DFB-Team zwischen Testspielen und EM 2024: Drei wichtige Erkenntnisse für das Turnier

Von Justin Kraft
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Euphorie hat das DFB-Team mit dem 0:0 gegen die Ukraine und dem knappen 2:1-Erfolg gegen Griechenland in den Testspielen nicht auslösen können. Enttäuscht hat die Mannschaft von Julian Nagelsmann aber ebenfalls nicht. Diese drei finalen Erkenntnisse kann der Bundestrainer für die EM 2024 mitnehmen.

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"Wir wussten auch, dass wir nicht so gut sind, wie wir im März gemacht wurden", sagte Toni Kroos bei RTL nach dem 2:1-Erfolg gegen Griechenland. Allerdings sei man auch nicht so schlecht gewesen, wie es davor dargestellt wurde.

Der Rückkehrer erklärte gelassen, dass eine schwache Halbzeit im Fußball mal vorkomme und ließ sich davon nicht weiter beirren. Sein kurzes Interview war gleich auf mehreren Ebenen bezeichnend für den Status-quo des DFB-Teams vor der Europameisterschaft im eigenen Land. Denn so richtig weiß niemand, zu was die deutsche Nationalmannschaft fähig sein wird.

Beim 0:0 gegen die Ukraine zeigte das Team von Julian Nagelsmann eine starke Leistung, verpasste es aber, die Tore zu erzielen. Gegen die Griechen fehlte eine Halbzeit lang nahezu alles, was es gegen einen gut organisierten Gegner braucht. Selbst die bessere zweite Halbzeit entsprach nicht den Standards, die man sich in Deutschland selbst setzt.

Die gute Nachricht für den Bundestrainer: Es waren nur Testspiele - und die haben das geliefert, wofür sie da sind: Erkenntnisse. Drei davon sind für die Europameisterschaft besonders entscheidend.

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DFB-Team: Konteranfälligkeit ist die zentrale Herausforderung

Im ersten Durchgang gegen Griechenland machte Nagelsmann vermutlich einige Kilometer an der Seitenlinie. Immer wieder lief er auf und ab, zur Bank und zurück zur Seitenlinie. Er gestikulierte wild, schrie in Richtung seiner Spieler und wirkte dem Spielverlauf entsprechend alles andere als zufrieden. Ein Grund dafür: Die vielen Ballverluste. Außer Toni Kroos gab es keinen Spieler auf dem Feld, der in der Lage war, dem etwas höheren Mittelfeldpressing der Griechen Souveränität und Ballsicherheit entgegenzusetzen.

Ob die Meister Jonathan Tah und Robert Andrich, die Außenverteidiger Joshua Kimmich und Maximilian Mittelstädt oder Champions-League-Sieger Antonio Rüdiger: Sie alle hatten Momente der Unsicherheit. Der eine mehr, der andere weniger. Fakt ist aber: Sowohl die Ukraine als auch Griechenland wurden zu oft eingeladen. Zu oft lief man sich im Zentrum fest, zu oft wählte man eine Risikovariante, obwohl man selbst als Mannschaft nicht gut positioniert war.

Nicht gut positioniert bedeutet im System von Nagelsmann: Nicht engmaschig genug. Mal rückten die Verteidiger in Ballbesitz nicht schnell genug auf, um nah an ihren Gegenspielern zu sein, falls Deutschland den Ball verliert. Mal gab es technische Fehler. So spielte Tah in der ersten Halbzeit einen Ball unbedrängt ins Aus, während Füllkrug im zweiten Durchgang einen Seitenwechsel jenseits von allen Mitspielern ins Niemandsland schoss. Beide Szenen waren nicht dramatisch, blieben sie doch unbestraft.

Anders war das beim Querpass von Florian Wirtz, der gegen Griechenland völlig unnötig durchs komplette Zentrum und schließlich in die Beine der Griechen rollte. Risikoabwägung im Spielaufbau und die richtige Struktur sind die größten Themen vor der Europameisterschaft. Daran könnte der Erfolg dieses Teams hängen.

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DFB-Team: Der Offensivknoten muss noch platzen

Etwas weniger Sorgenfalten gibt es in der Offensive des DFB-Teams. Denn vor allem gegen die Ukraine hat die Mannschaft bewiesen, dass sie flüssigen, flexiblen und begeisternden Angriffsfußball spielen kann. Wirtz und Jamal Musiala stehen im letzten Drittel im Fokus. Ihre Kreativität, ihre Ideen, ihr Tempo und ihre Straßenfußballer-Fähigkeiten sorgen für Dynamik gegen Mannschaften, die das Spiel der Deutschen möglichst statisch machen wollen.

Wie die beiden 21-Jährigen sich immer wieder suchen, finden und miteinander Fußball spielen, ist herausragend. Gegen die Ukraine war Deutschland kaum auszurechnen. Auch Kai Havertz hat seinen Anteil daran. Der Angreifer des FC Arsenal ist nicht unumstritten im Heimatland, weil seine Leistungen nicht konstant, sein Abschluss nicht klinisch genug ist. Und doch ist das Potenzial dieses Trios enorm.

Die Frage für Nagelsmann wird sein, wie er die PS dauerhaft auf die Straße bekommt. Gegen Griechenland gab es klare Abstimmungsprobleme. Pässe in Räume, in die niemand starten wollte. Dribblings, die einen Tick zu lang wurden und im Abwehrblock des Gegners endeten und die Frage, wer über die im besten Fall sieben EM-Spiele hinweg konstant die Tore schießen soll – es fehlt womöglich etwas mehr als das Finetuning.

Und doch waren die Ansätze in beiden Spielen da. Zumal Nagelsmann mit Niclas Füllkrug, Maximilian Beier, Deniz Undav, Thomas Müller, Chris Führich und Leroy Sané flexibel nachlegen kann. Spieler mit ganz unterschiedlichen Stärken und Schwächen, Spieler, die die Spielweise ihres Teams verändern können und so Möglichkeiten bieten, auch von der Bank einen Rhythmus zu verändern. Mit dieser Offensive hat der Bundestrainer einige sehr gute Karten in der Hand.

Toni Kroos, DFB-Team
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Sommermärchen 2.0? Das macht dem DFB-Team Mut

Neben der Offensive macht dem DFB-Team auch die wiedergefundene Stabilität Mut. In den vier Partien dieser Saison kassierten die Deutschen nur zwei Gegentore. Drei Siege und ein unglückliches Unentschieden stehen auf dem Konto. Zweimal lag man zurück, zweimal drehte man die Partie. Die Rückkehr von Kroos spielte dabei eine entscheidende Rolle, doch auch um ihn herum ist die Mannschaft gewachsen.

Nagelsmann traf schwierige Kaderentscheidungen und scheint ein Team geformt zu haben, das sehr gut ausbalanciert ist. Kroos hat recht, wenn er davon spricht, dass man nicht so gut sei, wie es in Deutschland nach den Siegen gegen Frankreich und die Niederlande dargestellt wurde. Aber Grund für Optimismus gibt es reichlich. Das Sommermärchen 2.0 ist möglich.

Und erinnert man sich an das Original im Jahr 2006, dann wird man sich auch an holprige Testspiele und einen wechselhaften Start in das Turnier erinnern. Natürlich hat die Mannschaft von Nagelsmann ihre Schwierigkeiten und Baustellen, die es für eine erfolgreiche Europameisterschaft zu beheben gilt. Vieles wird davon abhängen, wie gut man durch die komplizierte Gruppe kommt. Schottland, Ungarn und die Schweiz sind jeweils Gegner, die Deutschlands Schwächen aufzeigen können und wohl auch werden.

Genau daran kann das DFB-Team aber wachsen. Die Uneinigkeit darüber, wo genau man im Kreis der Favoriten verortet ist, hat sich durch die Testspiele nicht in Luft aufgelöst. Dass man vor allem gegen Griechenland in einem komplizierten Spiel noch gewinnen konnte, hat dem Selbstvertrauen jedoch einen weiteren Schub gegeben. Das Gefühl, dass da etwas zusammengewachsen ist, ist längst keine Ansicht mehr, die es exklusiv intern gibt. Der Stimmungswechsel innerhalb des Landes wurde überraschend schnell vollzogen.

Es liegt nun an der Nationalmannschaft, all die Ansätze zu vollenden und die Euphorie bei der Europameisterschaft endgültig auf seine Seite zu ziehen.

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