"Dagur hat unglaubliches Rückgrat bewiesen"

Präsident Andreas Michelmann (l.) und Bundestrainer Dagur Sigurdsson sind zwei der Säulen des DHB
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SPOX: DHB-Vizepräsident Bob Hanning bezeichnet Sie als Pragmatiker, der nie auf den ersten Blick gewinnt, dafür aber mit seiner Nachhaltigkeit. Hat er Sie damit treffend beschrieben?

Michelmann: Im Gegensatz zu meiner aktiven Zeit habe ich hoffentlich ein wenig an Geist, definitiv aber an Gewicht gewonnen. (lacht) Wahrscheinlich entspreche ich somit nicht unbedingt dem heutigen Schönheitsideal. Am Ende ist aber entscheidend, welche Ergebnisse wir vorweisen können. Mit Bob spreche ich offen, dann aber immer unter vier Augen. Das gilt auch für die Zusammenarbeit mit dem restlichen Präsidium. Ganz wichtig ist, jedem genügend Luft zu lassen. Ich bin schon mehrmals von Bekannten oder Freunden gefragt worden: "Warum geht denn der Hanning immer vor und nicht der Präsident?" Dazu habe ich eine ganz klare Meinung: Der DHB muss auf der jeweiligen Position von den Besten vertreten werden. Und Bob ist aus dem Präsidium eindeutig derjenige, der am engsten an der Mannschaft dran ist und sich am besten zum Leistungssport und zur Nationalmannschaft äußern kann. Dann soll er das doch machen, das ist für mich völlig in Ordnung. Ich gebe Ihnen ein konkretes Beispiel.

SPOX: Bitte.

Michelmann: Als wir zur EM in Breslau angekommen sind, habe ich gesagt: "Bob, das ist jetzt dein Reich." Als wir dann nach dem Titel bei Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Gast waren, sagte Bob zu mir: "Das ist jetzt aber deine Bühne." Wir haben im Präsidium insgesamt eine klare Aufgabenteilung. Das führt vielleicht zu einer anderen Wahrnehmung, als man es klassischer Weise kennt. Aber wir kommen damit gut zurecht.

SPOX: Als Sie Präsident wurden, gab es Zweifel, ob für Sie die Doppelbelastung als DHB-Boss und als Oberbürgermeister von Aschersleben, der Sie nun seit 22 Jahren sind, händelbar ist. Wie kommen Sie mit den beiden Jobs klar?

Michelmann: Ich war mir zwar von Anfang an sicher, dass ich es schaffe. Aber dass es so gut läuft, hätte ich selbst nicht gedacht. Natürlich musste ich auch erstmal den richtigen Rhythmus finden. Anfangs habe ich gedacht: Du machst jetzt die ersten zwei Stunden das und dann vier Stunden das. So läuft es aber nicht. Wenn ich bei der Stadt Urlaub mache, verbringe ich diesen beim DHB. Das darf ich machen, das ist geklärt. Manche waren anfangs der Meinung, dass sie mich beschützen müssten, aber das bekomme ich mit 57 Jahren schon alleine hin. Natürlich ist es auch ein großer Vorteil, dass ich die Abläufe in der Stadt seit so vielen Jahren kenne. Das bedeutet, dass ich auch die eine oder andere Abkürzung kenne und gleichzeitig weiß, welcher Weg wahrscheinlich in die Irre führt. Ich muss bei der Stadt nicht mehr beweisen, was ich kann. Die Leute wissen das mittlerweile. Den Preis, den ich bisher für die Doppelfunktion bezahle, ist, dass mein gesamter Urlaub für den Handball draufgeht.

SPOX: Die Familie dürfte nicht gerade begeistert sein.

Michelmann: Ich habe zwar Kinder und Enkel, bin aber sonst alleinstehend. Natürlich wünscht sich das familiäre Umfeld vielleicht, dass sich der Großvater mehr um die Enkel kümmern würde, als er das macht. Zu meiner Verteidigung kann ich aber sagen: Ich habe vor Kurzem gemeinsam mit meinem Bruder und dem Kindsvater einen Sandkasten aufgebaut. (lacht)

SPOX: Jeder Mensch muss mal abschalten, um seine Kräfte zu behalten. Wie machen Sie das denn?

Michelmann: Das ist für mich kein Problem. Die EM in Breslau oder die Spiele in Rio waren für mich so etwas wie aktive Erholung. Das ist eine ganz andere Form der Belastung. Diese Frage muss jeder selbst für sich beantworten: Bin ich nach einer Woche Mallorca oder nach einer Woche Handball-EM besser drauf? Ich für meinen Teil finde es langweilig, alleine in den Urlaub zu fahren.

SPOX: Als Politiker ist für Sie die Flüchtlingsproblematik ein großes Thema. Sie bezeichneten diese vor einem Jahr als große Chance für den Handball. Sehen Sie das immer noch so und was hat sich auf diesem Gebiet getan?

Michelmann: Diese Aussage würde ich auch heute noch genauso unterschreiben. Leider haben sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geändert. Wir müssen akzeptieren, dass 20 oder 25 Prozent anderer Meinung sind. Vielleicht ergibt sich für jemand wie mich, der Verantwortung für eine Stadt im Osten trägt, eine andere Sicht. Bei allem Einsatz, den wir gezeigt haben, und bei aller Solidarität, die wir vom Westen erfahren haben, haben wir in den letzten 25 Jahren rund 25 Prozent unserer Bevölkerung verloren. Es ist überhaupt nicht abzusehen, dass wir das aus uns heraus umkehren können. Man muss nur die Sterbe- und Geburtenzahlen anschauen, um das festzustellen. Wenn die Bevölkerungsentwicklung in Ascherleben so weitergeht, wären wir 2087 ohne Menschen. Und wir reden hier von einer Stadt, die einmal 32.000 Einwohner hatte. Wenn wir wollen, dass es so nicht endet, dann geht das nur mit Zuzug oder Zuwanderung.

SPOX: Das heißt?

Michelmann: Zuzug haben die Kommunen aus dem Norden, Westen und Süden dieses Landes aus dem Osten bekommen, weil damals bei uns eine gigantische Arbeitslosigkeit von über 40 Prozent herrschte. Diese Menschen haben inzwischen in Bayern oder Baden-Württemberg Wurzeln geschlagen, die kommen nicht zurück. Die um uns herumliegenden Länder leiden unter ähnlichen bis gleichen demographischen Problemen. Jedem, der denken kann, muss also schon lange klar sein, dass wir Zuwanderung nur von außerhalb Europas erwarten können. Ich erwarte von der Politik weniger Hin- und Hergewanke, sondern eine praktische und von mir aus auch pragmatische Politik. Vielleicht brauchen wir für Baden-Württemberg, Berlin oder Hamburg andere Lösungen als für Städte im Osten. Beim Handball ist es ähnlich. Wir haben Jahr für Jahr erzählt, dass wir der größte Handballverband der Welt sind. Die Wahrheit ist doch aber auch, dass wir, was die Mitgliederzahlen angeht, seit Jahren Stück für Stück eine Abwärtsentwicklung haben. Deswegen ist klar, dass wir die Flüchtlinge und die Migranten als Chance nutzen müssen. Selbst wenn sie eines Tages in ihre Länder zurückkehren, haben wir etwas für den Handball insgesamt geleistet.

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