SPOX: Herr Kuhl, wie fühlt man sich als Exot in einer Fußball-Nation?
Constantin Kuhl: Ach, eigentlich ganz gut. (lacht) Vor allem ist man nicht allein. Ein Rugby-Verein ist in der Regel ein sehr internationales Umfeld. Jeder hat seine eigene Geschichte. Man bekommt so mehr von der Welt mit, selbst wenn man seine Stadt nicht verlässt. Und grundlegende Werte wie Integrität, Respekt und Zusammenhalt sind nichts Schlechtes. Immerhin sind es Werte, die es bei den meisten Teamsportarten in dieser Intensität leider nicht mehr zu geben scheint.
SPOX: Übertriebene Theatralik, etwa in Form von Schwalben, oder das Fordern von Strafen für den Gegenspieler gibt es beim Rugby also nicht?
Kuhl: Solche Dinge sind verpönt, weshalb es sie so gut wie gar nicht gibt. Sollten sie doch einmal vorkommen, werden sie entsprechend hart geahndet. Die Werte, die der Sport bei sich selbst als Maßstab anlegt, gelten auch für alle Spieler. Und dieser soll aufrechterhalten werden. Mehrwöchige Spielpausen sind zum Beispiel eine Konsequenz. Natürlich gibt es vereinzelte Ausnahmen, da wird dann aber innerhalb der Mannschaft schnell für klare Verhältnisse gesorgt.
SPOX: Von der Fairness und dem Umgang miteinander kann man sich aktuell beim prestigeträchtigen Six Nations ein Bild machen. Was zeichnet das Turnier aus?
Kuhl: Der Reiz des Six Nations liegt vor allem in der unheimlichen Tradition, die dieses Turnier ausmacht. Zudem gibt es so jährlich die Chance, zu sehen, wie der Ist-Stand des europäischen Spitzen-Rugbys ist. An jedem Spieltag stehen hochkarätige Duelle an und so können die Mannschaften sehen, wo sie wirklich stehen. Auch die beeindruckenden Kulissen und die Fans stehen dem Geschehen auf dem Rasen allerdings in nichts nach.
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SPOX: Was unterscheidet die Rugby-Anhänger von anderen Zuschauern?
Kuhl: Die Kulisse und die Stimmung in den Stadien sind einmalig. Großen Anteil am Flair haben die Fans der Teams. Es ist nicht üblich, dass auf den Rängen eine klare Trennung erfolgt. Die Werte, die der Sport vermittelt, spiegeln sich ferner bei den Anhängern wider. Das Gewaltpotential ist beim Rugby extrem niedrig. Die Gewalt findet ja auf dem Platz statt, wenn man es so umschreiben möchte.
SPOX: Gibt es bei all der Rivalität keine Probleme? Wie sieht es etwa mit Hooligans oder anderen gewaltbereiten Gruppen aus?
Kuhl: Es gibt so gut wie keinen Hooliganismus. Zwar gibt es ein paar Mannschaften in der französischen Liga, die sich nicht sonderlich wohl gesonnen sind. Allerdings ist die Intensität nicht mal ansatzweise mit der eines Fußball-Viertligaspiels in Deutschland vergleichbar.
SPOX: Auf dem Rasen wirkt alles nicht ganz so einfach. Das Spiel erscheint auf den ersten Blick sehr komplex, droht Neueinsteiger beinahe zu erschlagen.
Kuhl: So schlimm ist es eigentlich gar nicht. (lacht) Es gibt ein paar Standardregeln, auf die das gesamte Spiel aufgebaut ist. Wenn man diese verstanden hat, verfügt man als Zuschauer über einen guten Überblick. Natürlich gibt es dann noch Feinheiten, die lernt man allerdings mit der Zeit ebenfalls recht schnell. An sich ist das Spiel sehr dynamisch, Entscheidungen müssen in Sekundenbruchteilen getroffen werden und taktisch steckt deutlich mehr Tiefe dahinter, als man auf den ersten Blick zu sehen glaubt. Wer einmal drin ist, den lässt Rugby nicht wieder los.
SPOX: Trotzdem befindet sich der Sport hierzulande deutlich unterhalb des Radars.
Kuhl: Was sehr schade ist, denn Deutschland hat eigentlich eine sehr große Rugby-Tradition. Etwa durch den Austausch der britischen Elite-Universitäten mit Heidelberg und Hannover. Leider kamen dann zwei Weltkriege dazwischen, die Rugby hierzulande nahezu ausgelöscht haben. Der Sport war im Dritten Reich als "Feindsportart" verpönt. Die Auswirkungen kann sich wohl jeder vorstellen. Nach den Weltkriegen ging es zwar in Heidelberg und Hannover nahezu direkt weiter, im Rest des Landes aber leider nicht.
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SPOX: Was gab den Ausschlag?
Kuhl: Natürlich gab es eine Vielzahl an Faktoren, ein Aspekt war aber sicher, dass es vor allem in der Nachkriegszeit einfacher war, Fußball zu spielen. Auch im Hinblick auf die Koordination und Verständlichkeit. Es ist deutlich leichter in den Straßen zu kicken, als ein Rugby-Spiel mit seinen komplexeren Regeln und Strukturen auf die Beine zu stellen.
SPOX: Auch heute findet Rugby bei vielen Familien keine Beachtung. Welche Rolle spielt deshalb der familiäre Hintergrund?
Kuhl: Die Familie ist sehr wichtig. Wenn die Eltern Rugby als Option für ihre Kinder nicht auf dem Schirm haben, dann wird es natürlich schwierig. Was sehr schade ist, denn die Werte, die der Sport vermittelt, können auf die Entwicklung von Heranwachsenden einen positiven Effekt haben - und der Spaß kommt ebenfalls nicht zu kurz.
SPOX: Für den Nachwuchs gibt es zudem eigentlich keine Schnittpunkte mit Rugby.
Kuhl: Richtig, es fehlt an Möglichkeiten. Während Fußball im Fernsehen hoch und runter läuft, erhalten viele andere Sportarten deutlich zu wenig Beachtung. Das gilt nicht nur für Rugby. Dabei ist der Nachwuchs in jeder Sportart essentiell für die Entwicklung.