Im Sommer wechselt Uwe Gensheimer zu Paris Saint-Germain. Vorher will der Linksaußen mit den Rhein-Neckar Löwen Geschichte schreiben und deutscher Meister werden. Bei SPOX spricht der DHB-Kapitän über das HBL-Finale und den EM-Hype um die Nationalmannschaft. Zudem erzählt der 29-Jährige, wie er mit der Merkel-Raute im Kanzleramt für Aufsehen sorgte.
SPOX: Herr Gensheimer, wie stellen Sie sich den 5. Juni 2016 vor?
Uwe Gensheimer: Letzter Bundesliga-Spieltag, wir müssen nach Lübbecke. Ich hoffe natürlich, dass danach eine große Party steigen kann, weil wir deutscher Meister sind. Der Weg bis dahin ist aber noch verdammt lang.
HBL: Kiel und Flensburg patzen
SPOX: Vieles spricht für die Löwen. Nicht aber unbedingt die Tatsache, dass noch fünf Auswärtsspiele auf dem Programm stehen.
Gensheimer: Ich weiß, es klingt wie eine Floskel. Aber Auswärtsspiele sind in der HBL eine gefährliche Angelegenheit. Wir sind vielleicht in der Favoritenrolle, ja. Aber man muss vor jedem Gegner Respekt haben, dessen sind wir uns bewusst. Und so gehen wir diese Spiele auch an.
SPOX: Vor der Saison hatten die wenigsten Experten den Löwen zugetraut, in dieser Form ins Titelrennen einzugreifen. Was zeichnet das Team aus?
HBL-Dreikampf: Wenn nicht jetzt, wann dann?
Gensheimer: Wir mussten einige Abgänge verkraften, darunter langjährige Schlüsselspieler wie Niklas Landin oder Bjarte Myrhol. Trotzdem haben wir noch immer eine Stammformation, die sich lange kennt und große Qualität mitbringt. Ein meiner Meinung nach ganz wichtiger Punkt für uns war, dass Mads Mensah Larsen und Harald Reinkind noch einmal einen Schritt nach vorne gemacht haben. Und dann müssen Sie sich mal anschauen, gegen wen wir bislang Punkte abgegeben haben.
SPOX: Die drei Niederlagen setzte es in Melsungen, in Kiel und zu Hause gegen Flensburg.
Gensheimer: Genau. Die Spiele, die wir verloren haben, waren alle gegen Top-Teams. Das heißt, dass wir es bislang geschafft haben, Punktverluste gegen vermeintlich schwächere Gegner zu vermeiden. Die Betonung liegt auf bislang! Das ist uns in den vergangenen Jahren nicht immer gelungen. Wir müssen weiterhin mit der richtigen Einstellung in solche Spiele gehen und einfach unsere Leistung abrufen. Machen wir das, sind wir schwer zu schlagen.
SPOX: Welche Rolle spielt in den Köpfen das dramatische Saisonfinale von 2014, als die Löwen am letzten Spieltag noch vom THW abgefangen wurden und zwei Tore zur Meisterschaft fehlten?
Gensheimer: Wenn es überhaupt noch eine Rolle spielt, dann in der Hinsicht, dass wir daraus gelernt haben. Man kann auch in so bitteren Momenten wichtige Erfahrungen sammeln. Das haben wir meiner Meinung nach getan, wir haben aus unseren Fehlern gelernt. Der Titelkampf von 2014 beeinflusst uns jedenfalls nicht negativ. Wir sind heiß und wollen Meister werden.
SPOX: Die Meisterschaft wäre für Sie persönlich ein krönender Abschluss nach 13 Jahren bei den Löwen.
Gensheimer: Es ist kein Geheimnis, dass die Beziehung zwischen den Rhein-Neckar Löwen und mir eine besondere ist. Die Löwen sind der einzige Verein, für den ich in meiner bisherigen Profi-Karriere aufgelaufen bin. Das sagt doch schon einiges aus. Mich nun mit einem nationalen Titel zu verabschieden, was gleichzeitig den ersten nationalen Titel für den Klub überhaupt bedeuten würde, wäre einfach ein Traum. Die Meisterschaft wäre für mich das Größte.
SPOX: Mit dem DHB-Pokal, in dem es die Löwen im Halbfinale mit Flensburg zu tun bekommen, wären sogar zwei Titel drin.
Gensheimer: Zwei nationale Titel gewinnen? Auch da hätte ich nichts dagegen. (lacht)
SPOX: Im Sommer wechseln Sie zu Paris Saint-Germain. Welche Rolle spielt PSG schon jetzt in Ihren Gedanken?
Gensheimer: HBL-Finale, Pokal-Final-Four, Olympia: Es stehen noch so viele Dinge an, bis ich meinen Dienst in Paris antrete. Deshalb denke ich derzeit noch nicht so viel an PSG. Ganz drum herum komme ich allerdings nicht. Man muss sich ja beispielsweise um Vorkehrungen wie die Wohnungssuche kümmern. Deshalb stehe ich mit Paris in Kontakt. Der sportliche Fokus liegt aber komplett auf den Löwen.
SPOX: Mannheim, Rio, Paris - vor einigen Wochen hat es Sie mit dem DHB-Team sogar ins Kanzleramt verschlagen, wo Angela Merkel der Nationalmannschaft persönlich zum EM-Titel gratuliert hat. Sie sorgten für Aufsehen, weil Sie auf dem Gruppenbild mit der Kanzlerin mit den Händen die berühmte Merkel-Raute bildeten. Wie kam es dazu?
Gensheimer: Bevor man das Kanzleramt betritt, gibt es ähnlich wie auf einem Flughafen einen Securitycheck. Es dauerte, bis wir da alle durch waren. Anschließend warteten wir noch in einer Art Aufenthaltsraum, bis wir zur Kanzlerin durften. Wir hatten vielleicht zu viel Zeit, also kamen wir auf die Idee, dass es doch super wäre, wenn wir alle auf dem Bild die Kanzler-Raute machen würden. Es wäre bestimmt cool angekommen, wenn das alle durchgezogen hätten. Aber Johannes Sellin und ich wurden vom Rest der Mannschaft im Stich gelassen. (lacht) Was mir ganz wichtig ist: Es war in keiner Weise eine despektierliche Geste, wir haben Frau Merkel nicht veräppelt. Wir wollten einfach das Markenzeichen der Kanzlerin imitieren.
SPOX: Die Aktion wurde von der großen Mehrheit auch als guter Gag und überhaupt nicht despektierlich bewertet, oder?
Gensheimer: Bei der Mehrheit ist es nicht negativ angekommen, das stimmt. Trotzdem schrieb der eine oder andere Pressekollege hinterher: "Sellin und Gensheimer veralbern die Kanzlerin". So war es wie gesagt überhaupt nicht.
SPOX: Gab es deshalb in irgendeiner Form Ärger?
Gensheimer: Nein. Ich weiß nur, dass die DHB-Führung noch einmal Kontakt zum Kanzleramt aufgenommen hat, um keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen. Ich glaube aber, dass die Kanzlerin das ohnehin eher amüsiert zur Kenntnis genommen hat.
SPOX: Wie haben Sie Angela Merkel denn grundsätzlich erlebt?
Gensheimer: Sie war super drauf und hat sich locker 45 Minuten oder sogar eine Stunde Zeit für uns genommen. Man muss bedenken, was diese Frau für ein Pensum abspulen muss und was gerade auch zu diesem Zeitpunkt alles auf ihrem Terminplan stand. Wir konnten wirklich in einer lockeren Atmosphäre mit Frau Merkel sprechen und verschiedene Dinge fragen. Es war ein beeindruckendes Erlebnis.
SPOX: Ähnlich beeindruckend war der Titelgewinn in Polen. Wie haben Sie den Hype um den deutschen Handball wahrgenommen?
Gensheimer: Es war für uns alle ein riesiger Erfolg. Auch für mich, obwohl es extrem bitter war, nicht spielen zu können. Gerade wenn man sieht, dass in den Jahren zuvor nicht jedes Turnier so verlaufen ist, wie man sich das vorgestellt hat. Trotzdem habe ich den EM-Titel jedem von ganzem Herzen gegönnt, der dabei war. Schließlich profitieren wir alle davon, wenn der Handball in so ein gutes Licht gerückt wird. Wenn man die Einschaltquote im Finale betrachtet, wo in der Spitze 17 Millionen Menschen zugeschaut haben, dann ist das Wahnsinn. So etwas erlebt man in unserer Sportart sonst nicht. Bei der EM hat einfach alles gepasst, im Verlauf des Turniers wurde das Interesse in Deutschland immer größer.
SPOX: Und wie kann man diesmal im Gegensatz zum WM-Titel 2007 auf längere Sicht Profit daraus schlagen?
Gensheimer: Ich denke, dass wir damit schon jetzt besser umgehen als 2007. Zum damaligen Zeitpunkt war es noch so, dass in den wichtigen Positionen viel mehr Ehrenamtliche beschäftigt waren, als es heute der Fall ist. Deshalb konnte man es meiner Meinung nach damals in diesem Umfang gar nicht auffangen. Da sind wir jetzt besser aufgestellt, auch was die strategische Herangehensweise an potenzielle Sponsoren betrifft.
SPOX: Grundvoraussetzung für alles sind weitere Erfolge. In Polen fehlten eigentlich gesetzte Spieler verletzt, andere nutzten ihre Chance herausragend. Hat sich die Konkurrenzsituation innerhalb des DHB-Teams mit Blick auf Olympia nicht erheblich verschärft?
Gensheimer: Ich weiß es nicht. Dagur Sigurdsson kann aus einem größeren Pool an Spielern schöpfen, als es vielleicht davor der Fall war. Das ist zunächst einmal sehr positiv für den deutschen Handball. Klar wird die Entscheidung für den Bundestrainer dadurch nicht leichter, er hat die Qual der Wahl. Für uns als Spieler hat sich aber nicht viel verändert. Wir können weiterhin nur versuchen, unsere bestmögliche Leistung abzurufen.
SPOX: Im Umgang mit großen Titeln wird immer wieder gefordert, dass man echte Typen positionieren müsse, die dann auch der breiten Öffentlichkeit bekannt sind. Einen Stefan Kretzschmar kann man sich nicht backen. Sind Sie grundsätzlich dafür bereit, einer dieser Typen zu sein?
Wolff im SPOX-Interview: "Hype ist nur von kurzer Dauer"
Gensheimer: So etwas entwickelt sich von ganz alleine, das kann man nicht erzwingen. Ich habe kein Problem damit, in der Öffentlichkeit zu stehen und wahrgenommen zu werden. Die Basis für all das ist aber wie von Ihnen angesprochen der sportliche Erfolg. Wir hatten nach der EM den einen oder anderen Spieler wie beispielsweise Andreas Wolff, der in Fernseh-Shows aufgetaucht ist. Es gab Zeiten, da wären Handballer gar nicht eingeladen worden. Das ist momentan anders und das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Der Handball braucht präsente Gesichter.
Die HBL im Überblick