SPOX: So ging es für Sie Step by Step weiter, Sie wurden Nationaltrainer Österreichs und waren Geschäftsführer bei Ihrem Heimatverein in Reykjavík, als 2009 plötzlich die Füchse ins Spiel kamen. Hatten Sie auf die Chance, in der HBL arbeiten zu können, hingearbeitet?
Sigurdsson: Nein, die HBL war eigentlich gar nicht mein Ziel. Ich war Geschäftsführer bei meinem Heimatverein Valur, ich konnte mich um Fußball, Handball, Basketball, die Männer- und Frauen-Abteilungen und den Jugendbereich kümmern - ich hatte meinen Traumjob gefunden, alles war perfekt. Aber dann kam der Anruf von Bob Hanning. Mir war sofort klar, dass ich das probieren muss. Meine Familie hat Gott sei Dank ihr Okay gegeben, also haben wir es gemacht. Am Anfang dachten wir, es werden zwei Jahre, jetzt sind es schon sechs geworden. (lacht)
SPOX: Und jetzt sitzen Sie hier als deutscher Handball-Bundestrainer. Verrückt?
Sigurdsson: Schon ein bisschen, ich hätte das am Anfang meiner Karriere nie gedacht, dass ich mal Nationaltrainer in Deutschland werde. Ich hätte 2008 auch schon mal Nationaltrainer in Island werden können, habe mich aber damals für Österreich entschieden, weil ich mich dort noch besser auskannte und weil mich die Heim-EM gereizt hat. Jetzt reizt es mich, in Deutschland Dinge zu entwickeln.
SPOX: Aber es ist wahrlich keine einfach Aufgabe. Der DHB ist der größte Verband der Welt, die HBL die beste Liga der Welt, der Anspruch muss zwangsläufig sein, Titel zu gewinnen. Davon ist man aktuell meilenweit entfernt. Wie wollen Sie diese Herausforderung angehen?
Sigurdsson: Ich finde, dass es ganz wichtig ist, dass jemand kommt, der positiv an die Sache herangeht. Wir haben sicherlich unsere Probleme im handballerischen Bereich, wir haben unsere Probleme, was den Kader angeht. Aber diese Probleme haben alle anderen auch. Bei der einen Nation fehlt der überragende Torhüter, die anderen haben keinen Linkshänder, sehr viele haben zu alte Spieler, jeder hat seine Probleme. Aber wenn ich die ganze Zeit nur meine eigenen Probleme vor mir sehe, werde ich automatisch negativ. Wir müssen es positiv angehen und unser bestmögliches Spiel auf die Platte bringen. Das geht nur durch Fleiß, wir müssen mehr arbeiten als unser Gegner.
SPOX: Das ist sicherlich alles richtig, aber Sie müssen mit viel Skepsis umgehen, daran ändern auch die Erfolge in Testspielen nichts. Die Mannschaft hat sich sportlich nicht für die WM qualifiziert und fährt ohne realistische Titelchance nach Katar.
Sigurdsson: Aber dieses Problem hat jede Nation, die nicht Frankreich, Dänemark, Spanien oder Kroatien heißt. Diese vier Länder haben in den letzten zehn Jahren das Geschehen dominiert. Das hat mit der Stärke des Kaders zu tun, aber auch viel mit Routine. Diese Mannschaften kennen das Gefühl, bei jedem Turnier bis zum Ende dabei zu sein. Diese Erfahrung fehlt uns. Mir wäre es auch lieber, wenn es schneller ginge, aber man kann diese Entwicklungsphase leider nicht überspringen, wir müssen uns das erarbeiten. Wir haben kein Nachwuchsproblem, das weiß jeder. Auch die Anschlussförderung ist gut, jeder Spieler hat die Möglichkeit, einen Verein zu finden, der zu ihm passt und bei dem er sich weiterentwickeln kann. Wir machen dort schon vieles richtig, in einigen Jahren wird das auch Früchte tragen.
SPOX: Was muss denn passieren, damit Sie nach der WM von einem erfolgreichen Turnier sprechen würden?
Sigurdsson: Unsere Gruppe ist wirklich sehr ausgeglichen, ein Tor hier und ein Tor da wird einen großen Unterschied ausmachen. Für mich ist entscheidend, dass unsere Gegner wieder Respekt vor uns bekommen. Die Handball-Welt soll sagen: Die Deutschen sind wieder da! Mit den Deutschen ist wieder zu rechnen. Das ist das Signal, das ich nach außen senden will. Wenn wir das schaffen, wäre es für mich eine sehr positive WM. Um das zu schaffen, müssen wir sehr stabil auftreten und dürfen keine großen Schwankungen in unserem Spiel haben, darauf wird es ankommen.
SPOX: Wie würden Sie generell Ihre Handball-Philosophie beschreiben?
Sigurdsson: Ich muss als Trainer in erster Linie schauen, dass die Spieler Waffen bekommen. Sie müssen ein Spielsystem bekommen, das zu ihnen passt und an das sie total glauben. Der Rest ist zum Großteil gute Vorbereitung. Vorbereitung und Routine. Wenn du öfter gegen eine offensive Deckung spielst, bekommst du mehr Routine darin. Wenn du öfter gegen eine defensive Deckung spielst, bekommst du mehr Routine darin. Wir müssen als Mannschaft eine Routine entwickeln, wie wir auch auf unerwartete Situationen besser reagieren können. Deshalb waren jetzt auch die Vorbereitung und die letzten Testspiele so wichtig, damit wir dort einen guten Schritt weiterkommen.
SPOX: Eine entscheidende Figur im DHB-Spiel ist Kapitän Uwe Gensheimer, der wohl beste Linksaußen der Welt momentan. Was erwarten Sie von Gensheimer?
Sigurdsson: Ich will es nicht beurteilen, ob Uwe der beste auf seiner Position ist, er ist ein sehr guter Spieler, keine Frage. Ich erwarte keine besonderen Dinge von ihm. Ich war selbst oft genug Kapitän und weiß, was wichtig ist. Es bringt nichts, wenn du als Kapitän versuchst, etwas vorzuspielen, was du gar nicht bist. Du musst authentisch sein. Uwe hat ein sehr gutes Standing in der Truppe und ist voll akzeptiert. Dafür muss er nicht großartige Reden schwingen. Was war bei den Fußballern das Gejammer groß, als Michael Ballack nicht mehr dabei war. Es würde keine Typen mehr geben. Jetzt sind sie Weltmeister geworden und plötzlich sind alle Riesentypen.
SPOX: Gibt es etwas, was die Handballer sich von den Fußballern abschauen können?
Sigurdsson: Absolut, bei den Fußballern hat man schön gesehen, wie sich um die Generation Khedira früh ein Kern gebildet hat, der erst zusammen U-21-Europameister und dann später auch Weltmeister wurde. Außerdem war es sehr imponierend, wie das Team alle Ausfälle weggesteckt, nie lamentiert und an seinem Plan festgehalten hat. Als Marco Reus ausgefallen ist, hätten sie auch jammern können, das haben sie aber überhaupt nicht. Ob das jetzt Joachim Löw ist, oder auch Trainer-Kollegen im Handball, ich schaue mir immer an, wie Coaches bestimmte Sachen anpacken und versuche, daraus für mich Lehren zu ziehen. Was genau, bleibt aber mein Geheimnis, sorry. (lacht)
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