Deutschland hat den 29:26-Sieg gegen Polen mit einer lange nicht mehr dagewesenen inneren Überzeugung errungen. Doch das soll bei der WM in Katar erst der Anfang gewesen sein. Bundestrainer Dagur Sigurdsson erhielt einen genialen Tipp, der FC Bayern erwies sich als Glücksbringer. Ein Deutscher und ein Pole haben besonders miese Laune.
Die Szenerie war irgendwie merkwürdig, gar unpassend. Lediglich rund ein Dutzend deutsche Journalisten huschten irgendwo im unteren Teil der gigantischen Lusail Multipurpose Hall um Bundestrainer Dagur Sigurdsson, Teammanager Oliver Roggisch und Uwe Gensheimer herum. Das DHB-Trio hatte sich in der Mixed Zone eingefunden und beantwortete die Fragen des kleinen Kreises, wobei Sigurdsson eindeutig im Fokus stand.
Der Isländer sollte etwas zur herausragenden Vorstellung von Steffen Weinhold sagen, der mit neun Toren bester Werfer der Partie war. Zu den tollen Paraden von Carsten Lichtlein, der den glücklosen Silvio Heinevetter zwischen den Pfosten ablöste. Zur Abwehr um Hendrik Pekeler, die den Kanten wie Bartosz Jurecki keinen Platz zum Atmen ließ.
Freude? Ja! Euphorie? Nicht wirklich!
"Es gab in diesem Spiel viele kleine Helden", sagte Sigurdsson in nüchternem Tonfall. Einer dieser Helden war Rechtsaußen Johannes Sellin. Er kam in der heißen Phase der zweiten Halbzeit, ohne zuvor auch nur eine Sekunde gespielt zu haben, aufs Feld und verwandelte - zugegebenermaßen etwas glücklich - einen ganz wichtigen Siebenmeter.
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"Das war ein Vorschlag meines Co-Trainers", überließ der Bundestrainer Alexander Haase die Lorbeeren für den gelungenen Schachzug: "Der war gar nicht so schlecht." Generell aber weigerte sich der Mann aus Reykjavik, einen Akteur besonders hervorzuheben: "Das war eine pure Mannschaftsleistung."
Freude über den überraschenden Sieg gegen Polen? Ja! Euphorie? Nicht wirklich. Dabei hatte das deutsche Team nach all den Misserfolgen der vergangenen Jahre doch endlich wieder einen großen Sieg errungen, einen der meist genannten Geheimfavoriten geschlagen. Nicht in einem bedeutungslosen Testspiel, sondern zum Auftakt der Weltmeisterschaft in Katar.
Da geht noch mehr
Es beschleicht einen das gute Gefühl, dass diese Mannschaft noch wesentlich mehr will - und dazu auch in der Lage ist. "Die erste Hälfte war sehr, sehr gut. Spielerisch und taktisch", analysierte Sigurdsson. Doch im zweiten Durchgang drohte die Partie zu kippen.
Kleine technische Fehler hier, ein paar ausgelassene Möglichkeiten dort. Das kann schon reichen, um gegen ein Topteam wie Polen zu verlieren. Im vergangenen Jahr musste das DHB-Team diese Erfahrung in den WM-Playoffs gleich zwei Mal machen. Doch dieses Mal war etwas anders. Die Deutschen stemmten sich mit einer lange nicht mehr gesehenen Überzeugung dagegen.
"Wir haben viele starke Typen und haben uns durchgekämpft, der Zusammenhalt war super", beschrieb der Bundestrainer die zweiten 30 Minuten in Doha: "Es war wichtig, dass wir nie in Rückstand geraten sind."
Bayern-Stars als DHB-Fans
Vielleicht färbte ein wenig auch das Siegergen der Herren auf die DHB-Profis ab, die es sich unterm Hallendach in einer Loge gemütlich gemacht hatten. Einige Vertreter des FC Bayern München um Thomas Müller, Manuel Neuer und Mario Götze waren zum Abschluss ihres Trainingslagers in die Planstadt Lusail gekommen, um ihren Sportskameraden die Daumen zu drücken.
"Das war ein WM-Auftakt nach Maß", jubelte Neuer hinterher. Müller ergänzte: "Das war schon klasse. Wir freuen uns alle für euch - naja, fast alle. Nur Robert Lewandowski konnte auf der Tribüne nicht so mit uns mitfeiern." Der hatte natürlich seinen polnischen Landsleuten die Daumen gedrückt.
Polens Coach Biegler bedient
Noch bedienter als Lewandowski war Polens Nationalcoach Michael Biegler. Der Deutsche strahlt ohnehin selten die pure Freude aus, nach der Niederlage machte er aber ein Gesicht, dass man ihm das Aufnahmegerät lieber mit weit ausgestrecktem Arm entgegenhielt.
"Wie wir in der ersten Halbzeit gedeckt haben", meinte Beagle: "Das war keine Deckung." 17 Gegentore in den ersten 30 Minuten konnten dem 53-Jährigen nicht gefallen, in der zweiten Hälfte waren es immerhin nur noch 12 Gegentreffer. "Das war in Ordnung. Da haben wir dann aber vorne ein paar Sachen liegen lassen, die wir zum Sieg gebraucht hätten", sagte er.
Und zum angepeilten zweiten Platz in der Gruppe D, auf den hat nun Deutschland gute Chancen. "Auf der einen Seite muss ich die Jungs jetzt ein bisschen bremsen, auf der anderen Seite müssen wir das jetzt auch mitnehmen", erklärte Sigurdsson.
Sigurdssons Gefühl verheißt nichts Gutes
Gegen Argentinien - auch wenn die Südamerikaner Dänemark ein Unentschieden abgetrotzt haben - sollte ein Sieg her. Gegen Saudi-Arabien stellt sich diese Frage erst gar nicht. Die Dänen sind in der deutschen Gruppe nach wie vor das Maß aller Dinge, bleibt also noch das vermeintliche Schlüsselspiel gegen Russland am Sonntag (17 Uhr im LIVE-TICKER).
Deutschland ist gegen die Russen in der Favoritenrolle, ein Spaziergang wird das aber sicher nicht. "Seit der Auslosung sagt mir mein Gefühl, dass es gegen Russland richtig schwer für uns werden wird", ist Sigurdsson überzeugt.
Wer Polen schlägt, muss sich vor den Russen aber nicht verstecken. "Die Handball-Welt soll sagen: Die Deutschen sind wieder da", hatte Sigurdsson schließlich im Interview mit SPOX seine WM-Ziele erläutert. Mit dem Sieg gegen Polen ist ein erster, großer Schritt getan.
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