"Als würde man Wimbledon verlegen"

Stefan Petri
12. Dezember 201519:25
Steve Davis konnte sich in seiner Karriere insgesamt sechs Mal den WM-Titel sicherngetty
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Am grünen Filztisch ist er eine lebende Legende: Gleich sechs Mal wurde Steve Davis in den 80er Jahren Weltmeister - und hatte damit entscheidenden Anteil am Snooker-Boom in Großbritannien. SPOX traf den 56-Jährigen am Rande eines Schaukampfes in München: Ein Gespräch über seine Anfänge, fehlende Persönlichkeiten im Snooker, und die Unterschiede zwischen deutschen und englischen Fans.

SPOX: Mister Davis, erinnern Sie sich noch an Ihr erstes Spiel hier in Deutschland?

Steve Davis: Ja, das waren ein paar Trick Shots im Rahmen einer Fernsehsendung. Wir haben in Hamburg gespielt, in einem Klub namens Greens. Das war irgendwann in den 80ern, ist also schon lange her und war noch vor der neuen Snooker-Welle. Wir versuchten, den Deutschen Snooker näherzubringen. Das hat nicht ganz geklappt.

SPOX: Aber es gab auch damals schon Fans?

Davis: Ja. 2004 fing Dragonstars mit dem Turnier in Fürth an. Und dann gab es plötzlich eine wachsende Gemeinde deutscher Snooker-Fans, die von weit her zu diesem dreitägigen Event angereist sind. Da war klar, dass es möglich war, das Ganze noch größer aufzuziehen. Und so kamen Snooker-Stars immer öfter für Showveranstaltungen hierher. Und natürlich hat Eurosport alles verändert, als man entschied, den Sport komplett zu übertragen.

SPOX: Gibt es einen Unterschied zwischen dem deutschen und dem englischen Publikum?

Davis: Ich würde sagen, dass deutsche Fans die Spieler noch mehr zu schätzen wissen. Natürlich haben auch sie ihre Lieblinge, aber alle bekommen die gleiche Chance - und wenn ein Spieler das Publikum beeindruckt, dann gibt es Beifall. Als relativ neues Publikum sind sie dankbarer und urteilen anders über die Spieler.

SPOX: Und wie ist es im UK?

Davis: Dort wird Snooker schon seit 30, 35 Jahren gezeigt, die Zuschauer sind damit aufgewachsen. Vielleicht ist es für die Zuschauer deshalb schon ein kleines bisschen fad. Vielleicht haben sie schon mehr gesehen, als für sie gut ist. Das könnte in Deutschland irgendwann auch passieren, aber derzeit ist der Respekt vor uns noch sehr groß.

SPOX: Stichwort Fernsehen: Sie waren der erste Profi, dem live ein Maximum Break gelang.

Davis: Das stimmt. Mittlerweile sind wir etwas weiter: Mark Selby hat im Dezember die 100 voll gemacht. An viel kann ich mich nicht mehr erinnern, das war 1982. Aber das Preisgeld, das hat sich über die Jahre auch ganz schön verändert: Bevor die erste 147 geschafft wurde, lobten die Turniere immer größere Prämien aus, bis es irgendwann soweit war, dass man bei der WM für ein Maximum 147.000 Pfund bekam. Das haben zwei oder drei Spieler geschafft, glaube ich. Aber dann wurde den Veranstaltern klar, dass es einfach zu viele werden. Deshalb gingen die Summen herunter, und jetzt ist es ein bisschen wie im Lotto: Je seltener die 147, desto größer das Preisgeld.

SPOX: Was haben Sie damals bekommen?

Davis: Es war natürlich sehr schön, es als Erster zu schaffen, aber unglücklicherweise wurde das Turnier von einem russischen Autohersteller gesponsert - und deshalb bekam ich einen Lada.

SPOX: Und? Haben Sie ihn behalten?

Davis (lacht): Nein, ich habe ihn meinen Eltern gegeben. Ich fuhr damals einen Porsche, da ist mir die Entscheidung natürlich sehr schwer gefallen.

SPOX: Beim Snooker verbringt man die Hälfte der Zeit auf seinem Stuhl...

Davis: Hoffentlich weniger.

SPOX: Richtig. Aber ganz ehrlich: Was macht man in der Zeit? Einkaufslisten erstellen? Meditieren?

Davis: Man spielt die Stöße des Gegners im Geist mit. Man denkt immer darüber nach, welcher Stoß möglich ist, wo man auf ein Problem treffen könnte. Man schaltet also nicht einfach komplett ab - wobei man das schon kann. Manch einer macht das auch und schaut sich den Tisch nicht an. Aber normalerweise geht man die Stöße mental mit und hofft auf einen Fehler oder eine falsche Stellung des Gegners. Es gibt aber auch Situationen, da weiß man, dass der Frame entschieden ist und konzentriert sich schon auf den nächsten.

SPOX: Man merkt Ihnen an, dass Sie an Showmatches wie hier in München Spaß haben...

Davis: Ja. Ich baue für das Publikum auch mal Clown-Elemente in mein Spiel ein. Solche Veranstaltungen sind schließlich eine tolle Sache.

SPOX: Dabei hatten Sie in Ihren Anfängen noch einen ganz anderen Ruf - und einen ganz besonderen Spitznamen.

Davis: Das stimmt.

SPOX: Wie kam es zu Steve "Interesting" Davis?

Davis: Ich gewann damals fast alle Turniere und zeigte in meinem Spiel kaum Emotionen - was übrigens auch heute noch so ist: Im Turnier mache ich keine Faxen, meine lustigen Seiten zeige ich dann bei Showmatches. Ich hatte also schnell diesen Ruf weg, der mir dann vorauseilte: langweilig, humorlos und so weiter. Aber wenn ich die Chance bekomme, dann zeige ich auch gern meine anderen Seiten.

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Seite 2: Davis über Ronnie O'Sullivan und den Snookerboom in China

SPOX: Aktuell ist Ronnie O'Sullivan der total dominante Spieler. Wie lange wird das noch so sein?

Davis: Naja, es ist unglaublich hart, wirklich zu dominieren. Das Höchste der Gefühle ist es eigentlich schon, das Sieger-WC ein paarmal im Jahr benutzen zu dürfen. Wirklich zu dominieren ist unheimlich schwer. Deshalb hat Ronnie entschieden, dass es für ihn in Zukunft am meisten Sinn macht, sich seine Turniere genau auszuwählen und diese dann frisch und ausgeruht zu spielen und sie dann auch zu genießen. Das allein macht es schon sehr schwer, zu dominieren. Ding Junhui etwa hat in der vergangenen Saison gleich fünf Turniere gewonnen.

SPOX: Einverstanden. Dann so: Wie lange kann er noch ganz oben mitspielen?

Davis: Wenn man fragt, ob er in fünf Jahren noch Weltmeister werden kann - da wäre er ja schon in seinen Vierzigern - denke ich, die Antwort ist "Ja". Er hat die besten Chancen, der älteste Weltmeister zu werden. Heute gibt es wenige Spieler, die die großen Turniere gewinnen können, wenn sie die 40 geknackt haben, von der WM ganz zu schweigen. Ich glaube, dass Ronnie der erste Spieler sein wird, der auch mit 40 in der absoluten Weltspitze mithalten wird und nicht abfällt. Er hat also gute Chancen.

SPOX: Ronnie ist überall beliebt, in Deutschland wie in England. Braucht Snooker mehr schillernde Gestalten wie ihn - und damit vielleicht auch mehr Kontroversen und Showmen?

Davis: Man kann sich seine Charaktere nicht basteln. Aber die Tatsache, dass Ronnie O'Sullivan für so viele eine einzigartige Persönlichkeit ist, zeigt doch folgendes: Wenn alle Spieler wären wie Ronnie, wäre gleichzeitig niemand mehr etwas Besonderes. In meinen Augen wird Snooker nie mehr als zwei oder drei schillernde Persönlichkeiten haben, das ist der natürliche Lauf der Dinge. Wenn man es zum Beispiel mit Golf vergleicht: Dort gibt es auch ein paar schillernde Gestalten - und die Übrigen sind einfach großartige Golfer. Man sollte also nicht den Fehler machen, die Spieler irgendwie dazu zu bringen, sich als Persönlichkeit zu verbessern. Wie schon gesagt: Die deutschen Fans nehmen die Spieler so, wie sie sind und wissen sie zu schätzen, während man in Großbritannien sagt: Ach, der hat keine Persönlichkeit. Das sagt man hier nicht, hier heißt es: Er ist ein großartiger Spieler!

SPOX: In den 80ern hatte Snooker sensationelle Einschaltquoten in England. Da gab es das WM-Finale 1985 zwischen Ihnen und Dennis Taylor.

Davis: Ja, das haben 18,5 Millionen am Bildschirm verfolgt, glaube ich. Solche Zahlen wären heutzutage in Großbritannien unmöglich. Insgesamt haben wir heute aber trotzdem mehr Zuschauer als 1980, zum Beispiel wegen des Snookerbooms in China. Oder auch Eurosport: Die Quoten sollen im Vergleich zum Vorjahr um 50 Prozent gestiegen sein, in manchen Ländern sogar noch mehr. Das ist ein enormer Sprung, so etwas passiert normalerweise nicht. Snooker ist also eindeutig sehr beliebt. Die Tatsache, dass die Quoten in Großbritannien nicht mehr so hoch sind, ist also kein großes Problem, sondern nachvollziehbar.

SPOX: Dennoch: Sehen Sie eine Möglichkeit, die Quoten wieder zu steigern? Darts zum Beispiel hat einen riesigen Boom hingelegt - kann man sich da vielleicht etwas abschauen?

Davis: Nein, denn ich glaube nicht, dass mit dem Produkt Snooker etwas nicht stimmt. Es geht ihm einfach so wie allen anderen Fernsehsendungen, denn alle büßen Zuschauer ein. Alles ordnet sich neu: Mehr Kanäle - 1985 waren es drei -, es gibt das Internet, die Menschen sind mehr unterwegs, sind Sonntags mit ihrer Familie shoppen und schauen deshalb das Finale nicht an. Es gibt einfach mehr Möglichkeiten, seine Zeit zu verbringen, man ist nur noch eine Option unter vielen und wirbt um die Gunst der Menschen. Das Produkt ist gut, da sollte man nichts ändern. Und das beweisen die weltweiten Zahlen auch: Wenn Ding Junhui spielt, dann schauen in China 60 Millionen zu - und zwar mitten in der Nacht.

SPOX: Wäre dann die logische Folge, mehr und mehr Turniere im Ausland und vor allem in China zu spielen?

Davis: Schon jetzt sind 50 Prozent unserer Ranglistenturniere in China. Dann gibt es die PTC-Events, die kleinen Wochenend-Turniere. Zwei davon sind in Deutschland, dann Holland, Belgien, dieses Jahr auch in Lettland. Man geht dorthin, wo man gewollt wird und die Leute willens sind, ein Ranglistenturnier auszurichten. China ist natürlich ein riesiges Land, aber ich glaube nicht, dass wir jemals mehr als 50 Prozent unserer Events dort ausrichten werden. Das kann ich mir nicht vorstellen.

SPOX: Sie glauben also nicht, dass die World Championship eines Tages vom Crucible in Sheffield nach China auswandert? Das war ja schon einmal im Gespräch.

Davis: Es gab zu keiner Zeit ernsthafte Verhandlungen darüber. Es gab Spekulationen, über die berichtet und dann natürlich diskutiert worden ist. Aber es war zu keinem Zeitpunkt wirklich kurz davor, beim besten Willen nicht. Das wäre so, als würde man Wimbledon verlegen. Wenn man den Austragungsort verändert, dann wirft man so viel Geschichte und Tradition über Bord, da bräuchte es schon einen zwingenden Grund.

SPOX: Und der wäre?

Davis: Wenn uns die BBC den Stecker ziehen würde. Oder aber China eine irrsinnige Summe bietet. Aber die müsste schon jenseits von Gut und Böse sein, um sich von unserer Geschichte und Tradition zu lösen.

SPOX: Wie lange werden Sie noch spielen?

Davis: Ich bin ja heutzutage ohnehin eher eine Art Halbprofi. Das werde ich noch so lange machen, wie ich den Wettbewerb genieße und noch einigermaßen spielen kann. Die Hauptsache ist, dass es mir noch Spaß macht. Ich könnte meine Karriere morgen beenden, oder noch lange weitermachen - das wäre kein großer Unterschied. Es ist also mittlerweile eher eine Art Hobby.

SPOX: Letzte Frage: Seit 1988 sind sie "Member of the British Empire", quasi eine Vorstufe zum Ritterschlag. Ist das mit irgendwelchen Privilegien verbunden?

Davis (lacht): Nein, leider nicht. Und mit Sir müssen Sie mich auch nicht anreden.

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