Eine letzte Tracht Prügel

Jan Höfling
15. September 201516:46
Arthur Abraham (l.) und Robert Stieglitz steigen zum vierten Mal gegeneinander in den Ringgetty
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Die Rivalität zwischen WBO-Weltmeister Arthur Abraham (42-4-0) und Robert Stieglitz (47-4-1) geht in ihre letzte Schlacht (ab 22.30 Uhr im LIVE-TICKER). Auf dem Spiel steht für den Champion im Super-Mittelgewicht jedoch weit mehr als der Titel. Auch sein Kontrahent droht alles zu verlieren. SPOX hat beide Kämpfer vor dem Duell in Halle auf Herz und Nieren geprüft. Der Head-to-Head-Vergleich.

Vorbereitung

Grundlagentraining in Berlin, Schuften an der Ostsee und ein Feinschliff im Bundesleistungszentrum Kienbaum - das Programm von Arthur Abraham wurde von Trainer Ulli Wegner exakt auf den Tag des vierten Duells mit Robert Stieglitz abgestimmt. Auch in Sachen Diät, beim Weltmeister mitunter ein schwieriges Thema, konnte der erfahrene Coach seinen Schützling auf Linie halten.

"Man sollte niemandem verheimlichen, dass es immer wieder ein teils unmenschliches Unterfangen ist, den Jungen in Top-Form zu bringen", erklärte Wegner gegen Ende der Vorbereitung. Die Mühen haben sich gelohnt. Der Weltmeister wirkt austrainiert, mental voll auf der Höhe und ist laut eigener Aussage "richtig heiß" auf das entscheidende Duell.

Stieglitz stand nach der Pleite im letzten Duell unter noch größerem Druck. Eine erneute Niederlage wäre wohl nicht nur gleichbedeutend mit dem Ende aller Titelträume, sondern könnte sogar zum Karriereende des inzwischen 34-jährigen Boxers aus Magdeburg führen. Zwar gilt gleiches für den Weltmeister, dieser konnte jedoch auf einem Sieg - inklusive Niederschlag - aufbauen. Um zum Kampf seines Lebens in Bestform zu sein, galt bei Stieglitz deshalb das Motto "back to the roots".

In Halle ging es in ein spartanisch eingerichtetes Sportinternat. Neue Impulse standen im Vordergrund, Ablenkungen sollten ausgeschlossen werden. Angetrieben von Trainer Dirk Dzemski stand in Sachsen-Anhalt vor allem die Arbeit an einer neuen Taktik im Fokus. Für wen die Entbehrungen der letzten Wochen Früchte tragen, wird sich erst im Ring zeigen.

SPOX-Urteil: Unentschieden

Erfahrung

An Erfahrung mangelt es weder Abraham, der in seinen 46 absolvierten Kämpfen als Profi stolze 351 Runden im Seilgeviert verbrachte, noch seinem Gegenüber Stieglitz, der es in 52 Duellen gar auf deren 374 brachte. Auch in puncto Amateurzeit geben sich beide Boxer nichts. Stieglitz gewann 80 seiner insgesamt 90 Fights, bei Abraham waren es bei gleicher Kampfanzahl 81 Siege.

Dennoch spielt die Erfahrung bei dem Aufeinandertreffen um den Titel der WBO eine besondere Rolle. Beide Kontrahenten stehen sich in Halle bereits zum vierten Mal in den letzten drei Jahren gegenüber. Zwei Mal gewann Abraham, ein Mal Stieglitz. "Keiner von beiden hat Bock gegen den anderen zu boxen. Beide wissen, wie schwer es ist, den jeweils anderen zu schlagen. Es wird wieder ein Duell auf Messers Schneide", kommentierte Dzemski die damit einhergehende mentale Herausforderung. SPOX

Auch sein Gegenüber ist sich der besonderen Situation bewusst. "Überraschende Momente wird es für mich während des Kampfes keine geben, das ist richtig", sagte Wegner im Interview mit SPOX: "Fakt ist aber auch, dass beide ihr System durchwechseln werden, um den anderen auszustechen. Es gibt immer Ecken und Kanten, an denen gefeilt werden kann. Perfekt gibt es nicht, wir sind schließlich alle nur Menschen."

Entscheidend wird sein, wer anhand der letzten Duelle die richtigen Anpassungen vornehmen und seinen Gegner überraschen kann. Mit zwei Siegen im direkten Duell, Trainerlegende Wegner in seiner Ecke und der Erfahrung aus Kämpfen gegen Carl Froch, Andre Ward und Co. im Rahmen des Super-Six-Turniers im Gepäck hat Abraham die Nase vorn.

SPOX-Urteil: Vorteil Abraham

Ulli Wegner im SPOX-Interview: "Der Druck macht mich kaputt"

Schlagkraft

Von der gefürchteten Schlagkraft Abrahams zu Mittelgewichts-Zeiten ist eine Gewichtsklasse höher nicht viel übrig. Dass der Weltmeister noch immer harte Treffer setzen kann, steht zwar außer Frage, die Knockout-Quote von nur noch 61 Prozent spricht allerdings eine deutliche Sprache.

Den letzten vorzeitigen Sieg gab es gegen Mehdi Bouadla im Dezember des Jahres 2012. Danach folgte eine Niederlage durch technischen Knockout gegen Stieglitz sowie sechs Erfolge, die jedoch allesamt über die volle Distanz gingen.

Und dennoch: Der Niederschlag gegen Stieglitz im letzten Duell stellte unter Beweis, was passiert, wenn Abraham seinen Gegner ordentlich trifft - und könnte zudem im mentalen Bereich Wirkung hinterlassen haben. "Stieglitz wird die zwölfte Runde aus dem dritten Duell gegen Arthur nicht vergessen haben, das bleibt psychologisch hängen", betonte Wegner.

Wirft man einen Blick auf die Schlagkraft seines Gegenübers, dürfte Abraham kaum Ungemach drohen. Stieglitz war nie als großer Puncher bekannt und verortet auch im Jahr 2015 seine Stärken in anderen Bereichen, was eine Knockout-Quote von lediglich 52 Prozent unterstreicht.

SPOX-Urteil: Vorteil Abraham

Kinn

Auch wenn der Ruf Abrahams zuletzt mitunter etwas gelitten hat, stellt sich die Frage nach den Nehmerqualitäten des Champions nicht. Spätestens nach seinem Triumph gegen Edison Miranda im September des Jahres 2006, als er mit einem doppelt gebrochenen Unterkiefer noch acht Runden lang im Ring stand und am Ende den IBF-Titel im Mittelgewicht in die Höhe strecken durfte, steht das Image des gebürtigen Armeniers fest.

In den vergangenen Jahren hat das Kinn des Titelverteidigers zudem den einen oder anderen Test gut überstanden. Die einzigen vorzeitigen Niederlagen resultierten aus einem zugeschwollenen Auge gegen Stieglitz und einer Disqualifikation gegen Andre Dirrell im Rahmen des Super-Six-Turniers.

Bei Stieglitz sieht die Sache etwas anders aus. In der Vergangenheit hatte der Herausforderer immer wieder Probleme - und das gegen eher schwächer einzuschätzende Gegner. Sollte es Abraham gelingen, klare Treffer zu setzen, wird das vierte Duell vorzeitig enden. Deshalb kann die Lösung der Kinn-Problematik des Magdeburgers, der zudem eine kaum vorhandene Kopfbewegung an den Tag legt, nur über Beinarbeit und Ausdauer erfolgen.

SPOX-Urteil: Vorteil Abraham

Ausdauer

Die Mittel, Abrahams Anfälligkeit gegen eine hohe Arbeitsrate auszunutzen, hat Stieglitz dank seiner ausgezeichneten Kondition. Auch in puncto Defensivarbeit sind die Pferdelungen des 34-Jährigen von großem Wert. Wie wichtig der Faktor Ausdauer sein kann, zeigte das Unentschieden gegen Felix Sturm, bei dem Stieglitz über weite Strecken auf den Scorecards zurücklag, sich in der Schlussphase allerdings doch noch das Remis sichern konnte.

Deshalb wird sein Team erneut auf die größte Stärke setzen. Ein energischer Beginn gegen einen defensiven Gegner scheint wahrscheinlich, ein Einbruch in den späteren Runden nicht. Eine Tatsache, der sich Wegner und Abraham durchaus bewusst sind. "Robert schlägt viele Hände, hat jedoch keinen Killerschlag. Er gibt von Beginn an Gas wie eine Rakete, doch darauf bin ich eingestellt", so der Titelverteidiger.

Abraham selbst kann in puncto Ausdauer nicht mithalten. Der gebürtige Armenier gilt als eher faul, was Wegner in der Vergangenheit immer wieder zum Explodieren brachte, und gönnt sich auch während eines Kampfes kleine Pausen. Vor allem im Super-Mittelgewicht stechen seine konditionellen Probleme immer wieder heraus. Probleme, die er selbst mit seinem großen Kämpferherz nicht kaschieren kann.

SPOX-Urteil: Vorteil Stieglitz

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Seite 2: Körperliche Verfassung bis Fazit

Körperliche Verfassung

Hinter beiden Boxern liegt ein langes und intensives Training. Beide machen bei der körperlichen Verfassung einen exzellenten Eindruck, sind komplett austrainiert. Interessant sind deshalb primär die naturgegebenen Vorzüge. Der Größenvorteil geht dabei an Stieglitz, der bei einer Körpergröße von 180 Zentimetern fünf Zentimeter größer ist als sein Gegenüber.

Einen wirklichen Nutzen kann der 34-Jährige daraus allerdings nicht ziehen. Grund ist die geduckte Haltung, aus der Stieglitz zumeist boxt. Bei der Reichweite wendet sich das Blatt. Hier hat der Weltmeister mit 183 Zentimetern einen Vorteil von rund acht Zentimetern. Was sich nach wenig anhört, kann für Abraham zum entscheidenden Pluspunkt werden.

Mit Carl Froch und Dirrell hatte der 35-Jährige in der Vergangenheit extreme Probleme, gleiches gilt für weitere Boxer, die den Reichweitenvorteil auf ihrer Seite hatten. Abraham dürfte deshalb froh sein, ein Problem weniger zu haben. Da Stieglitz es allerdings vermag, ebenso schnell wie gekonnt die Distanz zu überbrücken und Abraham auf seine Doppeldeckung baut, relativiert sich der Vorteil jedoch.

Das Gewicht wird indes keine entscheidende Rolle spielen. Beim Wiegen blieben beide ohne Probleme im Super-Mittelgewichts-Limit von 76,2 Kilogramm. Abraham, der in der Vergangenheit des Öfteren Schwierigkeiten hatte, brachte 76 Kilogramm auf die Waage. Bei Stieglitz waren es 75,9 Kilogramm.

SPOX-Urteil: Unentschieden

Fähigkeiten

Der als eindimensional geltende Abraham hat in den letzten Jahren eine interessante Entwicklung hinter sich. Nachdem sich der Linksausleger früher meist ausschließlich auf die Power in seinen Fäusten verließ, verfügt er mittlerweile dank des unermüdlichen Wegners unter anderem über einen soliden Jab und hat seinen Stil somit zumindest etwas an die neue Umgebung des Super-Mittelgewichts angepasst.

Vor allem in den Duellen gegen den Briten Paul Smith, die er klar für sich entschied, war es immer wieder die Führhand, die ansehnliche Kombinationen vorbereitete. Zum großen Techniker macht dies den Wahl-Berliner allerdings noch lange nicht. An seinem teils zu defensiven Stil zu Beginn des Kampfes hat sich zudem nicht wirklich viel geändert. Ein Ansatzpunkt für Stieglitz, den dieser durch seine Fähigkeit, von der ersten Sekunde an im Kampf zu sein, nutzen könnte.

"Ich habe die bisherigen Fights gegen Arthur mit meinem Coach analysiert und wir müssen wohl noch ein wenig in Sachen Taktik umstellen. Ich bin auf jeden Fall positiv gestimmt, den 'Final Showdown' zu meinen Gunsten zu entscheiden", analysierte der Linksausleger, dessen Variabilität über der seines Gegenübers anzusiedeln ist.

"Er kann nur nach vorne gehen, kennt nur eine Taktik. Arthur ist ihm in allen Belangen überlegen. Deswegen erwarte ich auch einen klaren Sieg Arthurs. Alles andere wäre eine Katastrophe", konterte Wegner. "Robert schlägt viele Hände, hat jedoch keinen Killerschlag. Er gibt von Beginn an Gas wie eine Rakete, doch darauf bin ich eingestellt", ergänzte Abraham, der als perfekter "Runden-Klauer" agieren kann. Eine geringere Anzahl an Aktionen und dafür die klareren Treffern, machen sich auf den Scorecards bemerkbar.

SPOX-Urteil: Vorteil Stieglitz

Abrahams wichtigste Kämpfe: Vom Schlumpf zum König

Mentale Stärke

"Kurz und deutlich lieber Arthur: es gibt nur ein Ziel - ich hole mir meinen WM-Gürtel wieder zurück." Die Ansage von Stieglitz scheint kaum Fragen offen zu lassen, wirkt jedoch ein wenig eindimensional. Für beide Kontrahenten steht deutlich mehr auf dem Spiel als nur das Gold der WBO. Abraham droht der Verlust Wegners, der zuletzt betonte, dass "bei einer Niederlage beide nicht mehr zusammenarbeiten werden", und damit ein vermeintliches Karriereende. Auch auf der Gegenseite steht ein Ende der Laufbahn im Raum.

Raum für etwaige Zweifel sollte es in den Köpfen der Boxer dennoch nicht geben. Abraham-Coach Wegner fand im Vorfeld klare Worte: "Ich glaube, dass dieser Kampf für beide enorm wichtig ist. Deshalb wird Arthur sich am Riemen reißen und die Sache ein für alle Mal klarstellen", sagte der 73-Jährige im Gespräch mit SPOX. "Einen fünften Kampf wird es nicht geben", schob sein Schützling, der schnell trotzig werden kann, wenn es nicht gut für ihn läuft, nach.

Auch die Tatsache, dass das Duo aufgrund der Zusammenarbeit zwischen dem Sauerland-Boxstall und Sat.1 mehr als Ergebnisse liefern muss, immerhin ist Abraham das große Zugpferd der Kooperation, kann sich auf die Leistung auswirken - im positiven wie negativen Sinn. Selbst Marco Huck, der sich aktuell auf seinen Kampf gegen Krzystof Glowacki vorbereitet, meldete sich zu Wort: "Ich habe Arthur gesagt, dass er ihn dieses Mal vernichten muss. Dann gibt es keine Diskussionen mehr", so der ehemalige Wegner-Schützling.

Die Gegenseite haderte unterdessen mit der Vergangenheit. "Wir erwarten und hoffen beim vierten Duell auf faire Punktrichter und einen Ringrichter, der zum Beispiel die Nackenschläge von Arthur unterbindet", so Dzemski: Es soll ein faires Gefecht werden, auf hohem Niveau, aus dem dann der bessere Boxer als Sieger hervorgeht!" Ob etwaige Nebenschauplätze sich zum Nachteil entwickeln könnten, wird sich zeigen.

SPOX-Urteil: Vorteil Abraham

Fazit

"Das ist ein Klassiker - 'El Clasico' - des deutschen Boxens. Bayern München gegen Borussia Dortmund - das wird auch nie langweilig ", bemühte Wegner den Vergleich zum Fußball. Auch Kalle Sauerland legte nach: "Große Sprüche, die muss ich vor diesem Duell nicht machen. Man muss sich einfach nur die drei zurückliegenden Fights anschauen, dann ist klar, was Sie am Samstag im Ring erwarten wird", sagte der Promoter. Sofern es einen Sieger gibt, wird im ausverkauften Gerry Weber Stadion die Rivalitäten endgültig ihr Ende finden.

Der Anfang des Kampfes ist für beide Boxer von enormer Bedeutung. Gelingt es Abraham den energischen Beginn seines Gegenübers verpuffen zu lassen und dabei selbst schnellstmöglich auch mit offensiven Aktionen und über seinen verbesserten Jab in das Duell zu finden, könnte das Kapitel Stieglitz ein für alle Mal zu den Akten gelegt werden. Im Falle einer Niederlage sieht die Sachlage jedoch ganz anders aus - es bliebe nichts als ein Haufen Scherben.

Doch auch auf der Gegenseite dürfte das "alles oder nichts"-Gefühl für eine Motivation jenseits aller Grenzen sorgen. "Unser Raubtier wird Arthur den Titel entreißen", betonte Dzemski in den letzten Tagen, denn Stieglitz habe "momentan nichts" und sei deshalb "hungrig und gefährlich". Aussagen, die tief blicken lassen. Denn in der Tat hat Stieglitz im Falle einer erneuten Niederlage kaum gute Argumente für die Fortsetzung seiner Karriere.

Die Niederlage im zweiten Duell hatte Abraham einem geschwollen Auge und damit einer Verletzung zu verdanken, der Erfolg im dritten Aufeinandertreffen war eng, aber erarbeitet. Für einen Knockout seitens Stieglitz' wird es auch im vierten Kampf nicht reichen, auf eine erneute Verletzung zu spekulieren, macht keinen Sinn. Mit diesem Wissen, einem mentalen Vorteil und dem Niederschlag im Gepäck geht der Titelverteidiger als leichter Favorit in den Ring - und wird dieser Rolle gegen einen engagierten Stieglitz am Ende auch gerecht.

SPOX-Urteil: Punktsieg Abraham

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