Ein Sieg in sechs Spielen: Viel schlechter hätte die EM für Deutschland nicht verlaufen können. Viele Möglichkeiten, um Konsequenzen zu ziehen, hat Bundestrainer Heiner Brand aber nicht. Es fehlen die Alternativen, vor allem auf der Königsposition sieht es düster aus. Dennoch gibt es auch Hoffnung. Die Einzelkritik der deutschen Nationalmannschaft.
Tor
Johannes Bitter (HSV Hamburg, 27 Jahre)
EM-Statistik: 67 Saves, 34 Prozent abgewehrte Schüsse, 4/19 gehaltene Siebenmeter, 4:40:00 Stunden
Vor dem Turnier war man sich aufgrund seiner Ellenbogen-Operation nicht ganz sicher, ob er seine Normalform erreichen würde. Alle Sorgen waren unbegründet. Bitter spielte ein formidables Turnier und brachte das, was man vom deutschen Nummer-eins-Keeper gewohnt ist.
Man mag sich gar nicht vorstellen, wie schlecht es ohne ihn ausgesehen hätte. Außerdem positiv: Bitter präsentierte sich als eine Art heimlicher Kapitän. Wenn jemand Ruhe ins deutsche Spiel brachte, war es kein Spielmacher, sondern Bitter im Tor. Des Weiteren war er mit der einzige, der knallhart ansprach, dass die Fehler im deutschen Team, aber vor allem auch das Umgehen mit ihnen, nicht immer akzeptabel war. Wurde angesichts der Defizite seiner Vorderleute im Laufe des Turniers verständlicherweise immer frustrierter. SPOX-Durchschnittsnote: 2,83
Silvio Heinevetter (Füchse Berlin, 25 Jahre)
EM-Statistik: 19 Saves, 34 Prozent abgewehrte Schüsse, 3/11 gehaltene Siebenmeter, 1:19:56 Stunden
Auch bei Heinevetter stand vor der EM ein Fragezeichen. Wie würde er seine mangelnde Spielpraxis und den privaten Trubel um seine Person wegstecken? Die Antwort: Sehr gut. Als Heinevetter im entscheidenden Vorrundenspiel gegen Schweden gefordert war, bewies er eindrucksvoll, dass auch er ein Weltklasse-Keeper ist und rettete Deutschland vor dem ganz frühen Aus.
In der Hauptrunde bekam er bis auf das Spanien-Spiel nur noch wenig Einsatzzeit. War es vor dem Turnier noch nicht völlig klar, ob er oder Carsten Lichtlein der erste Backup von Bitter sein würde, ist das nun eindeutig entschieden. Brand wird auch in Zukunft auf das Duo Bitter/Heinevetter vertrauen. Im Tor hat der Bundestrainer überhaupt keine Sorgen. SPOX-Durchschnittsnote: 3,33
Die EM-Bilanz von Christian Schwarzer und Günter Kaiser
Linksaußen
Torsten Jansen (HSV Hamburg, 33 Jahre)
EM-Statistik: 6 Spiele, 27 Tore, 71 Prozent Wurfquote, 14/17 Siebenmeter, 4:19:03 Stunden
Nichts Neues beim deutschen Veteranen: Wie immer war auf Toto Jansen Verlass. Eine Bank vom Siebenmeterpunkt, dazu mit einer sehr starken Quote aus dem Feld, auch wenn er einige Male beim Tempogegenstoß schwächelte. Seine eigentlichen Qualitäten als Linksaußen konnte er aufgrund der Rückraum-Lastigkeit des deutschen Spiels nur selten einbringen.
Insgesamt ein sehr ordentliches Turnier des Hamburgers, vor allem auch aufgrund seiner enormen Abwehrstärke, die es Brand erlaubt, Michael Kraus in der Deckung "außen" zu verstecken. Jansen wird mit seiner Erfahrung ein wichtiger Teil des deutschen Teams bleiben. SPOX-Durchschnittsnote: 2,83
Uwe Gensheimer (Rhein-Neckar Löwen, 23 Jahre)
EM-Statistik: 6 Spiele, 12 Tore, 71 Prozent Wurfquote, 4/4 Siebenmeter, 1:42:01 Stunden
Dominik Klein zu Hause zu lassen und Uwe Gensheimer dafür zu nominieren, war eine goldrichtige Entscheidung. Wenn es einen Spieler gibt, der in seiner begrenzten Einsatzzeit Lust auf mehr gemacht hat, dann war es der Linksaußen der Rhein-Neckar Löwen.
Gensheimer wird den deutschen Handball-Fans in den nächsten Jahren noch viel Freude machen. Er hat mit seinem Selbstbewusstsein und seinen variantenreichen Würfen ohne Zweifel das Zeug zum internationalen Top-Star. Einzig Jansens Vorteile in der Abwehr sprechen noch gegen eine Beförderung Gensheimers zur neuen Nummer eins auf der linken Seite. Seine Zeit wird kommen, so viel steht fest. SPOX-Durchschnittsnote: 3,33
Rückraum links
Lars Kaufmann (Frisch Auf Göppingen, 27 Jahre)
EM-Statistik: 6 Spiele, 29 Tore, 44 Prozent Wurfquote, 3:33:28 Stunden
Auf Lars Kaufmann draufzuprügeln, hat sich bei der EM wieder als nette Freizeitbeschäftigung entpuppt. Seine hanebüchenen Aktionen im Angriff, seine vogelwilden Würfe lassen die Emotionen in den deutschen Wohnzimmern überkochen.
Versuchen wir es mit einer sachlichen Analyse: Kaufmann war bei der EM Deutschlands Top-Torjäger - und seine Quote ist nicht schlechter als die von Polens Rückraumstar Karol Bielecki. Nur mal als Vergleich. Dennoch hat das Turnier klar gezeigt, dass der Göppinger auf internationalem Terrain viel zu limitiert ist. Als Backup für Pascal Hens kann er weiterhin eine Rolle im Team haben, aber als Go-to-Guy auf der Königsposition ist er schlichtweg nicht zu gebrauchen. SPOX-Durchschnittsnote: 3,66
Sven-Sören Christophersen (HSG Wetzlar, 24 Jahre)
EM-Statistik: 6 Spiele, 3 Tore, 30 Prozent Wurfquote, 45:25 Minuten
Dass das Fehlen von Pascal Hens schmerzen würde, wusste jeder. Wie sehr es schmerzen würde, hatte man vor dem Turnier dann aber vielleicht doch unterschätzt. Kaufmanns Defizite sind überall bekannt - und verschlimmert wurde die Situation noch dadurch, dass kein passabler Ersatz parat stand.
Christophersen ist ein überdurchschnittlicher Bundesliga-Spieler, aber er ist noch weit davon entfernt, im linken Rückraum international Impulse setzen zu können. Das deutsche Dilemma: Auf der wichtigsten Position im Handball hat der DHB die größten Probleme. Als Alternative zu Christophersen kommen nicht mehr viele Spieler in Frage. Eventuell noch Stefan Kneer. Schaut man das Junioren-Team an, das amtierender Weltmeister ist, so heißen die besten Spieler: Patrick Groetzki (Rechtsaußen) und Andrej Kogut (Rückraum Mitte). Halblinks ist nicht wirklich jemand in Sicht. SPOX-Durchschnittsnote: 4,0
Rückraum Mitte
Michael Kraus (TBV Lemgo, 26 Jahre)
EM-Statistik: 6 Spiele, 15 Tore, 37 Prozent Wurfquote, 0/1 Siebenmeter, 3:00:53 Stunden
Kraus war mit der Komplexität seiner Rolle total überfordert und spielte, abgesehen von Glanzpunkten gegen Schweden, ein Turnier zum Vergessen. Wer glaubt, aus Kraus einen Handball-Strategen machen zu können, sollte es vergessen. Kraus kann ein Team nur mit Toren führen - trifft er nicht, ist sein Wert für die Mannschaft sehr überschaubar.
Aber: Das Team als Kapitän führen, auf dem Spielfeld Denker und Lenker sein, und auch noch seine individuelle Stärke ausspielen und als Torschütze glänzen - ganz schön viel verlangt von einem immer noch recht jungen Spieler, der nicht vollkommen fit ist, oder? Zumal Kraus sichtlich bemüht war, auf und außerhalb des Feldes der gewünschte Leader zu sein. Man sollte nicht den Stab über ihn brechen. Nur mit einem Kraus in Topform kann Deutschland in den nächsten Jahren etwas reißen. SPOX-Durchschnittsnote: 4,0
Michael Haaß (Frisch Auf Göppingen, 26 Jahre)
EM-Statistik: 6 Spiele, 12 Tore, 48 Prozent Wurfquote, 3:52:31 Stunden
So etwas wie die Entdeckung der EM. Die Leistungen des Göppingers waren in Innsbruck ein kleiner Lichtblick. Zwar schaffte es Haaß auch nicht, im mittleren Rückraum die Fäden zu ziehen und vor allem Ruhe ins deutsche Spiel zu bringen, aber seine Aktionen waren zumindest um einiges abgeklärter, als die seiner Kollegen. Steigern muss er unbedingt seine Assist-Quote (nur 2 im Turnier).
Seinen größten Wert hatte er dank seiner Toughness in der Deckung. Haaß war eindeutig der beste Partner für Oliver Roggisch im Mittelblock. Hat seinen Platz im Team auf jeden Fall sicher. Geht seine Entwicklung so weiter, könnte er zu einer tragenden Säule im DHB-Dress werden. SPOX-Durchschnittsnote: 3,66
Martin Strobel (TBV Lemgo, 23 Jahre)
EM-Statistik: 3 Spiele, 0 Tore, 7:43 Minuten
Wurde nach der Vorrunde nachnominiert, weil Kraus angeschlagen war. Bekam aber im Prinzip keine Chance, sich zu beweisen. Nach einer ordentlichen WM in Kroatien ist der Lemgoer in seiner Entwicklung etwas stagniert, aber man sollte ihn auf keinen Fall abschreiben. Sehr veranlagter Spieler, der das Spiel gut versteht. SPOX-Durchschnittsnote: 4,0
Hier geht's weiter zum rechten Rückraum, den Rechtsaußen und zum Kreis
Rückraum rechts
Holger Glandorf (TBV Lemgo, 26 Jahre)
EM-Statistik: 5 Spiele, 20 Tore, 44 Prozent Wurfquote, 3:13:18 Stunden
Das Spiel von Glandorf spiegelte das gesamte Auftreten des deutschen Teams wider. Phasenweise tauchte der dynamische und treffsichere Glandorf auf, der ihn weltweit eigentlich zu einem der besten Leute auf seiner Position gemacht hat. Aber dann gab es auch wieder Phasen, in denen Glandorf eine Fahrkarte nach der anderen schoss und sich Ballverluste leistete, die einem Mann mit seiner Erfahrung nicht passieren dürfen.
Gerade angesichts des Fehlens von Hens und der Probleme von Kraus wäre ein konstant starker Glandorf unbedingt vonnöten gewesen. Diese tragende Rolle konnte er aber nie wirklich ausfüllen. Es bleibt zu hoffen, dass der Linkshänder nun im Verein wieder zu alter Form findet. SPOX-Durchschnittsnote: 3,8
Michael Müller (Rhein-Neckar Löwen, 25 Jahre)
EM-Statistik: 6 Spiele, 12 Tore, 41 Prozent Wurfquote, 2:33:34 Stunden
Man konnte keine Wunderdinge von ihm erwarten. Bei den Rhein-Neckar Löwen muss sich Müller die Spiele meist von der Bank aus anschauen, viel Selbstvertrauen konnte er also nicht mit nach Innsbruck gebracht haben.
Positiv: Müller war einer der wenigen Spieler, der es verstand, mit schönen Pässen die Außen oder den Kreisspieler einzusetzen. Er hatte am Ende mehr Assists auf dem Konto als die Spielmacher Kraus und Haaß zusammen. Negativ: Seine schlechte Quote und teilweise große taktische Mängel wie in der Schlussphase des Tschechien-Spiels. Müller muss sich steigern, sonst könnte ihn Steffen Weinhold aus dem Nationalteam verdrängen. SPOX-Durchschnittsnote: 3,83
Rechtsaußen
Christian Sprenger (THW Kiel, 26 Jahre)
EM-Statistik: 6 Spiele, 9 Tore, 56 Prozent Wurfquote, 4:23:55 Stunden
Kein deutscher Feldspieler stand so lange auf dem Feld wie der Kieler Flügelflitzer. Wenn man bedenkt, dass ein Spieler seiner Qualitäten nur ungefähr alle halbe Stunde ein Tor erzielt hat, kann man nur mit dem Kopf schütteln. Zum einen wurde er natürlich auch schlecht ins Spiel gebracht, zum anderen ließ er aber auch das nötige Durchsetzungsvermögen vermissen.
Man hatte ein großes Breakout-Turnier von ihm erwartet, stattdessen wurde er zwischendurch vom nachnominierten Christian Schöne verdrängt. Ein schwaches Turnier von Sprenger, dennoch bleibt er aufgrund seiner überragenden Fähigkeiten erstmal der Hoffnungsträger auf Rechtsaußen. SPOX-Durchschnittsnote: 4,0
Christian Schöne (Frisch Auf Göppingen, 28 Jahre)
EM-Statistik: 5 Spiele, 2 Tore, 67 Prozent Wurfquote, 1:07:29 Stunden
Der ewige Nachrücker. Im letzten Jahr war er bei der WM für den verletzten Sprenger zum Team gestoßen, diesmal war es die Verletzung Schröders, die Schöne die Koffer packen ließ. Der Göppinger machte seinen Job grundsolide, ohne besonders auf sich aufmerksam machen zu können.
Im Normalfall hat er im DHB-Team keine große Zukunft. Hinter Sprenger, Schröder und Patrick Groetzki ist er wohl kaum mehr als die Nummer vier auf der Liste. SPOX-Durchschnittsnote: 4,0
Stefan Schröder (HSV Hamburg, 28 Jahre)
EM-Statistik: 1 Spiel, 0 Tore, 28:36 Minuten
Ganz unglückliche EM für den Hamburger. Im Auftaktspiel gegen Polen wollte Schröder kurz vor der Pause mit einem Hechtsprung den Ball erobern, stieß aber mit Tomasz Rosinski zusammen und zog sich einen Riss im Trommelfell des linken Ohrs zu. Noch am gleichen Abend musste er operiert werden.
Schröder bleibt eine Alternative auf der umkämpften Rechtsaußen-Position, der zweite Mann neben Christian Sprenger sollte in Zukunft aber Groetzki heißen. Das Riesentalent der Löwen weiter außen vor zu lassen, wäre nach dieser EM nicht verständlich. SPOX-Durchschnittsnote: 4,0
Kreis
Oliver Roggisch (Rhein-Neckar Löwen, 31 Jahre)
EM-Statistik: 6 Spiele, 1 Tor, 50 Prozent Wurfquote, 9 Zwei-Minuten-Strafen, 2:49:49 Stunden
Der deutsche Abwehrchef hatte es nicht leicht. Mit immer wechselnden Partnern im Mittelblock schaffte es Roggisch nie, ein echtes Bollwerk hinzustellen. Dass die deutsche 6-0-Abwehr unglaubliche Lücken hatte, lag auch daran, dass Roggisch zwar unglaublich bemüht war, aber oft zu viel wollte.
Oft wollte er quasi die Deckungsarbeit alleine verrichten, kam zu spät und sorgte so selbst unfreiwillig für Platz, den der Gegner nutzen konnte. Dennoch bleibt er einer der Eckpfeiler im deutschen Team. Meist wurde nur über das Fehlen von Pascal Hens gesprochen, aber der Ausfall von Sebastian Preiß traf die DHB-Auswahl mindestens genauso hart. Ein Mittelblock Roggisch/Preiß hätte die Abwehr ganz anders aussehen lassen. SPOX-Durchschnittsnote: 3,16
Christoph Theuerkauf (SC Magdeburg, 25 Jahre)
EM-Statistik: 6 Spiele, 14 Tor, 82 Prozent Wurfquote, 2:46:41 Stunden
Allein mit seinem starken Spiel gegen Slowenien rechtfertigte Theuerkauf seine Nominierung. Der Magdeburger zeigte, dass er im Angriff eindeutig der beste deutsche Kreisläufer ist und war mit seinem Herzblut ein wichtiger Faktor im Team. Sobald es auf der Bank auch nur einen leichten Ansatz von Frustration gab, war er zur Stelle und trieb die Mannschaft nach vorne.
Es wird spannend zu beobachten sein, wie es mit Theuerkauf weitergeht. Klar ist, dass er sich in der Abwehr enorm verbessern muss, wenn er eine Zukunft im Nationalteam haben will. SPOX-Durchschnittsnote: 3,16
Manuel Späth (Frisch Auf Göppingen, 24 Jahre)
EM-Statistik: 6 Spiele, 1 Tor, 50 Prozent Wurfquote, 1:15:38 Stunden
Es heißt nicht umsonst, dass Kreisläufer besonders viel Zeit brauchen, bis sie zu einem Top-Spieler reifen. Das war bei Christian Schwarzer so, und das ist hoffentlich auch bei Manuel Späth so. Für den Göppinger ging es bei seinem ersten großen Turnier hauptsächlich darum, zu lernen.
Heiner Brand hat Preiß Zeit gegeben, er wird sie auch Späth geben. Weil er ein kompletter Kreisläufer ist, der sowohl in Angriff als auch Abwehr seinen Mann stehen kann, bleibt Späth der kommende deutsche Kreisläufer. SPOX-Durchschnittsnote: 4,0
Deutschland patzt auch zum Abschluss: Symptomatisch für das ganze Turnier
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