Schicksalsspiele

Felix Götz
06. Juni 201423:39
Oliver Roggisch kämpft mit dem DHB-Team um die WM-Qualifikationimago
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Die wichtigsten Spiele in der jüngeren Geschichte des deutschen Handballs stehen an. Am Samstag in Danzig (16.45 Uhr im LIVE-TICKER) und sieben Tage später in Magdeburg kämpft die Mannschaft von Bundestrainer Martin Heuberger in den Playoffs gegen Polen um die Qualifikation für die WM 2015 in Katar. Sollte erneut ein Großereignis ohne das DHB-Team stattfinden, käme dies einer Katastrophe gleich. SPOX beantwortet die wichtigsten Fragen.

Wie ist die Ausgangslage?

Es sind bewegte Zeiten für den deutschen Handball. Dem HSV wurde auch in zweiter Instanz die Lizenz verweigert, das Aus der Hamburger dürfte damit besiegelt sein. Die Meisterschafts-Entscheidung in der HBL zwischen Kiel und den Rhein-Neckar Löwen, an dessen Ende der THW nur aufgrund des besseren Torverhältnisses den Titel holte - absoluter Wahnsinn. Und dann noch das Final Four um die Champions League in Köln, bei dem die Teams aus Flensburg, Kiel, Barcelona und Veszprem den Handball in einer Art und Weise von seiner Sahneseite präsentierten, dass kein Superlativ dafür ausreicht. Das Ende ist bekannt: Flensburg triumphierte sensationell im Finale gegen den THW.

Und dennoch dürfte klar sein: So richtig ernst - ja fast schon existenziell - wird es erst jetzt. "Es sind die wichtigsten Spiele für den deutschen Handball seit dem WM-Finale 2007", brachte es Mimi Kraus auf den Punkt. Sollte Deutschland nach den Olympischen Spielen 2012 in London und der Europameisterschaft 2014 in Dänemark mit der WM 2015 in Katar das dritte Großereignis in Folge verpassen, wäre dies ein Fiasko. Der einfache Grund: Nur eine erfolgreiche Nationalmannschaft besitzt die Zugkraft, eine breite Öffentlichkeit für den Handball zu begeistern. Und ohne WM-Teilnahme wäre außerdem die Qualifikation für Olympia in Rio nur noch theoretisch möglich.

Die Mannschaft von Bundestrainer Martin Heuberger steht also gewaltig unter Druck. In zwei Spielen geht es nun gegen Polen, gegen das sich die deutsche Mannschaft im WM-Finale 2007 im eigenen Land zum Weltmeister krönte, um alles. Am Samstag steigt das Hinspiel vor 11.000 Fans im Hexenkessel von Danzig, sieben Tage später fällt in Magdeburg die endgültige Entscheidung.

Die Generalprobe wurde vermasselt. Am Dienstag unterlag das DHB-Team in Wetzlar im Testspiel gegen Norwegen mit 30:32, wobei ein Sechs-Tore-Vorsprung noch aus der Hand gegeben wurde. "Das ist natürlich kein gutes Gefühl, mit einer Niederlage nach Polen zu reisen, vor allem, weil es so unnötig war", sagte Heuberger bei "Sport1": "Ich denke aber, dass wir in einigen Phasen guten Handball gezeigt haben und auch in der Abwehr aggressiv waren. Aber das haben wir in den letzten zehn Minuten vermissen lassen."

Für Heuberger geht es in den Spielen gegen Polen auch um seine eigene Zukunft. Zwar möchte beim DHB derzeit verständlicherweise niemand eine Trainerdebatte führen. Sollte es aber schief gehen, wäre der Schutterwalder, der am Donnerstag seinen 50. Geburtstag feierte, seinen Posten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit los.

Wie sieht das deutsche Aufgebot aus?

Heuberger musste zunächst einen 28-er Kader berufen, die Reise nach Polen wurde mit 18 Spielern angetreten. 16 Akteure werden letztlich im Aufgebot für das Hinspiel stehen, das Heuberger am Samstagmorgen benennen muss. Die größte Überraschung: Linksaußen Dominik Klein ist in Danzig nicht dabei, Michael Allendorf erhielt den Vorzug.

  • Tor: Johannes Bitter (Hamburg), Silvio Heinevetter (Berlin), Carsten Lichtlein (Gummersbach)
  • Linksaußen: Uwe Gensheimer (Rhein-Neckar Löwen), Michael Allendorf (Melsungen)
  • Rückraum links: Stefan Kneer (Magdeburg), Steffen Fäth (Wetzlar)
  • Mitte: Tim Kneule (Göppingen), Michael Kraus (Göppingen), Michael Haaß (Magdeburg)
  • Rückraum rechts: Holger Glandorf (Flensburg), Steffen Weinhold (Flensburg)
  • Rechtsaußen: Johannes Sellin (Melsungen), Patrick Groetzki (Rhein-Neckar Löwen)
  • Kreis: Oliver Roggisch (Rhein-Neckar Löwen), Patrick Wiencek (Kiel), Felix Danner (Melsungen), Hendrik Pekeler (Lemgo)

Welche Hoffnungsträger und Sorgenkinder gibt es?

Sechs Weltmeister von 2007 berief Heuberger in seinen 18-er Kader. Erfahrene Spieler wie Roggisch, Bitter, Kraus, Haaß, Lichtlein oder Glandorf sollen das Team führen, auch wenn der eine oder andere womöglich kaum oder gar nicht auf der Platte stehen wird. "Ich glaube, dass wir eine gute Mischung haben aus erfahrenen Spielern und Talenten. Deshalb bin ich mit der Zusammensetzung der Mannschaft sehr zufrieden. Sie kommt meiner Wunschvorstellung sehr nah", so Heuberger.

Klar ist: Um Polen zu schlagen, benötigt das DHB-Team einen starken Rückhalt zwischen den Pfosten. Doch ausgerechnet auf dieser Position ist der erfahrene Bitter derzeit ein Sorgenkind. Der 31-Jährige hinterließ gegen Norwegen keinen guten Eindruck, die Geschehnisse rund um seinen Klub HSV und seine deshalb ungewisse Zukunft setzen ihm zu. "Man hat gesehen, dass er nicht ganz frei im Kopf war. Das ist natürlich eine schwierige Situation", meinte Heuberger, der bei den Torhütern eine "Bauchentscheidung" treffen will. Möglich, dass der Bundestrainer deshalb in Danzig auf Heinevetter und Lichtlein setzen wird.

Auch die Abwehr dürfte Heuberger einige schlaflose Nächte bereitet haben. Diese agierte zumindest im Test gegen Norwegen viel zu behäbig und war immer wieder viel zu leicht mit relativ einfachen taktischen Mitteln auszuhebeln.

Hoffnung macht dagegen Kraus, der sich auf der Spielmacherposition mit Haaß abwechseln dürfte. Der wie Bitter extra von Heuberger für die WM-Playoffs ins Nationalteam zurückgeholte Göppinger überzeugte zuletzt. Dass Kraus an einem guten Tag im Stande ist, wichtige Partien fast im Alleingang zu entscheiden, bewies er etwa 2013. Damals gewann er mit Hamburg im Endspiel gegen Barcelona die Champions League und war dabei der alles überragende Mann.

Eine weitere wichtige Stütze ist der seit Monaten bärenstark aufspielende Gensheimer, der in Danzig erstmals anstatt Roggisch das Team als Kapitän anführen wird. Gensheimer und Groetzki sollen - so der Plan des Bundestrainers - möglichst viele Tempogegenstöße durchziehen.

Hinzu kommen die beiden Flensburger Glandorf und Weinhold. Beide dürften vom CL-Triumph beschwingt sein. Vor allem Glandorf hat schon oft bewiesen, gerade in schwierigen Situationen mutig zu sein und kann auch mal mit Einzelaktionen für Entlastung sorgen. Auffällig: Gegen Norwegen funktionierte die Offensive recht gut, wenn Glandorf gemeinsam mit Magdeburgs Kneer auf der Platte stand.

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Wie ist Gegner Polen drauf?

Platz neun bei der WM 2013, Rang sechs bei der EM 2014: Auch die Polen haben zuletzt nicht gerade Glanzleistungen abgeliefert. Wie Deutschland stehen also auch die Osteuropäer unter Druck. Zumal 2016 die Europameisterschaft im eigenen Land stattfindet. Allein deshalb wäre es für die Mannschaft enorm wichtig, ein Jahr zuvor eine Generalprobe in Form eines großen Turniers zu haben.

Am Mittwoch absolvierte Polen ein letztes Testspiel, das mit 22:25 gegen Weltmeister Spanien verloren ging. "Wir haben zu viele Fehler gemacht. Diese Fehler dürfen wir am Samstag nicht wiederholen", sagte Polen-Coach Michael Biegler anschließend.

Der 53-jährige Deutsche, der 2012 das Amt von Bogdan Wenta übernahm, hat jede Menge Erfahrung vorzuweisen. "Beagle" arbeitete bereits in Wuppertal, Dortmund, Dormagen, Gummersbach, Minden, Hameln, Friesenheim, Göppingen, Wilhelmshaven, Magdeburg und Großwallstadt. Von 1993 bis 1996 war er außerdem Co-Trainer der deutschen Nationalmannschaft. Er kennt das Team also bestens.

Allerdings sind Heuberger & Co. die Polen gleichermaßen bekannt, die für gewöhnlich körperlich stark, in der Abwehr erbarmungslos und mit erstklassigen Einzelkönnern agieren. Die Leistungsträger Bartlomiej Jaszka (Berlin) und Bartosz Jurecki (Magdeburg) verdienen ihr Geld in der HBL. Auch die drei Kielce-Profis Karol Bielecki, Krysztof Lijewski und Slawomir Szmal waren jahrelang in Deutschland aktiv. Hinzu kommen mit Adam Wisniewski und Mariusz Jurkiewicz zwei weitere Raketen, die beide bei Wisla Plock unter Vertrag stehen.

Ein Vorteil für Deutschland wäre es, wenn Jaszka (Schulterverletzung) und Lijewski (Leistenverletzung) im Hinspiel nicht dabei sein können. Dies wird sich relativ kurzfristig entscheiden. Dennoch: Polen wird auf jeden Fall eine schlagkräftige Truppe beisammen haben, die es dem DHB-Team enorm schwer machen wird.

Wer sind die Schiedsrichter?

Die Hallen in Danzig und Magdeburg werden beben, die Spieler bis an die Grenzen des Erlaubten gehen: Erfahrene Schiedsrichter mit einer klaren Linie sind also erforderlich. Die EHF nominierte für beide Partien Gespanne, denen diese schwere Aufgabe zuzutrauen ist. In Polen leiten Oscar Raluy Lopez und Angel Sabroso Ramirez das Hinspiel. Die Spanier pfiffen das EM-Finale zwischen Dänemark und Frankreich. Beim Rückspiel sollen die Isländer Jonas Eliasson und Anton Palsson für geordnete Verhältnisse sorgen.

Was sagen die Beteiligten?

  • Bundestrainer Martin Heuberger: "Im Sport geht es immer um alles oder nichts, aber wir haben unser Ziel, die Weltmeisterschaft in Katar, klar vor Augen. Ich bin mir sicher, dass wir eine Mannschaft sehen werden, die alles für den Sieg gibt." SPOX
  • Abwehr-Ass Oliver Roggisch: "Jeder weiß, welche Aufgabe wir haben. Trotz der großen Bedeutung bin ich gelassen. In zwei Spielen auf Augenhöhe wird der Glaube an sich selbst entscheidend sein. Danzig ist ein heißes Pflaster, aber vor dieser Atmosphäre ist niemandem von uns bange. Und in Magdeburg wird es sicher auch nicht leise."
  • DHB-Präsident Bernhard Bauer: "Die Mannschaft wird alles geben, was in ihr steckt, um das große Ziel zu erreichen. Ich erhoffe mir beim Rückspiel in Magdeburg erheblichen Rückenwind durch die Fans, damit wir alle abends glücklich nach Hause gehen können."
  • DHB-Vizepräsident Bob Hanning: "Das werden Spiele auf Augenhöhe. Aber unsere Spieler haben zuletzt gezeigt, dass sie erfolgreich sein können. Das Finale in der Champions League und das Pokalfinale wurden von deutschen Spielern geprägt."
  • Spielmacher Mimi Kraus: "Ich habe überhaupt gar keine Bedenken. Es herrscht eine sehr hohe Intensität, der Wille ist da. Und das ist ein sehr, sehr gutes Zeichen für den Erfolg. Ich glaube, dass wir am Samstag in einer Woche in Magdeburg tanzen und eine erfolgreiche WM-Qualifikation feiern werden."
  • Torhüter Johannes Bitter: "Ich stehe bereit, der Mannschaft zu helfen. Egal, ob auf dem Feld oder auf der Bank. Der Bundestrainer legt fest, wer Nummer 1 ist."

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