Anthony Joshua im Interview: "Ich will zeigen, dass wir Boxer auch ein Gehirn haben"

Gareth A. Davies
10. Dezember 202022:53
Anthony Joshua will nicht nur auf seine sportlichen Leistungen reduziert werden.getty
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Anthony Joshua steigt nach einjähriger Pause am Samstag (23 Uhr live auf DAZN) gegen Kubrat Pulev wieder in den Boxring. Im Interview mit DAZN und SPOX spricht AJ über den Wunsch, in naher Zukunft unangefochtener Champion zu werden.

Im Gegensatz zu seiner Niederlage gegen Andy Ruiz will er Pulev unter keinen Umständen unterschätzen. Der 31-Jährige findet es aber unfair, dass er an einem Abend alle seine vier Gürtel verlieren kann.

Außerdem spricht er über den gegenseitigen Respekt gegenüber Tyson Fury, der ihn nach der Ruiz-Niederlage für sein Verhalten lobte. Er verrät zudem, dass Deontay Wilder mehrere Angebote abgelehnt und "noch nicht seinen Mann gestanden" hat.

Herr Joshua, am kommenden Samstag kämpfen Sie gegen IBF-Pflichtherausforderer Kubrat Pulev. Welche Gefahren sehen Sie bei ihm?

Anthony Joshua: Sehr viele! Er beherrscht die Grundlagen sehr gut, ist geschickt und hat eine sehr gute Führhand. Danach folgt oft die Schlaghand zum Kopf oder Körper. Er hat schon gegen starke Gegner wie Hughie Fury, Dereck Chisora oder Wladimir Klitschko gekämpft.

Sie halten aktuell die Gürtel in der IBF, WBO, IBO und WBA. Einzig der WBC-Gürtel fehlt ihnen noch.

Joshua: Ich bin nur noch einen Gürtel davon entfernt, unangefochtener Champion zu werden. Es war harte Arbeit, die ersten vier zu holen. Ich darf aber nicht zu weit nach vorne blicken. Aus diesem Grund nehme ich Pulev sehr ernst. Es ist verrückt, wie das Boxgeschäft läuft. Ich habe für jeden Gürtel hart gekämpft und Pulev bekommt die Chance, alle an einem Abend zu gewinnen. (lacht) Ich kann nicht einfach nur meinen IBF-Titel verteidigen und die anderen Gürtel an die Seite legen. Ich freue mich auf die Chance, um den WBC-Titel zu kämpfen. Wer auch immer der Champion ist, ich bin daran interessiert, gegen ihn anzutreten.

Aktuell ist Tyson Fury der Champion in der WBC. Er wird im Frühjahr wohl erneut gegen Deontay Wilder kämpfen. Bislang kam noch kein Kampf zwischen ihnen und einem der beiden zustand. Warum nicht?

Joshua: Deontay Wilder und Tyson Fury haben mehrmals gesagt, dass ich keine Herausforderungen annehmen würde. Das stimmt so aber nicht. Wilder hat kürzlich zugegeben, dass wir ihm ein lukratives Angebot gemacht haben. Er hat es allerdings abgelehnt, um nochmal gegen Tyson Fury zu kämpfen. Es war ein Fehler, den ich nie wieder machen werde. Ich habe so viel Zeit verschwendet, alle davon zu überzeugen, dass ich ihm ein Angebot gemacht habe. Nun konzentriere ich mich nur noch auf das, was vor mir ist: Kubrat Pulev.

Anthony Joshua: "Ich bin sicher nicht der größte Knockouter"

Viele Experten haben Sie zuletzt als den größten Knockouter des Schwergewichts bezeichnet. Sehen Sie sich so?

Joshua: Nein, ich bin sicher nicht der größte Knockouter. In der Diskussion darf man Mike Tyson oder Joe Lewis nicht vergessen. Klar kann ich meine Gegner ausknocken. Ich zeige gerne meine technischen Fähigkeiten über die volle Distanz, aber wenn ich meinem Gegner Schaden zufügen möchte und eine kleine Schwäche spüre, nutze ich das aus. Ich habe einen Sinn für die Schwächen meiner Gegner und mache das zu meinem Vorteil.

Haben Sie diesen Sinn schon seit Ihrer Jugend oder mussten Sie sich die Fähigkeit erarbeiten?

Joshua: Als ich anfing zu boxen, ging alles sehr schnell. Es wart hart, weil ich so viele Fehler machte. Meine Philosophie war: Wenn du mich fünfmal triffst, schlage ich sechsmal zurück. Ich war hart drauf. Bevor ich die Wissenschaft hinter dem Boxen verstand, kannte ich nur die harte Schule.

Für Sie ging es in Ihrer Karriere bis zum 1. Juni 2019 immer bergauf. Damals verlor Sie überraschend gegen Andy Ruiz. Welche Auswirkungen hatte die Niederlage auf Sie?

Joshua: Es stimmt, ich war Champion bei den Amateuren, dann bei den Profis und plötzlich habe ich verloren. Plötzlich bekam Andy Ruiz die Aufmerksamkeit. Erst da realisierte ich, was es bedeutet, Champion zu sein. Ich habe es früher mehr wie einen Job gesehen. Ich bin ein Champion, also ist es mein Job, ein Interview zu führen oder den Kampf zu promoten. Es ist einfach Teil des Jobs, nichts Besonderes also. Aber als ich den Erfolg von Andy Ruiz sah, merkte ich, wie besonders es eben doch ist. Das wollte ich wiederhaben. Ich sah, was es bedeutete, ein Weltmeister zu sein. Von da an wollte ich mich immer weiter verbessern.

Am 7. Dezember korrigierten Sie das wieder. Das fühlte sich gut an, oder?

Joshua: Es war ein tolles Gefühl! Das hatte ich mir aber auch verdient.

Ihr Rivale Tyson Fury hat Sie für den Umgang mit der Niederlage sehr gelobt. Sind Sie stolz darauf, dass Sie nicht den Kopf haben hängen lassen?

Joshua: Definitiv. Niemand kann einem sagen, wie man damit umgehen muss. Nach so einer Niederlage liegt es einfach an einem selbst. Am Abend der Niederlage habe ich ganz oft "gut gemacht" und "Kopf hoch" gehört. Das baut einen auf. Aber wenn man alleine im Bett liegt, ist man mit seinen Gedanken alleine. Es ist einfach wichtig, eine gewisse Reife zu zeigen und vertraute Menschen um sich herum zu haben. Ich bin froh darüber, wie ich das Ganze überwunden habe. Dafür brauche ich aber Tyson Fury nicht, um das zu wissen. (lacht)

Anthony Joshua über möglichen Fury-Kampf: "Will das ganze Drumherum gar nicht"

Hat Sie das nicht noch weiter aufgebaut, wenn ein direkter Konkurrent, der bekanntlich nicht oft andere Menschen lobt, so etwas über Sie sagt?

Joshua: So redet man unter Kämpfern, ich habe auch großen Respekt vor ihm. Er ist ein toller Champion. Er macht seine Sache gut, ich beobachte ihn sehr genau. Er hat große Dienste für das Boxen erbracht. Ich hoffe, das bleibt auch so, damit wir uns eines Tages an der Spitze treffen können.

Anthony Joshua gegen Tyson Fury. Das wäre wohl der größte Kampf, den England je gesehen hätte.

Joshua: Die Zeit ist mein Vorteil. Ich glaube, je länger meine Gegner warten, desto schwieriger wird es für sie. Ich entwickle mich stetig weiter. Ich werde jedes Mal stärker und schlauer. Das ist ein Segen für mich!

Warum ist Ihre Vorfreude so verhalten?

Joshua: Ich will das ganze Drumherum gar nicht. Ich will einfach nur kämpfen. Es wird ein großes Spektakel, aber das interessiert mich nicht. Es geht nur um mich und meinen Gegner.

Wie sieht es mit einem möglichen Kampf gegen Deontay Wilder aus?

Joshua: Er ist ein weiterer Herausforderer in meiner Gewichtsklasse und meiner Ära. Wir haben ihm letztes Jahr erneut ein lukratives Angebot gemacht, das er abgelehnt hat. Das Angebot steht immer noch, sobald er bereit dafür ist. Er muss seinen Mann stehen und nicht lügen, das ist allerdings auch klar. Es war unschön, als er versucht hat, meinen Namen und Ruf zu beschmutzen. Diesmal sollten wir uns nur auf das Kämpfen konzentrieren und den Fans einen echten Kampf bieten. Das wäre mein Wunsch.

Sie haben einmal gesagt, dass Sie noch zehn weitere Jahre kämpfen könnten, wenn Sie dazu Lust hätten und Ihr Körper mitspielen würde. Würden Boxer wie Daniel Dubios, Joe Joyce und Dillan Whyte dann eine Rolle im Titelkampf spielen?

Joshua: Man darf bei solchen Gedankenspielen Oleksandr Ussyk nicht vergessen. Wie ich bereits gesagt habe, ich trete allen gegenüber. Der Name spielt dabei überhaupt keine Rolle. Sie sind alle willkommen. Ich könnte jetzt eine Liste aufzählen, aber das hier ist nicht ihre, sondern meine Show. Wenn sie wirklich daran interessiert sind, gegen mich zu kämpfen und es nicht nur Promo ist, finden die Kämpfe statt.

Anthony Joshua siegte am 07.12.2019 gegen Andy Ruiz und holte sich seine WM-Gürtel zurück.getty

Anthony Joshua: "Ich bin mein gefährlichster Gegner"

Wenn Sie einen Kampf von Ihnen bildlich beschreiben müssten, an welche Situation müssten Sie denken?

Joshua: Ich gehe in eine Bank rein, nehme das Geld mit und verschwinde wieder. Ich spreche nicht erst noch mit dem Sicherheitspersonal und lasse mich erwischen. Ich will rein und ganz schnell wieder raus.

Wie sieht Ihre Herangehensweise aus, wenn Sie sich Ihre Gegner aussuchen?

Joshua: Kämpfe gegen die Besten und überlasse alles andere dem Rest. So lautet mein Motto. Bereits nach drei Jahren als Profi habe ich in meinen 16. Karrierekampf um die Weltmeisterschaft gekämpft. Ich wollte mich testen und das tue ich auch weiterhin. Ich versuche nicht, den Herausforderungen aus dem Weg zu gehen.

Wer ist Ihr gefährlichster Gegner?

Joshua: Ich bin mein gefährlichster Gegner. Diesen Mann muss ich schlagen. Ich muss meine Müdigkeit am Morgen und alle meine Fehler im Ring überwinden. Das ist schwer. In meinem Beruf reicht das Notwendigste nicht aus. Ich muss jedes Mal besser sein als gestern. Es ist harte Arbeit, sich jeden Tag zu verbessern. Ich mache mir um niemanden mehr Sorgen als um mich. Das hat mich hierhin geführt. Wenn ich das nicht tue, geht es schief.

Was wollen Sie später einmal über sich selbst lesen?

Joshua: Innerhalb des Rings soll man sagen, dass ich keinen Neid gegenüber aufstrebenden Kämpfern verspürt habe. Nur Bewunderung und Respekt. Ich weiß, wie hart das sein kann. Ich will ihnen den Weg weisen können. Das müssen nicht nur Boxer sein, sondern auch Leichtathleten, Tennisspieler oder Fußballer. Ich weiß, was alles dazu gehört. Management, Vorbereitung, Druck, und was es heißt, ein Athlet zu sein.

Sie haben nicht gesagt, dass Sie als einer der größten Boxer gesehen werden wollen.

Joshua: Das interessiert mich einfach nicht. Niemand wird sich an bestimmte Sportler erinnern, die vor Jahren gewirkt haben. Die Welt dreht sich weiter. Wie lange wird man sich an mich erinnern, selbst wenn ich einer der Größten war? Maximal 100 Jahre? Ich will den Leuten nicht nur wegen des Sports in Erinnerung bleiben.

Anthony Joshua: "Will zeigen, dass wir Boxer auch ein Gehirn haben"

Sondern?

Joshua: Ich will als junger Mann gesehen werden, der sich als Geschäftsmann gut verhalten und der nach seiner Karriere ein Imperium aufgebaut hat. Das ist mir sehr wichtig. Ich will zeigen, dass wir Boxer auch ein Gehirn haben. (lacht) Es gibt viele Vorurteile gegenüber dem Boxen. Darüber hinaus will ich ein Vorbild sein für alle Gesellschaftsgruppen.

Imperium und Vorbild: Das sind zwei hochgesteckte Ziele. Wie genau wollen Sie das erreichen?

Joshua: Eigentlich will ich diesen Druck gar nicht haben, weil auch ich Fehler mache. Ich will aber zeigen, dass es in Ordnung ist, Fehler zu machen. Ich habe vieles in meiner Jugend falsch gemacht. Das Boxen hat mir geholfen, mich neu zu orientieren. Nach Fehlern muss man zurückkommen. Mit dem Alter kommt die Weisheit. Ich will nicht nur für die Menschen da sein, sondern auch den jungen Menschen helfen, ihren Weg nach oben zu gehen. So sollen sie mich außerhalb des Rings sehen. Das Geschäft bietet mir die Möglichkeit, etwas zurückzugeben.

Wollen Sie also in Erinnerung bleiben, indem Sie Menschen helfen, die normalerweise nicht ihre Ziele und Träume verfolgen können?

Joshua: Genau! Nachhaltige Veränderung ist, wenn man das Leben einer ganzen Familie ändern kann. Das muss aber nicht immer auf den Sport bezogen sein. Das kann auch sein, wenn man jemanden dazu inspirieren kann, Buchhalter oder Anwalt zu werden. Das kann eine Gemeinschaft nachhaltig verändern. Wenn man eine Schule baut und den ersten Stein dafür setzt, bleibt das für eine lange Zeit. Das bedeutet Vermächtnis.

Wäre es für Sie auch eine Möglichkeit, in Nachwuchszentren für junge, aufstrebende Boxer zu investieren?

Joshua: Auf jeden Fall. Den gleichen Effekt, den ich eben beschrieben habe, kann man eben auch mit einer Trainingshalle erreichen. Schauen Sie sich den Boxklub Finchley ABC an. Dort wurden Kämpfer wie Mason Smith, Dereck Chisora, ich und viele weitere tolle Menschen ausgebildet. Box-Gyms entwickeln immer weiter große Persönlichkeiten und das ist ihr Vermächtnis. Es geht nicht nur um mich. Wenn ich etwas tun kann, dass der Gemeinschaft hilft, dann ist das ein größeres Vermächtnis.