"Torhüter und Linksaußen sind bekloppt." Diese Floskel ist unter Fußball-Fans weit verbreitet und hat Udo Lattek im sonntäglichen "Doppelpass" bereits ein halbes Vermögen gekostet.
Im Radsport sind es die Sprinter, die zu einer besonderen Spezies gehören. Auf den letzten Metern vor dem Zielstrich mutieren sie zu unkontrollierbaren Supermännern. Wer nachdenkt, hat schon verloren.
Ellenbogenchecks, Wellen fahren und Griffe an den Lenker des Konkurrenten gehören zum guten Ton - und das bei 60, 70 km/h. Die Frage nach dem Fairplay? Geschenkt, denn brave Jungs gewinnen nicht.
Cavendish: "Fastest man on two wheels"
Brav, dieser Begriff passt zu Mark Cavendish wie Jungspund zu Udo Lattek. Der ungestüme Brite gilt als Bad Boy des Radsports und schießt mit seinen verbalen Attacken gegen unliebsame Konkurrenten bisweilen schon mal deutlich über das Ziel hinaus.
"Die Arbeit mit ihm ist nicht immer einfach", sagt Erik Zabel. Der ehemalige deutsche Weltklassesprinter arbeitet mittlerweile als Berater bei Cavendishs Team HTC-Highroad. Nach Zabels Auffassung habe der 26-Jährige für sein Alter eben einen sehr ausgeprägten Willen.
Was Zabel mit einem "sehr ausgeprägten Willen" umschreibt, bedeutet für andere die pure Dreistigkeit und Respektlosigkeit. Gesten und Worte des "Fastest man on two wheels", wie sich Cavendish auf seiner Homepage selbst präsentiert, wirken auf die meisten seiner Kollegen arrogant und provozierend.
Greipel und Cavendish: Fünf Jahre im gleichen Rennstall
Einer, der die Attacken des Briten bereits mehrfach am eigenen Leib zu spüren bekam, ist Andre Greipel. Mit 21 Siegen war der geborene Rostocker der erfolgreichste Profi der vergangenen Saison. Erzrivale Cavendish kam lediglich auf 13.
Fast fünf Jahre fuhren die beiden Top-Sprinter im gleichen Rennstall. Doch wie kam es dazu, dass aus den einstigen Teamkollegen erbitterte Rivalen wurden?
Zabels Antwort: "Greipel und Cavendish sind wie Sonne und Mond. Der eine ist Familienmensch, der andere liebt den Lifestyle."
Während sich Cavendish gerne mit teuren Designerklamotten und wechselnden Models ablichten lässt, meidet Greipel die Öffentlichkeit, so gut es nur geht. Der 28-Jährige wohnt mit seiner Frau und zwei Kindern in Hürth bei Köln und hält nichts von Partys, Glamour oder markigen Twitter-Sprüchen.
Andre Greipel im SPOX-Interview: "Glücklich, kein Fußballer zu sein"
Zabel: "Andre ist zu lieb"
Zabel beschreibt Greipel als "sehr gewissenhaft und korrekt, ein prima Kerl". Aber genau diese Attribute können Sprinter ins Hintertreffen katapultieren, wenn es um Sieg oder Niederlage geht.
Das sieht auch Zabel so: "In den entscheidenden Situationen ist Andre vielleicht zu lieb und kann nie ausblenden, dass er Familie hat. Ich sehe ihn nicht in der gleichen Kategorie wie Cipollini, Cavendish und mich."
Greipel: Von HTC-Highroad zu Omega Pharma Lotto
Die harten Worte von Lehrmeister Zabel, die Aussicht auf einen weiteren Sommer ohne Tour-de-France-Teilnahme und die ständigen Hasstiraden Cavendishs haben Greipel zum Umdenken bewogen: "Zwei Top-Sprinter in einem Team, das ist ein Problem", so der Hürther.
Greipel, dessen Vertrag bei HTC-Highroad Ende 2010 auslief, wechselte im Januar zum belgischen Team Omega Pharma-Lotto, den Status als alleiniger Sprintkapitän und die sichere Tour-Teilnahme inklusive.
Der richtige Schritt, wie Zabel meint: "Sportlich haben beide viel Respekt voreinander, aber menschlich war ihr Verhältnis ein Drahtseilakt, der am Ende nicht mehr zu meistern war."
Cavendish: "Dümmster Kommentar des Jahres"
Zu oft hatten sich die beiden derzeit weltbesten Sprinter in den Haaren. Anfang letzten Jahres diskreditierte Cavendish Greipels Siege, die "er nur bei beschissenen kleinen Rennen" einfahren könne. Bei der Tour müsse Greipel beweisen, dass er ihn schlagen könne, so der Brite.
Doch auch nach Greipels Wechsel nach Belgien hält die Dauerfehde an. Zuletzt gab es bei der Tour de Suisse eine Meinungsverschiedenheit zwischen den beiden.
Nach Ansicht von Greipel war das Feld im Finale einer Etappe auseinandergerissen, weil Cavendish das Hinterrad seines Vordermanns nicht halten konnte.Cavendish reagierte in gewohnt feindseliger Manier. "Der dümmste Kommentar des Jahres geht an Andre Greipel", postete Cavendish in seinem Twitter-Account: "Warum, verdammt noch mal, bleibst du nicht an deinem Vordermann dran", habe Greipel zu ihm gesagt.
Greipel: "Ab jetzt werden unsere Beine sprechen"
Seinen Twitter-Account wird Cavendish sicherlich auch während der diesjährigen Tour als Marketinginstrument zur Schärfung seines Rüpel-Images nutzen.
Einen kleinen Vorgeschmack lieferte Cav bereits vor wenigen Tagen, als er die gesamte Sprinterkonkurrenz vorwarnte: "Ich bin in der besten Verfassung seit zwei Jahren."
Für Greipel sind das alles nur leere Worte. Er lässt lieber Taten sprechen und kündigte bereits Anfang des Jahres an: "Ab jetzt werden wir uns nicht mehr mit Worten attackieren, sondern es werden unsere Beine sprechen."