf bisher untersagten Stehplätzen. Das würde die Atmosphäre auf einen Schlag deutlich besser machen, glaubt Vyas, aber das wäre gleichzeitig auch ein "logistischer Albtraum" für den Verein. Tausenden Jahreskartenbesitzern müssten neue Plätze zugewiesen werden.
Laute Musik und Lightshows
Die Wiedereinführung von Stehplätzen ist der Traum etlicher englischer Fußball-Fans. "Wenn man steht, fiebert man mehr mit", sagt auch Vyas, "und die Tickets wären dann auch billiger." Aber bis es irgendwann tatsächlich soweit kommt, sorgen kleinere Maßnahmen für Abhilfe. Oftmals auch auf Vorschlag des Supporters Trust.
Lautere Musik etwa vor dem Spiel sowie in der Pause und Lightshows bei Abendspielen gäbe es mittlerweile, wie Vyas mit Wohlwollen erzählt. Inwieweit das bei deutschsprachigen Fans für Begeisterungsstürme sorgen würde, sei dahingestellt.
Musik-Lautstärke im Emirates hin, Lightshows her: Wirkliche Begeisterungsstürme lösen bei Vyas ohnehin nur die Atmosphären in deutschen Stadien aus. In Dortmund war er schon einige Male und das sei "cracking", knisternd gewesen. So eine Atmosphäre hätte er naturgemäß auch gerne im Emirates, weil das einerseits ein Erfolg für seine Arbeit wäre, aber vor allem, weil das sein Team pushen würde.
Denn vor allem anderen ist Akhil Vyas eines: Arsenal-Fan.
Ob das hinsichtlich der globalisierten Fußball-Welt schwieriger sei als früher? Vyas überlegt: "Es ist anders."
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