Vom 14.12.2017 bis zum 01.01.2018 findet im Londoner Ally Pally die Darts-WM 2018 (alle Sessions live auf DAZN) statt. Gelingt Phil Taylor bei seinem letzten Turnier der Abschied nach Maß oder verteidigt Michael van Gerwen erstmals seinen Titel bei der WM? SPOX und Experte Elmar Paulke machen den Favoritencheck.
Die deutschen Teilnehmer
Es war ein bemerkenswertes Jahr von Martin Schindler. Obwohl er in der PDC Order of Merit 30 Plätze hinter Max Hopp auf Platz 75 liegt, hat sich Schindler im Gegensatz zum Maximiser ein WM-Ticket geschnappt. Warum? Der 21-Jährige hat auf der Pro Tour überzeugt und sich über die Pro Tour Order of Merit (45) qualifiziert.
Bei seinem Debüt im Ally Pally wird The Wall von Simon Whitlock begrüßt. Mehr Erfahrung geht nicht. The Wizard war 2003 das erste Mal bei der WM dabei und mischt seitdem mal mehr, mal weniger erfolgreich in der Darts-Szene mit. 2017 befindet sich der 48-jährige Australier auf dem aufstrebenden Ast und hat sich Platz 10 der Order of Merit zurückerobert.
Doch Schindler hat in diesem Jahr bewiesen, dass er auch die Großmächte ärgern kann. Beim World Cup of Darts brachte er das Frankfurter Publikum zum Toben, als er zwischenzeitlich mit 2:0 gegen van Gerwen vorne lag. Gereicht hat es am Ende aber nicht.
Elmar Paulke: "Martin will sich auf keinen Fall ablenken lassen und lehnt im Vorfeld alle medialen Termine ab. Er hat sich dieses Highlight mit seinen Leistungen redlich verdient, mich persönlich hat besonders sein 102er Average gegen John Bowles bei der European Darts Trophy beeindruckt. Aber mit Simon Whitlock hat er einen sehr erfahrenen Spieler gezogen, Whitlock stand 2010 im WM-Finale und seine Leistungskurve zeigt wieder nach oben. Martin ist zwar keineswegs chancenlos, aber wenn er anfangs nicht in die Partie findet, sehe ich schwarz. Ich bin gespannt, ob er die Stimmung im Ally Pally genießen kann oder nervös wird."
Der zweite deutsche Teilnehmer ist Kevin Münch, der sich über die Super League nach London kämpfte. Die großen Ausrufezeichen konnte der hauptberufliche Landschaftsgärtner zwar noch nicht setzen, aber der 29-Jährige hat gute Erinnerungen an das Mekka des Darts.
2012 überlebte er erst die Vorrunde und profitierte in der ersten Runde von der gesundheitsbedingten Aufgabe von Denis Ovens. Auch in diesem Jahr muss Münch die Vorrunde bestreiten und trifft dort auf den Russen Aleksandr Oreshkin, dessen Markenzeichen mehr das markante Auftreten und der langsame Wurf-Rhythmus als die zielgenauen Einschläge der Darts sind.
Elmar Paulke: "Als Kevin nach der WM 2012 gesagt hat, dass er unbedingt zurückkommen will, habe ich ihm das ehrlich gesagt gar nicht wirklich zugetraut. Jetzt freut es mich umso mehr, dass er es geschafft hat. Da Darts nur sein Hobby ist, hat er keinen Druck, er muss keine Erfolge feiern, um seinen Kühlschrank zu füllen und das Rampenlicht wird ihn nicht erschlagen. Allerdings hat er mit Oreshkin einen unangenehmen Gegner, der abgezockt ist und extrem langsam spielt. Gegen Oreshkin muss man von Anfang an sein eigenes Spiel haben, sonst wird es schwierig, das überhaupt zu finden."
8. Daryl Gurney - Platz 4 der Order of Merit
Der 31-jährige Nordire ist einer der erfolgreichsten Spieler des Jahres und weit oben in die Rangliste geknallt. Gurney hat mit vier Halbfinal-Einzügen bei wichtigen Turnieren gleich mehrere Highlights gesetzt, sein größter Erfolg war aber mit Sicherheit der Triumph beim World Grand Prix im Oktober.
Doch nicht jeder überschüttet den Emporkömmling mit Lob und Anerkennung. Beim Grand Slam of Darts überrollte Taylor ihn erst auf der Bühne und anschließend knöpfte er ihn sich im Postmatch-Interview ordentlich vor. Von Arroganz und mangelndem Respekt polterte die Legende, nachdem dieser ihm kein Glas Wasser einschenkte. Gurney die Zukunft des Darts? Nicht für Taylor. Immerhin: Noch eine Lektion vom Darts-Gott wird es für Gurney wohl eher nicht geben, denn die beiden können erst im Finale aufeinander treffen.
Elmar Paulke: "Gurney kennt die WM, immerhin war er schon fünf Mal dabei. In der dritten Runde könnte es zum Duell der Senkrechtstarter mit Rob Cross kommen, wobei ich Cross im Vorteil sehe. Ich habe nicht das Gefühl, dass Gurney die Geschichte der WM wird und etwa einen Halbfinaleinzug packen könnte. Bei ihm könnte ich mir vorstellen, dass er sich zu sehr unter Druck setzt und dann etwas verkrampft. Gurney ist jetzt einer der Gejagten und ihm fehlt die Selbstverständlichkeit, die beispielsweise ein Suljovic ausstrahlt."
7. Raymond van Barneveld - Platz 9 der Order of Merit
Mittelmäßig - so könnte man die Saison von Barney beschreiben. Es war bei Weitem nicht alles zum Vergessen, was der fünfmalige Weltmeister auf die Bühne brachte (Halbfinale Champions League of Darts, Finale Perth), die Kirsche auf dem Kuchen sucht man aber vergeblich. Hoffnung schöpft die Barney Army traditionell aus dem Ally Pally. Auch in den letzten Jahren kam RvB nicht immer mit tosendem Rückenwind in London an, trotzdem stand er bei den letzten fünf Ausgaben bockstarke vier Mal im Halbfinale.
Barney und die WM, das passt einfach. Allerdings birgt diese Liaison auch eine große Gefahr. Geht der Niederländer früh K.o., gehen ihm massig Punkte flöten und es droht in der Weltrangliste der freie Fall. Und die Auslosung hat es in sich: Im Viertelfinale winkt das emotionale Duell mit MvG, davor könnte sich bereits Chisnall in den Weg stellen, der für Barney in der aktuellen Verfassung auch keine Laufkundschaft darstellt.
Elmar Paulke: "Barney holt im Ally Pally immer das Maximum aus sich heraus und kann sich schnell in den Flow spielen - dann ist er der gefährliche Tiger und selbst MvG nicht vor ihm sicher. Aber Barney hat zuletzt nicht gut gespielt und ich kann mir nicht vorstellen, dass er plötzlich reihenweise formstarke Spieler bezwingt und lange im Turnier bleibt. Ich sehe auch ein emotionales Problem: Er ist nicht mehr auf den Programmheften der PDC abgelichtet und das nervt ihn, er hat vor Turnierbeginn schon Nebenschauplätze im Kopf. Ein frühes Aus wäre schon ein herber Nackenschlag, wenn es ihn richtig früh erwischt, glaube ich nicht, dass er bei der Premier League dabei ist. Er ist zwar die Legende, aber sportlich gesehen gehen der PDC die Argumente aus."
6. Rob Cross - Platz 20 der Order of Merit
Es gibt kaum Spieler, die sich auf Anhieb so erfolgreich bei der PDC festgebissen haben wie der Engländer. Vielleicht die BDO-Weltmeister Bunting und Barney. Cross gewann vier Pro-Tour-Events und auch bei den Majors setzte er erste Duftmarken wie den Finaleinzug bei den European Darts Championship. In den letzten Wochen glänzte er mit Konstanz: Viertelfinale bei den World Series of Darts Finals, Viertelfinale beim Grand Slam und Halbfinale bei den Players Championship Finals.
Der Lohn für den 27-Jährigen: Binnen nur einem Jahr ergatterte er sich einen Platz in den Top 20 in der Order of Merit. Bei der WM kann Cross befreit aufspielen, muss keine Punkte verteidigen und bei einem fulminanten Lauf dürften die ersten Stimmen, die ihn für die Premier League fordern, nicht lange auf sich warten lassen.
Elmar Paulke: "Cross kam als No Name zur PDC und ist der Shootingstar des Jahres. Er hat diese Entwicklung mit einer gewissen Demut genommen, nur einmal hat er sein Lachen verloren: Gegen Jonny Clayton bei den Players Championship Finals Ende November und prompt ist sein Spiel zusammengebrochen. Das zeigt auch, was hohe Erwartungen gepaart mit wenig Erfahrung bewirken kann. Cross gehört zu den Spielern, die jeder Spieler besonders gerne besiegt und er muss noch lernen, wie er mit der Favoritenrolle umgeht."
5. Mensur Suljovic - Platz 5 der Order of Merit
Der beste deutschsprachige Spieler ist im Darts-Olymp angekommen. The Gentle nagelt konstant hohe Averages ins Bord und hat bei der Champions League of Darts seinen ersten großen Titel abgeräumt. Die ersten Runden übersteht der Österreicher mittlerweile mit spielerischer Leichtigkeit und auch wenn er zuletzt bei den Players Championship Finals mal früh die Segel streichen musste, kann Suljovic auf ein erfolgreiches Jahr zurückblicken (z.B. Halbfinale World Grand Prix).
Nun gilt es für den 45-Jährigen, auch auf der größten Darts-Bühne nach vorne zu preschen. Denn im Ally Pally ging es für Suljovic bei seinen neun Teilnahmen nicht über das Achtelfinale hinaus. Die Auslosung ergab zwar machbare Gegner, aber keinen Spaziergang: Erst im Viertelfinale winkt ein Duell mit einem Top-Ten-Spieler (Gurney), zuvor könnte er auf Jelle Klaasen und Robert Thornton treffen.
Elmar Paulke: "Mensur ist die Fünf der Welt! Das sagt man so einfach, aber das ist unglaublich. Wenn du gegen die Stars spielst, weißt du, dass du hinten raus noch einen drauf legen musst, weil sie dir nichts schenken und bei Mensur ist das genauso. Dazu kommt sein langsamer Rhythmus, vor Mensur haben sie alle ein bisschen Muffe. Er selbst sagt, dass er vor dem Ally Pally viel Angst hat, er stapelt ja gerne tief, aber die große Underdog-Rolle kann man ihm nicht mehr zugestehen. Ich traue ihm einiges zu. Mensur wird bei der WM durch die ersten Runden marschieren. Er ist einfach eine Klasse besser als die Spieler, die hinter ihm stehen. Er hat eine neue Ausstrahlung bekommen, er ist einer der Big Boys."
4. Gary Anderson - Patz 3 der Order of Merit (SPOX-Interview)
Anderson, der 2017 drei Players Championships sowie die Dubai und Perth Masters eintütete, hatte sportlich gesehen in den vergangenen zwölf Monaten nicht nur Höhen, zuletzt war er aber wieder voll da. Ähnlich wie Barney beflügelt die Aura Ally Pally auch Anderson: Zwei Mal krallte sich der Schotte am Ende den Pokal (2015, 2016) und auch im letzten Jahr marschierte er bis ins Finale, hatte aber gegen Mighty Mike das Nachsehen.
Drei Finalteilnahmen am Stück sind kein Zufall, der Set-Modus ist Anderson auf den Leib geschnitten. Anderson hat dank seiner mentalen Stärke ein Händchen für die wichtigen Momente, in denen er sein unfassbares Niveau abrufen kann. Das wird er in diesem Jahr auch brauchen, denn der Weg zum Glück hat es in sich. Im Viertelfinale könnte Taylor warten, im Halbfinale Wright und im Finale der Endgegner MvG. Na dann viel Erfolg!
Elmar Paulke: "Er hat einen ähnlichen Verlauf hinter sich wie im Jahr zuvor. Er war ein paar Monate nicht ganz so präsent und hat bewusst einige Events ausgelassen, weil er nochmal Vater wurde und sich um die Familie kümmern wollte. Er hat neue Kraft getankt. Jetzt ist er sportlich wieder auf Kurs, zumal er weiß, dass er im Ally Pally gut spielen wird. Er ist kein Arbeiter, deshalb liegt ihm dieses Turnier. Bei der WM hat Anderson seine Pausen und genießt es noch mehr als sonst, dass er seinen Beruf zum Hobby gemacht hat - da ist er charakterlich anders als der Arbeiter van Gerwen."
3. Peter Wright - Platz 2 der Order of Merit
Bei Snakebite stand die WM-Teilnahme lange in den Sternen, denn Wright musste Ende November wegen Gallenproblemen ins Krankenhaus. Kurz vor der WM die gute Nachricht: Die Nummer zwei der Welt tritt an. In erster Linie ist das natürlich eine gute Nachricht für Wright selbst, denn er hätte nicht das Okay bekommen, wenn er nicht gesundheitlich so weit wäre. Darüber hinaus ist das aber auch ein sportlicher Mehrwert für die WM.
Wright hat 2017 den nächsten Schritt gemacht, steigert sich im Laufe eines Turniers und hat mit den UK Open endlich den ersten großen Titel unter Dach und Fach gebracht. Bleibt natürlich die Frage, inwiefern ihn seine fehlende Vorbereitung zurückwirft. Da kommt ihm die Auslosung sicher entgegen: Nach Pflichtaufgaben in den ersten beiden Runden würde auch in der dritten Runde noch kein ganz großes Kaliber warten (Alan Norris oder Kim Huybrechts).
Elmar Paulke: "Es war klar, dass er die WM nur spielen wird, wenn er tatsächlich fit ist und da er jetzt dabei ist, wird er fit sein. Gesundheit geht bei ihm natürlich immer vor. Die ungewohnte Vorbereitung ist gerade zum Auftakt eine Ungewissheit. Aber wenn er ohne Beschwerden spielen kann und die ersten Runden gewinnt, kommt das Selbstvertrauen zurück und alles kann passen. Wright hat Bock auf die WM und hat im letzten Jahr viel gelernt. Nach dem World Matchplay gegen Taylor hat er zum Beispiel gesagt, dass er zu emotional war - das passiert ihm nicht nochmal. Auch die Tatsache, dass er endlich wichtige Matches gegen van Gerwen gewonnen hat, prägt ihn. Er traut sich selbst den großen Wurf zu. Und ich auch."
2. Phil Taylor - Platz 6 der Order of Merit (SPOX-Interview)
Was wäre das für eine Cinderella-Story, wenn Taylor es noch einmal schaffen würde! Der glanzvolle Abgang der Legende - auf der größtmöglichen Bühne. Und The Power hat es noch im Kreuz, das musste die Konkurrenz beim World Matchplay empfindlich feststellen: 10:5 gegen den Newcomer Price, 11:3 gegen die Legende Barney, 16:6 gegen den Dominator van Gerwen, 17:9 gegen Doppel-Weltmeister Lewis und 18:8 gegen den Paradiesvogel Wright. Statement!
Und jetzt kommt die WM. Der Wettbewerb, bei dem er schon alles erlebt hat: Von schmerzhaften Niederlagen (2007 gegen Barney - das war in der Circus tavern!) über triumphale Machtdemonstrationen (4 White Washs in Finals) bis hin zum WM-Sieg gegen van Gerwen (2013). Und falls Taylor doch noch eine Extra-Portion Motivation bräuchte: Es winkt das Traumfinale gegen van Gerwen.
Elmar Paulke: "Der 17. WM-Titel wäre natürlich Taylor Wonderland vom Feinsten. Und ich bin tatsächlich davon überzeugt, dass er eine Chance hat. Egal, mit wem ich in den letzten Wochen gesprochen habe - es gibt keinen, der ihm das nicht zutraut. Die freien Tage im Laufe der WM sind wichtig für ihn, damit er Energie tanken und jedes Match wie eine neue Aufgabe angehen kann. Taylor ist wie getrieben, er lässt keine Melancholie zu. Er hat seine Karriere 30 Jahre lang gelebt und schaut immer nach vorne. Deshalb spielt er 2018 180 Exhibitions. Sein Vater hat ihm die Mentalität 'du bist nur so gut wie dein nächster Titel' eingeimpft."
1. Michael van Gerwen - Platz 1 der Order of Merit (SPOX-Interview)
Nummer eins der Welt, Titelverteidiger, Dominator des letzten Jahres - natürlich ist Michael van Gerwen auch in diesem Jahr wieder der absolute Topfavorit. Nachdem er - anders als 2016 - in diesem Jahr zumindest vereinzelt der Konkurrenz den Vortritt überließ, zeigte er bei den letzten vier TV-Turnieren keine Gnade. Misserfolge lassen van Gerwen nicht zweifeln, er schüttelt sich kurz und schon steht er wieder bei 100 Prozent.
Wer trotzdem die Hoffnung nicht vor dem ersten Pfeil begraben will, kann sie wie üblich im Modus suchen. Die Aufteilung in Sets kommt van Gerwens Explosivität nicht entgegen: Für seine Höhenflüge über ein paar Minuten, mit denen er allen davon galoppiert, kommt der Gegner bei der WM auch mal mit "nur" einem Satzverlust davon. Bekommt der Gegner dann den Fuß in die Tür, ist noch nicht Hopfen und Malz verloren. Soweit die Theorie.
Elmar Paulke: "Nach seinen nicht ganz so dominanten Monaten hat er wieder zur alten Konstanz gefunden und das ist Wahnsinn. Van Gerwen lässt es nicht zu, dass die Konkurrenz über einen längeren Zeitraum das Gefühl bekommt, er sei verwundbar. Trotzdem betonen auch alle anderen Spieler immer wieder: Wenn er schlagbar ist, dann bei der WM. Ein Anderson, ein Taylor, ein Wright - sie alle können van Gerwen in diesem Modus schlagen. Allen anderen rechne ich kaum Chancen aus. Auch weil van Gerwen in meinen Augen die nächste Entwicklungsstufe genommen hat. Er wurde Vater und man hat ihm angemerkt, dass da etwas passiert ist. Aus diesem Familienglück tankt er die neue Kraft und kann jede Aufgabe mit voller Motivation angehen."