SPOX: Sie sind eines der heißesten Themen des europäischen Basketballs. Es wird gerätselt, wohin Sie als der vielleicht beste 19-Jährige des Kontinents nach dieser Saison wechseln. Wie gehen Sie mit dem Trubel um?
Sergei Karasev: Jeder sagt mir, dass ich ein guter Basketballer wäre. Nur: Ich kann das nicht so richtig glauben. Ich weiß selbst am besten, dass ich mich noch verbessern muss. Und um das zu schaffen, muss ich irgendwann wechseln. Es gibt viele Optionen, um in Europa irgendwo unterzukommen. Die NBA könnte ebenfalls möglich sein. Mein Vater spielte in vielen Ligen und entwickelte sich erst so zu einem herausragenden Point Guard, wie er mir sagt.
SPOX: Ihr Vater ist Vasili Karasev, einer der besten Spielmacher der letzten 20 Jahre. Wie oft werden Sie auf Ihn angesprochen?
Karasev: Fast genauso oft wie auf das Thema, wohin ich wechsele. (lacht)
SPOX: Wie schwierig ist es, einen derart bekannten Vater zu haben, der Sie bei Triumph Lyubertsy auch noch trainiert?
Karasev: Manchmal ist es sehr schwer für mich. Natürlich weiß ich rational, dass er im Training als Head Coach mein Vorgesetzter ist und nicht mein Vater. Aber hin und wieder spreche ich mit ihm, als ob er nur mein Vater wäre. Und dann muss er mich zurechtweisen. Ich muss lernen, das zu akzeptieren und ihn als Vorgesetzten zu akzeptieren, was nicht immer einfach ist. Wenn ich das nicht schaffe, kracht es schon richtig zwischen uns. Wenn wir direkt nach dem Training nach Hause fahren, diskutieren wir häufig am Essenstisch, ob ich wirklich was falsch gemacht habe oder nicht. Meine Mutter muss in der Regel zwischen uns vermitteln - was den Vorteil hat, dass wir beide auf sie böse werden, weil sie sich einmischt: "Lass uns das in Ruhe ausdiskutieren, du hast keine Ahnung von Basketball!", sagen wir gleichzeitig. Danach ist alles gut zwischen meinem Vater und mir. (lacht)
SPOX: Dabei hat Ihre Mutter gleichfalls eine illustre Sportler-Vita. Sie soll eine Weltklasse-Volleyballerin gewesen sein.
Karasev: Sie war wirklich nicht schlecht und gehörte mit 18, 19 Jahren zu den größten Talenten in Russland. Sie lernte allerdings relativ früh meinen Vater kennen, heiratete ihn, bekam mich und hörte mit dem Volleyball auf. Mir wurde erzählt, dass es damals eine ganz schöne Aufregung gab, weil meine Mutter einfach so zurückgetreten ist. Sie musste sich entscheiden und wollte lieber sofort eine Familie als eine Sportlerkarriere, obwohl der damalige Nationaltrainer darauf gedrängt hatte, dass sie weitermacht. Damals waren viele Leute sauer auf meine Mutter, dennoch ging sie ihren Weg. Das bewundere ich an ihr.
SPOX: Sie wirken wie die perfekte Kombination Ihrer Eltern: Sie bekamen von der Mutter die Größe und von Ihrem Vater die Basketball-Intelligenz. Richtig?
Karasev: Ich spüre, dass ich diesen Basketball-IQ von meinem Vater geerbt habe und er mich von klein auf gelehrt hat, ein Spiel zu lesen. Vermutlich wäre ich ebenfalls ein Point Guard geworden, wenn ich nicht dank meiner Mutter so gewachsen wäre.
SPOX: In Berlin erzählt man sich eine Anekdote: In der Saison 1997/98 gab es einen Spielersohn, der mit vier Jahren bereits den perfekten Wurf gehaben soll. Der Spielersohn waren Sie.
Karasev: Weil mein Vater bei so vielen Klubs unter Vertrag stand, kann ich die einzelnen Städte oft nicht auseinanderhalten, in denen wir lebten. An die Zeit bei Alba, vor allem an einen besonderen Tag, erinnere ich mich jedoch sehr gut. In der Halbzeitpause eines Spiels, als die Mannschaften im Locker Room waren, durfte ich auf den Court und einfach werfen. Erster Schuss - drin. Zweiter Schuss - drin. Von den Zuschauern, die auf den Sitzen geblieben waren, gab es vorsichtigen Applaus. Dritter Schuss - drin. Der Applaus wurde lauter. Noch ein Wurf, noch ein Wurf - und am Ende klatschten alle. Dieser Moment markiert den Startpunkt meiner Basketball-Karriere. Es war das erste Mal, dass ich vor Zuschauern Basketball gespielt habe und es ihnen gefiel und sie applaudierten.
SPOX: Ihr Wurf ist wie aus dem Lehrbuch. Wie lernten Sie eine derart perfekte Technik?
Karasev: Damals wusste ich gar nicht, dass ich für einen Vierjährigen gut werfen konnte. Vermutlich schaute ich das unterbewusst von meinem Vater ab. Als ich später richtig mit dem Basketball-Training anfing, nahm ich mir viel Zeit für den Wurf. Vor und nach jedem Training gab es extra Catch-and-shoot-Übungen aus allen Positionen oder aus dem Dribbling heraus. Normalerweise hat ein Basketballer einen Favorite Spot, zum Beispiel in der Dreierecke. Ich hingegen möchte mich auf jedem Zentimeter des Courts wohlfühlen.
SPOX: Was Ihnen außerdem zupass kommt: Sie sind Linkshänder.
Karasev: Das stimmt, es ist ein großes Plus. Man ist es gewohnt, gegen Rechtshänder zu verteidigen und diese am Wurf zu behindern. Wenn es plötzlich gegen einen Linkshänder geht, muss man plötzlich spiegelverkehrt denken.
SPOX: In jedem Scouting-Report wird Ihr exzellentes Shooting erwähnt. Artlands Trainer Stefan Koch, gegen den Sie in den letzten Jahren mehrmals gespielt haben, sagt hingegen: "Karasev ist ein sehr guter Allrounder - das bekommen die meisten nur nicht mit." Fühlen Sie sich auf die Rolle des reinen Werfers reduziert?
Karasev: Das kann sein. Jeder sagt zu mir, dass ich ein Shooter bin, ich selbst sehe mich als Allrounder. Trainer lieben Allrounder, die im idealen Fall jede Position übernehmen können. Ich bin zwar ein klassischer Flügelspieler, trotzdem kann ich auch für einige Minuten als Point Guard den Ball nach vorne tragen und die Offense lenken. Solche taktischen Varianten sind im modernen Basketball extrem wertvoll, egal ob in Europa oder in der NBA.