Ein verkanntes Meisterwerk

Jan Höfling
15. September 201516:47
Floyd Mayweather jr. (l.) konnte den Kampf des Jahrhunderts für sich entscheidengetty
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Floyd Mayweather jr. hat sich in Las Vegas endgültig zum besten Boxer seiner Generation gekrönt. Der unumstrittene Punktsieg über Manny Pacquiao, der den vermeintlich letzten Makel in der Karriere des US-Amerikaners ausradiert, zementiert zudem den Status als bester Pound-for-Pound-Kämpfer der Gegenwart. Das ersehnte dramatische Finale einer großen Rivalität bleibt allerdings aus.

SPOX

Gellende Pfiffe hallen durch die MGM Grand Garden Arena, vereinzelt sind gar noch immer die wiederkehrenden "Manny! Manny!"-Rufe zu hören. Während Manny Pacquiao, dessen Lachen einem emotionslosen Blick gewichen ist, umringt von seinem Team in der eigenen Ecke steht, ist es jedoch Floyd Mayweather, der bereits seit einiger Zeit auf den Seilen steht.

Das Schauspiel im Ring will zwar nicht so recht zur Geräuschkulisse passen, dennoch steht es sinnbildlich für die vorangegangenen zwölf Runden.

Für Mayweather, der sich mehr oder weniger in seinem Wohnzimmer befindet, sind die negativen Reaktionen ein ungewohntes Gefühl. Immer wieder lässt er seinen Blick schweifen, scheint geradezu mit einzelnen Zuschauern zu diskutieren.

Es scheint eine halbe Ewigkeit zu vergehen, ehe Jimmy Lennon Jr. im Scheinwerferlicht das offizielle Urteil der Punktrichter verliest. Danach ist er zurück, der selbstwusste, polarisierende Mayweather, der das Publikum nicht nur an diesem Abend in Las Vegas spaltet.

Alles oder nichts

Knapp eine Stunde zuvor war das Auftreten des vermeintlichen Favoriten aus den USA noch ein gänzlich anderes. Nachdem Pacquiao zusammen mit seinem Trainer Freddie Roach kurz vor dem Einzug in die Arena noch ein Selfie schoss und anschließend mit einem breiten Grinsen unter lauten Sprechchören den Innenraum betrat, wirkte sein Gegenüber auffällig verhalten.

Entgegen seiner Gewohnheiten verzichtete Mayweather auf die für ihn sonst übliche Entourage, auch Showeinlagen suchte man beim 38-Jährigen diesmal vergebens. Stattdessen bahnte er sich mit ernster Miene den Weg zum Ring. Vielen Fans dürfte wohl erst zu diesem Zeitpunkt der enorme Druck, der auf Mayweather lastete, aufgefallen sein. "Noch nie wollte ich einen Kampf so sehr gewinnen wie dieses Mal", sagte er selbst im Vorfeld. Es war mehr als nur eine hohle Phrase.

Er stand unter einem Druck, der weder mit den Erwartungen an ein Spektakel, das dem Titel "Kampf des Jahrhunderts" gerecht werden würde, noch mit dem Wohlwollen der Zuschauer zu tun hatte. Für Mayweather standen deutlich größere Dimensionen auf dem Spiel: Es ging um seine Karriere, seine Legitimation, sein Vermächtnis.

Getrieben vom Schatten?

"Ich glaube, Mayweather wurde in den Kampf getrieben. Er wollte den Fight gar nicht. Ich spüre, er fühlt sich nicht wohl damit", hatte Roach auf einer Pressekonferenz ein paar Tage zuvor verlauten lassen. Zunächst als psychologische Kriegsführung abgetan, schienen die Worte auf einmal eine ganz neue Gewichtung zu bekommen. Mayweather wirkte in der Tat verunsichert, gleichzeitig aber auch extrem konzentriert.

Wie viele Fans, Experten und Legenden, die sich mit ihren Einschätzungen zum Ausgang des Aufeinandertreffens nicht einig waren, schien sich diesmal auch Mayweather seiner Sache alles andere als sicher. Umso beeindruckender ist deshalb die Leistung zu bewerten, die er in den folgenden zwölf Runden folgen ließ. Mitfiebern ist beim US-Amerikaner generell nahezu unmöglich, Kalkulation in seinem Auftreten, das oft kalt und emotionslos wirkt, ein wichtiger Aspekt.

Zwar mag der Stil des weiterhin ungeschlagenen Weltmeisters, der seine Bilanz auf 48 Siege bei keiner einzigen Niederlage ausbauen konnte, für einen Laien nicht der ansehnlichste oder unterhaltsamste sein, dennoch verlangt er nach Anerkennungen. Gegen einen mit zunehmender Dauer ratlos wirkenden Pacquiao zeigte Mayweather eine für ihn typische Darbietung, die auf einer atemberaubenden Defensivleistung basierte. Effektivität und Präzision waren dabei erneut seine obersten Maxime.

Mayweather vs. Pacquiao: Die SPOX-Analyse zum Duell

Bremste eine Verletzung den Pacman?

Inwiefern eine Schulterverletzung, die Pacquiao und dessen Team im Anschluss an den Kampf auf der Pressekonferenz einräumten, Einfluss auf das Ergebnis hatte, lässt sich nicht nachvollziehen. Dennoch könnte sie natürlich einer der Gründe für die etwas verhaltene Vorstellung des Filipinos gewesen sein.

Laut Bob Arum habe sich sein Schützling bereits im März eine Blessur an der rechten Schulter zugezogen, welche der von Kobe Bryant ähneln soll. Ein Grund, warum Pacquiao auch den gleichen Arzt wie der Superstar der Los Angeles Lakers konsultiert habe, so Arum weiter. Zudem sei ihm eine entzündungshemmende Spritze vor dem Kampf von den Offiziellen verwehrt worden.

"Am heutigen Abend wurden Entscheidungen getroffen, die den Ausgang des Kampfes beeinflusst haben", fasste Arum deshalb zusammen. "So ist das Spiel", fügte Pacquiao hinzu: "Ich will keine Ausrede suchen oder mich herausreden, aber es ist hart auf diesem Niveau mit einer Hand zu kämpfen." Dennoch sei eine Absage nicht in Frage gekommen.

"Eine Woche vor dem Kampf ging es der Schulter besser und besser", so Pacquiao, der jedoch ab der dritten Runde wieder Probleme verspürt habe, weiter: "Wegen meiner Schulter konnten wir nicht so kämpfen, wie wir das ursprünglich wollten." Als alleinige Ursache für die Art und Weise, wie Pacquiao letztlich ausgeboxt wurde, kann sie nicht dienen.

Keine Ausreden

Entsprechend wenig Verständnis zeigte Mayweather: "Wenn er gewonnen hätte, dann hätte ich ihm gratuliert und gesagt: 'Er verdient meinen Respekt, er war der bessere Mann'", so der US-Amerikaner. Dann legte er in gewohnter Manier nach: "Meine beiden Arme waren verletzt, meine Hände ebenfalls. Aber dennoch habe ich einen Weg gefunden, um zu gewinnen."

Abgesehen von einer möglichen Verletzung hätte Pacquiao allerdings auch ohne Probleme nicht so offensiv kämpfen können, wie es in seiner Vergangenheit der Fall war. Vor allem nach der Knockout-Niederlage gegen Juan Manuel Marquez sollte allen Beteiligten klar gewesen sein, dass er aufgrund der defensiven Fähigkeiten Mayweathers und dessen präzisen Konterschlägen keine bedingungslose Offensive an den Tag legen konnte.

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Defensive gewinnt Titel

Wie stark die Defensive des 38-Jährigen wirklich war, wurde für viele auf den ersten Blick nicht unbedingt ersichtlich. Vor allem für den Laien konnten die Schläge Pacquiaos auf die Deckung seines Gegners einen falschen Eindruck erwecken. Ein Blick auf die Zahlen lässt die Leistung Mayweathers deutlich werden.

Während Pacquiao von seinen 429 Schlägen nur 81 ins Ziel bringen konnte und somit auf eine Trefferquote von 19 Prozent kam, waren es bei seinem Gegenüber 148 Treffer bei 435 Versuchen (34 Prozent). Mayweather hat somit - abgesehen von der Anzahl an Treffern - sechs Schläge mehr auf dem Konto als Pacquiao.

Noch deutlicher fiel der Unterschied bei den Jabs auf. Bei 267 Versuchen wurden auf Seiten Mayweathers 67 Führhände zu einem Treffer (25 Prozent). Sein Gegenüber brauchte für deren 18 stolze 193 Schläge (9 Prozent). Keine Frage, der Mann von den Philippinen war zwar bemüht, wirkte jedoch wie so viele vor ihm schlichtweg überfordert damit, Mayweather ernsthaft in Gefahr zu bringen. Alles in allem war es eine der schwächsten Offensivleistungen Pacquiaos in dessen gesamter Karriere und eine inoffizielle Krönung der Defensive Mayweathers.

Dennoch sah er sich als Sieger: "Es war ein guter Kampf. Ich dachte allerdings, dass ich ihn gewonnen hätte", so der 36-Jährige: "Er hat nichts gemacht. Er ist nur ausgewichen. Außerdem habe ich ihn mehrfach erwischt. Die Punktezettel haben mich wirklich überrascht" Schließlich sei er selbst nicht einmal unter Bedrängnis geraten.

Beinarbeit als Schlüssel

Mayweather gab sich derweil diplomatisch. "Er ist ein großartiger Kämpfer", lobte der Linksausleger seinen Gegner: "Nach dem heutigen Abend weiß ich, warum er zur absoluten Elite gehört." Worte, die bei Pacquiao wohl dennoch nicht für Jubelstürme sorgen dürften. "Ich wusste, dass er attackieren und ein paar Runden gewinnen würde", fuhr Mayweather fort: "Er hatte seine starken Momente. Allerdings wurde ich nicht wirklich oft getroffen, es sei denn, ich stand in der Ecke."

Obwohl Pacquiao immer wieder versuchte, seinen Kontrahenten an den Seilen zu stellen und ihm dies zum Teil auch gelang, landeten viele seiner Schläge nur auf der Deckung. Von seinen gefürchteten Rechten und Linken aus den unmöglichsten Winkeln war nichts zu sehen und auch die Beinarbeit ließ zu wünschen übrig.

Jene hatte Roach zuvor noch bei Mayweather in Frage gestellt, wurde jedoch auf eindrucksvolle Art eines Besseren belehrt. Immer wieder konnte Mayweather den Attacken zu seiner linken Seite ausweichen. Die im Vorfeld thematisierte Schwäche Pacquiaos, seinem Gegner im Ring den Weg abzuscheiden, konnte Roach anscheinend nicht abstellen. Gegen Mayweather wäre dies allerdings zwingend notwendig gewesen.

Das Ende in Sicht

So steht wohl ein unterkühltes Ende einer großen Rivalität als Schlussakkord. Das Duell wird sicher nicht als einer der größten Kämpfe in die Geschichte des Boxsports eingehen. Mit mehr als 400 Millionen US-Dollar an Einnahmen, einer neuen Bestmarke bei verkauften Pay-per-Views und Gagen jenseits von Gut und Böse war es dennoch ein geschichtsträchtiger Abschluss und das vorletzte Kapitel für Mayweather.

"Ich bin inzwischen fast 40 Jahre alt", warf dieser, der mit der Aussage, am Montag seine Titel abgeben zu wollen, für einen weiteren Spannungsbogen sorgte, einen Blick in die Zukunft: "Ich bin lange im Sport und seit 18 Jahren Champion. Ich kämpfe im September und dann ist Schluss." Mit einem weiteren Sieg könnte der den Rekord von Rocky Marciano, der mit 49 Siegen ohne Niederlage abtrat, einstellen. Es wäre ein würdiger Abschluss, wenn er sich denn für einen kleineren Namen motivieren kann.

Doch wer kommt überhaupt als Gegner in Frage? Die Auswahl ist limitiert, ein größeres Duell als gegen Pacquiao ist nicht in Sicht. Vor allem Amir Khan könnte sich Hoffnungen auf eine Chance gegen den besten Pound-for-Pound-Boxer machen. Darüber hinaus wäre Danny Garcia eine mögliche Option. Von einem Traumkampf gegen Gennady Golovkin, womöglich bei einem Catchweight zwischen den Gewichtsklassen beider Boxer, darf hingegen maximal geträumt werden. Das Risiko wäre zu groß, die Draw-Power noch zu gering.

Der unterlegene Pacquiao wollte sich derweil nicht festlegen, wie es für ihn weitergeht. "Ich werde jetzt erstmal Urlaub machen und mich ausruhen", antwortete der Filipino auf die Frage eines Journalisten. Aufgrund des klaren Ergebnisses und der Probleme beider Camps scheint ein Rückkampf eher ausgeschlossen. Auch wenn sein Lager das anders sieht. "Es war ein enger Kampf", so Roach: "Wir könnten uns vorstellen, es nochmal zu probieren." Eine Vorstellung, von der Mayweather allerdings längst Abstand genommen haben dürfte.

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