Bei seinem Namen wird jeder NBA-Scout nervös: Jonas Valanciunas gilt nach Ricky Rubio als "the next big thing" aus Europa. Der 19-jährige Center vom litauischen Top-Klub Lietuvos Rytas ist im Eurocup, vergleichbar mit der Europa League im Fußball, der zweiteffektivste Spieler (11,3 Punkte, 7,9 Rebounds) - für einen Teenager außergewöhnlich. Der Nummer-5-Pick von 2011 über den bevorstehenden Wechsel zu den Toronto Raptors und das traumatische Ausscheiden bei der Heim-EM.
GettySPOX: Während der Heim-EM im Herbst waren Sie in gigantischen Dimensionen zu bestaunen. An der Fassade von Litauens größter Shopping Mall in Vilnius wurde ein Plakat von Ihnen aufgehängt: 40 Meter hoch, 100 Meter breit. Erschraken Sie sich ob des Rummels um Ihre Person?
Jonas Valanciunas: Ich konnte mich mental darauf vorbereiten - Gott sei Dank! (lacht) Ich hatte erst kurz davor den Vertrag mit meinem Ausstatter unterzeichnet und dabei wurde mir erklärt, wie die Werbeoffensive aussehen würde. Als ich das Plakat tatsächlich sah, war es schon seltsam. Aber ich fand es okay.
SPOX: Der Trubel erstaunte, denn es stand lange nicht einmal fest, ob Sie überhaupt in Litauens EM-Kader berufen werden.
Valanciunas: Daher kümmerte ich mich wenig darum, was sonst parallel lief. Ich hatte nur ein Ziel: in die Nationalmannschaft zu kommen. Ich fragte mich, wann Litauen das nächste Mal eine Basketball-Großveranstaltung ausrichten würde. Deswegen dachte ich die ganze Zeit an die EM. Als ich tatsächlich nominiert wurde und mich die Veteranen so toll aufnahmen, fühlte ich mich so erleichtert wie nie. Eine unglaublich tolle Erfahrung, wie oft mir selbst eine Legende wie Srars Jasikevicius Ratschläge gab.
SPOX: Das Turnier endete jedoch in Tränen: Litauen schied bereits im Viertelfinale aus.
Valanciunas: Ehrlich gesagt möchte ich nicht darüber sprechen. Es war eine sehr harte, grausame Zeit.
SPOX: Sie erlebten im vergangenen Jahr jeden emotionalen Ausschlag: Sie wurden beim NBA-Draft von den Toronto Raptors an Nummer fünf gezogen, führten einen Monat später Litauens U 19 zum EM-Titel, gewannen nach 36 Punkten im Finale gegen Serbien den MVP-Award, nahmen an der EM der Senioren teil - und erlebten mit dem Viertelfinal-Aus die größte Enttäuschung der jungen Karriere. Kann ein 19-Jähriger all das verkraften?
Valanciunas: Körperlich geht das schon, ich bin ja noch jung. (lacht) Ich hatte vor dieser Saison zwei, drei Wochen Urlaub, in denen ich mich komplett runtergefahren habe. Für den Kopf ist es anstrengender, allerdings kommt mir zugute, dass ich vom Typ her lieber alleine bin. Ich mag es, meine Ruhe zu haben und in meinem Kopf alles zu sortieren. Das hilft mir nach hektischen Phasen sehr.
SPOX: Nach dieser Saison wechseln Sie vom litauischen Topklub Lietuvos Rytas in die NBA zu den Toronto Raptors. Die Beschaulichkeit könnte ein Ende finden.
Valanciunas: In der NBA geht es bestimmt hektischer zu als in Litauen, andererseits habe ich New York und Toronto kennengelernt, und beide Städte gefallen mir sehr gut. New York ist ein bisschen laut und voll, Toronto hingegen hat die richtige Mischung. Dort geht es sehr entspannt und international zu. Das passt. Zumal ich gehört habe, dass in Toronto eine große litauische Gemeinde lebt, die mir das Eingewöhnen bestimmt erleichtert.
SPOX: Ihr Englisch ist zumindest schon sehr gut.
Valanciunas: Ehrlich? Vielen Dank für das Kompliment. Es ist nicht perfekt und ich mache zu viele Fehler, aber ich verbringe seit diesem Jahr sehr viel Zeit damit, mit einem Privatlehrer das Englisch zu verbessern, um so gut wie möglich vorbereitet zu sein für die NBA. Ich fände es furchtbar, in ein neues Land zu gehen und mich nicht verständigen zu können.
SPOX: In dieser Saison bekommen Sie die Gelegenheit, nicht nur an Ihren Englisch-Kenntnissen, sondern auch an Ihrem Körper zu arbeiten. Sind Sie im Nachhinein froh, dass Sie nicht sofort in die NBA gehen durften und sich stattdessen bei Rytas im Eurocup, zu vergleichen mit der Europa League im Fußball, bewähren können?
Valanciunas: Es ist das perfekte Übergangsjahr. Die Saison mit Rytas läuft blendend: In der litauischen Liga liegen wir auf Platz zwei und im Eurocup stehen wir im Final Four - und ich bekomme viele Minuten. Von daher gibt es keinen Grund zur Klage.
SPOX: Bei Rytas werden Sie von Aleksandar Dzikic trainiert - was sich als Segen erweisen könnte. Immerhin bringt Dzkic NBA-Erfahrung mit, seit er zwischen 2005 und 2007 unter anderem ihrem zukünftigen Headcoach Dwyane Casey assistierte.
Valanciunas: Dzikic ist der richtige Coach für mich: Er weiß genau, wie es in der NBA zugeht und was von mir erwartet wird. Er erzählt mir, dass Casey einer der größten Verteidigungs-Experten der Welt ist und dass ich mit meiner Defense-First-Spielweise sehr gut nach Toronto passen werde. Mir wird vom Coach allerdings auch immer wieder gesagt, dass ich nicht nachlassen darf und immer hundert Prozent investieren muss, damit ich es schaffe.
SPOX: Raptors-Präsident Bryan Colangelo kündigte direkt nach dem Draft an, mit dem Rytas-Trainerstab eng zusammenarbeiten zu wollen. Wie sieht die Kooperation aus?
Valanciunas: Bryan versucht alles, um mich richtig vorzubereiten. So wurde aus Toronto der Konditionstrainer eingeflogen, der mir Übungen zeigte, wie man den Körper in NBA-Form bringt.
SPOX: Stimmen Sie den Kritikern zu, die bei allem Talent die fehlende Physis von Ihnen beklagen?
Valanciunas: Ich muss definitiv am Körper arbeiten und Gewicht aufbauen. In der NBA geht alles über Power und Muskelkraft, da habe ich derzeit noch Defizite, ganz klar.
SPOX: Unter den 2,11-Meter-Riesen stechen Sie mit Ihrer Schnelligkeit heraus. Verschwindet die Qualität nicht, wenn Sie bulliger werden?
Valanciunas: Das ist die große Herausforderung: Ich darf bloß nicht meine Explosivität verlieren, weil mein Spiel darauf beruht. Daher versuche ich, kontrolliert Muskeln anzutrainieren. Einfach nur pumpen gehen könnte sehr negative Folgen haben. Jede Einheit ist eine Gratwanderung.
SPOX: Oder Sie wechseln von der Center- auf die Power-Forward-Position. Sie bringen die Anlagen dazu mit, zumal Sie nicht von ungefähr mit dem Ex-Raptors-Superstar Chris Bosh verglichen werden.
Valanciunas: Ich will nicht abstreiten, dass wir ein bisschen ähnlich spielen. Dennoch kommt ein Positionswechsel nicht in Frage. Ich spiele mein gesamtes Leben als Center - von daher macht es keinen Sinn, dass ich plötzlich als Power Forward auflaufe.
SPOX: Bei der EM duellierten Sie sich mit den besten Big Men Europas: Mit den Deutschen Dirk Nowitzki und Chris Kaman, mit den Spaniern Pau und Marc Gasol, mit Serbiens Nenad Krstic oder dem Franzosen Joakim Noah. Fühlten Sie sich ebenbürtig?
Valanciunas: Eigentlich schon. Es hat mich auf jeden Fall nicht entmutigt - wobei das Spiel gegen die Spanier der Wahnsinn war. Nachdem ich es gleichzeitig mit den beiden Gasol-Brüdern zu tun bekam und versuchte, sie zu stoppen, konnte ich in der Kabine nur ein Wort sagent: "Wow!"