"Shaqiri ist unser Messi"

Haruka Gruber
16. Juni 201417:18
Ludovic Magnin stand für die Schweiz 57 Mal auf dem Platzgetty
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Mehr als nur ein Schweizer Spaßvogel: Ludovic Magin lehrte als "Papa Jumbo" Sami Khedira das Blödeln und ging auf Konfrontationskurs mit Jens Lehmann. Der ehemalige Bundesliga-Profi von Stuttgart und Bremen über sich, seine besten Streiche und die Aussichten der Schweiz bei der WM.

SPOX: Herr Magnin, obwohl Sie bereits vor viereinhalb Jahren in die Schweiz zurückgekehrt sind, erinnern Sie noch viele Bundesliga-Fans sehr lebhaft an Sie. Können Sie sich das erklären?

Ludovic Magnin: Es stimmt, mich überrascht es immer wieder. Ich bin häufig in Deutschland zu Besuch und mich sprechen viele Leute an. Für mich spiegelt das eine große Wertschätzung wider für die Art und Weise, wie ich Fußball gespielt habe: immer alles geben, immer mit vollem Einsatz. Und offenbar blieb es in Erinnerung, dass ich auch außerhalb des Fußballs alles geben wollte: viel lachen, viel Spaß haben. Es ist schön zu wissen, dass es wertgeschätzt wird, weil man sich selbst war. Gleichzeitig bin ich Realist: In zwei, drei Jahren wird sich das legen und ich werde vergessen.

SPOX: Schade?

Magnin: Nein, absolut nicht. Ich wollte nie ein Spieler sein, der die Öffentlichkeit nur wegen der Aufmerksamkeit willen sucht. Daher genieße ich mein jetziges Leben und die Ruhe in vollen Zügen. Ich widme mich voll meiner Familie und kann ganz normale Sachen erledigen, ohne beobachtet zu werden. Das Leben als aktiver Fußballer war großartig. Jetzt bin ich zu alt für den Fußball - aber jung für das Leben. Ich genieße es sehr.

SPOX: Sie sind weiter dem Fußball verbunden als U-14-Trainer des FC Zürich. Welche Ambitionen verfolgen Sie?

Magnin: Wegen der Diplompflicht in der Schweiz kann man ohnehin nicht sofort ganz oben einsteigen, sondern muss als Trainer Schritt für Schritt gehen. Die ersten vier Abschlüsse habe ich, jetzt fehlen noch die letzten zwei. Ich schätze, dass ich noch zwei bis drei Jahre dafür brauche. In der Schweiz läuft alles langsam, dass wisst Ihr Deutschen ja. (lacht) Für mich ist das genau richtig: Ich lerne täglich als Trainer dazu und darf Fehler begehen, ohne dass die Presse auf mich einhaut. Dazu betreue ich die U 21 und U 18 im Verteidigungsbereich, so dass ich in der Woche acht-, neunmal auf dem Platz stehe. Was gibt es schöneres? Und ich helfe dabei, gute Spieler auszubilden, damit sie in ein paar Jahren von Stuttgart oder Bremen für viel Geld gekauft werden. (lacht) Irgendwann glaube ich schon, dass ich als Trainer im Profibereich lande, aber das hat Zeit.

SPOX: Sie sind studierter Grundschullehrer. Das kam für Sie nicht in Frage? SPOX

Magnin: Im Studium lernt man das Miteinander mit Kindern und wie man psychologisch mit ihnen umgeht. Davon profitiere ich bei der Arbeit als Fußball-Trainer. Allerdings kam ein Wechsel zu einer Grundschule nicht in Frage. Seit dem Studium hat sich zu viel für verändert: Heutzutage ist man kein Lehrer mehr, der edukativ Wissen vermittelt, sondern Erzieher, der sich um alles kümmern muss, weil Eltern ihre Kinder vernachlässigen. Dieser Druck ist unglaublich und ich weiß nicht, ob ich dem Anspruch gewachsen wäre. Zumal mein Studium 15 Jahre her ist und ich durch den Fußball ohnehin so verblödet wurde, dass ich bestimmt alles vergessen habe. (lacht)

SPOX: Ihr Spitzname in Stuttgart lautete "Papa Jumbo". Wobei das kein Ausdruck Ihrer Reife, sondern eher das Gegenteil der Fall war, oder?

Magnin: Das fing alles in Bremen an: Ich weiß nicht, wie es dazukam, aber Ivan Klasnic hieß immer "Papa Whamba". Und irgendwann taufte er mich in "Papa Jumbo", weil es jedes Mal mit uns beiden zu tun hatte, wenn Theater in der Kabine war. Als ich nach Stuttgart ging, nahm ich die Spitznamen einfach mit, übernahm von Ivan den "Papa Jumbo" und ich suchte mir den neuen "Papa Whamba".

SPOX: Es wurde der damals blugjunge Sami Khedira.

Magnin: Ich war immer schuld an allem, was in der Kabine vorfiel - obwohl das nicht stimmte, ich habe nie etwas gemacht. Der Gomez hatte immer nur Blödsinn im Kopf, der Khedira sowieso. Ich wurde nur immer in die Geschichten reingezogen, obwohl Mario und Papa Whamba die Schuldigen waren und ich nie etwas damit zu tun hatte. Naja, fast nie.

SPOX: Es wird sich erzählt, dass die lustigsten Streiche der Bundesliga-Neuzeit auf Sie zurückzuführen sind. Unter anderem haben Sie den Audi R8 des damaligen Stuttgarter Torwarts Raphael Schäfer im Internet zum Verkauf eingestellt, was weitreichende Folgen hatte.

Magnin: Die Idee kam nicht von mir, daher darf ich mich damit leider nicht schmücken. Es war eine Truppe, die das zusammen ausgeheckt hat. An dem Tag waren wir für ein Freundschaftsspiel unterwegs und weil wir nichts zu tun hatten bei der Fahrt, sind wir online gegangen. Gleich danach bekam Raphael unzählige Anrufe aus Osteuropa mit dubiosen Anrufen. Es waren so viele Anrufe, dass wir vor Lachen fast in die Trainingshose gepinkelt haben. Wir haben noch Tage später Tränen gelacht.

SPOX: Welche Streiche gab es sonst?

Magnin: Es gibt so viele Geschichten, die ich leider nicht erzählen darf. SPOX lesen ja auch junge Menschen, und die wären danach verdorben. Da kommt doch noch der Pädagoge in mir durch. (lacht) Okay, einen harmlosen Streich kann ich erzählen. Formulieren wir es so: Ich fand es sehr lustig, als Mario Gomez einmal über den gesamten Dortmunder Bahnhof laufen musste - nur mit einem Schuh. Er musste den anderen Schuh irgendwo verloren haben, er war auf jeden Fall nicht mehr auffindbar. Unser Trainer Armin Veh kam sogar persönlich zu mir und forderte mich auf, den Schuh zurückzugeben. Ich weiß immer noch nicht, wie er auf mich kam. Mario ist aber auch vergesslich...

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SPOX: Neben Gomez hatten Sie eine besonders enge Beziehung zu Khedira. Wie kam es?

Magnin: Sie waren meine Lehrlinge. Ich verkörperte früher ja ein Niveau, das noch höher war als die Champions League - aber leider nur im Blödsinnmachen. So schnell mich Mario und Sami fußballerisch komplett überholt haben, beim Sprüchereißen hatten sie keine Chance und mussten bei mir in die Ausbildung. Im Ernst: Selten sah ich so viel Qualität bei einem jungen Spieler wie Sami. Daher war ich immer überzeugt. Als Mario damals nach München wechselte, war Sami wirklich traurig. Ich sagte zu ihm: "Mach' dir keine Sorgen, du gehst in ein paar Jahren eh zu Real Madrid!" Dass es wirklich so kommt, konnte ich nicht ahnen, aber es sollte zeigen, wie viel ich von ihm halte. Wir sind immer noch befreundet. Sami ist ein super Kerl, der immer auf dem Boden bleibt, obwohl er eine so großartige Karriere hinlegt. Und ich bin mir sicher: Sein Weg ist noch lange nicht am Ende.

SPOX: Was man bei Ihnen bei allem Spaß nicht vergessen sollte: Sie waren nicht nur einer der amüsantesten, aber auch charakterstärksten Spieler der Bundesliga. Sie wagten in Stuttgart als Einziger, offen Jens Lehmann wegen seiner Sonder-Privilegien zu kritisieren.

Magnin: In der Mannschaft wurde über alles hoch und runter diskutiert. Natürlich auch über die Geschichte von Jens, dass er mit dem Helikopter zum Training kommen dufte und extra freie Tage bekam. Das Problem ist nur, dass viele Spieler Feiglinge sind ohne Cojones und sich nur trauen, hinter dem Rücken der betreffenden Person Dinge anzusprechen. Ich war immer anders und ich hatte das Gefühl, dass ich durch die Erfahrung und das Standing im Team die Verantwortung habe, ihm das ins Gesicht zu sagen. Dass seine Extra-Würste nicht gehen und dass es alle anderen sehr stört. Ich stand zu meiner Kritik, daher sagte ich das auch öffentlich. Als Dank dafür widmete mir Jens ein paar schöne Zeilen in seinem Buch. Weil darin sonst nur große Spieler auftauchen, nehme ich meine Erwähnung als Kompliment - auch wenn seine Aussagen über mich vielleicht negativ gemeint waren. (lacht)

SPOX: Was gleichfalls typisch für Sie war: Sie verzichteten auf ein Platzhirsch-Gehabe und lobten sogar Ihre direkten Konkurrenten wie Wolfsburgs Ricardo Rodriguez, Ihren Nachfolger als Schweizer Linksverteidiger. SPOX

Magnin: Ich beharre immer noch darauf: Seit ich nicht mehr da bin, hat die Schweiz ein eklatantes Problem auf der linken Seite. Nein, das dürfte selbst für meine Verhältnisse ein schlechter Witz gewesen sein: Ricki war erst 18 Jahre jung, als er mich leistungsmäßig in die Tasche gesteckt hat. Das kam nicht von ungefähr. Er besitzt alles, was einen Weltklassemann auszeichnet. Meine einzige Sorge für die Nationalmannschaft: Er ist so gut, dass wir richtige Probleme bekommen, wenn er ausfällt.

SPOX: Wie stark ist die Schweizer Nationalmannschaft?

Magnin: Das Team ist stärker als unsere Mannschaft bei der WM 2006 in Deutschland, wo wir immerhin ins Achtelfinale kamen und unglücklich ausschieden, obwohl wir kein Gegnetor kassiert hatten. Wir verfügen über außerirdische Spieler wie Xherdan Shaqiri, der unser Messi ist. Aber ich weiß nur zur gut, wie entscheidend Zufälle bei einer WM sind: Die Schiedsrichter, die wie immer bei einer WM schlecht pfeifen. Ein Tor, das drin ist, aber nicht gegeben wird. Wenn jedoch alles normal läuft, glaube ich sogar daran, dass wir den Rekord knacken und nach 60 Jahren endlich wieder das WM-Viertelfinale erreichen.

SPOX: Was ist mit dem notorisch schwachen Sturm? SPOX

Magnin: Fakt ist, dass unsere Stürmer in der Nati zu selten treffen. Bei Eren Derdiyok finde ich es schade: Wenn er die Schraube im Kopf richtig drehen würde, könnte er seine außergewöhnlichen Fähigkeiten zeigen. Doch wir sollten nicht zu negativ sein: Josip Drmic ist ein hervorragender Stürmer, Admir Mehmedi hat in der Bundesliga ebenfalls einen guten Job erledigt. Sie sind noch jung, aber da kommt etwas nach.

SPOX: Vorzeigbar ist vor allem das zentrale Mittelfeld der Schweiz. Verstehen Sie, dass es selbst ein Pirmin Schwegler nicht in den Kader schaffte?

Magnin: Als ich noch aktiv war und mit Pirmin trainierte, war er immer einer der Besten. Ein fantastischer Spieler, der aber wenige Chancen bekommt, weil andere den Vorzug erhalten. Aber so enttäuschend es für ihn ist, ich kann die Trainerentscheidung nachvollziehen. Wir haben im zentralen Mittelfeld Gökhan Inler, Granit Xhaka, Valon Behrami, Blerim Dzemaili oder Gelson Fernandes - und diese Spieler führten Schweiz souverän zur WM. Trotzdem bin ich mir sicher, dass Pirmin zukünftig eine wichtige Rolle bekommt. Es ist unglaublich, dass die Schweiz ein Luxusproblem im Fußball hat. Wer hätte das je gedacht? (lacht)

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