Anfang der 1990er brillierte die kroatische Nationalmannschaft mit ihren NBA-Stars Toni Kukoc und Drazen Petrovic. Mittlerweile wächst an der Adria-Küste die nächste goldene Generation heran, die bei der WM für Furore sorgen soll. Mit dabei ist auch ein 19-jähriges Wunderkind, das schon bald in die Fußstapfen der Altstars treten könnte. Sein Name: Mario Hezonja.
Die Atmosphäre im Palau Blaugrana ist feierlich. In der bisher enttäuschend verlaufenden Saison steht der FC Barcelona vor einem deutlichen Sieg gegen La Bruixa d'Or. Point Guard Jacob Pullen bringt den Ball langsam nach vorne, hat seine Anspielstation aber schon längst im Visier.
Wie einstudiert spielt er einen perfekten Lob-Pass über die noch ungeordnete Defensive, im Rücken der Verteidiger steigt zeitgleich ein junger Kroate mit der Nummer 23 in die Höhe und schließt den Alley-Oop krachend per Reverse Dunk ab. Die Zuschauer jubeln, der Hallensprecher brüllt ein langgezogenes "Viva Hezonja".
Womöglich erleben die Anwesenden gerade einen historischen Moment, die Geburt des "Next Big Thing" aus Europa. Der abstiegsbedrohte Gegner aus Manresa ist das willkommene Opfer für den 19-jährigen Mario Hezonja, der seit Saisonbeginn für die Mannschaft von Trainer Xavi Pascual aufläuft.
In nur 21 Minuten filetiert "Super Mario" die gegnerische Defense mit seinen Moves. Ob Dreier, Korbleger oder beeindruckender Dunk - der Shooting Guard ist nicht zu stoppen. Insgesamt 26 Punkte stehen am Ende im Spielberichtsbogen, drei Viertel seiner Würfe landen im Korb. "Mario spielt jetzt schon auf einem hohen Niveau. Und sein Können wächst von Tag zu Tag weiter", zeigt sich Pascual zufrieden.
Jeden Tag ein bisschen besser
Im Star-Ensemble um Juan Carlos Navarro, Marcelinho Huertas und Co. hatte sich der junge Kroate in den letzten Wochen immer mehr Spielzeit erarbeitet, seine Leistungsexplosion Ende März war die logische Konsequenz.
Hochgerechnet auf eine Spielzeit von 36 Minuten, erzielte er 17,2 Punkte, 7,7 Rebounds und 3,8 Assists. Seine Wurfquoten von 52 Prozent innerhalb der Dreierlinie sowie 43 Prozent von Downtown rundeten das Gesamtbild der vergangenen Saison ab. Alles begann jedoch viel früher.
Die Schulsporthalle als Ausgangspunkt
Vor sechs Jahren konnte der damals 13-Jährige von einer Kulisse von knapp 9000 Zuschauern nur träumen. In einer Schulsporthalle von Dubrovnik begann die Basketball-Karriere des Mega-Talents, der 2008 erstmals im Profi-Kader des ortsansässigen Erstligisten stand.
Mit 15 ging es dann aus der Provinz zum KK Zagreb, der 2011 gemeinsam mit Hezonja den kroatischen Meistertitel feiern konnte. Zwar erkannte man in der Hauptstadt das ungeheure Talent Hezonjas, zumeist beobachtete der junge Guard das Spiel jedoch von der Bank aus.
Im Sommer 2011 weckte der 16-Jährige bei der U16-Europameisterschaft dann erstmals das Interesse der europäischen Top-Klubs. Seine 21 Punkte und zehn Rebounds im Finale krönten den Titelgewinn der Kroaten und machten Hezonja zum MVP des Turniers.
Doch schon bald erfuhr der steile Aufstieg des strahlenden Sterns am kroatischen Basketball-Himmel einen herben Knick. Zunächst verletzte er sich schwer am Knöchel, dann setzte ihn das Pfeiffersche Drüsenfieber fast neun Monate außer Gefecht. So verpasste er auch den prestigeträchtigen Nike Hoop Summit, bei dem jährlich die besten Talente aus den USA gegen eine internationale Auswahl antreten.
Wie der Phönix aus der Asche
Die Rückschläge steckte er jedoch gut weg. Kurz vor der U19-WM kehrte Hezonja ins kroatische Team zurück, gegen Argentinien gab er sein lang erwartetes Comeback. 15 Punkte und sechs Rebounds in nur zehn Minuten verblüfften die internationalen Scouts dermaßen, dass Hezonja sich im Sommer den Rekrutierungsversuchen sämtlicher europäischer Top-Klubs ausgesetzt sah.
Am Ende unterschrieb er einen Dreijahresvertrag beim FC Barcelona, mit der Option auf weitere vier Jahre als Teil der Azulgrana.
14,5 Punkte und 3,4 Rebounds für die Reserve des Titelanwärters waren gut genug, um zu ersten Kurzeinsätzen bei den Profis zu kommen. Im Sommer 2013 wurde Hezonja nach überzeugenden Auftritten ein fester Bestandteil des Profi-Kaders.
Lampe: "Er ist ein Killer"
Mit seinem Gardemaß von 2,02 Metern und einer mehr als ordentlichen Portion Athletik kann sich der 19-Jährige bereits mit den meisten Spielern auf seiner Position in Europa messen.
Zudem erlauben es ihm seine Schnelligkeit und Sprungkraft vor allem in der Transition die richtigen Entscheidungen zu treffen und nicht selten über Ringniveau abzuschließen. Im Eins-gegen-Eins ist er daher kaum zu bremsen, oft ist sein Verteidiger mit seinem schnellen ersten Schritt überfordert und kann nur zu sehen, wie es hinter ihm einschlägt.
Wäre dies allein für einen 19-Jährigen nicht schon hervorragend, ist Hezonja zusätzlich in der Lage, aus nahezu jeder Position zu werfen. Ob von jenseits der Dreierlinie, aus dem Dribbling, als Spot-Up-Schütze oder sogar mit einer Hand im Gesicht: der Kroate hat sich einen exzellenten Wurf angeeignet. Auch seine Freiwurfquote von 88 Prozent bestätigt diesen Eindruck.
Neben den Fans sind ferner seine Mitspieler von dem jungen Talent in ihren Reihen beeindruckt. "Er hat das Feuer in sich. Manchmal mischt er sich ein, obwohl er es nicht soll. Aber ich mag das. Er wird ein großer Spieler werden, denn er ist jetzt schon ein Killer da draußen", sagt etwa Maciej Lampe. Die Arbeitseinstellung von Hezonja steht außer Frage, Trainer und Spieler berichten, dass er meist der Erste und auch der Letzte in den Trainingshallen von Barcelona ist.
Schwieriger Charakter?
Allerdings mehren sich im Gegenzug die Gerüchte, dass der kommende Star des FC Barcelona nicht ganz pflegeleicht ist. "Er soll kein guter Schüler sein und abseits des Courts viel Unsinn im Kopf haben", wirft beispielsweise Giovanni Conte von "nbadraft.net" in den Raum.
Zudem werde Hezonja schnell wütend, wenn etwas nicht wie geplant laufe. Die Schuld suche er in diesen Situationen bei seinen Mitspielern, nie bei sich selbst.
Deutlich wird dies auch auf dem Court. Dort versteht Hezonja es noch nicht wirklich, wie er mit seinen Teamkollegen umzugehen hat. Viel zu oft sucht er Isolation-Situationen oder das Pick and Roll und bringt sich dadurch unnötig in die Bredouille.
Damit seine Schwächen ihm nicht den Weg verbauen, hat Joey Dorsey Hezonja unter seine Fittiche genommen: "Er wird gut werden, aber muss noch reifen und Erfahrung sammeln, dann kann er es auch in die NBA schaffen", erklärt Dorsey, der in der kommenden Saison bei den Houston Rockets spielen wird.
"Eat, Sleep Basketball"
Von den Gerüchten über seinen jungen Ex-Teamkollegen will der 30-Jährige indes nichts wissen: "Die Leute kennen ihn nicht, er ist ein gute Junge. Er stellt viele Fragen über die NBA. Meistens ärgert er sich zu sehr über sich selbst und du musst ihn in seinem Ehrgeiz bremsen."
Auch Hezonja selbst bestärkt seinen Einsatzwillen: "Ich gebe immer mein Bestes für mich und meine Teamkollegen. Ich will Titel gewinnen." Dass daran keine Zweifel bestehen, beweist auch sein Twitter-Account. Dort steht unter seinem Profil-Bild: "Eat, Sleep, Basketball".
WM als Sprungbrett
Jetzt soll Hezonja, der mit dem legendären Drazen Petrovic verglichen wird, als zwölfter Mann mit zur Weltmeisterschaft fahren. Nach Jahren im europäischen Mittelmaß hoffen die Kroaten auf ein starkes Turnier in Spanien. Auch durch die Hilfe des Supertalents.
Die Basis stimmt. Bereits bei der Europameisterschaft im vergangenen Jahr konnte die Mannschaft von Coach Jasmin Repesa mit einem starken vierten Platz auf sich aufmerksam machen. Aktuell scheint eine goldene Generation heranzuwachsen. Neben Hezonja ist mit Sixers-Draft-Pick Dario Saric ein weiteres Puzzleteil für die Titelkämpfe nominiert.
Auch Barca-Center Ante Tomic, Damjan Rudez und Neu-Net Bojan Bogdanovic sind weitere Säulen der Mannschaft, der in einer Gruppe mit Argentinien, Griechenland, Puerto Rico, dem Senegal und den Philippinen einiges zugetraut wird.
Allerdings dürfte Hezonjas Spielzeit angesichts der großen Konkurrenz auf der Zwei mit Spielern wie Bogdanovic oder Krunoslav Simon knapp bemessen sein. Vermutlich wird das Riesentalent behutsam an das internationale Niveau herangeführt. Sollte sich jedoch gegen Teams wie den Senegal frühzeitig ein Erfolg andeuten, könnte der 19-Jährige durchaus mehr Minuten erhalten.
Top Fünf der Draft?
Spätestens im kommenden Jahr wird sich der Kroate dann wohl zum Draft anmelden. Schon in diesem war er trotz zahlreicher Hochkaräter in der ersten Runde als sicherer Erstrunden-Pick gehandelt worden. Unter anderem die Dallas Mavericks und die Utah Jazz sollen Interesse gezeigt haben.
Der 2015er-Jahrgang ist zudem nicht mit vielen Top-Talenten gefüllt, sodass Hezonja in einigen Mock Drafts sogar bis in die Top Fünf klettern konnte. Neben Karl Towns und dem Letten Kristaps Porzingis gilt er als talentiertester internationaler Akteur.
Wo "Super Mario" am Ende landet, entscheidet die kommende Spielzeit. Die WM ist der Gradmesser, erst nach den ersten Wochen in der ACB wird allerdings feststehen, ob "Super Mario" bereit für das nächste Level ist.
Mario Hezonja im Steckbrief