Gut 600 positive Tests in den vergangenen 13 Jahren haben das Gewichtheben zur Dopingsportart Nummer eins gemacht. An diese Bilanz reicht auch die Leichtathletik nach ihren jüngsten Skandalen bei weitem nicht heran.
Baumgartner gehört zu den Funktionären, die sich seit Jahren nicht mit diesem Status abfinden wollen. Entsprechend sieht er auch das Gute in den niederschmetternden Nachrichten, die der Weltverband IHF peu a peu in Form von Mitteilungen über neue Verstöße an die Öffentlichkeit weiterreicht.
"Dass Kontrollen wie jetzt bei der WM wirklich auch mal funktionieren und die Leute überführen, bei denen es offensichtlich nicht mit rechten Dingen zugeht, finde ich sehr erfreulich", sagte Baumgartner dem SID.
Zehn Prozent gedopt
Bei der WM in Houston fielen bei gut 200 Tests mehr als zehn Prozent durchs Raster, darunter auch Superschwergewichts-Champion Alexej Lowtschew - ausgerechnet ein Russe.
Das größte Land der Welt kämpft gerade darum, dass seine Leichtathleten trotz der jüngsten Skandale bei den Olympischen Spielen in Rio starten dürfen. Den Fall Lowtschew - der schwere Mann, der mit dem Wachstumshormon Imparomelin erwischt worden war, bestreitet ein Fehlverhalten vehement - wollen die Russen zunächst genauestens untersucht haben.
Baumgartner ist da weniger zimperlich. "Wenn man sich die Rekordversuche von Lowtschew in Houston anschaut, wie er 475 kg hebt und man denkt, da ist noch Luft für 20 kg mehr drin - das ist physiologisch nicht zu erklären", sagte er: "Dieser Dopingfall kann keinen Fachmann überrascht haben."
Startplatz bis 2020 gesichert
Trotz allem glaubt Baumgartner, der auch in der Exekutive des Weltverbandes IWF sitzt, an eine olympische Zukunft seiner Sportart: "Im Gewichtheben ist man mittlerweile sehr bemüht. Und redliche Verbände und Sportler pauschal mit zu bestrafen, wäre widersinnig."
Bis 2020 in Tokio haben die Heber ihren olympischen Startplatz sicher, auf der IOC-Session vor den Spielen in Rio werden die Karten neu gemischt.
Der Rechtsstreit zwischen der IWF und dem bulgarischen Verband, der mittlerweile beim internationalen Sportgericht CAS anhängig ist, besitzt Signalwirkung für die komplette Sportart. Die IWF hatte den bulgarischen Verband auch für Rio gesperrt, nachdem elf Heber (acht Männer, drei Frauen) im vergangenen April in einem Trainingslager Opfer von Zielkontrollen geworden waren. Alle waren vollgepumpt mit dem anabolen Steroid Stanozolol.
"Unsere schärfte Waffe"
Baumgartner bezeichnet die Regel 12.3.1 aus den Anti-Doping-Regularien der IWF, die diese drastische Sanktion ab neun Verstößen pro Kalenderjahr erlaubt, als "unsere schärfste Waffe". Er hoffe inständig, sagte Baumgartner, dass der CAS die Sperre gegen die Bulgaren "im Sinne unseres Sports" bestätigen wird. Ein Urteil wird Ende Januar erwartet.
Dass ein weiteres Land keine Heber nach Rio entsenden darf, ist trotz der Dopingflut von Houston derzeit nicht zu erwarten. Mehreren Ländern, darunter Russland, die Republik Moldau, Rumänien und Aserbaidschan, werden wohl Startplätze aberkannt. Die IWF-Exekutive entscheidet darüber auf ihrer Sitzung am 12. und 13. März.
Bis dahin hofft Baumgartner auf eine Intensivierung des Dopingkampfes, nicht nur im Gewichtheben. "Wir müssen die Doping-Kontrollen von den Weltverbänden weg verlagern hin zur Welt-Anti-Doping-Agentur WADA", sagt er: "Und wenn die das nicht hinbekommt, dann muss eine Organisation geschaffen werden, die Unabhängigkeit gewährleisten kann."
Bis dahin bleibt er zurückhaltend mit der Formulierung der deutschen Heber-Ziele für Rio: "Wir reden nicht von Medaillenchancen, aber von den Top acht."