Gelb, Grün, Rot sind alle meine Kleider

Stefan Petri
30. Juni 201215:12
Die Gewinner 2011: Pierre Rolland, Samuel Sanchez, Mark Cavendish und Cadel Evans (v.l.n.r.)Getty
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Sie gehört zu Frankreich wie Rotwein, Baguette, der Louvre und Prügeleien in der Kabine der Les Bleus: Die "Grande Boucle", die große Schleife quer durch die "Grande Nation". Am Samstag startet die Tour de France zu ihrer 99. Auflage: 3497 Kilometer muss das 198-köpfige Fahrerfeld absolvieren, bevor am Ende die Gewinner der bunten Trikothemden feststehen. Warum ist Vorjahressieger Cadel Evans nicht der Favorit? Ist Mark Cavendish auf dem Weg zu Grün aufzuhalten? Und wer kleidet sich am Ende in der modischen Farbe "Fliegenpilz"? SPOX macht den Tour-de-France-Favoritencheck.

Maillot Jaune: Die Gesamtwertung

Cadel Evans aus Down Under hat sich 2011 ganz nach oben gekämpft. Die diesjährige Streckenführung dürfte dem Wahl-Schweizer eigentlich liegen, aber ein Brite könnte ihn mit seinen eigenen Waffen schlagen. Der Rest fährt eigentlich nur auf Platz drei - oder? Ein Geheimfavorit könnte auch aus Deutschland kommen.

Bradley Wiggins (32, GBR / Team Sky): Aus der Bahn!

In den Augen der Drahtesel-Fangemeinde ist der Brite der Topfavorit auf den Toursieg: Zu übermächtig thront der 1,90-Hüne in dieser Saison über dem Radsport. Sieg bei Paris-Nizza? Jup. Sieg bei der Tour de Romandie? Selbstredend. Sieg beim traditionellen Tour-Test Dauphine Libere? Check! Seine sechste Tour-Teilnahme soll Wiggins den ersten Gesamtsieg bescheren.

Die Form ist prächtig, die Vorzeichen sind gut: Das diesjährige Profil der Tour sieht so aus, als hätte er es mit seinem Trainer Tim Kerrison selbst geschnitzt: Die Berge sind nicht mehr so hoch und so steil (nur drei Bergankünfte, keine der höchsten Kategorie), über 100 Kilometer allein gegen die Uhr spielen dem dreifachen Olympiasieger auf der Bahn in die Karten. Und der Stil des mutmaßlichen Hauptkonkurrenten Evans (gleichmäßig stampfend, kaum Tempowechsel) gleicht dem des Briten bis aufs Haar - man erinnere sich nur daran, wie Jan Ullrich durch die giftigen Angriffe von Lance Armstrong förmlich zermürbt wurde.

Theoretisch könnte Wiggins schon nach dem Prolog ins Gelbe Trikot schlüpfen und es bis Paris nicht mehr abgeben. Bei den traditionellen Ausreißergruppen der ersten Wochen ist das nicht wahrscheinlich, aber schon beim ersten Zeitfahren dürften einige Anwärter aufs Klassement distanziert sein.

Hat der 32-Jährige überhaupt Schwächen? Was die Tour de France angeht, hat Evans wesentlich mehr Erfahrung (fünf Platzierungen in den Top Ten). Außerdem muss man fragen, ob es Wiggins gelingen wird, seine Form über einen so langen Zeitraum zu konservieren. Hat er seine Bestform zu früh erreicht? Mit dem "Team Sky" hat er zudem ein hochkarätiges Team hinter sich, das seine Ambitionen jedoch nicht nur auf den Gesamtsieg gerichtet hat: Übersprinter Mark Cavendish schielt auf weitere Etappensiege, was kräftezehrende Nachführaktionen und Zielanfahrten zur Folge haben wird - sind in den Bergen dann noch genug Pfeile im Köcher, um Wiggins zu schützen, sollte dieser einmal eine Schwächephase erleiden?

SPOX-Prognose: Zuerst kommt Wiggins, dann kommen alle anderen, inklusive Evans. Eine größere Chance auf den Gesamtsieg wird sich ihm so schnell nicht wieder bieten. Wenn er von Stürzen und Hungerästen verschont bleibt, sollte der Brite in Paris auf jeden Fall auf dem Podium stehen. Wahrscheinlich sogar ganz oben.

Cadel Evans (35, AUS / BMC Racing Team): To be the man, you gotta beat the man!

Der Titelverteidiger als Außenseiter? Im Gegensatz zu Wiggins weiß Evans aus Erfahrung, wie man die Tour gewinnt. Wie man sich perfekt vorbereitet, wie man zum richtigen Zeitpunkt seine Topform erreicht. Und die Anzeichen sprechen dafür, dass es dem Australier in dieser Saison gelungen ist: Nur zwei Saisonsiege hat er auf der Habenseite, aber ein dritter Platz bei der Dauphine mit starken Eindrücken am Berg und gegen die Uhr zeigen, dass sein maximales Leistungsvermögen kurz bevorsteht. Eine vollkommene Konzentration auf den Toursieg hat noch niemandem geschadet - siehe Armstrong, Lance.

Für den ehemaligen Mountain-Biker spricht außerdem sein brutales Kämpferherz. Er ist nicht der Antrittsschnellste, aber ihn abzuhängen wird für jeden Fahrer eine Herkulesaufgabe sein. Im Zeitfahren ist Evans sowieso seit Jahren eine gestandene Größe und Kandidat auf Etappensiege. Ein starkes Team um den zeitlosen George Hincapie und Bergziegen wie Tejay van Garderen oder Amaël Moinard wird sich vollkommen darauf konzentrieren können, ihm den Rücken frei zu halten. Und auch für ihn gilt: Der Fahrstil von Wiggins liegt ihm.

Gegen Evans spricht, dass es trotz aller Erfahrung den Anschein hat, als könne Wiggins im absoluten Ernstfall ein paar Prozent mehr Leistung herauskitzeln. Der Brite hat seine Topform schon unter Beweis gestellt, Evans muss diesen noch erbringen. Der Titelverteidiger ist immer auch der Gejagte - für Evans, der im letzten Jahr erst beim abschließenden Zeitfahren ins Maillot Jaune schlüpfte, eine neue Erfahrung. Mit 35 Jahren ist Evans außerdem zwar noch kein Radsport-Opa, es bleibt aber abzuwarten, ob er seinen Zenit nicht doch langsam überschritten hat.

SPOX-Prognose: Wenn alles mit rechten Dingen zugeht, müsste Evans auch 2012 wieder auf dem Podium landen, zum insgesamt vierten Mal. Ob es nach ganz oben reicht... Skepsis ist erlaubt, aber: Wer hätte ihm im letzten Jahr den Titel zugetraut? Ein letztes Hurra ist auf jeden Fall im Bereich des Möglichen.

Gesink, Menchov, Schleck, Nibali, Sanchez, Hesjedal,... : Wer schafft den Sprung?

Ganz ehrlich: Die Lücke zwischen dem Top-Duo und dem Rest des Fahrerfeldes scheint gewaltig. Eine ganze Reihe von Fahrern drängelt sich zwischen Platz drei und zehn und eignen sich für mutige Außenseitertipps: Der Niederländer Robert Gesink besticht durch gute Form und Qualitäten am Berg und in der Ebene. Denis Menchov ist immer ein Kandidat auf die Top 3. Fränck Schleck hat den dritten Platz des Vorjahres vorzuweisen: Ist nach der Verletzung seines Bruders Andy der Weg frei? Was macht Nibali, immerhin Vuelta-Sieger von 2010? Seine Abfahr-Qualitäten könnten sich als nützlich erweisen. Kletter-Spezialist Samuel Sanchez ist immer gefährlich, Ryder Hesjedal aus Kanada reist mit dem Giro-Sieg im Gepäck an.

Das Problem: Wo Stärken sind, sind eben auch Schwächen. Für den jungen Gesink wäre es ein sehr großer Sprung aufs Treppchen, Menchov war zwar schon relativ nah dran, aber eben auch nicht mehr. Schleck und Sanchez fehlen im Zeitfahren einfach die Pferdestärken, für Nibali gilt: "Vuelta ist nicht gleich Tour", und Hesjedal wird merken, dass ihm der Giro noch ganz schön in den Knochen steckt. Für diese Fahrer gilt: Wenn alles, aber auch wirklich ALLES passt, dann könnten sie in der Tour für Furore sorgen. Platz drei ist in greifbarer Nähe, für einen oder zwei Plätze darüber müssten die Favoriten schon gehörig schwächeln.

SPOX-Prognose: Denis Menchov (34, RUS / Katusha) scheint aus der Gruppe der Semi-Favoriten der Stärkste zu sein. Der Russe fährt seit gefühlten 15 Jahren immer um die Top 5 der Gesamtwertung, dieses Jahr könnte es klappen. Er ist ein ähnlicher Typ wie Evans oder Wiggins, stark im Einzelzeitfahren, das Tourprofil sollte ihm in die Karten spielen. Als er 2010 den Giro ausließ, sprang Platz zwei bei der Tour heraus, dieses Jahr soll es ähnlich laufen. Menchov ist mit 34 Jahren nicht mehr der Jüngste - aber auch nicht älter als Evans im letzten Jahr.

Andreas Klöden (36, GER / RadioShack-Nissan): Der ganz geheime Geheimfavorit!

Dem gemeinen Tour-Zuschauer ist Andreas Klöden zunächst als Edelhelfer von Jan Ulrich, dann als Sieganwärter (2. Platz 2004 und 2006) und schließlich als skandalumwitterter, zurückgezogener Dopingverdächtiger vom kasachischen Astana-Team begegnet. Im stolzen Alter von 36 Jahren will er es bei RadioShack noch einmal wissen. Schon 2011 lief es bei der Tour recht gut, bevor er nach zahlreichen Stürzen schließlich aufgeben musste.

Jetzt oder nie - so muss die Devise für Klöden lauten. Seine Qualitäten sind unbestritten. Stark am Berg, bärenstark im Zeitfahren. Die Form stimmt. "Ich will ich ihn nicht unter Druck setzen und ihn ständig als meinen persönlichen Geheimfavoriten ausrufen", erklärte Jan Ulrich unlängst im "Eurosport"-Interview. Auf der Rechnung haben muss man ihn aber.

Spannend wird die Team-Situation bei RadioShack sein: Mit Fränck Schleck und Chris Horner sind neben Klöden zwei Platzhirsche im Team. Wer fährt also für wen? Das könnte sich schon nach dem ersten Zeitfahren entscheiden, und dabei stehen Klödens Karten gut. Mit Jens Voigt ist ein unzerstörbarer Helfer im Team, auch Haimar Zubeldia ist kein Schlechter. Wenn es Klöden gelingt, aus relativer Anonymität zuzuschlagen - etwa in einer Ausreißergruppe - und sich so in eine gute Gesamtposition zu bringen, dann erscheint einiges möglich.

SPOX-Prognose: Mit 36 ist man eigentlich kein ernsthafter Kandidat für den Toursieg mehr. Das gilt eigentlich auch für Andreas Klöden. Aber die Tour hat ihre eigenen Gesetze, bei ihr können auch Fahrer jenseits der 30 erfolgreich sein, wie man an Evans sehen kann: Erfahrung ist Trumpf. Die bringt Klöden mit, inklusive guter Form. Deshalb hier die gewagte Prognose: Wenn Klöden gesund durchkommt und sein Team für ihn arbeitet, dann fährt er unter die Top 5.

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Seite 3: Die Bergwertung

Grünes Trikot: Die Sprintwertung

Kurze Rekapitulation: Im vergangenen Jahr wurde nur noch ein Zwischensprint pro Etappe mit 20 Punkten für den Sieger eingeführt und die Punkte im Zielsprint in drei Kategorien eingeteilt: 45 Punkte für den Sieg auf einer Flachetappe, 35 bei mittelschweren, hügeligen Streckenabschnitten und 25 pro Bergetappe. Dann kann der Kampf um das Erik-Zabel-Gedächtnisjersey ja losgehen: SPOX stellt die besten Sprinter vor.

Mark Cavendish (27, GBR / Team Sky): Der Unbesiegbare

Was kann man zur Überlegenheit von Mark Cavendish sagen? Wie wäre es damit: Vier Etappensiege 2008. Sechs Etappensiege 2009. Fünf Etappensiege 2010. Fünf Etappensiege inklusive Grünes Trikot 2011. Von den 13 Giro- und Vuelta-Erfolgen mal ganz zu schweigen. Klare Sache: Der Brite ist immer noch der schnellste Mann im Feld und dürfte seiner Sammlung an Etappensiegen noch den einen oder anderen Erfolg hinzufügen.

Nachdem er letztes Jahr noch für das Team HTC-Highroad an den Start ging, wechselte er nach dessen Auflösung zum Team Sky. Er hat mit Bernhard Eisel immer noch einen starken Anfahrer an seiner Seite, der Fokus des Teams liegt aber auf Wiggins: Ein Nachteil, wenn es darum geht, vorwitzige Ausreißer an die Kette zu legen. Zudem fährt sein vormals bester Mann mittlerweile gegen ihn (siehe unten).

Trotzdem: Mit knackigen 27 Jahren ist immer noch genug Saft im Oberschenkel, der Speed von Cavendish bleibt unerreicht. Anfahrer hin oder her: Drei Etappensiege im diesjährigen Giro sprechen eine deutliche Sprache. "Ich weiß, dass es der Angriff auf das Tour-Podium mir schwerer machen wird, die Erfolge aus den vergangenen Jahren zu wiederholen. Aber es ist ein Traum, in einem britischen Team zu fahren, dass die Chance hat, das Gelbe Trikot zu gewinnen", gibt sich Cavendish selbstbewusst.

SPOX-Prognose: 1,2, 4, 5, 6, 13, 15, 18, 20: Das sind die neun ausgewiesenen Flachetappen der diesjährigen Tour, und man kann davon ausgehen, dass sie auf dem Kalender von Cavendish rot umkringelt sind. Zu Recht: Im Massensprint geht der Sieg nur über den Briten. Die Etappensiege von Cavendish wird man an einer Hand abzählen können - aber man wird (fast) alle Finger brauchen.

Andre Greipel (29, GER / Lotto Belisol): Der Mann im Windschatten

Die deutsche Sprinthoffnung der diesjährigen Tour kennt Mark Cavendish nur zu gut: Mehrere Jahre waren sie zusammen bei T-Mobile und HTC unter Vertrag. Auf seinen Erzrivalen ist Greipel heute nicht besonders gut zu sprechen, was bedeutet, dass bei den Duellen auf den letzten Metern richtig Zunder drin sein wird!

Kann er Cavendish gefährden? Im Kampf um Grün dürfte es schwer werden, aber den einen oder anderen Zielsprint sollte er dem Briten entreißen können. Den Beweis trat er bei der letztjährigen Tour, seiner ersten überhaupt, an. Auf der 10. Etappe hieß der Sieger Andre Greipel. Der geschlagene Zweite: Mark Cavendish.

Außerdem reist Greipel mit ordentlich Selbstvertrauen im Gepäck an: Dieses Jahr feierte er bereits 13 Saisonsiege - kein anderer Fahrer hat mehr. Die zweite Tour sollte überdies leichter zu bestreiten sein als die erste, auch hier hilft die Erfahrung. In Bezug auf das Grüne Trikot wird die Frage sein: Gibt Greipel alles, oder kokettiert er mit dem einen oder anderen Etappensieg, spart dafür aber Körner für Olympia?

SPOX-Prognose: Mit dem Grünen Trikot wird es am Ende nichts, dafür ist Cavendish zu konstant. Das eine oder andere Mal wird Greipel ihn aber ärgern: Sein Etappensieg von 2011 steht am Ende der Tour nicht mehr alleine da. Vergessen darf man auch nicht den anderen deutschen Sprinter Marcel Kittel (24 / Argos). Vielleicht schmieden sie eine Allianz gegen Cavendish.

Alessandro Petacchi (38, ITA / Lampre): Der Altmeister

Petacchi hat mit 38 Jahren seinen Zenit zwar überschritten (seine ersten Tour-Etappen gewann er 2003), der alte Haudegen aus Italien hat es aber immer noch drauf. Es dürfte schwer für ihn werden, über drei Wochen konstant hohe Leistungen zu bringen, also ist er vor allem ein Kandidat für die ersten zehn Tage, bei denen er versuchen wird, der Konkurrenz noch einmal ein Schnippchen zu schlagen.

Petacchi, der in den letzten Jahren mit Doping-Vorwürfen zu kämpfen hatte (2008 wurde er für zehn Monate gesperrt), bringt die geballte Erfahrung von 48 Etappensiegen bei den drei großen Rundfahrten mit. Außerdem hat er mit Danilo Hondo (38) einen starken Anfahrer an seiner Seite.

SPOX-Prognose: Mit dem Grünen Trikot wird es nichts, Petacchi wird froh sein, an einem Stück in Paris anzukommen. Aber der Altmeister ist unheimlich erfahren und weiß, wie im Zielsprint der Hase läuft: Ein letzter Etappensieg ist nicht auszuschließen.

Mark Renshaw: (29, AUS / Rabobank): Der Schüler gegen den Meister

In den letzten Jahren war der kontroverse Aussie wahrscheinlich der weltbeste Anfahrer: Wenn er die Sprints für Mark Cavendish oder Thur Hushovd lancierte, mussten die am Ende nur noch gemütlich über die Ziellinie radeln, so schien es manchmal. Keine Frage: Mark Renshaw weiß, wie man die Ziellinie eines Tour-Abschnittes angreift.

Diesmal fährt er auf eigene Rechnung und soll für Rabobank Etappen gewinnen. "Etappensiege gehören zu unseren großen Zielen bei der Tour", so Erik Breukung, der sportliche Leiter des Teams. Der einstige Edel-Domestike von Cavendish sprintet nun also gegen ihn - und kämpft mit harten Bandagen: 2010 wurde er wegen eines Kopfstoßes gegen Tyler Farrar aus der Tour geworfen. Hat er sich diesmal im Griff, wenn es gegen seinen Ex-Kapitän geht?

SPOX-Prognose: Es wird unheimlich interessant zu sehen sein, wenn plötzlich nicht mehr Cavendish am Hinterrad von Renshaw sitzt, sondern der plötzlich hinter dem Briten lauert. Ein oder zwei Mal wird er am Ende auch vor Cavendish landen - aber ob er auch den Rest der Weltelite distanzieren kann? Für das Grüne Trikot ist er erst einmal Außenseiter.

Peter Sagan (22, SLO / Liquigas): Der Jungspund mit Ambitionen

Wer sich als Radsport-Fan vor allem über die Tour definiert, wird mit Peter Sagan nicht wirklich viel anfangen können, schließlich startet der Slowake am Samstag in seine erste Tour. Aber das wird den unbekümmerten Jungstar nicht groß kümmern: "Ich hab vor nichts Angst. Ich bin hier, um zu gewinnen", so Sagan. Und gewinnen, das macht er meistens ganz gut.

Seit er vor zwei Jahren Profi wurde, hat er jede Menge Etappensiege bei Rundfahrten gesammelt, darunter drei Vuelta-Abschnitte im letzten Jahr. Dieses Jahr ist die Form des Allrounders, der auch sehr gut über die Berge kommt, beeindruckend: Fünf Siege bei der Kalifonien-Rundfahrt, vier bei der Tour de Suisse.

SPOX-Prognose: Den Namen Peter Sagan wird man sich merken müssen, er kann durchaus für Überraschungen sorgen. Die Tour ist zwar ein Haifischbecken, wie es kein zweites gibt, aber für Sagan spricht, dass ihm auch die hügeligen Etappen nicht zu schwer sind, und er sogar als Ausreißer punkten könnte. Für das Grüne Trikot ist er noch zu grün, aber einen Etappensieg wird er landen.

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Gepunktetes Trikot: Der beste Kletterer

Auch hier schnell zum Mitschreiben: Bei Anstiegen der 4. Kategorie bekommt nur der Erste einen Punkt, bei der 3. Kategorie der Erste zwei und der Zweite einen. Die zweite Kategorie bringt fünf, die erste 10 Punkte ein, die "hors categorie" 20 Zähler für den glücklichen Sieger. Verdoppelt wird das Ganze bei den Bergankünften, derer es insgesamt drei gibt. Welche Fahrer muss man zu den Favoriten auf das weiße Trikot mit den hübschen roten Punkten zählen?

Samuel Sanchez (34, ESP / Euskaltel): Der Titelverteidiger

Der Tour-Sechste des vergangenen Jahres gewann gleichzeitig auch das Berg-Trikot - und ist dieses Jahr Favorit darauf, es zu verteidigen. Wie schon erwähnt, wird Samuel Sanchez auch Ambitionen auf das Gesamtklassement haben, kurioserweise verringern sich seine Chancen auf das Polka-Jersey, wenn er dort gut mithält. Da wir ihm in dieser Hinsicht aber keine großen Chancen einräumen, führt die Bergwertung nur über ihn.

Für Sanchez sprechen seine Sprint-Fähigkeiten, die im Kampf um Punkte äußerst wertvoll sein werden, und sein Ruf als einer der weltbesten Abfahrer, denn wer schnell vom Berg runterkommt, der kommt auch schneller wieder hinauf. Der Olympiasieger von 2008 - mal ehrlich, wer konnte sich daran noch erinnern? - könnte ein zweiter Richard Virenque werden, was die Berge angeht: Nicht gut genug für ganz oben, aber für die Bergwertung reicht es.

SPOX-Prognose: Der Fliegenpilz geht an Samuel Sanchez. In der Gesamtwertung wird er zu früh abgeschlagen sein und sich dann auf seine Wertung konzentrieren. Wenn er das macht, ist er eindeutig der stärkste Mann im Feld. Die größte Konkurrenz könnte mit Egoi Martinez (34) aus dem eigenen Team kommen.

Gesink, Nibali, Schleck,...: Der abgeschlagene Gelb-Anwärter

Für die oben genannten Namen gilt das, was eben auch für Sanchez gilt: Eigentlich ist ja das Maillot Jaune das Maß aller Dinge. Aber man stelle sich nun vor, dass für Vicenzo Nibalo oder Fränk Schleck dieser Zug schon nach dem ersten Zeitfahren, nun ja, abgefahren ist. Es ist ihnen durchaus zuzutrauen, dann über das Gepunktete Trikot in Erscheinung treten zu wollen. Quasi als Trostpreis.

Das würde Samuel Sanchez natürlich gar nicht schmecken. Aber sollte er wider Erwarten länger an Evans und Wiggins dranbleiben, könnte es sein, dass er einen der Ex-Favoriten auf eine lange Solo-Fahrt ziehen lassen muss, auf der dieser dann ordentlich Punkte scheffelt. Und wenn sich ein Fränk Schleck möglicherweise schon sehr früh auf die Bergwertung konzentriert, ist er gegen Sanchez alles andere als chancenlos.

SPOX-Prognose: Fränk Schleck wird am Ende unter den Top 3 der Bergwertung landen. Der Unterschied zwischen ihm und Samuel Sanchez wird aber sein, dass diesem als reinem Bergfahrer das Trikot schlicht und ergreifend ein kleines bisschen wichtiger ist.

Voeckler, Rolland, Roy: Der übliche Franzose

Unseren Nachbarn schmeckt das zwar absolut nicht, aber: Im Gesamtklassement spielen sie bereits seit Jahrzehnten regelmäßig die zweite Geige (sieht man mal von Thomas Voeckler ab, der sich durch Ausreißergruppen das eine oder andere Mal prominent platzieren konnte). Im Sprint sehen sie gegenüber Cavendish und Co. auch nur deren wohlgeformte Waden, während sie im Peloton über den Zielstrich kullern. Was bleibt da übrig: Das Bergtrikot.

Auch dieses Jahr wird es wieder einer aus der Grande Nation schaffen und dank einer frühen Ausreißerfahrt einige Tage in rot-weiß fahren dürfen. Vielleicht Pierre Rolland (Europcar), der im letzten Jahr hinauf nach Alpe d'Huez gewinnen konnte. Vielleicht Jeremy Roy (FDJ), der kämpferischste Fahrer des letzten Jahres, der das Trikot immerhin einmal überstreifen konnte. Oder natürlich der unzerstörbare Thomas Voeckler (Europcar), der Ausreißer schlechthin.

SPOX-Prognose: Die Franzosen werden ihren Fans wieder etwas bieten wollen und deshalb mit Solo-Fahrten punkten. Einer wird am Anfang ins Gepunktete schlüpfen, es aber nicht bis Paris verteidigen können. Gegen sie spricht: Der Nationalfeiertag (14. Juli), traditionell ein Termin für Ausreißer, ist diesmal eine Flachetappe.

Alexander Winokurow (38, KAZ / Astana): Der Beißer

Wir geben es zu: Mit 38 ist Winokurow nicht mehr der Mann, der 2005 auf den Champs-Elysees der Sprint-Elite die Hacken zeigte und sensationell gewann. Nach seinem schweren Sturz im letzten Jahr bei der Tour war er eigentlich schon zurückgetreten, kam dann aber noch einmal zurück. Mit der Gesamtwertung wird er nichts mehr zu tun haben, also warum dann nicht auf die alten Tage noch einmal die Welt schocken und das Bergtrikot gewinnen?

"Wino" ist gerade verrückt genug, um so etwas zu versuchen, oder? Er war immer ein sehr guter Fahrer am Berg und ein sehr guter Ausreißer, der sich im Kampf gegen das Peloton unheimlich quälen konnte. Wenn er zur einen oder anderen, von den Favoriten belächelten Attacke ansetzt und so wie ein fleißiges Bienchen Zähler und Zähler auf der Habenseite verbucht... wer weiß?

SPOX-Prognose: Die Bergwertung für Winokurow wäre eine mindestens so große Überraschung wie ein Erfolg in Paris gegen die besten Sprinter der Welt. Um es in den Worten von Jim Carrey aus "Dumm und Dümmer" zu formulieren: Es gibt also noch eine Chance!

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