Ob spanische Katar-Fans, außer Rand und Band geratene Bauarbeiter, eine einsame Fahrt im Reisebus in die Wüste oder zwei betrunkene Schweden bei der Passkontrolle: Die ersten beiden Tage bei der WM haben es in sich. SPOX-Redakteur Felix Götz berichtet von seinen Erlebnissen vor Ort.
Alter Schwede
Sie sind mir schon in Istanbul aufgefallen, meinem Zwischenstopp auf dem Weg von München nach Doha. Zwei schwedische Handball-Fans, die mit ihren Strohhüten aussahen, als wäre der Ballermann ihr Ziel. Verspätet und unübersehbar angetrunken erschien das Duo am Gate. Das Motto: Vor der alkoholischen Dürrezeit noch einmal volltanken.
Und nun das: Um drei Uhr morgens kommen die beiden Mitvierziger voll wie zwei Haubitzen zur Passkontrolle, sie haben in den vergangenen vier Stunden im Flieger offensichtlich weitergebechert. Einer der Herren, zuvor definitiv noch bestens zu Fuß, wird mittlerweile von seinem Kumpel in einem Rollstuhl umher gekarrt. Ab zum Schalter.
"Good morning. My name is Arvid. I'm from Sweden", lallt der noch stehende, aber schwankende Schwede lautstark dem verdutzten Beamten entgegen. Nun ist es in Doha üblich, dass die Behörden von Einreisenden ein Foto schießen. Als einer der Skandinavier aufgefordert wird, in die Kamera zu schauen, dreht der sich zum Apparat und zieht eine Grimasse, wie sie Paul Gascoigne in seinen "besten" Tagen drauf hatte. Einige von den in der Schlange Wartenden, die das Spektakel schon seit Minuten verfolgen, platzen förmlich vor Lachen.
gettyDen Gastgebern wird es dagegen zu bunt. Sie stoppen das Duo, kein Zutritt nach Katar in diesem Zustand! Die Schweden diskutierten und flehen mit Händen und Füßen. Vergeblich. Was nun? Direkte Wiederheimreise? Um es kurz zu machen: Die Trunkenbolde kommen nach einigem Hin und Her noch einmal mit einem blauen Auge davon. Ein Mitarbeiter, der alle, die mit Handball zu tun haben, am Flughafen begrüßt, mischt sich ein und verhilft dem Duo zur Einreise. Gastfreundschaft auf katarisch. Dusel gehabt!
Einsamer Wüsten-Trip im Reisebus
Das Zimmer in der City ist bezogen, noch acht Stunden bis zum Auftaktspiel der deutschen Mannschaft gegen Polen. Klarer Fall: Die Akkreditierung muss her. Aber wie läuft das mit dem Shuttle zur Halle? In einem Hotel um die Ecke bekomme ich eine Antwort.
"Alles kein Problem. Wir fahren dich sofort zum Accreditation Centre", sagt die für den Transport der Medienleute verantwortliche Koreanerin und greift zum Telefon. Ein paar arabische Sätze später legt sie wieder auf und erklärt mir: "Warte vor dem Hotel. In fünf Minuten kommt der Fahrer, du bist der einzige Passagier."
Aus fünf Minuten werden zehn, aus zehn fünfzehn - kein Fahrer in Sicht. Mir fällt ein Satz über die katarische Lebenseinstellung ein, den ich im Zuge meiner Reisevorbereitungen gelesen habe. "So Gott will, vielleicht morgen." Ein Katari, ein Wort, denke ich mir.
Nach weiteren fünf Minuten gehe ich zurück zur freundlichen Koreanerin und hake nach. Sie begleitet mich nach draußen, zeigt mit dem Finger nach links und sagt mit einem breiten Grinsen: "Einsteigen musst du schon selbst, da steht er doch." Vielleicht liegt es an meinem kleinkarierten Denkvermögen. Aber mit einem Reisebus für mich alleine habe ich einfach nicht gerechnet.
45 Minuten durch die Wüste bis zur Lusail Multipurpose Hall. Als einziger Passagier in einem Reisebus. Und dann erweist sich der äthiopische Fahrer auch noch als eingefleischter Loddar-Fan, als ich seine Frage, woher ich komme, mit "Germany" beantworte. So kommt es alle fünf Minuten zu folgendem Dialog. Fahrer: "Lothar Matthäus good, hä?" SPOX-Redakteur: "Lothar Matthäus good. Yes, yes."
Steinewerfer und Schläger
Der erste DHB-Sieg ist eingetütet, der Nachbericht geschrieben. Um 3.30 Uhr morgens wird es höchste Zeit für eine Mütze voll Schlaf. An den monotonen Lärm der Baustelle (der gemeine Schwabe würde sagen: "Hier wird auch in der Stadt nachts durchgeschafft") unter meinem Fenster habe ich mich mittlerweile gewöhnt.
30 Minuten später bin ich trotzdem schon wieder wach, aufgeregtes Geschrei dringt von der Baustelle herein. Schlaftrunken gehe ich auf den Balkon. Und siehe da: Hier geht es richtig ab. Ungefähr 30 Bauarbeiter gehen wie die Furien aufeinander los. Erst fliegen Fäuste, dann Steine. Minutenlang.
Worum es geht oder wer hier gegen wen kämpft? Keine Ahnung! Erst als mehrere Bauarbeiter mit Eisenstangen bewaffnet in das Chaos stürmen, ergreifen sieben oder acht Personen die Flucht. Plötzlich ist alles vorbei. Als ob nichts geschehen wäre, gehen die übrig gebliebenen Bauarbeiter wieder an die Arbeit - und ich ins Bett.
Mit Tuba, Pauken und Trompeten
Der Samstag verspricht von den Ansetzungen her nicht gerade viele Knaller-Partien. Dennoch beschließe ich, nach der Pressekonferenz im Hotel des DHB-Teams erneut nach Lusail aufzubrechen. Chile gegen Katar erweckt mein Interesse. Nicht unbedingt sportlich, sondern wegen den Berichten vom Eröffnungsspiel, das ich leider verpasst habe.
Katar hat sich neben zahlreichen Gastarbeitern auch 60 spanische Fans eingekauft, war überall zu lesen. Was soll ich sagen? Es stimmt. Der katarische Block wirkt streng unterteilt. Im mittleren und im oberen Rang sind die "normalen" Kataris und wedeln fröhlich mit ihren Fähnchen. Im unteren Rang stehen die spanischen "Söldner" in Katar-Trikots und machen mit Gesängen, einer Tuba, Pauken und Trompeten ordentlich Rabatz.
Die Anhänger sollen normalerweise dem Liga-ASOBAL-Klub BM Ciudad Encantada angehören. Der Deal: Für Flug, Hotel und Tickets jubeln sie bei der WM den Gastgebern zu. Nach dem Spiel spreche ich drei der Fans an. Viel wollen sie nicht sagen. Die einhellige Meinung ist aber: "It's a good deal." Richtig kurios könnte es am 21. Januar werden. Dann trifft Katar auf Spanien.
Die WM im Überblick