In Europa beginnt bald die große Trainer-Kettenreaktion - und mittendrin: Dirk Bauermann. Der Ex-Bundestrainer spricht bei SPOX über die Gerüchte um seine Person, unfaire Klischees und das Ideal des "modernen Basketballs".
SPOX: Am Sonntag wurden die Grundfesten des europäischen Basketballs erschüttert: Nachdem der große Außenseiter Maccabi Tel Aviv bereits im Euroleague-Halbfinale ZSKA Moskau besiegt hatte, wurde im Finale sogar die Übermannschaft von Real Madrid geschlagen. Dabei hieß es, dass ZSKA und besonders Real mit ihrer individuellen Qualität sogar in der NBA mithalten könnten. Wie ist so ein Final Four zu erklären?
Dirk Bauermann: Für mich kam es nicht ganz so überraschend. Real in der Form vor zwei, drei Monaten wäre der klare Favorit gewesen, doch bereits vor dem Final Four war ein Leistungsknick zu erkennen, während Maccabi sich stetig verbessert hatte. Die Viertelfinal-Serie gegen Emporio Armani Mailand wurde sehr überzeugend für sich entschieden. Dann kam der Sieg gegen ZSKA, als Tel Aviv bereits weit hinten lag und zurückkam. So ein Erlebnis bringt Energie und Selbstvertrauen - nicht nur für die Spieler, sondern auch für die vielen Maccabi-Fans, die die Halle dominierten. So entstand eine Dynamik, die selbst Real nicht stoppen konnte.
SPOX: Besonders ein ehemaliger BBL-Profi spielte sich bei Maccabi in einen Rausch: Tyrese Rice, der Final-Four-MVP. Bei den Bayern war er nicht immer wohlgelitten wegen seiner eigenwilligen Spielweise und wurde ohne Protest abgegeben nach Tel Aviv. Jetzt düpierte er erst Milos Teodosic, dann Sergio Rodriguez und Sergio Llull. Hätten Sie ihm das zugetraut?
Bauermann: Das ist sehr schwierig zu beantworten, aber wir haben damals zumindest das Potenzial dafür gesehen. Ich hatte mich damals bei den Bayern stark für seine Verpflichtung eingesetzt, weil Marko Pesic und ich einen Guard wollten, der in den letzten fünf Minuten einer Partie das Team auf seinen Schultern trägt, den Ball fordert, sich selbst Würfe kreiert und ein Spiel alleine entscheidet. Das setzte Tyrese beim Final Four toll um. Er profitierte davon, dass bei Maccabi eine klare Spielstruktur erkennbar war, während Real keinen echten Plan hatte. Mal warf der eine, mal der andere.
SPOX: Maccabis Euroleague-Topscorer und Rice' Backcourt-Partner heißt Ricky Hickman. Ein US-Guard, der noch vor fünf Jahren in der zweiten Mannschaft von BG Göttingen in der zweiten Regionalliga unter Vertrag stand und über Gießen, Finnland und Italien seit 2012 in Tel Aviv spielt. Wie ist so eine Karriere möglich?
Bauermann: Es gibt im europäischen Basketball immer wieder Spieler, die sich durch die spezielle Qualität auszeichnen, sich immer weiter verbessern zu können. Diese Stärke ist bei Ricky besonders ausgeprägt. Er hat mittlerweile alles, was ein moderner Aufbauspieler braucht: Er kann sowohl passen als auch punkten, er ist dadurch sehr variabel, weswegen er extrem schwer zu verteidigen ist. Und er bringt die nötige Größe und Athletik mit. Solche lange unentdeckten Spieler zu finden, gehört zu den größten Herausforderungen für einen Trainer und Manager. Marko und ich hatten uns über ihn vor drei Jahren unterhalten. Nur damals entschied sich Ricky leider dazu, in Italien zu bleiben.
SPOX: Wie ist es dennoch zu erklären, dass eine Mannschaft wie Maccabi die Champions League des Basketballs gewinnt? Während das Budget der anderen drei Final-Four-Teilnehmer bei jeweils mindestens 35 Millionen Euro liegen dürfte, verfügt Tel Aviv über geschätzt 15 bis 18 Millionen Euro. Da sind selbst die Bayern mit Ihren 10 bis 12 Millionen Euro nicht allzu weit entfernt.
Bauermann: Einerseits hängt es viel mit der Austragungs-Systematik des Final Fours zusammen. Innerhalb von drei Tagen bestimmen zwei einzelne Spiele, wie weit man kommt. Ohne eine Chance der Rehabilitation. So kann es vorkommen, dass man an einem guten Tag selbst Real Madrid besiegt. Ob Maccabi über eine Serie von sieben Spielen das geschafft hätte, wage ich zu bezweifeln. Deswegen würde die NBA nie auf die Idee kommen, die Finals nur in einem Spiel entscheiden zu lassen. Andererseits ist Maccabis Erfolg zugleich ein Triumph des modernen Basketballs.
SPOX: Wie meinen Sie das?
Bauermann: Der Euroleague-Sieg kommt aus meiner Sicht nicht von ungefähr. Maccabi zeigt modernen Basketball: Variabel defensiv, schnell im Übergangsspiel und eine "Vier außen, einen innen"-Grundidee mit mehrdimensionalen Guards wie Tyrese Rice, Ricky Hickman und Yogev Ohayon, die werfen und passen können. Dazu auf der Small-Forward- und Power-Forward-Position mit Devin Smith, David Blu, Joe Ingles und Guy Pnini Spielertypen, die eher klein sind und fast ausschließlich außen agieren. Und als Center verfügt Tel Aviv über die nötigen zwei Grundtypen: Sofo Schortsianitis gibt ihnen eine physische Post-Up-Option, über die sie das Spiel nach innen verlagern können. Und dazu mit Alex Tyus einen athletischen Fünfer, der aus dem Pick'N'Roll Lücken reißt. Maccabi hat mit dieser Athletik Real Probleme bereitet. Ähnlich ist es ja auch ZSKA ergangen, die wie zuletzt häufig mit Victor Khryapa und Andrey Vorontsevich anfingen, also sehr groß aufstellten. Ich bin sicher, dass es mehr und mehr in Richtung des schnellen, athletischen und offenen Spiels von Maccabi und Real gehen wird.
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SPOX: Sie verfolgen den europäischen Basketball intensiv und kennen die Trends. Dennoch gelten Sie speziell in Deutschland als borniert, was Taktik anbelangt. Viele sagen, dass Sie nur langsam, systematisch und Defensiv-orientierten Basketball predigen würden. Woher kommt dieses Schubladen-Denken?
Bauermann: Womöglich aus meiner Zeit in Bamberg. Für mich gehört es zur Qualität eines Trainers, die Philosophie dem vorhandenen Spielerpotenzial anzupassen, um das Maximale zu erreichen. Das gelang mir mit zwei deutschen Meisterschaften. Als Trainer werde ich zwar immer ein Verfechter einer aggressiven, physischen Verteidigung sein, aber daraus ergebend sollte man schnell attackieren, mit Tempo spielen, variabel sein - und auch auf Intuition setzen, statt immer auf Organisation. Das ist für mich das Ideale. Aber noch mal: Das vorhandene Spielerpotential muss das auch hergeben. Wir haben mit Rytas bereits einen ähnlichen Basketball spielen lassen wie Maccabi oder Real, modern, schnell, mit Pace. Nur ist das in Deutschland leider kaum jemandem aufgefallen.
Euroleague: Sensation! Maccabi ist Champion!
SPOX: Ohnehin scheint Ihr Ruf im Ausland weniger vorurteilsbeladen zu sein als in Deutschland. Sie überstanden mit Rytas immerhin die knüppelharte Qualifikation und erreichten die Euroleague, was in Europa durchaus positiv aufgenommen wurde. Spekulieren Sie entsprechend auf einen neuen Top-Posten im Sommer? Alleine die bevorstehenden Trennungen bei ZSKA Moskau von Ettore Messina und bei Barca von Xavi Pascual werden wohl eine Kettenreaktion auslösen.
Bauermann: Das Rad fängt sich langsam an zu drehen und es gibt so viele Gerüchte, dass ich es verstehe, dass sich Journalisten damit von Berufs wegen auseinandersetzen müssen. Ich mache das hingegen gar nicht und vertraue meinem Agenten. Ich bin entspannt und warte einfach, was passiert.
SPOX: Was ist Ihr Anspruch?
Bauermann: Das Land ist mir nicht wichtig, das Thermometer darf von mir aus -10 Grad oder +20 Grad anzeigen. Es ist ohnehin unrealistisch, sich eine Lieblingsliga auszusuchen. Viel wichtiger ist es, dass es ein einigermaßen stabiler Klub ist mit Verantwortlichen, die das Spiel verstehen und den Finger nicht gleich am Abzug haben. Dazu müsste beim Klub eine sportliche Qualität vorhanden sein, um im nationalen Wettbewerb um Titel zu konkurrieren und europäisch vertreten zu sein, sei es Euroleague oder Eurocup. Ich weiß natürlich, dass so eine Kombination in Europa rar ist.
SPOX: Für ein Abenteuer wie Lietuvos Rytas sind Sie weiterhin offen?
Bauermann: Ich wusste, was mich erwartet, trotzdem muss ich das nicht noch einmal haben. Bei Lietuvos gibt ja eine ungute Tradition, diese Saison alleine hat es nach mir auch Aleksandar Petrovic erwischt, so dass jetzt der dritte Trainer innerhalb eines Jahres dort tätig ist. So läuft es eben dort.
SPOX: Sie sind neben Svetislav Pesic der mit Abstand namhafteste Trainer aus Deutschland. Wie schwierig ist es, in einer der traditionellen Ligen wie Spanien oder Griechenland eine Stelle zu finden?
Bauermann: Es ist nicht ganz unmöglich, allerdings bin ich für einen der absoluten Topklubs sehr skeptisch. Vielleicht eine Ebene darunter. In all diesen Ländern genießt es allerhöchste Priorität, Trainer aus dem eigenen Land zu verpflichten. Es hat sprachliche Gründe, vor allem jedoch politische Gründe. Selbst serbische Trainer, egal welche Erfolge sie feierten und wie gut das Netzwerk ist, haben es da sehr schwer.
SPOX: Bliebe womöglich Bamberg als Option? Nach dem Aus im Playoff-Viertelfinale könnte Headcoach Chris Fleming abgelöst werden und Sie werden als einer der wenigen Kandidaten gehandelt.
Bauermann: Es gibt keinerlei Kontakt und ich beschäftige mich damit nicht.
SPOX: Ein wesentlich wilderes Gerücht besagt, dass es Alba-Trainer Sasa Obradovic zu einem größeren Klub ziehen und in Berlin die Stelle vakant werden könnte.
Bauermann: Davon höre ich zum ersten Mal und selbst ohne Insider-Wissen kann ich es mir nicht vorstellen, dass nach einer jetzt schon erfolgreichen Saison Überlegungen bestehen, getrennte Wege zu gehen.
SPOX: Die deutsche Nationalmannschaft sucht ebenfalls nach einem Trainer. Ist für Sie eine Rückkehr zur Verbandsarbeit ausgeschlossen?
Kommentar zum DBB: Endlich eine Entscheidung
Bauermann: Ich stehe in keinerlei Gesprächen mit einem Verband. Das würde unter anderem ja bedeuten, dass ich nur für zwei Monate im Jahr als Coach arbeiten könnte, und das war damals neben dem Projekt FC Bayern der Grund dafür, beim DBB aufzuhören. Daher habe ich keinerlei Ambitionen. Sollten die Gerüchte stimmen, dass Emir Mutapcic der neue Bundestrainer wird, würde ich mich freuen. Mucki wäre eine sehr gute Lösung.
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