Eine perfekte Qualifikation für die EM 2013 in Slowenien ist geschafft. Während sich Serbien und die Türkei in ihren Gruppen erst am letzten Spieltag das EM-Ticket sicherten, lautete die deutsche Bilanz: 8 Spiele, 8 Siege, 7 davon mit zweistelligem Vorsprung. Die Frage jedoch: Was sind die Erfolge wert? Deutschlands schwerste Gegner wie zuletzt Aserbaidschan, Schweden und Bulgarien sind international nur zweite Güte. Das neu zusammengestellte DBB-Team in der Kader-Analyse.
Center
Die Quali-Rotation: Pleiß (22, Caja Laboral), Zirbes (22, Bamberg)
Die Nachrücker: Idbihi (29, Berlin), Seiferth (23, Trier)
Ein Gigant, der nur einen Widersacher kannte: Ein Sommer mit dem DBB-Team und dem harten Pesic-Training dürfte Tibor Pleiß bei der Eingewöhnung in Spanien, der besten Liga Europas, dienlicher sein als anonyme Summer Camps bei einem NBA-Klub oder ein Workout im Privaten. Doch ein direkter Leistungsvergleich war für Pleiß nur in den Duellen mit Aserbaidschan und dem eingebürgerten Charles Davis möglich. Die anderen gegnerischen Center in der Quali hatten nicht das Format, um Pleiß zu fordern.
Davis, von Pesic als der beste US-Profi in Europa bezeichnet, bekam wie zu erwarten die Hoheit über alle aserbaidschanischen Würfe und erzielte in den zwei Spielen gegen Deutschland im Schnitt 28,0 Punkte bei einer Quote von 52,6 Prozent. Beeindruckende Zahlen, die Pleiß allerdings nicht beunruhigen sollten. Er selbst spielte in den beiden Partien weniger auffällig, dafür ähnlich effizient (12,0 Punkte, 61,1 Prozent Quote) - und ließ erahnen, warum er sich bereit fühlt für das Abenteuer Spanien.
Die Größe und den Wurf hatte er seit langem besessen, in der Bamberger Vorsaison kamen Selbstsicherheit und neue Kilos an Muskelmasse hinzu. Ein Pleiß in dieser Kombination wird als deutscher Starting Center für viele Jahre nicht zu verdrängen sein.
Bleibt die Frage nach dem Vertreter: Für die EM-Quali bekam Maik Zirbes, der Most Improved Player der BBL, von Pesic das Votum und enttäuschte nicht. In allen 3 Partien mit 10 Minuten oder mehr Einsatzzeit erzielte er auch mindestens 10 Punkte. Während der gesamten Quali-Phase wurden 10,0 Minuten und 6,1 Punkte für den Ex-Trierer verzeichnet. Etwas seltsam: Trotz seiner 2,08 Meter griff er nach den 8 Rebounds zum Auftakt gegen Luxemburg in den folgenden 6 Spielen zusammengezählt nur noch 4 Rebounds ab.
Zirbes' Konkurrenten heißen Yassin Idbihi und Andreas Seiferth. Idbihi ist zwar 29 Jahre alt und passt damit nicht mehr in die Altersstruktur des DBB-Teams, mit soliden Leistungen in Berlin bleibt er trotz der Nichtberücksichtigung aber eine Möglichkeit. Zumal er es besser als alle anderen deutschen Big Men versteht, mit seinem Kumpel Schaffartzik das Pick'N'Roll zu laufen. Seiferth, der vormalige Zirbes-Backup in Trier, wird nach dessen Weggang zu Bamberg in die erste Fünf befördert. Ob er die nötigen Fertigkeiten mitbringt, wird sich erst zeigen.
Die Forward-Position: Jagla und das Jüngling-Quartett
Die Guard-Position: Was passiert mit Hamann?
Das Fazit: Deutschland in der Verfolger-Gruppe
Power Forward
Die Quali-Rotation: Jagla (31, Bayern), Ohlbrecht (24, ohne Klub)
Die Nachrücker: Theis (20, Ulm), Neumann (20, Bamberg), Kleber (20, Würzburg), Barthel (20, Frankfurt)
In der Vorbereitung auf die EM-Quali erinnerte Jan Jagla wieder an jenen Spieler, der bei der EM 2009 und der WM 2010 als wichtigster Scorer und Rebounder der deutschen Mannschaft vorangegangen war. Mit Beginn der Pflichtspiele kehrte jedoch die Unbeständigkeit zurück, die Bayern-Trainer Dirk Bauermann so missfällt. 19 Punkte (6/13) in Bulgarien folgen 4 Punkte (2/14) gegen Schweden, in der Rückserie wiederum bleibt er gegen Bulgarien unsichtbar (4 Punkte, 1/4), nur um in Schweden 16 Punkte zu erzielen (6/13).
Die Dreierquote von 5/29 in der gesamten Quali sind Beleg dafür, welche Mühe es ihm bereitet, zu seinen Würfen zu kommen.
Dennoch wurde Jagla von seinem Schwiegervater Pesic nicht aus Anteilnahme mit Schaffartzik zum Co-Kapitän bestimmt. Auf keiner Position gibt es derart wenige Routiniers, die sich für die Nationalmannschaft anbieten. Und auf keiner der anderen Postionen gibt es derart viele Nachwuchsspieler, denen im DBB-Team das Morgen gehört, die im Heute aber überfordert wären.
Neben Bambergs Double-erprobten Philipp Neumann und Frankfurts Hoffnung Danilo Barthel zählen zu der Bande der 20-Jährigen auch Ulms Neuzugang Daniel Theis sowie Maxi Kleber (Würzburg). "Sie bringen die perfekte Größe als Power Forwards mit und sind gleichzeitig so unterschiedlich, dass sie sich zukünftig sehr gut ergänzen. Daniel ist athletischer und extrem stark im Rebounding, dafür verfügt Maxi über einen starken Wurf", sagt Ademola Okulaka im SPOX-Interview.
Im mittleren Alterssegment zwischen Jagla und den Jungen empfiehlt sich nur Tim Ohlbrecht, dessen Athletik auf den großen Positionen für deutsche Verhältnisse unerreicht ist. Das Problem: Obwohl 24 Jahre alt, spielt Ohlbrecht phasenweise noch immer wie ein Teenager: Defensiv begeht er unnötige Fouls und offensiv weiß er sich nicht zu helfen, wenn er den Ball nicht maßgerecht gepasst bekommt. Der Auftritt gegen Aserbaidschan (11 Punkte, 11 Rebounds) dürfte dem Vertragslosen aber helfen, einen neuen Klub zu finden. Bremerhaven ist interessiert.
Small Forward
Die Quali-Rotation: Benzing (23, Bayern), Schwethelm (23, Ulm), Zwiener (27, Bremerhaven)
Die Nachrücker: Harris (23, Gonzaga), Mönninghoff (20, Trier), Heckmann (20, Boston College)
Robin Benzing ist Steffen Hamanns Nachfolger - als Zankapfel des deutschen Basketballs. Verschwendet er sein Talent, weil ihm die Härte gegen sich selbst fehlt? Oder ist der Vorwurf nur das Indiz für eine völlig überhöhte Erwartung an einen 23-Jährigen, den vor drei Jahren noch kaum jemand kannte?
Zumindest wurde die EM-Quali zu einer ersten Versöhnung: Benzing zeigte sich ob der Kritik an seiner fehlenden Aggressivität und dem eindimensionalen Offensivspiel wesentlich verbessert. In keiner der acht Partien erzielte er weniger als 9 Punkte und nur in einer Partie holte er weniger als 4 Rebounds. Überzeugend vor allem seine Quoten: 52,6 Prozent aus dem Zweipunkt- und 41,9 Prozent aus dem Dreipunktbereich. Mit Schaffartzik (12,0 Punkte) teilte sich Benzing (13,3) die Bürde des Scorens. Genau die Rolle, die er die nächsten Jahre beim DBB einnehmen wird.
Für die Rotationsplätze hinter Benzing wird es jedoch ein munteres Bewerben geben: In den Quali-Kader berufen wurden Philipp Schwethelm, der sich vom verlorenen Bayern-Jahr langsam erholt, sowie Philip Zwiener. Letzterer wird sich dem Drängen der nächsten Generation erwehren müssen, um weiter von Pesic nominiert zu werden.
Elias Harris will sich im letzten Jahr bei Gonzaga für das DBB-Team und einen Vertrag bei einem europäischen Topteam anbieten. Mathis Mönninghoff verließ hingegen Gonzaga und zählt als Neuankömmling in Trier zu den Favoriten auf den Rookie-of-the-Year-Award. Ähnlich großes wird von Patrick Heckmann erwartet, der in seinem zweiten Jahr am Boston College als neuer Go-to-Guy eingeplant ist.
Die Center-Position: Pleiß und der US-Aserbaidschaner
Die Guard-Position: Was passiert mit Hamann?
Das Fazit: Deutschland in der Verfolger-Gruppe
Shooting Guard
Die Quali-Rotation: Schaffartzik (28, Berlin), Staiger (24, Ludwigsburg), Tadda (23, Bamberg)
Die Nachrücker: Giffey (21, Connecticut), Zipser (18. Heidelberg)
Die Wandlung ist abgeschlossen: Aus dem vormals pubertären Heiko Schaffartzik wurde das Alphatier. Er ist neben Jagla der Kapitän, er ist neben Benzing der wichtigste Scorer (12,0 Punkte) und er ist der am längsten eingesetzte Spieler (27,4 Minuten). Er ist der meist gefragte Interview-Partner und er ist es, der sich erstmals so über Bundestrainer-Vorgänger Dirk Bauermann äußerte, dass es als Kritik verstanden werden kann: "Bei Dirk Bauermann war in der Offensive alles kontrollierter, in der Defensive hat man eher reagiert. Jetzt spielen wir viel schneller, wir agieren und setzen den Gegner permanent unter Druck."
Zu diesem schnellen Spiel gehört es, dass Schaffartzik unter Pesic als Shooting Guard beginnt und fast gar nicht mehr als klassischer Point Guard aufläuft, um ihn häufiger in bessere Wurfpositionen zu bringen. Die beiden unbedeutenden Luxemburg-Spiele ausgeklammert, in denen er sich zurückhielt, lautet die äußerst erfolgreiche Bilanz: 14,8 Punkte, 50,0 Prozent Dreier, 4,7 Assists.
Folglich wird Schaffartzik wohl auch in Berlin zunehmend öfter als Shooting Guard spielen. Alleine schon, um sich mit DaShaun Wood und dem serbischen Neuzugang Vule Avdalovic, beide ebenfalls Spielmacher, zu arrangieren.
Der Schritt weg von Berlin und dem dortigen Wettstreit der Guards kam für Schaffartziks DBB-Backup Lucca Staiger einer Befreiung gleich. Der zukünftige Ludwigsburger erstaunte mit einer Leistung, die nicht immer perfekt, aber beherzt und mutig war. Statt sich wie gewohnt nur auf seinen Dreier zu verlassen, zog er zum Korb, warf aus der Bewegung heraus oder versuchte sich sogar am Alley-oop-Anspiel. Im Quali-Abschluss gegen Aserbaidschan wurde er von Pesic eigens als taktisches Mittel eingesetzt. Als Spieler, der spät reinkommt und mit seiner Energie die Entscheidung erzwingt - ein erfolgreiches Unterfangen.
Die weiteren Kandidaten bei den Shooting Guards sind Defensiv- und Dreierspezialist Karsten Tadda, Niels Gieffey (NCAA-Champion 2011) - und Paul Zipser. Ein 18-Jähriger, der mit der Jugend-Nationalmannschaft bei der U-18-EM schmerzhaft aus der A-Division abstieg, auf Klubebene jedoch freiwillig im zweitklassigen Heidelberg bleibt, um sich dort zu entfalten. Dafür sagte er allen deutschen Topklubs ab. Bayern-Coach Dirk Bauermann in der SPOX-Triangle-Offense: "Keine Frage, er kann mit dem Ball umgehen und wird zu den dominierenden Außenspielern Europas gehören."
Point Guard
Die Quali-Rotation: Günther (24, Ulm), Doreth (23, Trier)
Die Nachrücker: Hamann (31, Bayern), Schröder (Braunschweig), Canty (21, Bremerhaven)
Die Position, die neugierig macht: Was passiert im kommenden Jahr, wenn Steffen Hamann wieder bereit stehen würde für die EM? Ohne den sich erholenden Hamann gebührte in der Qualifikation Ulms Per Günther die Starter-Rolle sowie ausgiebig Einsatzzeit. Bei Bauermann noch überhastet und umständlich, spielt er nun geradliniger - doch auch unter Pesic wirkt es so, als ob Günther im DBB-Trikot das Fröhliche aus Ulm verliert und Platz macht für das Verkrampfte. In den Statistiken liest es sich so: 11,7 Punkte in den ersten vier Spielen, 2,3 Punkte in den letzten vier Spielen - und das bei fast gleicher Spielzeit. Schwach auch die für Point Guards wichtige Assist/Turnover-Ratio: Günter verlor fast so viele Bälle (2,0), wie er Vorlagen verteilte (2,3).
Angesichts Günthers Schwächen und der möglichen dauerhaften Schaffartzik-Versetzung auf die Shooting-Guard-Position käme eine Rückkehr von Hamann nicht überraschend. Bei aller Kritik: Er erfüllt als einziger deutscher Point Guard die internationale Referenzgröße von über 1,90 Metern und weiß zu verteidigen sowie einen Angriff in Ruhe aufzubauen.
Es fehlen ohnehin die Alternativen: Bastian Doreth spielt mit viel Herz, ihm mangelt es aber wie Günther an einem stabilen Wurf. Dennis Schröder könnte zu Deutschlands Mini-Tony-Parker werden, ihm mangelt es aber noch an den sozialen Fähigkeiten, wie es allerorts heißt. Und Anthony Canty wurde in den vorläufigen Quali-Kader berufen und scheint Pesic' Gefallen gefunden zu haben, ihm aber mangelt es an etwas, das typisch ist für den deutschen Basketball: Einsatzzeit in der BBL. Canty verzeichnet in der Vorsaison für Bremerhaven 7:24 BBL-Minuten für 1,3 Punkte, 0,9 Rebounds und 0,3 Assists.
Die Center-Position: Pleiß und der US-Aserbaidschaner
Die Forward-Position: Jagla und das Jüngling-Quartett
Das Fazit: Deutschland in der Verfolger-Gruppe
Das Fazit
Vorweg eine Würdigung: Das neue DBB-Team verbreitet Spaß. Es fehlen die Superstars, dafür spielt die Mannschaft vielseitiger, unberechenbarer, dynamischer und taktisch ausgeklügelter im Vergleich zur EM 2011, als gefühlt jeder Angriffszug mit einem Pass in Korbnähe auf Chris Kaman oder Dirk Nowitzki angefangen hatte. Ebenso bemerkenswert, wie Deutschland die abschließenden Spiele in Schweden und gegen Aserbaidschan für sich entschied, obwohl das EM-Ticket bereits gesichert war.
"Wir haben gezeigt, dass wir physisch in einer erstklassigen Verfassung sind. Ich will immer gewinnen. Wir haben insgesamt keinen großen Basketball gezeigt, aber alle acht Spiele gewonnen. Da darf man auch einmal zufrieden sein", sagt Pesic.
Pesic's Wirken lässt sich mit dem Wort "Ausgewogenheit" umschreiben. Schaffartzik steht als meist eingesetzter Spieler nur 27,4 Minuten auf dem Court, Zwiener als Letzter in der Rotation erhält immer noch 9,3 Minuten. Symmetrie auch bei den Punkten: Die drei besten Scorer des Teams verteilen sich auf die drei Urpositionen im Basketball - Flügel Benzing (13,3), Center Pleiß (12,5), Aufbau Schaffartzik (12,0). Unberechenbarkeit als Pesic-Prinzip.
Doch so positiv die Quali verlaufen ist: Es muss in Relation gesehen werden. Schweden (Jonas Jerebko) und Aserbaidschan (Davis) mit je einem Star und sonstiger Graumasse sowie das gleichfalls biedere Bulgarien sind international nur zweite Klasse. Um bei der EM 2013 die von Pesic angestrebte Qualifikation für die WM 2014 in Spanien zu errechen, muss aber Deutschland beginnen, nicht nur vereinzelt Topteams wie bei der EM 2009 (Sieg gegen Russland) und der WM 2010 (Sieg gegen Serbien) zu bezwingen.
Um zu illustrieren, in welch anspruchsvollem Umfeld sich Deutschland bewegt: Bei der WM 2010 durften inklusive Wild Cards insgesamt zehn europäische Teams teilnehmen. Angenommen die Zahl bleibt stabil, kann davon ausgegangen werden, dass fünf Plätze vergeben sind: An Gastgeber Spanien, Frankreich und Russland - drei Nationen, die deutlich stärker sind als Deutschland und der Rest. Außerdem Litauen und Griechenland, die nach den Leistungen der letzten Jahre in die Kaste darunter sortiert werden können.
Erst dann kommt die große Gruppe an EM-Teilnehmern, deren wahre Leistungsstärke nur schwer zu bewerten ist: Mazedonien, Italien, Serbien, Türkei, Kroatien, Polen, Montenegro, Israel und eben Deutschland. Macht insgesamt 14 Mannschaften mit Ambitionen - und das DBB-Team ist nur eine von ihnen.
Die Center-Position: Pleiß und der US-Aserbaidschaner