Nach zahlreichen Absagen und einigen Verletzungen schickt Deutschland eine junge und unerfahrene Truppe zur EM nach Slowenien. Heiko Schaffartzik ist der Kapitän, Tibor Pleiß und Robin Benzing plötzlich Führungsspieler. Wie stellt Bundestrainer Frank Menz seine Mannschaft ein, auf wen darf man sich freuen? Das DBB-Team in der Kaderanalyse.
Point Guards: Heiko Schaffartzik, Per Günther, Bastian Doreth
Heiko Schaffartzik ist der Anführer, und das nicht nur, weil er ganz offiziell Kapitän der Mannschaft ist. Der Neu-Münchner ist seit Jahren und immer dann, wenn Dirk Nowitzki nicht dabei war, die beste Offensivoption. Weil er jederzeit heiß laufen und exzellent von außen schießen kann.
Dank der Erfahrung, die der 29-Jährige auf internationalem Niveau inzwischen gesammelt hat, hat er sich darüber hinaus zu einem sehr passablen Dirigenten des deutschen Spiels entwickelt. Leider Gottes, und das ist auch das Problem der aktuellen Truppe, ist man zu oft zu abhängig von Schaffartiks Scoring.
Und der kann nun mal nicht alles allein machen. Immer wieder wird Schaffartzik deshalb wohl auf die Zwei ausweichen und Per Günther die Regie führen lassen.
Dem Ulmer fehlt nach einer tollen Saison, die mit einer bitteren Verletzung quasi beendet wurde, etwas der Rhythmus und die Fitness. Entsprechend unzuverlässig ist der Spielmacher in seinen Leistungen. Gegen Schweden sah das Ganze allerdings schon wieder deutlich dynamischer aus.
Es ist klar: Nur ein fitter Günther erlaubt es Trainer Frank Menz, Schaffartzik die Ruhepausen zu gönnen, die dieser braucht, um dann wieder da zu sein, wenn es nötig ist.
Bastian Doreth ist eine solide Ergänzung, dessen Ballhandling gut genug ist für das EM-Niveau, der allerdings kaum Erfahrung auf diesem Level hat und in erster Linie lernen soll. Doreth war nicht von ungefähr der letzte Spieler, der in den DBB-Kader gerutscht ist.
Shooting Guards: Lucca Staiger, Karsten Tadda
An manchen Tagen sehen die deutschen Shooting Guards aus, als wären sie absolute Weltklasse, an anderen können sie Menz zum Wahnsinn treiben. Lucca Staiger hat die Fähigkeiten, einer der tödlichsten Schützen Europas zu sein, mit seinem schwankenden Selbstvertrauen wirft er sich aber zu oft selbst aus der Bahn.
Ist der 25-Jährige gleich zu Beginn einer Partie im Spiel und kann sich mit einem Dreier auf Anhieb in die Scoring-Liste eintragen, muss man immer damit rechnen, dass drei, vier oder fünf weitere Dreier folgen könnten. Unterläuft ihm aber zum Beispiel ein dummer Ballverlust, dann kann sich die Partie für Staiger auch sehr leicht in die andere Richtung entwickeln: Dann fällt sein Wurf nicht und die Auswahl ist häufig schlecht.
Allerdings zeigte sich Staiger in der Vorbereitung sehr engagiert und auch im abschließenden Test gegen Schweden holte er sich Selbstvertrauen für die EM. Zudem hat der Guard sich in Sachen Verteidigung deutlich gesteigert. Sein Passspiel ist ohnehin überdurchschnittlich.
Bei Karsten Tadda kann man sich immer, ausnahmslos immer, darauf verlassen, dass er vollen Einsatz in der Verteidigung zeigt, seine Kettenhundmentalität tut dem deutschen Team sicher gut. Braucht Menz einen Stop in der Defense, kann er Tadda bedenkenlos bringen.
Erzwingt die Mannschaft Ballverluste, schaltet der 25-Jährige zudem zügig in den Fastbreak-Modus und kann dort Schaden anrichten. Unter Menz spielt der DBB deutlich schneller als noch etwa zu Bauermann-Zeiten, unter dem Tadda noch zu keiner Berufung ins A-Team gekommen war.
Die Entwicklung über Pesic zu Menz ist für Tadda deshalb nur positiv. Denn im Halbfeld ist der 1,92-Meter-Mann offensiv doch limitiert. Sein Drive zum Korb ist ordentlich, aus der Distanz strahlt er aber zu wenig Gefahr aus. Ein Gegner, der das weiß, lässt Tadda am Perimeter Platz und gestattet ihm gar nicht erst die Penetration.
Könnte man Staigers Talent mit Taddas Biss und Selbstbewusstsein paaren, hätte man einen famosen Shooting Guard. So offerieren die beiden ihrem Coach zumindest die unterschiedlichsten taktischen Möglichkeiten.
Der Spielplan der EuroBasket 2013
Small Forwards: Robin Benzing, Niels Giffey, Philip Zwiener
Die Small-Forward-Position ist einerseits top besetzt, andererseits auch nicht: Denn Robin Benzing ist zwar ein Dreier, wird dort aufgrund der Probleme bei den Power Forwards aber kaum spielen. Stattdessen ist Niels Giffey der Starter, und der scheint sich auf seinen Job zu freuen.
In den Tests gehörte der 22-Jährige zu den Lichtblicken, mit seiner Größe (2,01 Meter) und seinen langen Armen bringt er perfekte Maße für die Drei mit. Giffey ist zudem schnell, verteidigt gut und verfügt über einen akzeptablen Wurf - alles Faktoren, die ihn für Bundestrainer Menz zu einem wertvollen Rollenspieler machen können.
Allerdings ist Giffey auch sehr unerfahren: Er gewann zwar mit den Connecticut Huskies 2011 die College-Meisterschaft, Profi-Erfahrung hat er aber nicht. Als er befürchten musste, den Sprung in Albas Profikader nicht zu schaffen, entschloss sich der damals 19-Jährige 2010, sein Glück in den USA zu suchen.
Insbesondere in punkto Athletik hat ihm dieser Schritt gut getan, jetzt muss er zeigen, wie er gegen europäische Veteranen mithalten kann.
Philip Zwiener ist derweil einer der konstantesten BBL-Scorer der letzten Jahre, im DBB-Team kommt ihm aber nur eine Reservistenrolle zu. In der letzten Saison hat sich sein Punkteschnitt von 12,3 auf nur 9,6 verschlechtert, das hat aber vor allem mit einer kleineren Rolle zu tun. Für Menz ist dagegen wichtig, dass Zwiener mit 35 Prozent Trefferquote inzwischen über einen brauchbaren Distanzwurf verfügt.
Power Forwards: Alex King
Alex King ist der einzige deutsche Spieler, der sich auf der Power-Forward-Position einigermaßen zu Hause fühlt. Dennoch wird er wohl nur als Reservist mit nach Slowenien fahren. Denn Menz hat sich beim Supercup in Ulm und beim Schweden-Test in Bamberg ganz offenbar festgelegt: Der DBB spielt Small Ball mit Robin Benzing auf der Vier.
Der Bayern-Spieler bringt mit 2,08 Metern natürlich die erforderliche Größe mit, seine bevorzugte Position ist die Vier indes nicht. Benzing liebt zwar das Low-Post-Spiel, das aber vor allem gegen andere Small Forwards, die zumeist ein paar Zentimeter kleiner sind und denen er kräftemäßig überlegen ist.
Gegen Power Forwards verändert sich das Spiel für den 24-Jährigen, er agiert mehr von außen, macht das Spiel breit und muss sich auf seine Schnelligkeitsvorteile verlassen. Offensiv bieten sich Menz so allerhand interessante Offensivoptionen, aber wie wird sich Benzing defensiv schlagen? Nur wenn er im Low Post seinen Mann steht und beim Rebound dagegen hält, wird dieses Experiment Erfolg haben.
Geht es nach hinten los, gibt es allerdings keinerlei Alternativen: Ohne Dirk Nowitzki, Tim Ohlbrecht und Elias Harris hat Menz neben King und Benzing keine Spieler im Kader, die den Power Forward passabel verkörpern können. Auch King ist kein klassischer Power Forward, seine Aggressivität beim Rebound allerdings kommt ihm auf dieser Position durchaus entgegen.
Center: Tibor Pleiß, Maik Zirbes, Andreas Seiferth
Obwohl Chris Kaman - immerhin bester Rebounder der EuroBasket 2011 (10,0) - nicht dabei ist, sind die Deutschen auf der Fünf sehr ordentlich besetzt. Tibor Pleiß hat sich in Spanien weiterentwickelt und ist in allen Facetten seines Spiels noch etwas stärker geworden, die Erfahrung im Ausland hat ihm sicher auch in punkto Reife geholfen.
So muss sich der 23-Jährige im Vergleich vor kaum einem in Europa aktiven Konkurrenten mehr verstecken und wird neben Schaffartzik und Benzing mit Sicherheit eine tragende Säule im deutschen Spiel sein. Mit seiner Größe wird er vor allem in der Defense ein wichtiger Rückhalt sein, insbesondere dann, wenn Benzing mit seinen Gegnern Probleme hat.
Offensiv bleibt Pleiß natürlich eher ein filigraner Spieler, der sich gern auf seinen Mitteldistanzwurf stützt und nicht unbedingt durch rohe Power heraussticht. Das ist schon eher das Steckenpferd von Maik Zirbes, der sich trotz seiner zuvor geringen Erfahrung auf Topniveau schon bei Bamberg toll entwickelt hat und bei den Tests als Pleiß-Backup meist einen sehr ermutigenden Eindruck hinterließ.
Der 23-Jährige zeigte sich im Rebound konstant, taktisch diszipliniert und in der Offense opportunistisch. Der Center ist keiner, der ständig den Ball fordert, sich aber gut bewegt und seine freien Chancen hochprozentig nutzt. Zirbes' Problem sind aber die Turnover. Daran muss er arbeiten.
Andreas Seiferth wird als dritter Center allenfalls sporadisch zum Einsatz kommen, zu gut haben sich Pleiß und Zirbes präsentiert. Als Versicherung für den Fall einer Verletzung oder bei Foulproblemen ist der 23-jährige Trierer, der seine Punkte und Rebounds in der BBL in der letzten im Vergleich zur Saison zuvor mehr als verdoppeln konnte (9,5 Punkte, 5,0 Rebounds in der Spielzeit 2012/2013), aber eine solide Wahl.
Fazit: Das DBB-Team gehört mit großer Wahrscheinlichkeit zu den Mannschaften, die bei der EuroBasket 2013 nicht allzu viel reißen werden. Zu groß ist der Aderlass nach den Absagen der NBA-Kräfte Dirk Nowitzki, Dennis Schröder, Elias Harris, Tim Ohlbrecht und Chris Kaman. Auch Philipp Neumann und Philipp Schwethelm wurden nach ihren Verletzungen (Rücken bzw. Achillessehne) nicht rechtzeitig fit, Daniel Theis war aufgrund einer Schulter-OP keine Option.
Übrig geblieben sind viele Youngster und einige gestandene Nationalspieler, die nach den Absagen aber eine viel größere Rolle spielen als je zuvor. Schaffartzik liebt den Job als Go-to-Guy, für Pleiß und Benzing ist es aber neu, Anführer zu sein. Wie werden sich die Etablierten schlagen, wie gut fügen sich die EM-Neulinge Tadda, Giffey, King und Co. ein?
Es ist ein spannendes Projekt, das für die Zukunft wichtige Erkenntnisse bringen wird. Und es muss auch in diesem Jahr nicht im sportlichen Desaster enden: Mit couragierten Leistungen hat das DBB-Team unter den gegebenen Umständen eine ordentliche Vorbereitung gespielt, die EM-Vorrundengruppe A ist außerdem die klar schlechteste des Turniers.
Frankreich wird einsam seine Kreise ziehen, aber dahinter hauen einen Gegner wie Israel, Ukraine, Belgien und das ersatzgeschwächte Großbritannien auch nicht aus den Socken. Von den sechs Teams erreichen drei die Zwischenrunde. Warum sollte Deutschland da nicht dabei sein können?
Kann das junge Team die sichere Niederlage gegen Frankreich zum Auftakt aus den Köpfen schütteln und im zweiten Spiel gegen Belgien in die Spur finden, ist das durchaus möglich. Von mehr als dem Erreichen der Zwischenrunde zu träumen, wäre aber vermessen.