SPOX: Auch bei Ludwigsburg ist diese Philosophie noch zu erkennen, die Sie mal als "40 Minutes of Hell" bezeichnet haben. Können Sie das genauer erklären?
Patrick: Ein Spiel dauert 40 Minuten und in dieser Zeit will man das andere Team unter Druck setzen und das ganze Feld dafür nutzen. Ein Beispiel aus dem College: Wir hatten ein Spiel gegen Oregon State und ich war der einzige Point Guard in unserem Team - und sie hatten Gary Payton.
SPOX: Unangenehm...
Patrick: Ganz genau. Er hat uns mit seiner Mannschaft das Leben zur Hölle gemacht. Ich konnte als Point Guard nichts machen. Meistens habe ich den Ball gar nicht bekommen und wenn doch, wurde ich sofort in einer Ganzfeldpresse gedoppelt. Ich hatte so etwas noch nie erlebt. Irgendwie haben wir es zwar geschafft, uns trotz der Niederlage gut zu präsentieren, aber mir hat es überhaupt keinen Spaß gemacht. Sie haben es geschafft, dass wir uns nicht organisieren konnten, was eigentlich unsere Stärke war. Darum geht es: Den Gegner ohne etwas Illegales zu tun, aus seiner Rolle drängen.
SPOX: Und an dieses Konzept Ihres damaligen Gegners haben Sie später als Coach angeknüpft?
Patrick: Teilweise, ja. In meiner Coaching-Zeit bei Göttingen hatten wir Lineups mit vier Guards auf dem Feld! Heute nennt man es wohl Small Ball, damals wurde es auch Guard-Terror genannt. Wir haben dem Gegner das Leben zu Hölle gemacht. In der Regular Season 2009 sind wir damit Dritter in der BBL geworden, haben am Saisonende aber leider einige komplizierte Verletzungen gehabt, sodass wir in den Playoffs in der ersten Runde ausgeschieden sind.
SPOX: Auch heuer bei Ludwigsburg nutzen Sie die Ganzfeldpresse häufiger als jedes andere Team. Eigentlich ist es aber doch so, dass es einfache Konzepte dagegen gibt, mit denen man zu vielen freien Korblegern kommen sollte. Zumindest in den Amateur- und Jugendligen ist es immer so gewesen: Wenn man sich auf eine Presse einstellt, hat man mit ein paar Pässen leichtes Spiel. Wundert es Sie nicht, dass Profi-Teams so große Probleme damit haben?
Patrick: So einfach ist das nicht. Wenn man gegen ein Team presst, das gut strukturiert ist und passen kann, dann stellt man sich durch Scouting darauf ein. Was ist ihre erste Passoption? Was die zweite? Und diese Optionen muss man ihnen nehmen. Das führt dazu, dass der Gegner eine Lösung außerhalb des Systems finden muss. Und genau das wollen wir herbeiführen. Wir wollen keine Ballgewinne erzwingen, in den Passwegen spekulieren oder wild doppeln. Wir wollen den Gegner zerstören, indem wir ihm die Optionen nehmen. Dann macht er von alleine Fehler.
SPOX: In Deutschland waren Sie der erste Coach, der dieses System auf sehr hohem Niveau praktiziert hat.
Patrick: Genau, und ich denke, dass sich dieses System erst noch in der Entwicklung befindet. In Europa machen es inzwischen mehrere Mannschaften, am College sind auch einige Teams sehr gut darin. Man versteht mittlerweile, dass es für den Gegner sehr unangenehm ist und er sich dadurch nicht mehr wohl fühlt. Andererseits braucht man selbst eine sehr gute Fitness und eine hohe Disziplin, um das durchziehen zu können.
SPOX: Den MHP Riesen tut Ihr Konzept offenbar gut. 2013 war der Verein sportlich abgestiegen, blieb dank einer Wildcard aber in der BBL - und hat seitdem mit Ihnen immer die Playoffs erreicht. Wie haben Sie das angestellt?
Patrick: Wir haben die Team-Kultur um 180 Grad gedreht. Wir scouten anders, wir trainieren anders, wir haben klare Regeln innerhalb der Mannschaft. Und wir haben riesigen Spaß, obwohl wir eine Low-Budget-Mannschaft sind. Wir legen bei unseren Spielern sehr viel Wert auf ihren Charakter und ihren Ehrgeiz. Wir funktionieren in unserem System nur, wenn unsere Spieler hungrig sind und sich im Laufe einer Saison entwickeln können, wenn es am Anfang mal nicht so läuft, da wir noch nicht eingespielt sind.
SPOX: Dabei müssen Sie Sommer für Sommer große Teile der Mannschaft neu zusammenstellen, weil die Fluktuation so hoch ist.
Patrick: Und das ist nicht einfach. Wir haben nur sehr wenige Spieler aus der letzten Saison behalten können und mussten praktisch neu anfangen. Dann hat man zwei Optionen: Entweder man sieht es als große Möglichkeit an - oder als Ausrede. Und als Ausrede wollen wir es keinesfalls benutzen.
SPOX: Wenn sie bei Transfers besonderen Wert auf den Charakter legen - wie läuft das mit dem Scouting ab? Es gibt ja keinerlei Statistiken oder derlei Dinge für so etwas.
Patrick: Ich wage zu behaupten, dass es keinen Coach in der Liga gibt, der so viel wie wir in die zweite Liga schaut, in die Jugendnationalmannschaften oder in die NBBL und JBBL. Dann schaue ich auf unsere eigenen Jugendmannschaften, trainiere mit ihnen, sie machen Workouts gemeinsam mit den Profis. Dadurch werden wir früher als andere auf Talente aufmerksam. Darüber hinaus stehe ich in Kontakt mit meinen Teammates von früher, von denen viele auch Coaches sind, beispielsweise in der NCAA. Man muss sehr viel networken. Das kostet einerseits viel Zeit - Head Coach ist kein Acht-Stunden-Job - andererseits macht genau das aber auch Spaß.
SPOX: Welche Rolle spielen Agenten?
Patrick: Natürlich telefoniere ich auch sehr viel mit Agenten und mit Scouts. Man nutzt aber nie nur eine Quelle, sondern hört mehrere Meinungen. Denn selbstverständlich sagt kein Agent: ‚Mein Spieler verteidigt nicht so gut.' Aussagekräftig sind auch die Aussagen von ehemaligen Teammates, ehemaligen Coaches, aktuellen Co-Trainern - übrigens auch von ehemaligen Gegnern.
SPOX: Ich sehe, dass ein großer Teil Ihrer Arbeit gar nicht auf dem Court stattfindet. Was würden sie jungen Coaches mit auf den Weg geben, die es eines Tages zu den Profis schaffen wollen?
Patrick: Man muss in erster Linie die Sportart lieben! Und man braucht den Hunger, immer weiter zu lernen. Man muss Spaß in der Sporthalle haben. Und viele Leute fallen irgendwann raus, weil sie andere Prioritäten haben. Aber man muss immer zu 100 Prozent dabei sein. Und dann kann ich sagen: Es macht richtig Spaß, auch wenn es manchmal zu viel zu werden scheint. Und: Es ist das beste Gefühl, zu gewinnen, aber es ist die Hölle, zu verlieren. Dafür ist nicht jeder gemacht, das muss man sich ins Bewusstsein rufen.