Marvin Kirchhöfer fährt mit ART Grand Prix seine zweite GP3-Saison und gilt als eine der größten deutschen Nachwuchshoffnungen im Motorsport. Im Interview mit SPOX spricht der 21-Jährige über Interviewtraining mit Kai Ebel, die Schwierigkeiten eines Aufstiegs in die Formel 1 und er verrät, warum er trotz allem nicht auf Max Verstappen eifersüchtig ist.
SPOX: Herr Kirchhöfer, Sie sind mit ART Racing in Ihre zweite GP3-Saison gestartet. Am ersten Rennwochenende in Barcelona lief nicht alles nach Plan. Am Freitag und Samstag fehlte Topspeed, trotzdem konnten Sie im zweiten Rennen einen Sieg feiern. Wie zufrieden sind Sie mit dem Auftakt?
Marvin Kirchhöfer: Der Sieg am Sonntag hat das Wochenende zu etwas Positivem gemacht. Es ging sicherlich nicht optimal los und lief nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Wir hatten leider ein paar technische Probleme am Auto und unsere Performance war nicht optimal. Trotz des Sieges im zweiten Rennen heißt es jetzt für uns weiterzuarbeiten und vor allem die Performance im Qualifying zu verbessern, denn das ist das Wichtigste am ganzen Wochenende. Das ganz große Ziel ist, um den Titel mitzufahren. Aber da muss beim Team und mir alles zusammenpassen und ich brauche definitiv auch ein bisschen Glück. Ich denke, dass es möglich ist.
SPOX: Sie werden häufig mit Sebastian Vettel verglichen. Wie denken Sie darüber?
Kirchhöfer: Zum einen ist es natürlich eine Riesenehre, wenn ich mit einem vierfachen Formel-1-Weltmeister verglichen werde. Zum anderen aber will ich immer ich selbst bleiben, meinen eigenen Weg gehen und meinen eigenen Namen tragen.
SPOX: Der Weg begann schon als Fünfjähriger im Kart. Wie kam es dazu?
Kirchhöfer: Mit vier Jahren hat mir mein Vater ein Quad geschenkt, mit dem ich auf unserem Grundstück frei herumgefahren bin. Da ich aber meistens meine eigenen Wege eingeschlagen habe, wurde es meinen Eltern zu gefährlich. Also sind wir auf eine Kartbahn gegangen, wo meine Eltern eine bessere Übersicht hatten und ich nicht einfach wegfahren konnte (lacht). Das hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich das als Hobby weiter gemacht habe, bis ich irgendwann die ersten Rennen und Meisterschaften gefahren bin. Das lief so gut, dass 2011 schließlich die Idee kam, in den Formelsport umzusteigen.
SPOX: Die Erfolge stellten sich prompt ein. Gibt es welche, die aus Ihrer Sicht herausstechen?
Kirchhöfer: Das ist sehr schwierig. Die Meisterschaft in der ADAC Formel Masters 2012 in meinem ersten Jahr im Formelsport war sicher besonders bedeutend für mich. Der Sieg in der GP3 letztes Jahr am Hockenheimring bei meinem Heimrennen war aber auch ein extrem großer Erfolg.
SPOX: Sie waren ab ihrem Einstieg in die ADAC Formel Masters im Förderkader der Speed-Academy. Was haben Sie damals gelernt?
Kirchhöfer: Die Speed-Academy war eine super Sache. Dort ging es nicht nur um den finanziellen Support, sondern um alles, was zum Motorsport gehört - angefangen von Ernährung und Fitness bis hin zum Interviewtraining mit Kai Ebel. Das war super. Er ist einer, der sich in dem Gebiet echt auskennt und gut erklärt, wie man Dinge noch besser machen kann. Er ist wirklich eine klasse Person, extrem aufgeschlossen, zuvorkommend, höflich und ein sehr bodenständiger Mensch. Er ist privat so, wie man ihn im Fernsehen erlebt. Wir sehen uns jetzt manchmal bei den Formel-1-Wochenenden und quatschen ein bisschen miteinander.
SPOX: Durften Sie den einen oder anderen Formel-1-Fahrer schon besser kennenlernen?
Kirchhöfer: Mit Nico Hülkenberg habe ich ein bisschen gequatscht, durch die Speed Academy habe ich zudem mit Timo Glock und früher auf der Kartbahn mit Michael Schumacher gesprochen. Aber dann hört es auch schon wieder auf, da die Jungs wirklich sehr stark abgeschottet sind und extrem viel Stress haben, was die meisten Außenstehenden wahrscheinlich gar nicht wissen. Selbst wenn sie nur einmal am Tag fahren, haben sie von früh bis spät Pressetermine auf dem Plan. Da ist wirklich sehr wenig Zeit für Freizeit.
SPOX: Sie hatten schon als Kind einen heftigen Unfall: Überschlag, Bewusstlosigkeit und ein gebrochenes Schulterblatt. Wie sind Sie damit umgegangen?
Kirchhöfer: Das war am ersten Tag der ersten Sommerferien. Für mich war das damals ziemlich blöd, da ich die gesamten Ferien nichts machen konnte (lacht). Außerdem war es natürlich ein böser Schock. Ich muss allerdings dazu sagen, dass ich mich nicht schwer getan habe, danach weiterzumachen. Sobald ich fit war, bin ich ins Kart gestiegen und gefahren. Bis heute war das mein schwerster Crash.
SPOX: Hatten Sie damals in der Schule eine Sonderstellung?
Kirchhöfer: Es war teilweise schon etwas schwierig, weil ich so oft gefehlt habe. Natürlich gab es auch den einen oder anderen, der das nicht gut fand, aber im Endeffekt habe ich mein Ziel verfolgt und dafür mussten Prioritäten gesetzt werden. Zum Glück hatte ich damals eine super Klassenlehrerin und einen guten Schulleiter. Sie hatten viel Verständnis und räumten mir die nötigen Freiheiten ein, solange die schulischen Leistungen passten. Das war zum Glück der Fall.
SPOX: Durch den Sport hatten Sie wenig Zeit für Partys und Freunde. Gab es dennoch Jugendsünden?
Kirchhöfer: Ich habe mit zehn Jahren auf einem Hof manchmal Fußball gespielt. Irgendwann eliminierte ich dabei eine Glasscheibe. Das war natürlich nicht so gut, denn die Glasscheibe war ziemlich groß und ziemlich teuer. (lacht) Das Taschengeld, was ich damals hatte, habe ich für die Reparatur dazu gegeben. Den Rest musste wohl oder übel mein Vater übernehmen.
Seite 1: Kirchhöfer über seine Anfänge, Kai Ebel und einen schweren Crash
Seite 2: Kirchhöfer über die GP3, Aufstiegschancen, Max Verstappen und die Formel 1
SPOX: Abseits der Rennstrecke treten Sie mittlerweile als Schirmherr des Myelin-Projekts auf, das sich für die Erforschung der Multiplen Sklerose einsetzt. Wie kam es dazu?
Kirchhöfer: Ich habe mich mit einem Freund meines Vaters darüber unterhalten und fand das sehr interessant. Wir als Sportler sind extrem auf einen fitten Körper angewiesen. Da ist es schwierig, sich vorzustellen, dass man den Sport wegen einer Krankheit nicht mehr ausüben kann. Deswegen versuche ich, durch den Motorsport das Projekt bekannt zu machen und damit zu helfen.
SPOX: Das ist aber nicht ihre einzige Beschäftigung. Sie lassen sich nebenbei ausbilden. Haben Sie überhaupt noch Freizeit?
Kirchhöfer: Es stimmt. Ich mache eine Ausbildung zum Industriekaufmann. Wenn ich in Leipzig bin, verbringe ich die meiste Zeit damit. Ansonsten gehe ich ins Fitnessstudio oder zur Physiotherapie. Außerdem nehme ich den einen oder anderen Pressetermin wahr und gehe auf diverse Veranstaltungen. Es ist fast jeder Tag komplett ausgelastet. Wenn noch Zeit ist, unternehme ich etwas mit Freunden.
SPOX: Neben der GP3 saßen Sie dieses Jahr schon in einem Formel-3-Wagen. Wie groß sind die Unterschiede zwischen den beiden Rennserien?
Kirchhöfer: Wirklich aktiv bin ich in der Formel 3 nicht mehr. Ich habe am Anfang die Tests mitgemacht, weil ich in der GP3 nur sechs Testtage hatte. Das ist verdammt wenig. Ich habe das dann aber schnell beendet, da die Autos dort nichts mit denen der GP3 zu tun haben. Ein Formel-3-Wagen ist viel leichter und hat statt 400 nur 250 PS. Ein Riesenunterschied sind zudem die Reifen. Der Hankook-Reifen ist bezüglich der Arbeitsweise überhaupt nicht mit den Pirelli-Reifen in der GP3 zu vergleichen.
SPOX: Wie unterscheiden sich die beiden Reifentypen genau?
Kirchhöfer: Im Qualifying ist es beim Hankook so, dass man sechs Runden hat, in denen man seine Zeit fahren kann. Man baut das Ganze dementsprechend sukzessiv auf und sucht sich seine Bremspunkte immer später. Der Pirelli hält nur eine Runde durch. Das heißt, man muss in der ersten Runde sofort alles geben und es perfekt zusammenkriegen. Dadurch ist die Herausforderung viel größer.
SPOX: Die Formel 1 wird nicht nur wegen der auch dort verwendeten Pirelli-Slicks zunehmend kritisiert: Die Autos seien zu langsam, die Motoren zu leise, DRS zu künstlich. Sie sind selbst an den Wochenenden vor Ort. Wie bewerten Sie die Entwicklung?
Kirchhöfer: Die Autos sollten wieder schneller sein. Die sind im Schnitt fünf bis sieben Sekunden langsamer als früher. Was mit den Motoren passiert ist, finde ich sehr schade. Der Sound ist wirklich alles andere als das, was man unter einem Rennauto versteht. Die Formel 1 hört sich wirklich nicht schön an. DRS finde ich hingegen nicht so schlecht. Ich sehe es bei uns in der GP3: Der Effekt des Windschattens ist einfach zu gering zum Überholen. Das wird in der Formel 1 nicht viel anders sein und da hilft das DRS deutlich.
SPOX: Max Verstappen, Carlos Sainz jr. und Daniil Kvyat sind allesamt jünger als Sie. Wenn Sie die drei in der Formel 1 fahren sehen, sind Sie dann eifersüchtig auf deren raschen Aufstieg?
Kirchhöfer: Eifersüchtig bin ich nicht. Im Motorsport kann man nie einen Plan haben, wo man in welchem Alter ist. Manchmal geht es etwas schneller, manchmal dauert es etwas länger. Die drei sind auf jeden Fall gute Fahrer, also ist es nicht unverdient. Klar wäre ich gerne an deren Stelle, aber ich konzentriere mich auf mich.
SPOX: Alex Lynn holte den GP3-Titel 2014 vor Dean Stoneman und Ihnen. Nun ist er Entwicklungsfahrer bei Williams. Wie weit sehen Sie sich von einem derartigen Engagement entfernt?
Kirchhöfer: Die Chancen sind leider dann sehr hoch, wenn man finanzielle Mittel im Rücken hat. Es ist schade, aber die meisten Teams suchen Entwicklungsfahrer, die ein gewisses Budget mitbringen. Nur bei den großen Teams wie Mercedes, Ferrari und Red Bull ist das nicht unbedingt der Fall.
SPOX: Der Einstieg gelingt den meisten Fahrern über Tests im Simulator. Ihnen fehlt der ganz große Förderer a la Mercedes oder Red Bull. Haben Sie die Möglichkeit, diese bei einem Formel-1-Team zu fahren?
Kirchhöfer: Im Rahmen der Speed Academy habe ich das einmal bei Toyota gemacht. Das war eine sehr, sehr tolle Erfahrung, die aber leider schon drei Jahre her ist. Damals waren die Autos noch ganz anders, insofern ist das wohl nicht mit den aktuellen zu vergleichen.
SPOX: Glauben Sie, dass diese fehlende Erfahrung Ihre Aufstiegschancen schmälert?
Kirchhöfer: Ich bin dieses Jahr in dem ein oder anderen Gespräch, was die Simulatortests betrifft. Das läuft eigentlich alles ganz gut. Es ist definitiv eine gute Sache, wenn man sein Können in den Simulatoren beweisen kann. Es ist sehr fair für alle, da jeder unter den gleichen Bedingungen fährt. Dementsprechend kommt es mehr darauf an, was der Fahrer macht. Das Team kann sehen, wer wirklich ein oder zwei Zehntel schneller als alle anderen ist.
SPOX: Der Karriereplan ist also: GP3-Titel, Simulatortests, Formel-1-Einstieg?
Kirchhöfer: Das momentane Ziel ist nur, dieses Jahr um den Titel in der GP3 zu fahren. Daraufhin könnten sich einige Möglichkeiten ergeben - zum Beispiel in Richtung DTM. Von da aus kann ich weiter Richtung Formel 1 planen. Wobei es Stand heute sehr schwer ist, dorthin zu kommen. Denn die Teams, für die ich nicht das große Budget mitbringen müsste, sind momentan super besetzt. In den kleinen Teams hingegen wird der finanzielle Aspekt ziemlich stark abgefragt. Vielleicht gibt es die Möglichkeit, über die DTM und Mercedes hin zu einem Mercedes-Kundenteam wie Force India meinen Weg in die Formel 1 zu finden. So stelle ich mir das zumindest vor - ob das dann auch so kommt, steht in den Sternen.
Seite 1: Kirchhöfer über seine Anfänge, Kai Ebel und einen schweren Crash
Seite 2: Kirchhöfer über die GP3, Aufstiegschancen, Max Verstappen und die Formel 1