Rory McIlroy hat mit Rekordscore die 111. US Open gewonnen. Das ist aber nur die oberflächliche Betrachtungsweise. Die wahren Erkenntnisse: Die US-Boys können inzwischen besser singen als golfen, eine Anreise kann teuer sein und Türsteher machen sich an Tiger ran. Außerdem: Rory und die Waschmaschine.
10. So nicht, US Open! "Niemand wird am Ende besser als Par sein!" Sagte Titelverteidiger Graeme McDowell einige Zeit vor der US Open im Congressional Country Club. Genau, G-Mac. Genau. Es waren letztlich 20 Spieler, die nach 72 Löchern unter Par lagen. Darunter eben auch jener Rory McIlroy. 22 Jahre, geboren im nordirischen Holywood.
McIlroy hätte die US Open auf der Playstation nicht perfekter spielen können. Sein unfassbares Gesamtergebnis von 16 unter Par entbehrt jeder US-Open-Logik. 1218 Birdies wurden an den vier Tagen gespielt. Zwölfhundertachtzehn. Bei einer US Open. Ganz ehrlich: Das kann's nicht sein. Hoffentlich wird es bei der British Open nass, stürmisch, kalt. So richtig widerlich soll es sein.
Denn nach dieser Mickey-Mouse-US-Open ist es an der Zeit, dass die Spieler mal wieder richtig kämpfen müssen. Als Tiger Woods 2000 in Pebble Beach mit 12 unter Par gewann, lagen Ernie Els und Miguel Angel Jimenez auf Rang zwei bei +3. Das soll die außerirdische Leistung von McIlroy nicht schmälern, aber es ist schon noch mal etwas anderes.
9. Being Marcel Siem: 79, 66, 74, 73. Wenn man solche vier Scores sieht, könnte man schon darauf tippen, dass sie von Marcel Siem stammen. Der 30-Jährige zeigte bei seiner ersten US-Open-Teilnahme wieder alles, was ihn ausmacht. Beginnt sein Turnier am Donnerstag an der 10 und trifft mit seinem Abschlag so unglücklich einen Zuschauer, dass der Ball zurück ins Wasser springt.
Wenn es so losgeht, hast du schon keine Lust mehr. Danach verlor Siem das Selbstvertrauen auf den Grüns, notierte die 79 und war eigentlich schon raus. Am Freitag checkte er sogar schon aus dem Hotel aus. Und was machte er dann? Er feuerte eine 66 auf den Kurs, die beste Runde des Tages. Er lief total heiß und begeisterte die Fans mit seiner emotionalen Art.
Auch das ist typisch Siem. Genauso typisch ist es leider, dass er an Tag 3 wieder gar nichts traf und an Tag 4 gar nichts lochte. So war es am Ende eben nur Platz 60. Es bleibt dabei: Siem treibt einen, und auch sich selbst, immer wieder zur Verzweiflung, aber vom Talent her müsste er viel weiter oben mitspielen. Das bleibt Fakt.
8. Der kurze Martin: Wenn man ein amtierender Major-Champion und die Nummer drei der Welt ist, kann man mit einer Woche, in der man die ganze Zeit im Mittelfeld vor sich hin dümpelt, nichts anfangen. Und: Wäre Kaymers kurzes Spiel nicht gerade so überragend in Schuss, wäre sein Ergebnis noch viel schlechter als der 39. Platz gewesen. Denn Kaymer kämpft gerade sehr mit seinem Schwung.
Besonders eklatant war seine Schwäche vom Abschlag. Normal sind seine akkuraten und langen Drives ja eine seiner ganz großen Stärken, aber bei dieser US Open spielten sich skurrile Szenen ab. Kaymer blieb mit seinen Abschlägen ständig 25 Meter hinter seinen Flight-Partnern. Er war sogar deutlich kürzer als Luke Donald. Und Donald ist nun wahrlich kein Longhitter.
Für Außenstehende mögen die Leistungen von Kaymer in letzter Zeit etwas enttäuschend sein, aber er macht gerade nur eine normale Phase durch, wie sie es in der Weltspitze immer mal wieder gibt. Kaymer wird hart an seinem Schwung arbeiten, auf die Range gehen und drei Millionen Bälle schlagen, und so auch wieder sein Gefühl zurückerlangen. Soll sich keiner wundern, wenn er schon in den nächsten Wochen wieder ganz oben auf den Leaderboards auftaucht.
7. U-S-A! U-S-A! Fast wäre es soweit gewesen. Fast hätten wir zum ersten Mal seit 1909 keinen US-Boy in den Top 5 einer US Open gehabt. Doch dann kamen Kevin Chappell und Robert Garrigus, verhinderten das totale Desaster und wurden immerhin noch Dritte. Wer? Man muss schon echter PGA-Tour-Insider sein, um mit diesen beiden Nobodys vertraut zu sein. Zum ersten Mal in der Geschichte wartet die USA seit fünf Major-Turnieren auf einen Champion. Der verheerende Zustand des US-Golfs ist neben McIlroy das Thema der US Open.
Tiger hat seit 18 Monaten keinen Blumentopf mehr gewonnen und bewegt sich nur noch auf Krücken - und Phil Mickelson spielt zurzeit absolut grauenhaft. Das muss man so deutlich sagen. Das SPOX-Par-10 will den USA aber auch Mut machen.. Es gibt einige Youngster, die sich vielleicht in den nächsten Jahren zu Stars entwickeln können.
Allen voran Patrick Cantlay. Der 19-Jährige präsentierte sich in Bethesda stark und landete am Ende immerhin auf Platz 21. Cantlay ist übrigens die aktuelle Nummer eins im World Amateur Golf Ranking. In dieser Rangliste belegen die USA sogar die ersten sechs Plätze, von den Top 20 kommen 16 Mann aus den USA.
6. Europe! Europe! Okay, wir haben gerade versucht, die USA ein bisschen aufzubauen, jetzt ziehen wir sie wieder runter. Ihr Amerikaner müsst auf einen 19-Jährigen hoffen, der noch Amateur ist. Wir Europäer haben einen 18-Jährigen namens Matteo Manassero, der als Teenager schon mehrere Turniere gewonnen hat und in der Weltspitze angekommen ist. Take that, USA!
Wir Europäer haben Rory. Wir Europäer sind die Nummer eins, zwei, drei und vier der Welt. Wir Europäer haben den Ryder Cup. Bei uns Europäern stehen Leute selbst von den Toten auf und melden sich nach Jahren in der Wildnis zurück. Welcome back, Sergio!
"Es zeigt, dass die Amerikaner zu kämpfen haben. Seit Tiger seine Probleme hat, kommt nicht mehr viel. Und wir sind so viel stärker geworden." Sprach Martin Kaymer. Und genau so sieht es aus.
Eine teure Anreise, Tigers Freund und Rorys Waschmaschine
5. Die teuerste Anreise der Geschichte: Der Engländer Robert Rock ist einer der ganz wenigen Golfer, die ohne Cappie auskommen. "Er hat tolle Haare", erkannten die US-Kommentatoren so auch sofort. Rocks Haare sind die eine Sache, seine Anreise zur US Open aber die andere. Er hatte in der Vorwoche bei der BMW Italian Open sein erstes European-Tour-Event gewonnen und wollte sich jetzt in Richtung US Open machen. Problem: Da er als Teenager mal alkoholisiert Auto gefahren ist, brauchte Rock ein Visum.
GettyUnd das gestaltete sich schwierig. Sehr schwierig. Rock musste 24.000 Dollar berappen, um den ganzen Bürokratie-Wahnsinn zu bezwingen. Irgendwann stieg er in den Flieger von Turin nach London, dann ging es weiter nach Newark. Die US Open waren aber nicht in New York. Sondern in der Nähe von Washington. Also stieg Rock in ein Taxi und ließ sich hinbringen. Um 3.30 Uhr war er da. Preis der Fahrt: 1000 Dollar.
Und so marschierte Rock am Donnerstag auf den Platz, ohne ein Loch auch nur jemals live gesehen zu haben. Eine fantastische Vorbereitung. Denn Rock begann die US Open trotz allem mit zwei starken Runden (70+71). Am dritten Tag brach dann doch die Müdigkeit über ihn herein (76), aber mit einer famosen 68 schob er sich in Runde 4 noch auf Rang 23 nach vorne. Dafür gab es übrigens ein Preisgeld von 76.455 Dollar. Hat sich also alles gelohnt.
4. Armer Richie! Des einen Freud ist des anderen Leid. Es gibt kaum einen größeren Pechvogel als Richie Ramsay. Die Story des Schotten beginnt schon Wochen vor der US Open. Ramsay spielte das Qualifying in Walton Heath und dachte nach Beendigung seiner Runden, dass er keine Chance mehr hat, sich zu qualifizieren. Weil er außerdem zur Hochzeit seines Freundes und Tour-Kollegen Gareth Maybin wollte, machte er sich auf den Weg zum Flughafen.
Weil aber Stau war, kam Ramsay zu spät und verpasste den Flug. Dann klingelte das Telefon. "Hey Richie, komm schnell zurück! Du bist im Stechen um einen US-Open-Platz!" Ramsay raste zurück. Aber kam wieder zu spät. 10 Minuten fehlten ihm. Hochzeit verpasst, Traum von einer US-Open-Teilnahme dahin.
Ramsay wurde zum ersten Ersatzspieler. In dieser Rolle hing er im Congressional Country Club ab und wartete darauf, noch ins Feld zu rutschen. Da Rock ja so seine Probleme hatte, schienen seinen Chancen gut. Als Rock dann aber doch noch rechtzeitig auftauchte, konnte Ramsay sich vom Acker machen. Auch hier hatte er kein Glück. Armer Richie.
3. "Golf Boys"- Wenn es mit dem Golf nicht klappt...: Noch einmal zurück zum Versagen der USA. Bubba Watson: 63. Platz. Hunter Mahan: Cut verpasst. Rickie Fowler: Cut verpasst. Ben Crane: Cut verpasst. Bei diesen vier Herren lief bei der US Open auch herzlich wenig zusammen.
Ist aber nicht schlimm, denn diese vier Herren haben eine Karriere als Musiker gestartet. "Oh Oh Oh" - mehr muss man gar nicht sagen. Die Videos von Crane sind sowieso seit längerem ein echter Hit, aber das hier setzt allem noch die Krone auf. Einfach schauen und staunen. Das ist ganz ganz groß, meine Herren.
2. Tiger, du bist mein Freund! Gestatten, Andres Gonzales. Tiger Woods kennt mich nicht, aber ich bin sein bester Freund. Gonzales verpasste bei der US Open zwar den Cut und eigentlich ist sein golferisches Talent auch nicht der Rede wert, aber er ist dennoch ein sehr interessanter Typ.
Besser gesagt: Der Typ hat einen an der Klatsche. Aber so richtig. Erst mal sieht er nicht aus wie ein Golfer, sondern wie ein Besitzer eines Tattoo-Studios in der Bronx. Oder wie ein Türsteher. Er selbst bezeichnet sich als "Half Man, Half Amazing", einmal versuchte er bei der Sony Open, Spieler mit 1-Dollar-Noten zu bestechen, dass sie ihre Meldung zurückziehen und er als Ersatzspieler ins Feld rückt.
Das Verrückteste ist aber, dass er aus Bewunderung für Woods entschieden hat, eine einseitige Freundschaft mit Tiger zu beginnen und ihn ständig per Twitter anspricht. Einige Auszüge...
"@TigerWoods Mein Name ist Andres Gonzales, ich bin ein Rookie und ich mag Elefanten."
"Ich glaube, wenn du mir jemals antwortest, wirst du feststellen, dass ich viel cooler bin als Jean Claude Van Dam?"
"@TigerWoods Du hast das Bowlen gestern Abend verpasst!"
"Bin seit 3 Uhr wach. @TigerWoods Bist du wach? Lass uns chatten."
"@TigerWoods Habe mich für die Open qualifiziert. Tut mir leid, Dir sagen zu müssen, dass ich keinen Zimmergenossen brauche, weil meine Familie mitkommt. Aber eine Proberunde ließe sich einrichten."
Schon crazy, dieser Andres Gonzales. Aber auch sehr, sehr witzig.
1. Die Verneigung vor Rory: Das Par-10 ist bekannt dafür, gerne mal sentimental zu werden. Deshalb werden hier auch nicht noch einmal alle Rekorde aufgezählt, die McIlroy in dieser Woche aufgestellt hat. Vielmehr geht es darum, zum Ausdruck zu bringen und jedem zu verdeutlichen, wie sehr es Rory zu gönnen ist.
Denn: McIlroy ist als Typ mindestens genauso gut wie sein Golfspiel. Man muss sich nur anschauen, wie er mit dem Debakel beim Masters umgegangen ist. Es gibt eine Menge Spieler, die nach so einer Katastrophe vom Platz gestürmt wären, ohne etwas zu sagen. Und man hätte es ihnen nicht verdenken können. Aber McIlroy ertrug seine Niederlage in großartiger Manier, stellte sich und gratulierte auf ehrliche und so sympathische Weise Charl Schwartzel zu dessen Sieg. Er flog sogar zusammen mit Schwartzel zum nächsten Turnier.
Seit dem Masters wurde McIlroy bei jeder einzelnen Gelegenheit auf sein Trauma angesprochen, und er hat nicht ein einziges Mal genervt reagiert. Er hat jedem, der ihn gefragt hat, eine kluge Antwort gegeben und offen über die Situation gesprochen. Das ist nicht selbstverständlich. Vielleicht wird er tatsächlich wie Tiger früher die Golf-Welt dominieren, vielleicht wird er irgendwann mal den Major-Rekord von Jack Nicklaus (18 Titel) brechen. Das ist aber nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass dem Golfsport nichts Besseres passieren kann als Ror-eee McIlroy. Das nordirische Wunderkind, das schon mit 9 Jahren Bälle in eine Waschmaschine chippte...