Asthmatiker und Visionär

Von Bärbel Mees / Ingo Rohrbach
Shannon Briggs hat eine Kampfbilanz von 51-5-1
© Getty

Witali Klitschko steigt am Samstag (22.30 Uhr im LIVE-TICKER) in Hamburg zur Titelverteidigung seines WBC-Gürtels in den Ring. Sein Gegner ist Shannon Briggs: Ein Bulle, der Schlimmeres erlebt hat als Aufwärtshaken ans Kinn. Und der deshalb keine Angst vor Klitschko hat.

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Blondgefärbte Dreadlocks, massige 120 Kilogramm verteilt auf 1,93 Meter Körpergröße: Schwergewichts-Boxer Shannon Briggs ist schwer zu übersehen. Und nicht zu überhören.

"Ich bin der Stärkste der Welt. Ich werde den Ring als Sieger verlassen. Ich knocke dich aus", schmetterte er Witali Klitschko bei der Pressekonferenz kurz vor dem Kampf entgegen.

Der aber lächelte nur müde. Solche Sätze sind für den Weltmeister vor dem Kampf nichts Neues. Und nur wenige seiner Gegner lassen den großen Worten im Ring auch Taten folgen.

Seit sieben Jahren ist Dr. Eisenfaust ungeschlagen, keiner konnte ihm auch nur annähernd gefährlich werden. Was also treibt Shannon Briggs an, sein Glück doch zu versuchen? Nur das Geld? Mitnichten! Es ist eine Vision. Die Vision vom großen Erfolg.

Briggs als neuer Hoffnungsträger

Briggs wird 1971 in Brooklyn in ein zerrüttetes Elternhaus geboren: Seine Mutter ist heroinabhängig und stirbt an seinem Geburtstag an einer Überdosis, seinen Vater kennt er nicht. Sein Stiefvater stirbt im Gefängnis. Zuviel für ein Kind. Briggs landet auf der Straße, ernährt sich von Abfällen, schläft in Häusereingängen.

Doch anstatt den Drogen zu verfallen oder in die kriminelle Szene New Yorks abzurutschen, glaubt er an seine Vision. Daran, irgendwann einmal Erfolg zu haben. Wie, weiß er noch nicht.

Erst mit 19 landet er beim Boxen - es ist Zufall und fast schon zu spät, um noch erfolgreich zu werden. Doch Briggs widerlegt alle ungeschriebenen Gesetze und zerstreut die Zweifel der Trainer, denn er hat Talent. Verdammt viel sogar. Gerade mal zwei Jahre lang ist er Amateur, verliert nur drei seiner 38 Kämpfe. Er wird panamerikanischer Vize-Meister, US-amerikanischer Schwergewichtsmeister und wechselt 1992 ins Profigeschäft.

Briggs schlägt den alternden Foreman

Die richtige Entscheidung: 25 Kämpfe gewinnt The Cannon, dessen Fäuste wie ein Kugelhagel auf den Gegner einprasseln, 15 davon in der ersten Runde. In Amerika gilt er schon bald als Riesentalent, als neuer Hoffnungsträger im Schwergewicht.

Sein offensiver Kampfstil und seine große Eloquenz kommen beim Volk gut an. Doch noch musste Briggs keinen echten Härtetest überstehen. Erst 1997 wartet mit George Foreman der erste große Name.

Big George aber ist inzwischen 48 Jahre alt und hat seinen Zenit längst überschritten. Briggs gewinnt, aber er überzeugt nicht. Zu groß sind seine Konditionsmängel, zu schlecht sein Fitnesszustand, den er mit seinem angeborenen Asthmaleiden zu erklären versucht.

Beginn einer Achterbahnfahrt

Die Fans werden ungeduldig. Sie wollen Briggs endlich gegen die Großen antreten sehen. Und es steht einer bereit: Lennox Lewis. Endlich ein Prüfstein. Briggs startet überraschend gut in den Kampf, boxt engagiert, doch Lewis lässt sich nicht beirren. In der fünften Runde schlägt er Briggs dreimal nieder und gewinnt durch technischen K.o.

Es ist die erste Niederlage für Briggs und der Beginn einer Achterbahnfahrt. Gegen den Weißen Büffel Francois Botha boxt er nur ein Unentschieden heraus, trifft danach auf Sedreck Fields. Was als Aufbaukampf geplant war, wird zur bitteren Niederlage.

Doch Briggs rappelt sich wieder auf. Die folgenden elf Fights gewinnt er vorzeitig, sichert sich 2006 in einem hochdramatischen Finish gegen Sjarhei Ljachowitsch den WBO-Titel.

Die Box-Welt horcht wieder auf. Schafft Briggs nun endlich den ersehnten Durchbruch? Doch schon bei seiner ersten Titelverteidigung gegen Sultan Ibragimow geht Briggs sang- und klanglos unter. Das reicht ihm: Er tritt  zurück. Und doch ist er unzufrieden, hat das Gefühl, seiner Vision noch nicht gerecht geworden zu sein. Wieder ist es ein Zufall, der seinem Leben eine Wende gibt.

Klitschkos Spott ist der Wendepunkt

In einem Restaurant am Sunset Boulevard in Los Angeles trifft Briggs Witali Klitschko, der ihn aufgrund seines Gewichts neckt und ihm liebevoll die Wampe streichelt.

150 Kilogramm bringt Briggs inzwischen auf die Waage, zu viele Cookies, Doughnuts und Fried Chicken hat er seit seinem Rücktritt verdrückt. Von seinem trainierten Oberkörper, den er während seiner Modeljobs für die "Vogue" und "GQ" hatte, ist er weit entfernt.

"Damals war ich fett, wog mehr als 150 Kilo. Witalis Worte haben mich angestachelt, noch mal zurückzukommen. Und hier bin ich", erinnert sich Briggs an den Wendepunkt zurück. Klitschko selbst gibt zu: "Ich habe nicht gewusst, dass meine Worte über seinen wabbeligen, fetten Bauch ihn so treffen würden."

Doch der Stachel sitzt tief, Briggs denkt um, steuert endlich wieder ein Ziel an, denn: Er will zurück in den Ring. Und tatsächlich: Er speckt 40 Kilo ab und feiert zweieinhalb Jahre nach seinem Rücktritt das Comeback.

Briggs: "Die meisten Klitschko-Gegner haben die Hosen voll"

Briggs besiegt Marcus McGee, bestreitet anschließend drei Kämpfe innerhalb von sechs Wochen. Alle Gegner schlägt er in der ersten Runde k.o., steht insgesamt nur 169 Sekunden im Ring.

"Erst als ich zu Geld gekommen war, habe ich gemerkt, was meine Jugend für Narben hinterlassen hat", gesteht Briggs im Gespräch mit SPOX. "Ich habe versucht, Auswege zu finden, um den Schmerz zu besiegen. Geld auszugeben hat mir geholfen: Ein neues Auto hier, Ketten oder Uhren da." Aus heutiger Sicht sei das Wahnsinn gewesen.

Inzwischen habe er sich seiner Vergangenheit gestellt, sei damit zu einem anderen Menschen geworden - und zu einem besseren Boxer. Einem, der gut genug ist, Witali Klitschko zu schlagen: "Die meisten ihrer Gegner haben schon die Hosen voll, wenn sie in den Ring steigen. Mich interessiert so etwas nicht. Ich habe Brownsville überlebt. Mir macht nichts mehr Angst. Ich werde Klitschko unter Druck setzen und mich nicht von seinem Sicherheitsstil einlullen lassen", verkündet Briggs vor dem Kampf.

Briggs Vision in Gefahr

Selbstbewusstsein hat der Amerikaner en masse, forderte er doch Klitschko bereits auf, von seinem Amt als Unesco-Botschafter zurückzutreten. Der Grund: Klitschko hatte Briggs' Asthmaerkrankung zu einer Ausrede degradiert.

"Asthma ist keine tödliche Krankheit. Schaut man seine Kämpfe an, dann versteht man, dass Asthma für ihn eine gute Ausrede ist", erklärte Klitschko erst kürzlich.

Briggs konterte unverzüglich. "Klitschko hat dieses wichtige Amt in Verruf gebracht mit seinen ignoranten und gefährlichen Bemerkungen, dass Asthma keine tödliche Krankheit sei", schäumte Briggs und wandte sich direkt an seinen Gegner: "Tritt bitte zurück, bevor du noch mehr Unheil anrichtest und etwas sagst, das Millionen von Menschen schaden könnte."

Klare Worte. Doch die werden dem Amerikaner auf dem Weg zu seiner Vision vom großen Erfolg im Ring nicht helfen.

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