Bei den Fans umstritten, bei Dirk Bauermann gesetzt: Steffen Hamann entzweit Basketball-Deutschland. Vor dem hochkarätig besetzten Vorbereitungsturnier im Münchner Audi Dome am Wochenende spricht der 31-jährige Kapitän des FC Bayern offen über ein Karriereende - und den schwierigen Umgang mit den Fans.
SPOX: Herr Hamann, erstmals seit sieben Jahren hatten Sie einen spielfreien Sommer, weil Sie die EM-Qualifikation des DBB-Teams verletzt absagen mussten. Wurde es zu einer Zeit der Selbstfindung oder der Langeweile?
Steffen Hamann: Als Nationalspieler kannte ich nur das Leben unter Dauerstrom, daher kam mir der Sommer gelegen, um in mich zu gehen und über mein Leben nachzudenken: Was lief bisher gut? Was lief falsch? Wie geht es weiter? Erst mit dem Abstand ist es möglich, sich tiefgehende Gedanken zu machen.
SPOX: Reizte es Sie nicht, sich im Sommer der Muße hinzugeben?
Hamann: Nein, ich bin mit meinen 31 Jahren zwar viel entspannter als früher. Wenn ich irgendwo hinfahre, muss ich nicht mehr jedes Auto überholen. Wenn ich abends frei habe, gehe ich nur was essen und danach spazieren. Oder ich lese eine Zeitung oder nehme ein Buch in die Hand. Alles im Leben läuft ruhiger ab. Aber auf dem Court hat sich nichts verändert: Ich gebe in jedem Training Vollgas. Daher war der Sommer nicht so entspannend, wie es vielleicht klingt. Nach meiner Knie-OP ging es darum, den Körper von Grund auf wieder aufzubauen. Ein normaler Tag in den letzten sechs Wochen sah so aus: Zeitig aufstehen, gut frühstücken, zwei Stunden Training, Physio, Mittagsschlaf, Mittagessen, Nachmittagstraining - und dann Feierabend.
SPOX: Blickten Sie mit Wehmut auf die Nationalmannschaft, die sich ohne Sie mühelos für die EM 2013 qualifiziert hat?
Hamann: Man merkt erst, wie wichtig einem die Nationalmannschaft ist, wenn man nicht dabei sein kann. Auf eine gewisse Weise wurde es nach so vielen Sommern eine Selbstverständlichkeit, Deutschland zu vertreten. Erst jetzt weiß ich, wie einem dieses Gefühl fehlt. Manchmal tat es richtig weh, den Jungs zuzuschauen, wie sie mit Freude bei der Sache sind und nach einem Sieg zufrieden vom Court gehen. Immer mit dem Wissen, das Land würdig vertreten zu haben. Das ist vielleicht das Schönste im Sommer: Mir wurde wieder bewusst, wie besonders es ist, Deutschland zu vertreten.
SPOX: Nach der EM 2011 klangen Sie müde von der Nationalmannschaft und dachten laut über einen Rücktritt nach.
Hamann: Damals stand nicht fest, wer der neue Bundestrainer wird und welche Ziele der DBB verfolgt. Jetzt ist der Reiz enorm. Ich weiß nicht, was nächstes Jahr sein wird und ob Svetislav Pesic mich überhaupt einlädt. Ich werde das Bestmögliche in der Saison geben und mich anbieten.
SPOX: Deutschland spazierte mit acht Siegen aus acht Spielen durch die Qualifikationsgruppe. Provokant gefragt: Braucht Deutschland noch einen Steffen Hamann?
Hamann: Ich hoffe. (lacht) Man muss vor dem Team den Hut ziehen, Serbien und die Türkei schafften die Quali erst im Last-Minute-Verfahren. Dennoch darf man die Erfolge nicht überbewerten, weil die Gegner nicht zu den Topnationen zählten. Es gibt viele Gründe für Optimismus, aber auch viel Luft nach oben.
SPOX: Neben Heiko Schaffartzik bieten sich mit Per Günther, Bastian Doreth und Nachwuchsspieler Dennis Schröder neue und vor allem jüngere Rivalen auf der Point-Guard-Position an. Wie wichtig ist es Ihnen, im Falle eines DBB-Comebacks wieder in der Starting Five zu stehen?
Hamann: Jeder Basketballer will so viel spielen wie möglich. Allerdings war das mir früher wichtiger als jetzt. Ich möchte vor allem meine Erfahrung weitergeben und werde alle Entscheidungen des Trainers akzeptieren, um als Team erfolgreich zu sein.
SPOX: Können Sie sich vorstellen, sich mit 31 Jahren einer kleineren Rolle zufrieden zu geben und den jungen Mitspielern als Mentor zur Seite zu stehen?
Hamann: Ich hätte damit kein Problem.
SPOX: Klingt nach einem Veteranen, der an einen langsamen Abschied denkt.
Hamann: Wenn ich Karsten Tadda spielen sehe, fühle ich mich an meine Zeit vor zehn Jahren erinnert, als ich der junge Local Hero war. Zuletzt blätterte ich in einem Buch aus der damaligen Bamberger Zeit mit Bildern von mir. Da denkt man sich schon: "Wow, ist es schon so lange her?" Man stellt sich häufiger die Frage, was nach der Karriere kommen könnte. Es kann sein, dass ich noch ein paar Jahre spiele. Genauso kann es sein, dass ich in ein, zwei Jahren aufhöre.
SPOX: Finden Sie das Lebenskonzept Ihres ehemaligen Nationalmannschaftskollegen Gordon Geib reizvoll? Er beendete mit 26 Jahren abrupt die Laufbahn und ging auf Weltreise.
Hamann: Ich fand es immer schade, dass Gordon aufgehört hat. Er besaß Biss und kämpfte sich nach oben, obwohl er mit seiner Größe nie prädestiniert war für den Profi-Basketball. Dennoch ist es eine klasse und mutige Entscheidung von ihm. Für mich wäre es trotzdem nichts. Ich bin kein Weltumsegler, ich bin mehr ein Gewohnheitstier. Selbst zu meiner Zeit bei Alba Berlin bin ich kaum aus dem Prenzlauer Berg rausgekommen, wo ich meine Wohnung hatte. Ich ging immer in die gleichen Lokale und traf die gleichen Leute. Das war mein Ding. Selbst wenn ich nur zwei Wochen in den Urlaub fahre, denke mir am Ende: Jetzt wird's Zeit, jetzt will ich wieder zurück nach München.
SPOX: Sie wurden in München schnell heimisch und lernten Bastian Schweinsteiger kennen, mit dem Sie die Freizeit verbringen. Wie freunden sich der größte Fußball-Star Deutschlands und der Kapitän der deutschen Basketball-Nationalmannschaft an?
Hamann: In unserer Aufstiegssaison trainierten wir ebenfalls an der Säbener Straße, daher sah man die Fußballer ab und zu und sagte sich aus der Ferne Hallo. Irgendwann gab ich ein Zeitungsinterview, indem ich erzählte, dass ich am Gärtnerplatz wohne und dort am liebsten weggehe. Daraufhin bekam ich von Bastian eine SMS nach dem Motto: "Hey, ich wohne um die Ecke, lass uns was unternehmen." So entstand eine tolle Freundschaft.
SPOX: Weil Sie über Ihr Karriereende sprachen: Würden Sie alleine aus finanziellen Gründen mit Schweinsteiger tauschen wollen?
Hamann: Eine fiese Frage. (lacht) Ich verdiene als Basketball-Profi gut, habe aber definitiv nicht ausgesorgt. Von daher könnte ich mir vorstellen zu tauschen, sollte ich das gleiche Geld verdienen. Gleichzeitig sehe ich die Kehrseite, wenn ich mit ihm tagsüber unterwegs bin. Bastian muss auf jede Kleinigkeit aufpassen, weil irgendein Fremder das Handy zücken könnte und das Foto ins Internet stellt. Umso beeindruckender, wie er damit umgeht. Ich habe es noch nie erlebt, dass er zu einem Autogrammwunsch Nein sagt.
SPOX: Wie seltsam ist es, im Schatten zu stehen, obwohl Sie selbst einer der besten Basketballer des Landes sind? Bei einem Champions-League-Spiel der Vorsaison waren Sie minutenlang im Fernsehen zu sehen, weil Sie auf der Tribüne neben dem verletzten Schweinsteiger saßen. Der Fußball-Kommentator erkannte Sie nicht.
Hamann: Damit kann ich gut leben, Basketball hat eben nicht den Stellenwert des Fußballs. Das einzige, was mich bei dem Spiel damals gestört hat: Es ist echt anstrengend, wenn die Kameras permanent auf einen gerichtet sind. Man darf sich bloß nicht ausversehen den Popel aus der Nase holen wie damals der Jogi. (lacht) Und überhaupt: Einmal war ich mit Bastian Kaffee trinken - und dann kam ein Fan und wollte tatsächlich von mir ein Autogramm und nicht von ihm. Wenn das nichts ist! Das habe ich ihm gleich unter die Nase gerieben.
Hier geht's weiter: Hamann über sein Verhältnis zu Schaffartzik und Wurftraining mit Geschwindner
SPOX: Der hohe Stellenwert des Fußballs geht einher mit extrem großem Druck für die Protagonisten. Wie verfolgt ein Basketballer die Hymnen- und Luxusdebatte um die DFB-Elf?
Hamann: Es ist krass, welche Kräfte auf einen Fußballer einwirken. Ich war nach der Niederlage der Bayern im Champions-League-Finale bei der Mannschaft und erlebte hautnah mit, wie sich die Jungs schon für sich selbst einen Kopf machten. Und dann können sie am nächsten Tag überall lesen, was für Versager sie wären. Es ist bei allen Annehmlichkeiten kein einfaches Los. Damit umzugehen muss man lernen.
SPOX: Sie erlebten mit dem DBB-Team bei der WM 2010 gegen Angola eine ähnlich traumatische Niederlage. Daraufhin sorgten Sie und die anderen Führungsspieler für Empörung, weil sie die anwesenden Journalisten boykottierten, obwohl der mediale Druck lange nicht so groß und die Berichterstattung ausgewogener war als häufig im Fußball.
Hamann: Es war eine Ausnahmesituation, die uns alle überforderte: Wir traten als eine eingeschworene Truppe auf und wollten Deutschland unbedingt zeigen, dass wir ohne Dirk Nowitzki etwas schaffen können. Und dann scheiden wir in der Vorrunde aus, obwohl wir gegen Angola kurz vor dem Ende mit zehn Punkten geführt hatten. Es gab viele Niederlagen in meinem Leben, doch an diese werde ich mich für immer erinnern. Dennoch muss ich im Rückblick klar sagen, dass wir uns den Medien hätten stellen müssen. Das gehört sich zu einem professionellen Miteinander.
SPOX: Die damalige Episode bestätigte das Vorurteil des schwierigen und arroganten Steffen Hamann.
Hamann: Ich weiß, dass mein Ruf nicht der beste ist. Dabei bin ich ein sehr umgänglicher Typ, der mit jedem in der Mannschaft klarkommt. Dass ich zum Kapitän der Nationalmannschaft und der Bayern ernannt wurde, spricht dafür.
SPOX: Woran liegt es, dass Ihr Ruf nicht der beste ist?
Hamann: Es ist für jeden Profisportler eine schwierige Frage: Wie präsentiere ich mich in der Öffentlichkeit? Einige nutzen die Medien, um sich selbst gut zu verkaufen. Andere nutzen die Medien, um ihre Sportart bekannter zu machen. Oder man nutzt die Medien gar nicht. Ich versuche, einen Mittelweg zu finden. Man muss sich mit Journalisten arrangieren - aber so richtig verkaufen möchte ich mich nicht.
SPOX: Ihr Point-Guard-Kollege Heiko Schaffartzik verschleuderte lange Jahre sein Talent, zog von Verein zu Verein, wurde des Marihuana-Konsums überführt - und ist heute der Liebling der Fans und der Journalisten. Sie hingegen werden bei Auswärtsspielen selbst von Kindern beleidigt. Ist das unfair?
Hamann: Ich habe leider einen Ruf, der schwer wegzubekommen ist. Mittlerweile versuche ich, das Positive zu sehen, statt mich zu fragen, warum jemand geliebt wird oder nicht. Ohne mich mit Oliver Kahn vergleichen zu wollen: Er war wie ich ein Spieler, der mit Herzblut alles für seine Mannschaft aufgegeben hat und dafür von den gegnerischen Fans gehasst wurde. Wenn ich auswärts als einziger Spieler ausgebuht werde, sehe ich das als Kompliment an.
SPOX: Die Feindseligkeit könnte auch damit zusammenhängen, dass Sie vorwiegend als Ziehkind von Dirk Bauermann wahrgenommen werden. In Ihrer Karriere spielten Sie nur in Berlin für eine längere Zeit nicht unter Bauermann. Nach zwei Jahren trennte sich Alba von Ihnen, weil man erkannt habe, dass Sie kein Kämpfer seien und sich überschätzen würden.
Hamann: Ich kann bei Alba jedem in die Augen schauen. Ob sie das können, weiß ich nicht. Die Äußerungen von Luka Pavicevic (der damalige Alba-Trainer, Anm. d. Red.) haben mich komplett überrascht. Seitdem wird mir etwas vorgeworfen, dass einfach nicht stimmt. Sollten das die Leute glauben, kann ich leider nichts machen. Die meisten Kritiker verstecken sich ohnehin in der Anonymität des Internets: Wenn man ihnen gegenübertreten würde, könnten sie den Mund nicht aufbekommen. Das ist schade, aber ich kann damit umgehen.
SPOX: Vielleicht ist Schaffartzik deswegen so populär, weil er häufiger als Sie Rückschläge verkraften musste und sich als Basketballer enorm weiterentwickelt hat?
Hamann: Wir zwei haben ein gutes Verhältnis und sprachen bei der Nationalmannschaft häufig über das Thema. Ich hatte ihm schon früher gesagt, dass er ein ganz Großer werden kann - und Heiko bekam irgendwann wirklich die Kurve und verstand es, eine Mannschaft zu führen und dabei seine Scorer-Qualitäten nicht zu verlieren. Er hat den nächsten Schritt gemacht.
SPOX: Ihnen kann man anlasten, dass Sie nicht den nächsten Schritt gegangen sind, indem Sie sich einen zuverlässigen Wurf aneigneten. Warum nicht?
Hamann: Wenn ich da eine Lösung hätte... Bei mir läuft es so: Im Training treffe ich viel besser, im Spiel möchte ich hingegen vor allem die Teamkollegen einsetzen, dafür bin ich ja der Point Guard. Wenn ich also mal einen Dreier nehme und in der Ecke einen freien Mitspieler sehe, denke ich in der Wurfbewegung mehr an den nicht gegebenen Pass als an den Wurf an sich. Das war schon immer mein Problem: Ich bin kein fokussierter Scorer. Und es stimmt natürlich, dass mein Wurf an sich nicht der beste ist.
SPOX: Dachten Sie daran, sich Hilfe bei Holger Geschwindner zu suchen? Ricky Rubio, dessen Wurf ähnlich unbeständig ist, soll bei Dirk Nowitzkis Mentor gebettelt haben, sein Privattrainer zu werden.
Hamann: 2005, nachdem ich mir das Kreuzband gerissen hatte, absolvierte ich mit ihm das Aufbautraining und arbeitete viel am Wurf. So etwas zahlt sich allerdings erst langfristig aus. Nur: Im Vereinsbasketball ist es schwierig, neben zwei Trainingseinheiten am Tag und Pflichtspielen unter der Woche und am Wochenende ein Individualcoaching durchzuziehen.
SPOX: Trotz des Wurfs gibt es Gründe, warum Bauermann immer auf Sie setzt. Was sieht er in Ihnen?
Hamann: Ich war nie das größte Talent. Das vergessen viele, wenn sie über mich urteilen. Ich muss mir bis heute alles erarbeiten und mehr machen als die anderen. Ich bin nun mal kein zweiter Julius Jenkins, der in die Halle kommt und dem alles von allein in den Schoß fällt. Deswegen musste ich kämpfen und immer lernbereit sein, um es irgendwie zu schaffen. Wenn Dirk Bauermann mir gesagt hat, dass ich mich viermal um die eigene Achse drehen soll, bevor ich mit dem Ball über die Mittellinie laufe, habe ich das gemacht. Diese Einstellung gefällt ihm.
SPOX: Hängt diese Einstellung mit Bauermanns früher besonders beängstigender Aura zusammen?
Hamann: Es ist eine Mischung. Zum einen hat alles Hand und Fuß, wenn er etwas erzählt. Zum anderen ist der Respekt vor ihm und seiner Aura riesig. Ich weiß noch, wie ich ihn erstmals gesehen habe: Ich nahm als Teenager mit der Bayern-Auswahl an den Bundesjugendspielen teil und wir spielten gegen die Westfalen-Auswahl mit Bauermann als Trainer. Ich kannte ihn vorher nicht, und es war sehr imponierend, ihn aus der Ferne zu beobachten, wie er mit dem schwarzen Anzug an der Seitenlinie stand. Und dann kommt dieser Toptrainer im Dezember 2001 nach Bamberg und schenkt mir sofort das Vertrauen. Der Wahnsinn. Er stellte mich, den damals 20-Jährigen, sofort in die Starting Five, gab mir den Ball in die Hand und sagte nur: "Ich will, dass du dir den Hintern aufreißt und bis zum Umfallen kämpfst." Seitdem halte ich mich daran.
SPOX: Ihr Vertrag bei den Bayern läuft nach der kommenden Saison im Sommer 2013 aus. Endet damit das Arbeitsverhältnis Bauermann/Hamann?
Hamann: Ich wäre glücklich, bei den Bayern in welcher Form auch immer zu bleiben. Ich werde jedoch nicht nervös, wenn ich bis Januar, Februar noch kein Angebot für eine Verlängerung bekommen sollte. Wenn es kommt, kommt's. Wenn nicht, dann halt nicht. Ich bezweifle, dass ich für einen anderen Verein in Deutschland spielen werde.
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