Ilja Kaenzig vom VfL Bochum im Interview: "Damals dachte niemand, Investoren seien böse"

Jochen Tittmar
16. Januar 201917:04
Ilja Kaenzig ist seit Februar 2018 beim VfL Bochum.imago
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Ilja Kaenzig ist bald seit einem Jahr Sprecher der Geschäftsführung des VfL Bochum in der 2. Liga. Der gebürtige Schweizer bewegt sich seit den 1990er Jahren im Profifußball. Im Interview spricht Kaenzig über seinen Einstieg mithilfe selbsterstellter Spielerdatenblätter, die Zeit bei Bayer Leverkusen als Ziehsohn von Reiner Calmund und eine richtige Idee zur falschen Zeit.

Kaenzig äußert sich zudem zu seinem Meinungsumschwung beim Thema 50+1, spricht über den ruinösen Wettbewerb in Englands 2. Liga und erklärt, weshalb der chinesische Investor bei seinem vorherigen Klub FC Sochaux an der Börse crashte.

SPOX: Herr Kaenzig, Sie sind seit Februar 2018 Sprecher der Geschäftsführung des VfL Bochum. Wie verliefen die ersten Monate aus Ihrer Sicht?

Kaenzig: Ich habe richtig Bock auf Bochum und den VfL gehabt. Meine Einschätzung wurde bestätigt, ich bin hier wirklich herzlich und warm empfangen worden. Beim VfL ist alles ein bisschen geerdeter, das Fußballerlebnis noch pur und ohne viel Schnickschnack. Der VfL ist ein Traditionsverein mit über 13 Millionen Sympathisanten. In einer klassischen, vielleicht sogar DER Fußballregion Deutschlands, dem Ruhrgebiet, wird der Fußball ganz anders wahrgenommen. Wir haben ein stimmungsvolles Stadion, das mitten in der Stadt liegt, keine Arena oder einen Park. Ich mag das.

SPOX: Sie sind bereits seit fast einem Vierteljahrhundert in der Fußballbranche aktiv, mit nur 21 Jahren stiegen Sie als Transfer-Koordinator bei den Grashoppers Zürich ein. Schlüssel dafür waren Ihre selbsterstellten Spielerdatenblätter. Das müssen Sie erklären.

Ilja Kaenzig: Zunächst war es immer mein Wunsch, auf die Managementebene im Fußball zu kommen. Während meines Betriebswirtschaftstudiums in Lausanne habe ich daher versucht, Spieler und Klubs zusammenzubringen, weil die klassische Spielervermittlung und -beratung noch sehr wenig ausgeprägt war. So bin ich mit Grashoppers in Kontakt gekommen.

SPOX: Die Gallionsfigur bei Grashoppers ist Erich Vogel, der schon als der Uli Hoeneß der Schweiz bezeichnet wurde. Welche Rolle spielte er dabei?

Kaenzig: Die Hauptrolle. Erich war schon immer ein Andersdenkender, der Entwicklungen antizipieren kann. Was ich angeboten habe, fand er interessant - ohne dass er wusste, wie jung ich war. Es war neu, im Bereich Spielersichtung und Transfers eine Denke von außerhalb des Fußballs zuzulassen. Ich habe diese Themen strukturiert, Netzwerke aufgebaut und erweitert. Damals war es wettbewerbsentscheidend, ob man die Videokassette von dem brasilianischen Spieler bekam oder nicht. Ich bin letztlich zur richtigen Zeit auf den richtigen Mann getroffen und konnte sofort auf höchstem Niveau einsteigen. In dieser bis heute kleinen und verschlossenen Fußballbranche braucht es einen solchen Moment, wo jemand an dich glaubt, um Zugang zu bekommen.

SPOX: Wie sah Ihre Arbeit genau aus?

Kaenzig: Man muss sich vorstellen: Wir waren mit den Grashoppers der erste Schweizer Klub, der sich für die Champions League qualifiziert hat, sogar zweimal in Folge. Real Madrid war damals organisatorisch eher schlechter aufgestellt als wir, die Unterschiede zwischen den Klubs waren deutlich geringer. Auf dem Transfermarkt konnte man sich also Vorteile verschaffen, wenn man in den diversen Ländern die richtigen Personen kannte, die einem Informationen oder Spielbilder beschaffen konnten. Ich bin viel ins Ausland gereist, um mir Spiele anzuschauen und ein Gefühl für die Märkte anzueignen. Das war zu dieser Zeit noch außergewöhnlich.

SPOX: 1998 gingen Sie mit knapp 25 nach viereinhalb Jahren bei Grashoppers zu Bayer Leverkusen in die Bundesliga. Dort waren Sie so etwas wie der Ziehsohn von Manager Reiner Calmund. Sie blieben sechs Jahre, zwei davon als Manager. Wie kam das zustande?

Kaenzig: Noch in Zürich hatte ich Andreas Rettig bei einem Nachwuchsspiel gegen Homburg kennengelernt, weil wir an Leverkusens Taifour Diane interessiert waren. Wenig später sahen wir uns wieder, weil wir beide einen Spieler von Maccabi Haifa wollten. Wir blieben in Kontakt und als er entschied, nach Freiburg zu gehen, hat er mich bei Reiner Calmund vorgeschlagen. Man hatte in der Branche, grundsätzlich gesehen, Respekt vor meinem jungen Alter - es war auch ein Vorteil für den Aufbau der Beziehungen.

SPOX: Als Sie dann das erste Mal bei Calmund im Büro saßen - sind Sie da auch mal zu Wort gekommen oder durften Sie nur zuhören?

Kaenzig: Es war kein Bewerbungsgespräch, sondern ein Monolog. (lacht) Für mich war es ein Traum, dass es direkt so weitergegangen ist. Rückblickend war ich bei den vielleicht sechs am meisten bewegenden Jahren in Bayers Klubgeschichte dabei. Es ging dort sehr familiär zu, wie ich es seitdem nie wieder erlebt habe. Die Mitarbeiter sind sogar miteinander in den Urlaub gefahren. Was Reiner Calmund dort geschaffen hat, war außergewöhnlich.

SPOX: Nach ein paar Monaten als Chef der Nachwuchsabteilung stiegen Sie zum Koordinator Gesamtfußball auf, im Juli 2002 wurde Sie zum Manager befördert. Wieso 2004 dann der Wechsel zu Hannover 96, wollten Sie nicht länger auf die Calmund-Nachfolge warten?

Kaenzig: Er hat den Verein letztlich fast zeitgleich mit mir verlassen. Er hatte alles probiert, um mich von einem Verbleib zu überzeugen. Ich spürte aber, dass die Zeit für Veränderung gekommen war. Die Beziehung zwischen der Bayer AG und der Fußballabteilung hatte sich nach dem Fast-Abstieg 2003 verändert, dieses eine Jahr hat leider viel kaputt gemacht. Ich gebe zu, dass ich auch ein bisschen zu ungeduldig war, zumal Hannover unter Ralf Rangnick 2002 schon einmal angefragt hatte. Das war ein spannendes Projekt, da der Klub erst ein Jahr in der Bundesliga spielte und Strukturen im Aufbau begriffen waren. Der Drang war groß und das Angebot verlockend.

SPOX: Sind Sie in all der Zeit nie mit Calmund aneinandergeraten?

Kaenzig: Einmal fiel ich böse auf die Nase. Bei den Grashoppers war es Vertragsbestandteil, dass der Torwarttrainer für jedes Zu-Null-Spiel eine Prämie bekommt. Das fand ich einen tollen Ansatz und habe dies in meiner Anfangszeit in Leverkusen angewandt. Als Reiner Calmund davon erfuhr, ist er fast an die Decke gesprungen. Dafür hatte er gar kein Verständnis. Die Bestrafung war dann der Entzug der VIP-Karten für das Spiel in Duisburg. Stattdessen gab's Tribünenkarten für mich. (lacht)

SPOX: In Hannover hatten Sie es in Ihren knapp drei Jahren unter anderem mit den Trainern Ewald Lienen und Peter Neururer zu tun. Gerade mit Ersterem gestaltete sich die Zusammenarbeit schwierig. Wie blicken Sie darauf zurück?

Kaenzig: Ich war jung, ungestüm und nicht so reif wie heute. Ewald war damals aber auch anders, ein bisschen verbissen. Bei St. Pauli sah und sieht man nun einen anderen Ewald Lienen als noch vor 14 Jahren. Es war eine sehr intensive Zusammenarbeit. Die Strukturen, wer nun von wem der Vorgesetzte ist, waren nicht ganz klar. Für Ewald war es als Älterer wohl auch nicht ganz einfach zu akzeptieren, dass da nun ein deutlich Jüngerer mitmischt. Es war aber nicht so, dass wir nicht miteinander gesprochen hätten. Ich hätte es aber definitiv besser machen sollen.

SPOX: Im November 2006 ging es für Sie an der Leine zu Ende. Was waren die Gründe?

Kaenzig: Die Ergebnisse und die Entwicklung des Klubs waren mehr als in Ordnung, unter Peter Neururer ging es eher nach oben als nach unten. Er merkte aber, dass der Klub nicht weiter würde investieren können. Das Präsidium entschied, ihn durch Dieter Hecking zu ersetzen. Es war aufgrund der hektischen Medienlandschaft teils auch ermüdend. Das war eine Zeit permanenter Veränderung und irgendwann war klar, dass man nicht ständig das Personal austauschen kann und man selbst an seinem Stuhl klebt. Dieter Hecking wollte neue Strukturen schaffen. Der Wechsel musste letztlich einfach stattfinden.

SPOX: Anschließend bekleideten Sie zwischen 2007 und 2010 keinen Job mehr in der ersten Reihe des Profifußballs.

Kaenzig: Ich bin zurück in die Schweiz und hatte dann eine richtige Idee zur falschen Zeit. Ich habe mich selbständig gemacht und die Firma "Boutique Football" gegründet, um interessierte Investoren und Klubs zusammenzuführen. Das ging alles gerade erst los, es gab damals nur eine Handvoll Investoren im Fußball. Allerdings war das Timing schlecht, denn 2009 kam es plötzlich zur Wirtschaftskrise. Die Massen an interessierten Investoren waren alle verschwunden und so hatte es keinen Sinn mehr. Heute ist es längst gang und gäbe, dass eine solche Dienstleistung auf dem Markt angeboten und gesucht wird.

SPOX: 2010 wurden Sie Sportchef bei der auflagenstärksten Schweizer Zeitung Blick. Journalismus war Ihnen ohnehin nicht ganz fremd, oder?

Kaenzig: Stimmt, zwischen 1993 und 1999 habe ich regelmäßig für die Neue Zürcher Zeitung geschrieben. Es gab jeden Dienstag jeweils eine ganze Seite über den internationalen Fußball, zu der ich regelmäßig beigetragen habe. Die war hoch angesehen, da man diese Informationen fast nirgends bekam. Es war eine Ehre für mich, die NZZ gehörte damals zu den Top-5-Zeitungen weltweit.

SPOX: Beim Blick lag Ihr Fokus aber nicht auf dem journalistischen Aspekt.

Kaenzig: Genau, mein Job war kaufmännisch-organisatorisch orientiert. Damals wurde der erste Newsroom der Schweiz gegründet. Es ging darum, den Umzug vom alten, klassischen Modell in den Newsroom, in dem die einzelnen Zeitungen und Kanäle zusammenlaufen, zu strukturieren. Hinzu kam der kommerzielle Teil mit Events und der Entwicklung von Formaten im Zuge der aufkommenden Digitalisierung. Letztlich wurde aber der Ruf der Wildnis zu groß. Ich erhielt das Angebot, wieder in den Fußball zurückzukehren und bin dann Delegierter im Verwaltungsrat der Sport & Event Holding AG geworden, die das Schweizer Nationalstadion Stade de Suisse und die Young Boys Bern besitzt.

SPOX: Damals haben Sie noch ein jähes Ende der 50+1-Regel vorhergesagt. In Bezug auf 1860 München meinten Sie, dort könne zusammen mit einem Investor "Großes entstehen". Weshalb kam es anders?

Kaenzig: Damals gab es zunächst kaum jemanden, der dachte, dass Investoren schlecht oder böse seien. Man sah eine gewisse Anschubfinanzierung eher als Chance für viele Klubs, die es aus eigener Kraft nicht schaffen würden, nach oben zu kommen. Niemand hat damit gerechnet, dass dies zu einem Wettbewerb führen würde, der teilweise in ruinöse Richtung abdriftet und Investoren damit beginnen, sich komplett irrational zu verhalten.

SPOX: Mittlerweile sind Sie ein Verfechter davon, die 50+1-Regel zu halten. Wie beurteilen Sie die Diskussionen innerhalb der Liga - es ging ja bereits sehr hitzig zu, wie der Konflikt zwischen Rettig und Karl-Heinz Rummenigge belegte?

Kaenzig: Wenn der FC Bayern feststellt, dass er mit dem FC St. Pauli überhaupt nichts mehr gemeinsam hat, dann ist das provokativ gesagt das Ende der Solidarität und der gemeinsamen Ligen. Dann bekommen wir eines Tages eine ähnliche Situation wie in England, wo nichts unterhalb der Premier League mithalten kann, respektive eine "Premier League 2" geschaffen werden könnte, womit die Ligen darunter endgültig abgekoppelt würden. Diesen Anfängen sollte man wehren, denn Deutschland ist das letzte verbliebene Fußballland, in dem sich die ersten beiden Ligen solidarisch gemeinsam vermarkten und alle Klubs dieselbe Stimme haben.

SPOX: Die landläufige Meinung zu Investoren im Fußball ist mitunter zwiegespalten. Sie sprachen die Entwicklungen in England an, die für viele auch ein Warnsignal bedeuten.

Kaenzig: Das stimmt. West Bromwich Albion, Birmingham City oder Aston Villa sind schlechte Beispiele. Andererseits gibt es auch einen Investor wie Maxim Demin beim AFC Bournemouth. Er taucht weder medial auf, noch redet er rein. Stattdessen setzt er auf seine Mitarbeiter, sorgt für höchste Kontinuität und investiert gezielt in Professionalisierung, die Verbesserung von Arbeitsbedingungen und Infrastruktur. So führte er einen Abstiegskandidaten in der 3. Liga bis in die Premier League, wo man sich mittlerweile etabliert hat. Und dass als Kleinklub mit einem Stadion mit lediglich 11.000 Plätzen! Ein Fußballmärchen, das zeigt, dass es sehr wohl auch positive Beispiele gibt.

SPOX: Wie denkt man beim VfL über Investoren?

Kaenzig: Wir müssen uns klar darüber werden, wie die Investoren-Landschaft aussieht, was wir überhaupt wollen und wofür wir es wollen. Diese Fragen muss man gründlich klären, weil sie enorm komplex sind. Solange wir profitabel arbeiten, können wir immer unabhängig bleiben und müssen nicht unter Druck irgendwelche Investoren-Entscheidungen treffen. Genau dann ist es nämlich meist schief gegangen, wie man am Beispiel von 1860 sieht, wo man Hasan Ismaik nicht nach einer langen Suche ausgewählt hat, sondern weil es schon später als fünf vor zwölf war.

SPOX: Wäre es für Sie vorstellbar, dass die 50+1-Regel zumindest derart gelockert wird, dass jeder Verein in Abstimmung mit seinen Mitgliedern selbst entscheiden kann, wie er die Investoren-Thematik für sich anwendet?

Kaenzig: Dann hat die eine Hälfte einen Investor und die andere nicht. Wenn ich dann beispielsweise ein kleinerer Zweitligist wäre, könnte ich sagen: Die 2. Liga reicht mir, ich werde schon irgendeinen Weg finden, dass jedes Jahr zwei Vereine schlechter sind. Wenn ich aber der VfL Bochum bin, gibt es für die Leute langfristig nur das Ziel Aufstieg. Wenn dann die Klubs vor uns alle einen Investor hätten und wir nicht, müsste man den Leuten sagen, dass sie sich daran gewöhnen sollen, in den nächsten zehn Jahren womöglich weiterhin in der 2. Liga zu spielen.

SPOX: Was würden die Leute Ihnen in diesem Szenario entgegnen?

Kaenzig: Bringt jemand anderen, der eine bessere Geschichte zu erzählen weiß! Für mich ist klar: Fällt 50+1, wird sich alles verändern, auch weil der deutsche Fußball extrem attraktiv ist. Wenn man sieht, wer jetzt schon alles in Frankreich einsteigt, weil es momentan kaum Alternativen gibt, dann ist klar, dass zum Beispiel ein amerikanisches Unternehmen nicht Bordeaux, sondern einen Klub aus Deutschland kaufen würde.

SPOX: Ab Sommer 2015 haben Sie als Geschäftsführer beim französischen Zweitligisten FC Sochaux selbst Erfahrungen mit einem Investor machen können. Was passiert in dieser Hinsicht gerade in Frankreich?

Kaenzig: 2020 greift dort der neue Fernsehvertrag, der von 800 Millionen Euro auf 1,2 Milliarden steigen wird. In der Ligue 2 brach daher die große Gehaltsinflation aus, weil alle Vereine trotz der in Kauf zu nehmenden massiven Verluste mit allen Mitteln 2020 in der Ligue 1 spielen wollen, ja geradezu müssen. Denn der Unterschied zur Ligue 2 wird dann so groß sein, dass man sofort wieder aufsteigt, sollte man einmal absteigen. Wer es bis 2020 nicht schafft, schafft es wohl nur noch mit größtem Einsatz von Mitteln. Wenn man einmal diese Schleusen öffnet, ist es vorbei. Man sieht es am Negativ-Beispiel des ruinösen Wettbewerbs in Englands 2. Liga.

SPOX: Inwiefern?

Kaenzig: Wer dort aufsteigen will, muss Jahresverluste bis zu 50 Millionen Pfund einkalkulieren. Steigt man nicht auf, benötigt man diesen Betrag erneut. Die chinesischen Investoren bei Wolverhampton hatten beispielsweise einen langen Atem und waren dazu finanziell in der Lage. Dort stieg man im zweiten Jahr auf. Die chinesischen Investoren bei Aston Villa dagegen setzten alles auf eine Karte, schafften den Aufstieg nicht und hatten dann nicht mehr genügend Geld. Die Klubs liefern sich ein mörderisches Rennen um den Aufstieg, haben aber dermaßen reiche Leute dahinter, die immer weiter investieren. Denn steigen sie auf, haben sie den Jackpot gewonnen und erst einmal 160 Millionen Pfund garantiert. Zudem befindet man sich dann in einem Gentlemen's Klub von Staatsoberhäuptern und anderen wichtigen Personen, die die Klubs besitzen.

SPOX: In Sochaux kam der Investor von der chinesischen Firma "Tech Pro Technologies Development". Wie kam man dort auf Sie?

Kaenzig: Über gemeinsame Bekannte habe ich den Investor kennengelernt, bevor der Verkauf des Vereins stattgefunden hat. So entstand ein Vertrauensverhältnis, das sehr entscheidend war, da Asiaten häufig sehr misstrauisch gegenüber Europäern sein können. Als sie den Klub übernahmen, kamen sie auf mich zu.

SPOX: Wie war das Arbeiten für Sie?

Kaenzig: Sochaux ist ein sehr familiärer und in Frankreich extrem respektierter Klub. Die Chinesen haben sich wirklich immer korrekt verhalten. Die hatten Angst, sich einen Fehltritt zu leisten, jemanden zu beleidigen oder ihr Image kaputt zu machen. Sie haben alles getan, was sie tun konnten.

SPOX: Irgendwann ging der Holding das Geld aus. Was war passiert?

Kaenzig: Der K.o. kam nicht wegen des Fußballs, denn sie haben kein Geld aus dem Verein genommen. Die Firma ist an der Börse gecrasht. Es war ein Tag vor Saisonstart 2016/17, wir waren vor unserem Auswärtsspiel schon im Hotel. Auf einmal flatterte die Meldung herein, dass sie an einem einzigen Tag 95 Prozent verloren haben - das war neuer Rekord für die Hongkonger Börse. Sie wurden von einem amerikanischen Trader, der auf fallende Kurse spekuliert hat, mit ziemlich harten Analystenberichten attackiert. Erst konnten sie das abwehren, beim zweiten Mal sind die Anleger aber geflüchtet. Sie wurden dann später von der Börse suspendiert.

SPOX: Stand für Sie damit fest, dass dies auch Ihr Ende im Klub bedeuten würde?

Kaenzig: Es war mehr als ein Zeichen. Die Schwäche des Unternehmens hat dazu beigetragen, dass man in Frankreich damit begann, uns immer mehr zu attackieren. Der Verein wurde von Peugeot gegründet, gehörte dem Konzern knapp 90 Jahre und plötzlich war der Besitzer ein Chinese. Das war schon kulturell kaum zu verkraften. Der Respekt wurde immer geringer und der Druck größer. Ich habe daher um Vertragsauflösung gebeten - und kurze Zeit später kam der Anruf aus Bochum.

SPOX: Hatten Sie im Hinterkopf ohnehin angestrebt, eines Tages wieder in die Bundesliga zurückzukehren?

Kaenzig: Nein. So etwas kann man nicht planen und zuvor jagte ja quasi ein Job den anderen. Es muss letztlich alles zusammenpassen. Ich habe nie gedacht, dass ich eines Tages mal bei Sochaux oder in Bochum lande. Die Rückkehr nach Deutschland ist für mich ein sehr schöner Glücksfall, weil ich hier die Fußballkultur und Ligen gut kenne und ich viele ehemalige Weggefährten treffe, mit denen ich sofort wieder einen guten Draht habe. Es geht im Fußball alles so schnell, dass es sich für mich anfühlt, als wäre ich nur mal eben kurz weg gewesen.